»Sie sind ja ein wahrer Waldschrat!« So soll, laut Ernst Niekisch, Friedrich Hielscher einmal in einer gemeinsamen Runde mit Ernst und Friedrich Georg Jünger sowie Franz Schauwecker den Künstler Heinrich Andreas Paul Weber (1893– 1980) bezeichnet haben – aufgrund dessen eigentümlicher Physiognomie. Weber war in diesen Kreis geraten, da er zum einen die bestimmende Prägung für sein Leben und Werk durch seine Zeit in der Wandervogel-Bewegung erhalten hatte: Sie trug entscheidend zu seiner nationalen und naturverbundenen Gesinnung bei und verschaffte ihm den Kontakt zu Personen und Publikationen der Konservativen Revolution. Zum anderen hatte er aber auch schon damals durch seine Arbeit, vor allem durch seine bis heute unverwechselbaren Bleistift- und Federzeichnungen, auf sich aufmerksam gemacht.
Weber, geboren im thüringischen Arnstadt, hatte die Kunstgewerbeschule in Erfurt schon nach kurzer Zeit verlassen und hielt sich bis zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs als Freiberufler mit Reklamezeichnungen, aber auch mit Titelillustrationen für die Monatsschrift des Alt-Wandervogels über Wasser. Im August 1914 meldete sich Weber freiwillig und trat zunächst in das III. Eisenbahn-Regiment in Hanau ein. Hervorzuheben ist hier aber seine Arbeit für die Zeitung der 10. Armee ab Juli 1916, da er dort seine Zeichnungen zum ersten Mal mit der charakteristischen Signatur »A. Paul Weber« versah.
Nach dem Krieg arbeitete Weber für den Deutschnationalen Handlungsgehilfenverband (DHV), zu dem auch die Hanseatische Verlagsanstalt gehörte. Der Künstler stand der Ideenwelt des gewerkschaftsähnlichen Kaufmannsverbandes nahe, der den Vereinnahmungsversuchen der NSDAP bis 1933 widerstehen sollte und zu seinen Verbandszielen die Volkstumsarbeit, die sozialpolitische Kampfbereitschaft sowie die Wehrhaftigkeit zählte. Ebenso konnte Weber an seine Kontakte aus der Wandervogel-Zeit anknüpfen, und in seinen Illustrationen für die Bücher von Hjalmar Kutzleb wurde zu Beginn der 1920er Jahre der Abstand zum Spießbürger, die Betonung des Deutschtums sowie ein mitunter ins Heroische gesteigertes Pathos in Webers Arbeiten deutlich, gleichwohl aber auch der stets eigene Ton. Durch seine Arbeit beim DHV ergaben sich die erwähnten Kontakte zu den Kreisen der Konservativen Revolution und fortan zeichnete er für die Zeitschriften dieser Strömung, so etwa für die im Jahre 1927 gegründete und von Ernst Jünger herausgegebene Publikation Der Vormarsch. Hier sollte sich Webers politisches Denken zusätzlich erweitern: Waren bis dahin vor allem die Ideale des Wandervogels bestimmend gewesen, so entwickelte er nun gleichermaßen Verachtung für den Bourgeois wie für das Weimarer System.
In diesem Zusammenhang spielte aber auch ein familiärer Aspekt eine entscheidende Rolle: Durch den Gedankenaustausch mit seinem Schwager Theodor Neubauer, der von 1924 bis 1933 Reichstagsabgeordneter der KPD war, über das Wesen des Klassenkampfes und die junge Sowjetunion erschloß sich in politischer Hinsicht eine neue Welt für A. Paul Weber. Diese verschiedenen Stränge sollten sich in ihrer Gesamtheit als wichtige Vorstufe für die folgende Zusammenarbeit mit dem nationalbolschewistischen »Widerstandskreis« um Ernst Niekisch (1889–1967) erweisen.
Niekisch hatte sich im »Wendejahr 2016« (Armin Mohler) von seinen Überzeugungen aus sozialdemokratischer Zeit abgegrenzt und wurde der bedeutendste Vertreter des Nationalbolschewismus: Diese »antiwestliche, antiliberale und antiromanische Ideologie eines deutschen Weges« (Karlheinz Weißmann), stellte eine neuartige und mitunter widersprüchlich erscheinende Synthese aus radikalem, preußischem Nationalismus, diffusem Antikapitalismus und einer starken Betonung des sozialrevolutionären Elements dar – bei gleichzeitigem Kampf gegen den Liberalismus und die Versailler Nachkriegsordnung. Ein Alleinstellungsmerkmal war jedoch die explizite Anlehnung an das bolschewistische Rußland, die von rein außenpolitischen Konzeptionen bis zur politisch-ideologischen Wertschätzung der gesellschaftlichen Neuordnung in der Sowjetunion reichte. Gerade diese Fixierung sowie konzeptionelle Brüche und eine zunehmende Kompromißunfähigkeit Niekischs standen Bündnissen und einer Einflußnahme auf die praktische Politik im Wege.
Ernst Niekisch konzentrierte sich ab dem Jahre 1928 nur noch auf seine publizistische Tätigkeit und die bereits seit Juli 1926 herausgegebene Zeitschrift Widerstand. Diese Monatsschrift erschien seit der Jahreswende 1927 / 28 im dann gegründeten Widerstands-Verlag, in dem zusätzlich noch die Wochenzeitung Entscheidung, vor allem aber auch Bücher, insbesondere die Werke von Niekisch selbst, erschienen. Über seinen Verlag sollte Niekisch zurückblickend folgendes Urteil fällen: »Man wird kaum leugnen können, daß der Widerstands-Verlag während der Hitlerzeit eine wichtige Funktion erfüllte. Inmitten des Zwanges und der Greuel einer terroristischen Diktatur war der Verlag, bis zu seiner Zerstörung im Jahre 1937, eine Plattform, auf welcher der Geist noch unerschrocken die Sache der Freiheit des Denkens und der Kritik verfocht.«
Da Niekisch für seine Publikationen einen Graphiker benötigte, wandte er sich an A. Paul Weber, dessen Illustrationen er bereits aus dem Vormarsch kannte. Weber galt innerhalb des »Widerstandskreises« als unpolitisch und blieb gewissermaßen ein Außenseiter: So war er zwar seit Januar 1930 bis zum Verbot im Dezember 1934 Mitherausgeber des Widerstand, wurde im Impressum der Zeitschrift aber ausdrücklich mit seiner Berufsbezeichnung »Kunstmaler« aufgeführt – dies deutete auf ein Arbeitsverhältnis und eine gewisse Distanz zum Verlag und der komplexen Gedankenwelt des Intellektuellenkreises hin. Gleichwohl wurde die Arbeit des Künstlers hoch geschätzt, wie etwa sein Entwurf für das bekannte Signet des Verlages: das Oval mit den drei nach rechts weisenden Spitzen, welche sich zum einen an die Kennzeichnung von Front- und Angriffslinien anlehnten. Zum anderen bildete die Gestaltung, im rechten Winkel gedreht, das »W« für den »Widerstand«.
Seine Arbeiten für die gesamte Palette der Verlagserzeugnisse, insbesondere die Illustrationen für die Zeitschrift Widerstand, steigerten A. Paul Webers Bekanntheitsgrad und sollten ihn endgültig in den Rang eines satirisch-kritischen Zeichners befördern. So gab Niekisch auch nur jeweils das Motiv vor und Weber übersetzte dies ins Bildhafte, ging allerdings oftmals darüber hinaus, fand seine eigene Sprache und schaffte es, daß die Bilder auch ohne die korrespondierende Textlektüre wirkten oder sogar eine stärkere Aussagekraft entfalteten. Niekisch erkannte dies und stellte fest: »Weil der Künstler durch seine Werke das Wesen der Wirklichkeit einfach ausspricht, entschleiert er und übt dadurch eine gesellschaftliche Funktion aus. (…) Indem der Künstler seine enthüllende Aussage macht, wirft er Funken der Revolution in die Herzen. Am Kunstwerk solcher Art entzünden sich die Kräfte des Widerstandes gegen die bedrückende Wirklichkeit.« Als Folge ihres Wirkens sollten A. Paul Weber und Ernst Niekisch im Jahre 1937 verhaftet werden.
Im Grunde ist eine Beschreibung von Webers Bildern nicht notwendig: Ihre Aussagekraft ist mehr als klar, und Weber selbst lehnte die Kommentierung seiner Kunst stets ab – die Bildunterschriften mußten reichen. Doch sollen einige seiner eindrucksvollen Bilder aus dieser Zeit exemplarisch genannt werden: Die Zeichnung »Deutsche Selbstentmannung« (1930) spielt auf den Verlust der Wehrhaftigkeit Deutschlands, mit dem Kanonenrohr als Phallussymbol, und insbesondere die militärische Impotenz gegenüber dem Westen durch die Erfüllung des Young-Planes an. Mit der Darstellung des auf einem über die tatenlos zuschauende Menge gespannten Seil tanzenden Bourgeois, der auf seinem Kopf Gewehr und Trommel (Symbole für Militär und Partei) balanciert, stellte Weber in seiner Illustration »Der Balanceakt« (um 1930) die Drahtzieher und Nutznießer der gegenwärtigen Lage, die bürgerlichen Kriegstreiber und Großkapitalisten (verbildlicht durch die rauchenden Fabriken im Hintergrund) bloß. Am eindrucksvollsten und bekanntesten sind aber wohl A. Paul Webers Illustrationen für Ernst Niekischs Schrift Hitler – ein deutsches Verhängnis (1932), in der Niekisch seinen »schärfsten Antipoden« (Sebastian Haffner) heftig attackierte: Weber sah, transportiert in seinen Zeichnungen, in Hitler bzw. in dessen Machenschaften den Tod für ein ganzes Volk und nationales Erbe – und hierfür bescheinigte Ernst Niekisch dem Künstler im Rückblick eine »ungeheure prophetische Kraft«.