Als der Bestsellerautor P.C. Ettighoffer 1931 seinen Kriegsroman Gespenster am Toten Mann betitelte,…
konnte er bei der Mehrheit der Leser eines sofortigen Verständnisses gewiß sein. Denn militärtopographische Begriffe wie »homme mort«, »Fleury«, »Höhe 304«, »Pfefferrücken« oder »Vaux-Schlucht« gehörten damals in Deutschland fast zum sprachlichen Allgemeingut. Und Verdun, Sammelname für all dies Grauen einer Materialschlacht schlechthin, war zum Schlagwort geworden, zum Trauma und Mythos. Der Name stand für Hekatomben ins Verderben getriebener Soldaten, für den mörderischen Wahnwitz militärischen Prestigedenkens, für ein Höchstmaß an Menschenverachtung infolge zynischer Einfallslosigkeit und blutigem Stumpfsinn von Generalstäblern.
»Ein Schlachten war’s, nicht eine Schlacht zu nennen« notierte, Schiller zitierend, Ernst Jünger in Siebzig verweht. Sigmund Graff nannte Verdun »die längste, entsetzlichste, trostloseste Schlacht, die die Weltgeschichte bis dahin kannte«. Man sprach von »militärischer Bankrotterklärung«, »barbarischer Phantasielosigkeit«, »Entartung« und »Ende aller Strategie«. »Weil ich kein zweites Verdun machen will«, rechtfertigte Hitler im November 1942 den Umstand, daß Stalingrad noch immer nicht gefallen sei. Er artikulierte damit nur eine kollektive Horrorvorstellung. (Daß gerade seine Durchhaltetaktik diese Absicht dann blutig verfehlte, steht auf einem anderen Blatt der Geschichte.) Wann je sich sprachliche Unzulänglichkeit offenbarte, so angesichts dieses Todesrachens
(Franz Schauwecker), der sich im Februar 1916 an der Maas geöffnet hatte. Das Wort weckte Haßgefühle, spornte zu revolutionären Änderungen an oder evozierte Nibelungenstimmung. Auch stellte der Name dieses Schlachtterrains wie kein anderes Stichwort des Weltkriegs die Sinnfrage. Hier schien es buchstäblich ums Heil gegangen zu sein oder um das Eingeständnis, daß von dieser Welt, Existenz oder Gesellschaft kein Heil zu erwarten sei. Und so lautete denn auch 1932 ein bezeichnender Buchtitel des kommunistischen Schriftstellers Hans Marchwitza: Vor Verdun verlor ich Gott.
Wie kam dieser Ort zu seinem Schreckensruf? Zunächst einmal hatte es niemals bisher so viele Gefallene und Verwundete auf so begrenztem Raum gegeben – Opfer, die zu beklagen waren um eines kurzfristigen Geländegewinns von nicht einmal zehn Kilometern willen. Doch Verlustziffern allein, wie sehr man die ohnehin schrecklichen Zahlen durch legendarische Übertreibungen auch noch zusätzlich vergrößerte, begründen nicht die makabre Aufmerksamkeit, die Verdun in Deutschland genoß. Die Somme-Schlacht war in ihrem Massenverbrauch an Leben noch gewaltiger; aber im düsteren Symbolwert blieb Verdun unerreicht. Auch die Erfahrung »Verdun« wirkte nachhaltig. Schon Zeitgenossen der Schlacht beklagten ihren desaströsen Effekt auf die Motivation. Denn nach rund zehn Monaten der Hauptkämpfe war die deutsche Armee nicht mehr die gleiche wie früher. Die alten Offiziers- und Unteroffizierskorps waren vielfach zerschlagen. Widerstandskraft und Disziplin hatten deutlich gelitten zugunsten zunehmend fatalistischer Gleichgültigkeit. Nicht zuletzt der Umstand, daß der Ausgang des Unternehmens schon früher erahnt werden konnte und dennoch Konsequenzen unterblieben, erschütterte das Vertrauen der Frontkämpfer in die Führung. Verdun hatte denn auch unmittelbare strategische und politische Folgen in der Zeit zwischen den Weltkriegen. So setzten maßgebliche Militärs der Wehrmacht alles daran, nicht nochmals einen solchen Stellungskrieg führen zu müssen. Die konzeptionelle Ausrichtung auf schnelle, raumüberwindende Waffen, auf Panzer und Stukas, auf »Feuer und Bewegung«, hat in solchen Erfahrungen ihre Quelle. Die Franzosen hingegen, die in Verdun ja einen stolzen Abwehrerfolg erstritten hatten, tendierten auch von daher zu einer Festungsideologie, die in der Maginotlinie ihren höchsten Ausdruck fand. Ein weiterer Beweis für die Tatsache, daß aus Geschichte zugleich alles oder nichts zu lernen ist.
Die folgende Betrachtung – mehr als Streiflichter können es in diesem Rahmen nicht sein – konzentriert sich auf gut zwei Jahrzehnte einer Literaturkontroverse, in denen Verdun noch in aller Munde war, bevor es in unserem Kollektivgedächtnis durch andere Schreckensorte wie Stalingrad, Auschwitz oder Hiroshima entthront wurde. Mustern wir die damals populärsten literarischen Darstellungen, fällt dreierlei auf:
- ein von Pazifisten wie Bellizisten praktizierter Verismus, der uns die Kämpfe in all ihrer Scheußlichkeit nahebringt,
- eine zwischen Abschreckung und Heroisierung pendelnde Wirkungsabsicht, die meist nur über die Behandlung der Sinnfrage zu unterscheiden ist,
- eine gewisse morbide Faszination und mythische Verfallenheit an die spezifische Szenerie von Verdun.
Für Pazifisten dominierte als Botschaft ein »Nie wieder!« gemäß Erich Kästners Mahnung von 1932:
Auf den Schlachtfeldern von Verdun
finden die Toten keine Ruhe.
Täglich dringen dort aus der Erde
Helme und Schädel, Schenkel und Schuhe.
Über die Schlachtfelder von Verdun
laufen mit Schaufeln bewaffnete Christen,
kehren Rippen und Köpfe zusammen
und verfrachten die Helden in Kisten.
Oben am Denkmal von Douaumont
liegen zwölftausend Tote im Berge.
Und in den Kisten warten achttausend
Männer vergeblich auf passende Särge.
[…]
Zwischen Ähren und gelben Blumen,
zwischen Unterholz und Farnen
greifen Hände aus dem Boden,
um die Lebenden zu warnen.
Auf den Schlachtfeldern von Verdun
wachsen Leichen als Vermächtnis.
Täglich sagt der Chor der Toten:
›Habt ein besseres Gedächtnis!‹
Die radikale Linke in Weimar verschärfte die Anklage durch den Vorwurf, Verdun symbolisiere in besonderem Maße die Absurdität des Krieges. Per Komplott skrupelloser Profiteure seien Hunderttausende völlig verantwortungslos geopfert worden. Exemplarisch für viele schrieb Tucholsky 1924 in der Weltbühne: »Drüben liegt das Fort Douaumont, das überraschend fiel; da die Höhe 304; da das Fort de Tavannes. Teure Namen, wie? Einem alten Soldaten, der hier gestanden hat und lebendig herausgekommen ist, muß merkwürdig zumute sein, wenn er jetzt diese Gegend wiedersieht, still, stumpf, kein Schuß. Weit da hinten am Horizont raucht das, was dem deutschen Idealismus 1914 so sehr gefehlt hat: das Erzlager von Briey. Und wir fahren weiter. Die Sturmreihen sind in die Erde versunken, die armen Jungen, die man hier vorgetrieben hat, wenn sie hinten als Munitionsdreher ausgedient hatten. Hier vorn arbeiteten sie für die Fabrikherren viel besser und wirkungsvoller. Die Rüstungsindustrie war ihnen Vater und Mutter gewesen; Schule, Bücher, die Zeitung, die dreimal verfluchte Zeitung, die Kirche mit dem in den Landesfarben angestrichenen Herrgott – alles das war im Besitz der Industriekapitäne, verteilt und kontrolliert wie die Aktienpakete. Der Staat, das arme Luder, durfte die Nationalhymne singen und Krieg erklären. Gemacht, vorbereitet, geführt und beendet wurde er anderswo. Und die Eltern? Dafür Söhne aufgezogen, Bettchen gedeckt, den Zeigefinger zum Lesen geführt, Erben eingesetzt? Man müßte glauben, sie sprächen: Weil ihr uns das einzige genommen habt, was wir hatten, den Sohn – dafür Vergeltung! Den Sohn, die Söhne haben sie ziemlich leicht hergegeben. Steuern zahlen sie weniger gern. Denn das Entartetste auf der Welt ist eine Mutter, die darauf noch stolz ist, das, was ihr Schoß einmal geboren, im Schlamm und Kot umsinken zu sehen. Bild und Orden unter Glas und Rahmen – ›mein Arthur!‹«
Den durchgängigen Vorwurf der Linken, man habe sich 1914/18 nur vor den Karren ökonomischer Interessen spannen lassen, formulierte Arnold Zweig 1935 in Erziehung vor Verdun programmatisch. Solche Kapitalismuskritik verband sich mit derjenigen an Schlachtfeldtourismus und (politisch) proftablem Totenkult. Das gilt z.B. für Johannes R. Bechers Der Bankier reitet über das Schlachtfeld (1926) oder Hans Chlumbergs Wunder um Verdun (1932). »Sterben für Thyssen«? Natürlich proftieren (Rüstungs-)Industrien gewaltig von Kriegen. Dennoch kämpften viele Deutsche nicht nur aus unbedachter Loyalität und plutokratischer Verhetzung, leuchtete ihnen doch ein, daß sie von einem international respektierten, militärisch nicht niedergerungenen Staat auch persönlich erhebliche Vorteile hatten. Oder sie ahnten, was bei einer Niederlage für Deutschland auf dem Spiel stand. Daß der Gesamtschaden des Kriegs allerdings für alle Teilnehmer – mit Ausnahme der USA, die zur dominierenden Weltmacht aufstiegen, und einiger nun selbständiger gewordener Staaten – jeden potentiellen Nutzen überstieg, zeigte sich erst durch seinen Verlauf. Und was den Sinn betrifft? Natürlich ging es nicht um die unentscheidbare (existenz)philosophische, sondern um eine politische Frage. Der erste im Krieg Verstümmelte stellte sie, ein tödlich getroffener Familienvater ebenso wie eine im Steckrübenwinter 1917 verhungernde Greisin. Und es war gewiß notwendig, das Verhältnis des einzelnen zum Staat neu zu justieren. Doch die seit damals kursierende pauschale Sinnlosigkeitserklärung aller Kriegstätigkeit verriet allzu deutlich ihre geschichtspolitische Wirkungsabsicht. Schließlich beruhen darin bis heute drastische nationale Unterschiede im Urteil. Unbeschränkt gilt die Wertung »sinnlos« nämlich nur für deutsche Soldaten, während England, Frankreich oder die USA – folgt man ihren eigenen Deutungsmustern – »große«, quasi Missionskriege führen und entsprechenden Denkmalskult treiben (dürfen). Geschichte schreibt nun mal generell der Sieger. Und bei anderem Ausgang hätten wir natürlich eine andere Auffassung vom Weltkrieg, vergleichbar derjenigen der Franzosen, Amerikaner oder Engländer, deren Premierminister noch jüngst im Krieg britische Werte verteidigt sah. Ein Staatsoberhaupt wie Joachim Gauck in seinem Schuldexhibitionismus fiele in jedem anderen Land der Lächerlichkeit anheim.
In der Weimarer Republik jedenfalls fanden derartige Antikriegsattacken enragierte Gegner, insbesondere als Reaktion auf Remarques Im Westen nichts Neues. So erklärt sich die Flut zwischen 1929 und 1931 erschienener Verdun-Texte mit meist deutlich kontradiktorischer Tendenz: Friedrich Lehmanns Wir von der Infanterie (1929), Alfred Heins Eine Kompagnie Soldaten. In der Hölle von Verdun (1929), Eberhard Wolfgang Möllers Douaumont oder die Heimkehr des Soldaten Odysseus (1929), Georg Buchers Westfront 1914–1918 (1930), Josef Magnus Wehners Sieben vor Verdun (1930), Franz Schauweckers Aufbruch der Nation (1930), Werner Beumelburgs Die Gruppe Bosemüller (1930), Sigmund Graffs und Carl Ernst Hintzes Die endlose Straße (1930), Paul Coelestin Ettighoffers Gespenster am Toten Mann (1931) oder Hans Zöberleins Der Glaube an Deutschland (1931).
Verdun bekam nun einen zunehmend positiven Symbolwert. So beanspruchte Wehner, es sei damals gerade an einem so geschichtsträchtigen Ort um den ewigen Schicksalskampf des Deutschen Volkes gegangen, um das Wiedererlangen fahrlässig verlorenen Reichsterritoriums. Vom »heroischen Opfergang« ist bei Ettighoffer die Rede: »wir tragen schon das Todeszeichen aller Frontkämpfer unsichtbar auf der Stirn«, vom Krieg als elementarstem Ausdruck des Lebens, der gerade in der Hölle einer solchen Materialschlacht einen Blick jenseits der Grenzen des Daseins gewährt, in letzte Mysterien des Lebens einweiht oder aus zivilisatorischer Einschnürung befreit. Vor allem aber sah man den ideellen Wert, unabhängig vom Erfolg, in der menschlichen Prüfung und Auslese. Der Sinn liege im den Einzelnen erhöhenden Opfer, in der Entstehung und Festigung der Kameradschaft als (volkhafte) Schicksalsgemeinschaft und – politisch zugespitzt – in der Schaffung eines Frontkollektivs als Leitbild der Nachkriegsgesellschaft. Die Soldatischen Nationalisten verwarfen das nihilistische Kriegsfazit pazifistischer Autoren vor allem aus zwei Motiven. Es entwertete einen Lebensabschnitt, an dem sie mit größtem Gefühl hingen und für dessen Bewältigung sie (wie ihre ausländischen Gegner) Dankbarkeit und Respekt erwartet hatten. Hinzu kamen Pietätsgefühle gegenüber gefallenen Kameraden. Ihnen glaubten sie (teils mit dem schlechten Gewissen von Überlebenden) Klagelieder, Helden- und Opfergesänge schuldig zu sein, keineswegs aber jene vernichtende Einschätzung »Umsonst gefallen«, die dem schnöden »Selbst schuld« so benachbart scheint. Die Sinnlosigkeitsdiagnose zielte schließlich darauf ab, gemeinschaftsbezogenen Opfern den Nimbus zu verweigern und Tragik abzusprechen. In Beumelburgs Das eherne Gesetz (1934) gelten alle, die »sagen, es ist ein Quatsch, sich für einen Begriff wie den Begriff Vaterland ein Loch in den Bauch schießen zu lassen« als »Leichenschänder, die auf die Gräber spucken«.
Kritischen linken oder liberalen Kriegsdarstellungen ist zugutezuhalten, daß ihre Verfasser dem nationalen Ansatz nach solchen Exzessen mißtrauten und sie eine Desillusionierung der Motive von Kriegsteilnehmern für geboten hielten, um künftige Fehlentwicklungen zu vermeiden. Klug und einfühlend angesichts der damals vorherrschenden Lage und mentalen Disposition war dies gewiß nicht. Wer jahrelang gedarbt, geopfert und vielfach geliebte Menschen im Krieg verloren hatte, wehrte sich mit einem gewissen Recht gegen die pauschalisierende Unterstellung, Teilnehmer eines absurden oder gar verbrecherischen Geschehens gewesen zu sein. Solche Neigung beschränkte sich übrigens nicht völlig auf nationalistische Texte. Bereits Fritz von Unruhs 1916 geschriebene Erzählung Opfergang deutet Verdun als Gericht über eine vergreiste Epoche und erwartet den Aufbruch eines neuen Menschen zu neuer Gemeinschaft der ganzen Welt. Auch Edgar Maass’ 1936 geschriebener Roman Verdun interpretiert die geistige Substanz des Kriegsgeschehens als »Wiedergeburt des Menschen aus den Wehen der Schlacht« und als Opfertat in Analogie zur Passionsgeschichte. Allerdings verbindet er das Totengedenken mit der sittlichen Forderung nach »Taten des Friedens«. Ähnliches gilt für Liesbet Dills Aussöhnungsroman Der Grenzpfahl (1925) oder André und Ursula (1937), Polly Maria Höflers Bestseller über eine deutsch-französische Liebe.
Auch der 1936 erschienene Roman Feldwache der Liebe des Saarländers Johannes Kirschweng beschäftigt sich mit dem Verdun-Vermächtnis. Sein Verfasser appelliert hierin eindringlich an die deutsch-französischen Nachbarn, es nicht noch einmal zum Waffengang kommen zu lassen. Der Romanheld stirbt an einer Blutvergiftung als Märtyrer einer grotesksymbolischen Tat, hat er sich doch an der »Tranchée des bajonettes« verletzt beim Versuch, die herausragenden rostigen Bajonette zu entfernen, um die »Feldwache des Hasses« in die der Liebe umzuformen. Das Sterbebett sieht ihn mit früheren französischen Kontrahenten vereint, die sich nun künftig gleichfalls der Völkerversöhnung widmen. Kirschwengs schauerlich-nächtliche Verdun-Szene lenkt unseren Blick auf mehrheitlich nationalistische Texte, die mythisch und zuweilen von einer Dekadenz-Ästhetik geprägt sind.
Etwas Todverliebt-Morbides schwingt in manchen Kriegsdarstellungen mit, zumindest aber ein geschärftes Interesse für Nachtseiten des Lebens und eine Ästhetik des Schreckens, die an die poètes maudits erinnert. Das gilt für Teile von Ettighoffers Gespenster am Toten Mann oder die Zentralfigur von Anton Betzners Douaumont (1940) in ihrem vierteljährlichen Drang, zum Beinhaus von Verdun zu wandern, um seine gefallenen Kameraden zu rufen. Dem Tode verfallen zeigen sich einzelne Helden in Beumelburgs Die Gruppe Bosemüller, insbesondere beim befohlenen Rückzug. Denn der »Berg« – gemeint ist der Douaumont – war über Monate hinweg ihr einziges gemeinsames Ziel. Als Angehörige einer »verlorenen Generation« stehen sie in seinem Banne, unfähig zu individueller und ziviler Lebensplanung. Das Neurotische und Nekrophile, das in solchem Bewußtsein zum Ausdruck kommt, wird vom Autor selbst zugleich eingestanden und bewundert. Vielleicht liegt darin auch eine unbewußte Reverenz des Überlebenden gegenüber den Gefallenen. Zu allem paßt eine spätexpressionistische Bildwelt, die das Geschehen um Verdun seiner alltäglichen Dimension beraubt und in eine poetische Sphäre mythisch-dämonischer Unwirklichkeit erhebt. Bezeichnenderweise reagiert der Text auf den gleichfalls allegorisch strukturierten Roman Der Zauberberg (1924) von Thomas Mann, der für die Nationalisten zur Unperson wurde, als er vom konservativ-revolutionären Lager in das der Republik wechselte. Dabei interpretierte der Nobelpreisträger, volkspädagogisch vermittelnd, zum Romanende den todbereiten Aufbruch der jungen Freiwilligen von 1914 als unbewußtes Bekenntnis für den neuen Staat und seine Ideale.
Hans Castorp, sein dem Leser zur Identifikation empfohlener Protagonist, erlebt den Krieg als Durchgangsstadium zur Neugeburt und stirbt letztlich schon für Frieden und Demokratie. Beumelburgs Gruppe Bosemüller ist energisch als Gegenentwurf konzipiert. Auch hier steht im Mittelpunkt mit dem Douaumont ein mythisch umschriebener Berg, der Personen geradezu magisch festhält: Unteroffzier Bosemüller verzichtet auf eine bereits genehmigte Freistellung vom Militärdienst, um bei seinen Männern zu bleiben. Den Kriegsfreiwilligen Siewers – wie Castorp zunächst ein weicher, formbarer Charakter und »Sorgenkind« – verfolgt der Berg selbst in den Träumen. Er entschließt sich zur sofortigen Rückkehr an die Front, obwohl er nach schwerer Verwundung noch nicht völlig genesen ist. Ihr Leutnant schließlich sucht bei der Aufgabe des Forts mehr oder weniger bewußt den Tod im Kampf. Unter dem Einfluß des Berges wird eine neue Idee geboren – die Frontkameradschaft als Antizipation der Volksgemeinschaft. Die Kontrafaktur wird polemisch, wo Beumelburg und andere sich besonders provoziert fühlten: durch Manns Stilisierung des exemplarischen Freiwilligen Castorp zum Vertreter der kommenden Republik. Auf ihn spielt Beumelburg mit der Figur des Pioniers Casdorp an, der den Grabenkämpfen seelisch nicht gewachsen ist und sich erschießt. Er zeigt damit just das Verhalten, welches Thomas Mann Naphta zugesprochen hatte, dem Vertreter der reaktionären Rechten. Selbstmord gilt beiden Autoren als Symptom des historisch Überholten. Dem belesenen Publikum präsentierte Beumelburg durch Casdorps Tod seine Gegenthese: Nicht die nationale Idee ist 1914 am Ende, sondern die republikanische hat sich bereits im Krieg überlebt. Ein Schwächling ist kein Repräsentant der neuen Gemeinschaft, die Deutschlands Nachkriegsschicksal bestimmen wird.
Das Zauberberg-Motiv findet sich auch in Wehners Sieben vor Verdun. Der Douaumont fguriert dort als Berg voller »heimlicher Kräfte«, den man unentwegt anstarren muß, nicht malen, sondern nur stürmen kann, um »ihm so seinen Zauber« zu nehmen. Vom Stürmen ist auch in Friedrich Georg Jüngers Anti-Mann-Polemik von 1926 die Rede. Sie trägt den bezeichnenden Titel »Der entzauberte Berg« und endet martialisch: »Ach, erlebten wir bald den Tag, an dem eine junge, kühne Mannschaft mit […] prachtvollen Äxten den ganzen Zauberberg in Scherben und Trümmer schlägt.« Sehr lange sollte es nicht mehr dauern, bis das passierte.