Kehrt die Gewalt zurück?

Nach der Kulturrevolution von 1968 hat Deutschland einen linken Sonderweg eingeschlagen... 

Felix Menzel

Felix Menzel ist Chefredakteur des Schülerblogs blauenarzisse.de.

und seit­her einen Grad an poli­ti­scher Blind­heit erreicht, der so oder so zur Selbst­zer­stö­rung führt: Ent­we­der schafft sich Deutsch­land mit eiser­ner Dis­zi­plin noch im 21. Jahr­hun­dert ab, oder es kommt zum ideo­lo­gi­schen Zusam­men­bruch, der die Rück­kehr der Gewalt zur unmit­tel­ba­ren Fol­ge hät­te. Einen geschmei­di­gen, fried­li­chen Über­gang vom lin­ken auf einen rech­ten Son­der­weg wird dage­gen nie­mand mehr fnden. Dies hat einen ein­fa­chen Grund: Es fehlt am gemein­sa­men Wil­len des Vol­kes, nur einer Regie­rung zu fol­gen, die natio­na­le Inter­es­sen ver­tritt und ihren Teil der »Schutz-und-Gehorsam«-Vereinbarung erfüllt.

Gehor­sam ohne aus­rei­chen­den Schutz scheint in der Bun­des­re­pu­blik zumin­dest so lan­ge zu funk­tio­nie­ren, wie die Mehr­zahl der Bür­ger die­ses Defi­zit durch selbst finan­zier­te Aus­weich­be­we­gun­gen kom­pen­sie­ren kann. Wäh­rend es ein Staat in Zei­ten wirt­schaft­li­cher Not sofort zu spü­ren bekommt, wenn er kei­nen Schutz mehr gewähr­leis­ten kann, zieht der Bür­ger unse­rer rei­chen Zeit lie­ber in das noch siche­re Vier­tel oder gleich aufs Land, schenkt sei­ner Toch­ter heim­lich ein Pfef­fer­spray und ver­mei­det den Besuch des Schwimm­ba­des. Ernüch­te­rung macht sich breit, aber zur Gegen­wehr dürf­te es nur in den sel­tens­ten Fäl­len kom­men. Bereits 1994 schrieb der Sozio­lo­ge Karl Otto Hond­rich in einem Essay für die Zeit: »Wir ver­las­sen das Zeit­al­ter der Visio­nen und tre­ten ein in eine Epo­che der Ent­de­ckun­gen. Zu ent­de­cken ist, wel­che Macht in Wirk­lich­keit die Gewalt hat – und wel­che Bedeu­tung die gemein­sa­me Her­kunft.« Hond­rich zufol­ge neh­men Gewalt und Natio­na­lis­mus zu, je offe­ner eine Gesell­schaft wer­de. Dies gel­te jedoch nicht nur für den »rech­ten«, kon­ven­tio­nel­len Natio­na­lis­mus, son­dern eben­so für einen eigen­ar­ti­gen lin­ken Son­der­weg, der dar­in bestehe, die eige­nen Zie­le um den Preis der Zer­stö­rung des gro­ßen Gan­zen durch­zu­set­zen. Lie­ber ver­tei­dig­ten die Lin­ken, zu denen mitt­ler­wei­le auch die sozi­al­de­mo­kra­ti­sier­te Uni­on gehö­re, das deut­sche Asyl­recht, anstatt in klei­nen Schrit­ten und in Har­mo­nie mit den euro­päi­schen Nach­barn ihrem Ide­al einer bun­ten Gesell­schaft näher­zu­kom­men. Ähn­li­ches las­se sich auch beim Umwelt- und Kli­ma­schutz, dem Min­dest­lohn, der Ent­wick­lungs­hil­fe (erneu­er­ba­re Ener­gien für Afri­ka) und der Euro­pa­po­li­tik beobachten.

»Am deut­schen Wesen soll die Welt gene­sen« ist damit eben­falls die Paro­le der Ver­tre­ter des lin­ken Son­der­we­ges, die allen ande­ren Völ­kern vor­schrei­ben wol­len, sich selbst zu über­win­den, um die per­fek­te Welt­ge­mein­schaft zu schaf­fen. Hond­rich mahn­te auf­grund die­ses Grö­ßen­wahns, das »Schick­sal der offe­nen Gesell­schaft« hän­ge von der »Ein­sicht in ihre Gren­zen« ab. Mehr als 20 Jah­re nach der Nie­der­schrift die­ser War­nung spricht nun viel dafür, daß die Uto­pis­ten die rote Linie über­schrit­ten haben. Damit kün­digt sich ein Sze­na­rio an, über das Geor­ges Sor­el bereits Anfang des 20. Jahr­hun­derts in sei­nen Refle­xio­nen über die Gewalt nach­dach­te: Er betrach­te­te die Gewalt aus­schließ­lich »unter dem Gesichts­punkt ihrer ideel­len Fol­gen«. Zwar kön­ne sie »den wirt­schaft­li­chen Fort­schritt stö­ren« und »für die Mora­li­tät gefähr­lich sein«. Sie schei­ne aber den­noch »das ein­zi­ge Mit­tel dar­zu­stel­len, über das die durch die Huma­ni­täts­ideen abge­stumpf­ten euro­päi­schen Natio­nen noch ver­fü­gen, um ihre ehe­ma­li­ge Ener­gie wiederzufinden«.

Sor­el war sich sicher, daß ent­we­der die pro­le­ta­ri­sche Gewalt und der impe­ria­lis­ti­sche Staat fron­tal auf­ein­an­der­tref­fen oder die Kon­sens­sucht der par­la­men­ta­ri­schen Sozia­lis­ten und des deka­den­ten Bür­ger­tums für Still­stand sor­gen wür­den. Auf die Gegen­wart über­tra­gen: Soll­te sich die AfD als eine nicht mehr zu ver­drän­gen­de Kraft mit einem Poten­ti­al von 20 oder 30 Pro­zent der Stim­men eta­blie­ren, droht ihr eine all­zu freund­li­che Umar­mung durch die eta­blier­ten Par­tei­en. Die Mäch­ti­gen wer­den dann auf die Kar­rie­ris­ten in der AfD set­zen, denen es aus­reicht, wenn sie ihren Wäh­lern eines Tages mit­tei­len kön­nen, es wer­de jetzt durch die gewon­ne­ne Repu­ta­ti­on und Koali­ti­ons­fä­hig­keit etwas kon­se­quen­ter abge­scho­ben. Ansons­ten läuft frei­lich alles wie vor­her. Da er ein sol­ches Sze­na­rio ver­mei­den woll­te, plä­dier­te Sor­el für den radi­ka­len Weg einer mit Gewalt her­bei­ge­führ­ten Revo­lu­ti­on. Auch wenn die­ser offen­si­ve Stand­punkt heu­te nicht ein­mal von Ver­tre­tern »extre­mis­ti­scher« Par­tei­en geteilt wird, so steckt doch in die­sem Gedan­ken­gang eine unleug­ba­re Wahr­heit über die Unmög­lich­keit, eine libe­ra­le Demo­kra­tie tief­grei­fend aus dem Sys­tem selbst her­aus zu ver­än­dern. Die Vor­aus­set­zung für das Ent­ste­hen einer revo­lu­tio­nä­ren Situa­ti­on ist des­halb die von den Ver­tre­tern des lin­ken Son­der­we­ges unfrei­wil­lig vor­an­ge­trie­be­ne Radi­ka­li­sie­rung unse­rer Gesell­schaft. Nur wenn Kanz­le­rin Ange­la Mer­kel und ihre Par­tei wei­ter dick­köpfg die Gren­zen offen­hal­ten, eine unkon­trol­lier­te Mas­sen­ein­wan­de­rung ermög­li­chen und nach­läs­sig gegen kri­mi­nel­le Aus­län­der vor­ge­hen, besteht die Chan­ce auf einen ech­ten Wan­del, der dann aller­dings nicht fried­lich ablau­fen kann. Zunächst wird dann ein Kampf zu kämp­fen sein, bei dem unklar ist, wel­che und wie vie­le Grup­pen sich dar­an beteiligen.

Auch läßt sich nicht seri­ös ein­schät­zen, wel­che neu­en Macht­ver­hält­nis­se sich dann her­aus­kris­tal­li­sie­ren. Wenn der Schrift­stel­ler Vla­di­mir Sor­okin, der »rus­si­sche Hou­el­le­becq« (FAZ), in sei­nem Roman Tel­lu­ria über ein zer­split­ter­tes Eura­si­en nach­denkt, in dem es weder den radi­ka­len Isla­mis­ten noch den gemä­ßig­ten Mos­lems oder den deka­den­ten Ein­hei­mi­schen gelingt, sich dau­er­haft an der Macht zu hal­ten, so mag dies auf den ers­ten Blick ledig­lich eine ziem­lich ver­rück­te Dys­to­pie sein. Nach gründ­li­chem Nach­den­ken dar­über, ob denn tat­säch­lich eines Tages zunächst die Tali­ban und nach drei Jah­ren der Gewalt und des Elends ein mode­ra­ter tür­ki­scher Kanz­ler das Sagen in der »Rhei­nisch-West­fä­li­schen Repu­blik« haben könn­ten, wird man jedoch zu dem Ergeb­nis kom­men, daß eine sol­che Unter­wer­fung durch den phy­sisch Stär­ke­ren und die Zer­split­te­rung der Macht das logi­sche Resul­tat der Glo­ba­li­sie­rung des Südens sein muß. Sor­okin lie­fert in sei­nem Roman auch gleich den Grund, war­um selbst in einer revo­lu­tio­nä­ren Situa­ti­on eine plötz­li­che Wie­der­ge­ne­sung des gan­zen Vol­kes ziem­lich unwahr­schein­lich ist. Er betont: »Wo, wo ist unse­re Natio­nal­idee? Die­se Nar­ren – sie ver­stan­den nicht, daß eine Natio­nal­idee kein Schatz hin­ter den sie­ben Ber­gen ist, kei­ne For­mel, kein Stoff, womit man die kran­ke Bevöl­ke­rung schnell mal imp­fen kann! Gibt es eine Natio­nal­idee, dann lebt sie in jedem Men­schen des Staa­tes, vom Stra­ßen­keh­rer zum Ban­kier. Gibt es sie nicht, muß sie erst gesucht wer­den – dann ist der Staat bereits zum Unter­gang verurteilt!«

Nach dem Ver­lust aller Visio­nen – der lin­ken wie der rech­ten –, den wir gedank­lich genau­so wie Sor­okin vor­weg­neh­men soll­ten, heißt dies, daß wir noch ein­mal völ­lig neu über die ideel­len Fol­gen der Gewalt nach­den­ken müs­sen. Die Gewalt bringt kein vor­her fest­ste­hen­des Ergeb­nis. Sie ist ein Sprung ins Unge­wis­se, sobald sie nicht nur ange­droht, son­dern auch ange­wen­det wird. Sie ist ein Zei­chen von Ohn­macht, wes­halb ins­be­son­de­re Gene­ra­tio­nen auf sie zurück­grei­fen, deren Zukunft durch die Nicht­exis­tenz ande­rer Lebens­chan­cen gekenn­zeich­net ist. Den­noch fällt es schwer, im ent­schei­den­den Moment zuzu­schla­gen. Der His­to­ri­ker Jörg Bab­e­row­ski erklärt in sei­nem Buch Räu­me der Gewalt, kei­ne Idee hel­fe »dem Täter dabei, sei­ne Hem­mun­gen zu über­win­den«. Er ist der Mei­nung, die Gewalt­for­schung habe sich auf einen Irr­weg bege­ben, indem sie die Absich­ten und Moti­ve der Täter zu ergrün­den sucht. Die inne­ren Dämonen sei­en völ­lig über­be­wer­tet, betont Bab­e­row­ski. Viel­mehr soll­te man »von den Räu­men spre­chen, die gewalt­tä­ti­ges Han­deln ermög­li­chen und begren­zen«. Sobald Men­schen in sol­che Räu­me kom­men, müs­sen sie der Logik der Gewalt fol­gen. Anschau­lich wird die­se The­se zum Bei­spiel in der inter­na­tio­nal bekann­ten ame­ri­ka­ni­schen TV-Serie Brea­king Bad. Der Prot­ago­nist der Serie, Wal­ter White, ist ein harm­lo­ser Che­mie­leh­rer, der an
Lun­gen­krebs erkrankt. Um sei­ne Behand­lung bezah­len zu kön­nen und sei­ner Fami­lie wei­ter­hin ein mate­ri­ell annehm­ba­res Leben zu ermög­li­chen, ent­schließt er sich dazu, Crys­tal Meth zu kochen. Spä­ter, als White schon eine Wei­le im Dro­gen­ge­schäft tätig ist, spie­len die­se nach­voll­zieh­ba­ren Absich­ten aller­dings kei­ne Rol­le mehr. Aus dem für­sorg­li­chen Fami­li­en­va­ter wur­de bin­nen kür­zes­ter Zeit ein skru­pel­lo­ser Mör­der, der töte­te, weil dies in den Situa­tio­nen, in die er sich durch sein neu­es Leben brach­te, ein­fach getan wer­den mußte.

Wäh­rend wir im Wes­ten als Gewalt­ver­leug­ner glau­ben, sol­che Situa­tio­nen mit einer Arm­län­ge Abstand umge­hen zu kön­nen, zeigt die Geschich­te der Bür­ger­krie­ge (in den letz­ten Jah­ren ins­be­son­de­re in Afri­ka und dem erwei­ter­ten Mitt­le­ren Osten), daß die Grün­de für den Aus­bruch gewalt­tä­ti­ger Unru­hen schnell ver­blas­sen und viel­fach aus­tausch­bar sind. Letzt­lich kommt es wohl auf drei Fak­to­ren an, die das Ent­ste­hen sol­cher Räu­me und Situa­tio­nen verhindern:

  1. Die spie­le­ri­sche Bewäl­ti­gung von Kon­flik­ten durch Mas­ke, Mime­sis und Thea­ter: Jus­tiz­mi­nis­ter Hei­ko Maas (SPD) soll­te also sehr froh dar­über sein, daß die deut­schen Wut­bür­ger flei­ßig »Haß­kom­men­ta­re« in sozia­len Netz­wer­ken hin­ter­las­sen. All­ge­mei­ner aus­ge­drückt: Das täg­li­che, pri­va­te und öffent­li­che Kom­mu­ni­ka­ti­ons- und Medi­en­ge­plän­kel sorgt für die Illu­si­on, die eige­ne Kri­tik und nega­ti­ve Gefüh­le mas­sen­wirk­sam aus­drü­cken zu kön­nen und ist doch eine sich stän­dig wie­der­ho­len­de, sub­ti­le Beleh­rung, wonach Gewalt kei­ne Lösung sei. Peter Slo­ter­di­jk hat recht,
    wenn er betont, die deut­sche Nati­on sei ein Kol­lek­tiv, »dem es gelingt, gemein­sam Unru­he zu bewah­ren«. Die­se Unru­he führt jedoch zu kei­ner Reak­ti­on. Durch den nach außen wir­kungs­lo­sen Abbau von Aggres­sio­nen über spie­le­ri­sche Ersatz­hand­lun­gen wird das Errei­chen der Schmerz­gren­ze und damit eine geziel­te Gegen­wehr ver­hin­dert
    .
  2. Eine Kul­tur der Distanz: Die Wür­de der Abstän­de zählt zu den wich­tigs­ten sozi­al­ethi­schen Prä­mis­sen des Abend­lan­des. Ihre  Miß­ach­tung durch die bewußt unkon­trol­lier­te Durch­mi­schung von Men­schen ver­schie­dens­ter Her­kunft wird nur so lan­ge gut­ge­hen, wie die anony­me Mas­sen­ge­sell­schaft in einem rein tech­ni­schen Sin­ne funk­tio­niert. Zwei­fel dar­an, ob dies gelingt, sind durch­aus ange­bracht, weil die Ver­tre­ter des lin­ken Son­der­we­ges aus allen in Deutsch­land leben­den Men­schen eine Gesin­nungs­ge­mein­schaft kre­ieren wol­len. Die Gren­ze jeder Gemein­schaft ver­läuft aber dort, »wo ech­te Lie­bes­mög­lich­keit prak­tisch auf­hört« (Hel­muth Pless­ner). Selbst ein durch gemein­sa­me Abstam­mung ver­bun­de­nes Volk ver­hält sich nur fried­lich auf­grund der gesell­schaft­li­chen Sphä­re des Rechts und der Öffent­lich­keit, die den »Ver­kehr zwi­schen unver­bun­de­nen Men­schen« regelt.
  3. Das Gewalt­mo­no­pol des Staa­tes sowie sei­ne »soft power«: Sobald der Staat sein Gewalt­mo­no­pol ver­liert, hört er auf zu exis­tie­ren. Dar­über hin­aus erfüllt sei­ne »soft power« eine Dop­pel­funk­ti­on: Sie muß zur Ver­drän­gung der Gewalt­fra­ge bei­tra­gen und zugleich die Furcht der Men­schen, ein­an­der zu töten, auf­recht­erhal­ten, damit das über­vor­sich­ti­ge Ver­hal­ten der Deut­schen bestehen bleibt, das sie zu einem harm­lo­sen Volk macht. Ein Bei­spiel für den Ein­satz von »soft power«: Sport­ver­bän­de, die Orte des (gere­gel­ten) Wett­kamp­fes sind, erhal­ten von der Bun­des­re­pu­blik nur dann För­der­gel­der, wenn sie das ideo­lo­gi­sche Pro­gramm der Inte­gra­ti­on und Inklu­si­on mit­tra­gen. Deut­lich grö­ße­re Beträ­ge und Anstren­gun­gen sind aller­dings noch nötig, um die Mas­se der Ein­wan­de­rer zur Gewalt­lo­sig­keit zu erzie­hen. Exper­ten wie der Kri­mi­no­lo­ge Chris­ti­an Pfeif­fer zei­gen sich den­noch zuver­sicht­lich, daß dies mit einer Arma­da von Psy­cho­the­ra­peu­ten und Sozi­al­ar­bei­tern schon irgend­wie mög­lich sei.

Die ent­schei­den­de Fra­ge der nächs­ten Jah­re ist daher, ob es mit dem brü­chig gewor­de­nen Gewalt­mo­no­pol des Staa­tes, der Auf­recht­erhal­tung des der­zei­ti­gen Wohl­stands­ni­veaus, immer aus­ge­feil­te­rer Über­wa­chungs- und Sicher­heits­tech­nik, der Ver­weib­li­chung des Man­nes sowie einer Erzie­hung zum Welt­bür­ger gelingt, das Auf­kom­men von Zwi­schen­grup­pen­ag­gres­sio­nen, die das Sys­tem in Fra­ge stel­len, zu ver­hin­dern. Das Sicher­heits­prin­zip der west­li­chen Welt ist dabei sogar dar­auf ange­wie­sen, sich durch Schein­an­grif­fe stän­dig selbst zu sta­bi­li­sie­ren und punk­tu­ell zu erneuern.

Ter­ro­ris­ti­sche Ein­zel­tä­ter und kon­ven­tio­nel­le Kri­mi­nel­le, die indi­vi­dua­lis­ti­sche Aggres­sio­nen aus­le­ben, bestär­ken regel­mä­ßig die Mehr­heit des Vol­kes, ihrer Regie­rung trotz etli­cher ande­rer Ent­täu­schun­gen doch noch zu ver­trau­en, weil schein­bar nur die der­zeit Regie­ren­den in der Lage sind, für all­ge­mei­ne Sicher­heit zu sor­gen, und weil in unsi­che­ren Zei­ten kein nor­ma­ler Mensch Expe­ri­men­te begin­nen möch­te. Eine Ände­rung die­ses Sta­tus Quo ist nur zu erwar­ten, wenn sich die Rah­men­be­din­gun­gen ver­schlech­tern. Laut dem Hei­del­ber­ger Insti­tut für Inter­na­tio­na­le Kon­flikt­for­schung nimmt die Zahl der gewalt­tä­ti­gen Aus­ein­an­der­set­zun­gen in der Welt par­al­lel zur Bevöl­ke­rung zu, was zu einem simp­len Zusam­men­hang führt: Je mehr Men­schen, des­to mehr Krie­ge und Kon­flik­te, und des­halb ten­den­zi­ell auch mehr Flücht­lin­ge, die in ande­ren Gesell­schaf­ten unter­kom­men müs­sen. Die öko­no­mi­schen Rah­men­be­din­gun­gen für die­se entor­te­ten Men­schen ändern sich nun eben­falls in dra­ma­ti­scher Wei­se: Wäh­rend durch die Glo­ba­li­sie­rung die Staa­ten der Welt (außer die­je­ni­gen der »unters­ten Mil­li­ar­de«) ten­den­zi­ell näher zusam­men­rü­cken, das heißt, die Sche­re zwi­schen armen und rei­chen Staa­ten nicht mehr so weit aus­ein­an­der­klafft, ent­wi­ckeln sich die Lebens­chan­cen der Men­schen genau umge­kehrt. Die Sche­re zwi­schen armen Men­schen, die über­flüs­sig sind oder aus­ge­beu­tet wer­den und die »Drecks­ar­beit« ver­rich­ten müs­sen, und den rei­chen Prof­teu­ren der Glo­ba­li­sie­rung öff­net sich immer weiter.

Zum einen schwin­det des­halb in jeder Gesell­schaft das gegen­sei­ti­ge Ver­trau­en der Men­schen, das Sozi­al­ka­pi­tal. Zum ande­ren blei­ben die Armen, die in rei­che Län­der migrie­ren, wei­ter­hin Ver­lie­rer und wer­den eben dort als bil­li­ge Arbeits­kräf­te aus­ge­nutzt, wenn sie denn über­haupt eine Anstel­lung fnden. Das Frus­tra­ti­ons­po­ten­ti­al für die Armen ist in den rei­chen Län­dern folg­lich min­des­tens genau­so groß wie in ihrer Hei­mat. Der Klas­sen­kampf ver­mengt sich daher mit dem Völ­ker­kampf, doch es bleibt die Fra­ge, wo die­ser aus­ge­tra­gen wird und wer die Opfer­be­reit­schaft besitzt, dar­an teil­zu­neh­men. Wird der feh­len­de Wil­le der pazi­fis­tisch erzo­ge­nen Lin­ken, das eige­ne Leben für ihre Sache ein­zu­set­zen, das Ende ihres Son­der­we­ges besie­geln? Selbst wenn sie im ent­schei­den­den Moment zur Waf­fe grei­fen soll­ten, wer­den sie ihr uto­pis­ti­sches Welt­bild ver­ra­ten müs­sen und des­halb genau­so enden wie die DDR-Füh­rung 1989 und die rus­si­schen Kommunisten.

Felix Menzel

Felix Menzel ist Chefredakteur des Schülerblogs blauenarzisse.de.

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