Widerstand und Sabotage

PDF der Druckfassung aus Sezession 70 / Februar 2016

Erik Lehnert

Erik Lehnert ist promovierter Philosoph.

Zur Beant­wor­tung der Fra­ge, ob ein Wider­stands­akt legi­tim ist, ist mit­un­ter der Zeit­punkt der Beur­tei­lung ent­schei­dend. Für Stauf­fen­berg, um das bekann­tes­te Bei­spiel zu nen­nen, liegt dies auf der Hand: War er 1944 ein Ver­rä­ter, so wur­de er nach Ende des Drit­ten Rei­ches von der umstrit­te­nen Per­sön­lich­keit zum Hel­den der Bun­des­re­pu­blik. Unab­hän­gig von der Wert­schät­zung, die man Stauf­fen­berg als Per­sön­lich­keit ent­ge­gen­brin­gen mag, bleibt die­se Sti­li­sie­rung wohl­feil, weil sie die dahin­ter­ste­hen­den Pro­ble­me aus­blen­det. Einer­seits wird der Wider­stands­akt als sol­cher gefei­ert, ande­rer­seits bleibt er his­to­risch auf das Drit­te Reich fixiert. Es wird nahe­ge­legt, daß jeg­li­ches Han­deln, daß nicht auf den Umsturz des dama­li­gen Sys­tems ziel­te, wenn nicht ver­bre­che­risch, so doch unmo­ra­lisch gewe­sen sei. Die Gegen­wart nach Hit­ler erscheint des Wider­stands unbedürftig.

Die­sen Wider­spruch hat Carl Schmitt nach dem Zwei­ten Welt­krieg genau gese­hen: »Hob­bes ist der ers­te Moder­ne, bei dem sich der Haß gegen die Ideo­lo­gien zeigt; aber wun­der­voll: Haß auch gegen die Ideo­lo­gen des Wider­stands­rechts, die Wider­stands-Ideo­lo­gen, die uns damals wie heu­te tyran­ni­sie­ren und fern vom Schuß zur Sabo­ta­ge auf­ru­fen und ex post zu Ver­bre­chern erklä­ren, weil wir uns nicht ent­schlie­ßen konn­ten, Sabo­teu­re zu wer­den.« Er stellt dabei den Bezug zu Kier­ke­gaard her, nach­dem nur der­je­ni­ge ver­pflich­tet ist, für den christ­li­chen Glau­ben zu ster­ben, der ihn predigt.

Für eine bestimm­te geis­ti­ge Eli­te waren die Ant­wor­ten daher nicht ganz so ein­fach. Für sie stell­te das Jahr 1945 kei­ne so ein­deu­ti­ge Trenn­li­nie zwi­schen böse und gut dar, wie es sich in der Inter­pre­ta­ti­on der alli­ier­ten Sie­ger aus­nahm. Zu die­sen Leu­ten gehör­te Gott­fried Benn eben­so wie Ernst Jün­ger, Mar­tin Heid­eg­ger oder auch Carl Schmitt. Sie alle waren vor 1945 mehr oder weni­ger deut­lich in Ungna­de gefal­len und wur­den nach der Nie­der­la­ge zunächst nicht reha­bi­li­tiert, son­dern hat­ten Publi­ka­ti­ons­ver­bot. Daß ein zeit­wei­li­ges Enga­ge­ment für das Drit­te Reich nicht den Haupt­aus­schlag bil­de­te, zeigt das Schick­sal Jün­gers, der trotz sei­ner Distanz zum NS bis 1949 mit einem Publi­ka­ti­ons­ver­bot belegt wur­de. Sie alle schrie­ben in die­ser Zeit für die Schub­la­de, führ­ten Tage­buch oder ver­trau­ten ihre Gedan­ken Brie­fen an. Ben­ns Brie­fe an Oel­ze, Jün­gers Jah­re der Okku­pa­ti­on sind schon lan­ge als in die­sen Kon­text gehö­ren­de Doku­men­te ver­öf­fent­licht wor­den. Gro­ße Auf­re­gung gab es im letz­ten Jahr, als die ers­ten von Heid­eg­gers Schwar­zen Hef­ten erschie­nen. Auch von Carl Schmitt gibt es Ent­spre­chen­des. Das ers­te Mal erschien sein Glos­sa­ri­um 1991. Es han­delt sich dabei wie auch bei Heid­eg­ger um ein Denk­ta­ge­buch, das im Gegen­satz zu Jün­gers Schrift alles Per­sön­li­che außen vor läßt und sich den poli­tisch-welt­an­schau­li­chen Zeit­fra­gen wid­met. Es fin­den sich dar­in zwar auch Zita­te aus Brie­fen, die Schmitt an Drit­te schick­te, den­noch läßt es sich vom Cha­rak­ter her am ehes­ten mit Heid­eg­gers Schwar­zen Hef­ten ver­glei­chen. Als das Glos­sa­ri­um vor 25 Jah­ren erschien, stand es noch soli­tär da und zog eine gro­ße Zahl von Rezen­sio­nen nach sich.

Bald wur­de aller­dings klar, daß die Edi­ti­on, die der ehe­ma­li­ge Assis­tent von Schmitt, Eber­hard von Medem (beglei­tet von einem Vor­wort des Nach­laß­ver­wal­ters Joseph H. Kai­ser), über­nom­men hat­te, feh­ler­haft und vor allem unvoll­stän­dig war. Wenn jetzt das Glos­sa­ri­um neu erscheint, han­delt es sich nicht um eine zwei­te Auf­la­ge, son­dern um eine »erwei­ter­te, berich­tig­te und kom­men­tier­te Neu­aus­ga­be« (Ber­lin: Dun­cker & Hum­blot 2015, 69.90 €). Medem hat­te damals ledig­lich die ers­ten drei Bücher ediert, jetzt lie­gen alle fünf vor. Der Umfang hat sich dadurch (und durch den knapp gehal­te­nen Kom­men­tar) von 364 auf 567 Sei­ten erhöht. Her­aus­ge­ge­ben wur­de die neue Aus­ga­be von Gerd Gies­ler und Mar­tin Tiel­ke, die bei­de schon viel für das Werk von Schmitt getan haben.

Das Glos­sa­ri­um umfaßt in der jetzt vor­lie­gen­den gül­ti­gen Gestalt den Zeit­raum vom 28. August 1947 bis zum 31. Dezem­ber 1958. Im Gegen­satz zu sei­nen pri­va­ten Tage­bü­chern ist es nicht in der Gabels­ber­ger Ste­no­gra­phie (die nur gele­gent­lich vor­kommt) gehal­ten, son­dern in Lang­schrift, so daß die Ent­zif­fe­rung nur bei ganz weni­gen Stel­len nicht gelang. CS hat es zudem immer wie­der über­ar­bei­tet und mit Ver­mer­ken (und Nach­schrif­ten) ver­se­hen, so daß zumin­dest ver­mu­tet wer­den kann, daß CS das Glos­sa­ri­um Drit­ten zugäng­lich machen woll­te, wenn­gleich die Her­aus­ge­ber eine geplan­te Ver­öf­fent­li­chung bezweifeln.

Sinn und Zweck des Glos­sa­ri­ums erge­ben sich nicht nur aus dem Inhalt, son­dern bereits aus dem Datum der Nie­der­schrift. Schmitt begann sein Denk­ta­ge­buch, als er in das hei­mat­li­che Plet­ten­berg zurück­kehr­te. Die­sem Abstieg war eine beein­dru­cken­de Auf­stiegs­ge­schich­te vor­aus­ge­gan­gen. Der Sohn armer Katho­li­ken stu­dier­te Jura und mach­te in der Wei­ma­rer Repu­blik rasch Kar­rie­re, wur­de Pro­fes­sor und ver­öf­fent­lich­te Bücher, die durch Schmitts Lust an der Defi­ni­ti­on und sei­ne geschlif­fe­ne Spra­che ein brei­tes Echo fan­den. Er wur­de 1933 Pro­fes­sor in Ber­lin, enga­gier­te sich beim natio­nal­so­zia­lis­ti­schen Umbau des Rei­ches, fiel 1936 in Ungna­de, blieb aber Pro­fes­sor, wenn­gleich er jetzt kei­nen Zugang zur Macht mehr hat­te. Die Alli­ier­ten inter­nier­ten ihn nach der Erobe­rung Ber­lins, lie­ßen ihn nach einem Jahr frei, setz­ten ihn im Zuge des Nürn­ber­ger Pro­zes­ses wie­der fest und ent­lie­ßen ihn schließ­lich Ende Mai 1947 nach Plettenberg.

Natur­ge­mäß hader­te CS mit sei­nem Schick­sal, und nicht zuletzt dien­te sein Denk­ta­ge­buch dazu, die Vor­gän­ge der letz­ten Jah­re zu deu­ten und damit auch sei­nem eige­nen Schick­sal einen Sinn abzu­ge­win­nen (»Der Auf­bre­cher wird schnell zum Ver­bre­cher, wenn die ande­ren nicht mit­ge­hen und die Gefolg­schaft ver­wei­gern…«). Schmitt war nicht so ver­mes­sen, sich ledig­lich unge­recht behan­delt zu füh­len, war aber auch nicht bereit, eige­ne Feh­ler zuzu­ge­ben. Viel­mehr ging es ihm dar­um, sein eige­nes Schick­sal als stell­ver­tre­tend für einen Gesamt­pro­zeß zu deu­ten, der nicht weni­ger als den Unter­gang des euro­päi­schen öffent­li­chen Rechts (und damit des nicht­dis­kri­mi­nie­ren­den Kriegs­be­griffs) bedeu­te­te. CS ver­stand sich als Bau­ern­op­fer die­ses Prozesses.

Ein Indiz dafür, daß er die gan­ze Geschich­te zumin­dest seit 1936 als einen unun­ter­bro­che­nen Nie­der­gang begriff, sind sei­ne häu­fi­gen Ver­wei­se auf die Novel­le Beni­to Cere­no von Her­man Mel­ville, in der ein spa­ni­scher Kapi­tän von auf­stän­di­schen Skla­ven (für äuße­re Beob­ach­ter zunächst uner­kannt) als Gei­sel gehal­ten wird. Sie spiel­te seit jener Zeit eine zen­tra­le Rol­le für das Selbst­ver­ständ­nis von CS, der sich selbst als Cere­no sah, der von den Natio­nal­so­zia­lis­ten als Gei­sel miß­braucht wur­de. Die Lage hat­te sich für ihn nur inso­fern geän­dert, daß er jetzt nicht mehr Gei­sel war, son­dern als schul­dig galt, weil er ein­mal Gei­sel gewe­sen war.

Eine zen­tra­le Fra­ge des Glos­sa­ri­ums ist daher, war­um er 1933 mit­ge­macht hat und wie die mög­li­chen Alter­na­ti­ven zu bewer­ten sind. Die Ant­wort liegt für einen Juris­ten nahe. Er habe mit­ge­macht, um dem Recht zur Gel­tung zu ver­hel­fen und der rei­nen Tech­no­kra­tie etwas ent­ge­gen­zu­set­zen. Auch sei­nen bekann­ten Auf­satz »Der Füh­rer schützt das Recht« inter­pre­tier­te er dem­entspre­chend als Ver­such, Hit­ler »den erprob­ten Trick der Lega­li­tät aus der Hand zu neh­men und ihn zu einer rechts­för­mi­gen Ver­ant­wor­tung zu zwin­gen«. Dem­entspre­chend gal­lig sind sei­ne Kom­men­ta­re zum Werk und zur Per­son Jün­gers (»Ich-ver­rück­ter Recht­ha­ber«), der in den Jah­ren des Glos­sa­ri­ums an Repu­ta­ti­on gewann. Die­ser sprach CS die Berech­ti­gung ab, über ihn zu urtei­len, eben weil er damals mit­ge­macht und nicht auf Jün­ger gehört habe. Als 1991 das Glos­sa­ri­um erst­mals erschien, leb­te Jün­ger noch, wes­halb die­se Urtei­le damals eine ech­te Bri­sanz hatten.

In der Mas­se der The­men ist das Glos­sa­ri­um ein­zig­ar­tig, und in vie­len Ein­sich­ten, die nicht unbe­dingt die eige­ne Per­son betref­fen, blei­ben Schmitts Erkennt­nis­se gül­tig, z.B.: »Was ist Faschis­mus? Faschis­mus ist jeder Ver­such, die gro­ßen Welt­fra­gen der Gegen­wart anders als mar­xis­tisch zu beant­wor­ten. Die­se Sprach­re­ge­lung ist der eigent­li­che Sieg Sta­lins…« Ent­schei­dend für die heu­ti­gen Debat­ten sind aber weni­ger sei­ne apo­dik­ti­schen Defi­ni­tio­nen als sei­ne Fra­gen, die oft­mals unbe­ant­wor­tet blie­ben und gera­de dadurch zei­gen, daß es sich hier um Fra­gen han­del­te, die in jeder Situa­ti­on neu beant­wor­tet wer­den müssen.

Wenn er nach den Mög­lich­kei­ten des Wider­stands fragt, wird deut­lich, daß es dabei immer um alles geht, ein biß­chen Wider­stand also nicht mög­lich ist. »Ek-sis­tenz, Dasein in der Lich­tung, eksta­ti­sches Innes­te­hen in der Offen­heit des Seins hat nur der höchs­te Macht­ha­ber. Wie willst Du ihn töten, ohne das Haus zu zer­stö­ren, in dem wir alle woh­nen? Ohne die Lich­tung zu trü­ben, in der wir eksis­tie­ren? Das kann nur der blin­de Sim­son, und er kann es nicht jus­tiz­för­mig, son­dern nur ele­men­tar, nach­dem sei­ne Haa­re wie­der gewach­sen sind. Er zer­stört das gan­ze Haus und sich selbst.« Die Fra­ge, die sich dar­aus ergibt, ist weni­ger die nach der Legi­ti­mi­tät von Stauf­fen­bergs Tat als die nach dem höchs­ten Macht­ha­ber. Das sind wir, die »mensch­li­che Gesell­schaft« selbst, die sich zum Gott erho­ben hat.

Erik Lehnert

Erik Lehnert ist promovierter Philosoph.

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