Der 73-jährige Schriftsteller Godehard Schramm muß dort gerade einen Spießrutenlauf über sich ergehen lassen. Im Oktober veröffentlichte er ein Buch mit dem harmlosen Titel WeitLandWeit – GroßstadtlosGroß. Es handelt sich dabei um ein künstlerisch-literarisches Portrait des Kreises Neustadt an der Aisch.
Fünf Monate lang hielt sich das Interesse daran in Grenzen. Laut Süddeutscher Zeitung erschienen die üblichen „Elogen“ über das vom Landkreis finanziell unterstützte Buch. Doch die Gefälligkeitsrezensenten erkannten die „intellektuelle Widerwärtigkeit“ (SZ) von Schramms subjektiven Schilderungen zunächst nicht. Irgendwann schaute allerdings eine Bürgerbewegung für Menschenwürde etwas genauer hin und fand auf einigen Seiten „skandalöse Entgleisungen“.
Natürlich, Schramm hatte sich schließlich, im vorletzten Kapitel bestens versteckt, zur Asylproblematik geäußert. Er betont und steht dazu bis zum heutigen Tag:
Ich kann und will nicht recht haben, aber meiner Meinung nach begann das Unheil der unbewaffneten Invasion Europas damit, dass Papst Franziskus auf die Insel Lampedusa reiste und alle, die da übers Meer kamen, als Flüchtlinge auf der Stelle schon zu Lebzeiten selig sprach. (…) Ich bezeichnete diese Abhauer aus verschiedenen afrikanischen Ländern sowie aus Syrien als Asyl-Erpresser oder Einwanderungs-Einbrecher, die mit nichts anderem bewaffnet als ihrer nackten Existenz bei der Ankunft uns ihre leibeigene und leibhaftige Pistole auf die Brust setzen und uns mit ihrem Schicksal nötigen, ihnen auf der Stelle ein besseres Leben zu ermöglichen. Mittlerweile steht uns das Invasions-Hochwasser bis zum Hals und es wird nicht mehr lange dauern, bis staatliche Blockwarte nicht ständig von uns genutzte Wohnräume beschlagnahmen. Denn dieses menschliche Hochwasser spült auch Terroristen unerkannt ins Land. Guter Rat wird immer teurer. (…) In dieser heillosen Überflutung, die aus panischer Flucht entsteht, wird das Zurückweisen der Geflohenen immer schwieriger, und viele von ihnen werden empört sein, dass die erhoffte Zuwendung jedem Einzelnen gegenüber nicht mehr möglich scheint. (…) Müssen wir nun als Integrations-Forderer unsererseits nächstens nicht alle noch Syrisch lernen?
Wenige Tage nach Bekanntwerden dieser Äußerungen distanzierte sich das gesamte politische Establishment von Schramm. Die bayerischen Minister Ludwig Spaenle und Markus Söder (beide CSU) sagten eine Lesung mit ihm ab und für das Landkreismagazin aus Fürth darf der im Eilverfahren vorverurteilte Schriftsteller auch nicht mehr schreiben.
Doch das ist noch nicht alles. Godehard Schramm hatte im Jahr 2003 den damals mit 10.000 Euro dotierten Wolfram-von-Eschenbach-Preis des Bezirks Mittelfranken erhalten. SPD und CSU wollen nun mit Dringlichkeitsanträgen erreichen, daß eine nachträgliche Aberkennung dieses Preises möglich wird. Horst Krömker, stellvertretender Fraktionsvorsitzender der SPD-Bezirkstagsfraktion, erklärte dazu gegenüber den Nürnberger Nachrichten:
Ziel ist, die Satzung so zu ändern, dass sie eine Aberkennung des Preises und eine Rückforderung des Preisgeldes erlaubt, wenn der Preisträger oder die Preisträgerin sich unehrenhaft und unwürdig verhält.
Ob sich eine solche Konstruktion juristisch als hieb- und stichfest erweist, sei einmal dahingestellt. Erschreckend ist dennoch, mit welcher Selbstverständlichkeit Legislative, Exekutive, Zivilgesellschaft und Öffentlichkeit meinen, die Daumenschrauben anziehen zu dürfen, und mit welcher Chuzpe sie die Justiz übergehen.
Godehard Schramm, der Lieblingsschriftsteller von Günther Beckstein, hat in seinem langen Leben weit über ein Dutzend Literaturpreise gewonnen. Mindestens 50.000 Euro strich er dabei an Preisgeld ein. Viele Lyriker und Romanautoren brauchen diese Förderungen, um als Künstler überhaupt existieren zu können. Würde also das, was man jetzt gerade in Mittelfranken versucht durchzudrücken, Schule machen, könnten einige Denunzianten jeden kritischen Schriftsteller in den sozialen und finanziellen Ruin treiben. Mit Meinungsfreiheit hätte das dann überhaupt nichts mehr zu tun. Willkommen im Gesinnungsstaat!
Am Beispiel von Schramm läßt sich auch sehr schön zeigen, warum der Tugendterror gerade aufgrund seiner Unberechenbarkeit in der Breite so erfolgreich ist. Machen wir uns nichts vor: Viele CSU-Politiker haben sich in den vergangenen zwei Jahren häufig genug ähnlich wie Schramm geäußert, um mit diesem Rechtsblinken einige von Merkel verschreckte Wähler zurückzugewinnen.
CSU-Chef Horst Seehofer höchstpersönlich sprach von einer „Herrschaft des Unrechts“. Trotzdem lassen sie Schramm jetzt wie eine heiße Kartoffel fallen und reihen sich ein in den „Kampf gegen rechts“.
Dies zeigt, daß völlig unklar ist, wo die Grenze der von der Öffentlichkeit gerade noch so tolerierten Meinungen aktuell verläuft. Es läßt sich für niemanden vorab genau einschätzen, was gesagt werden darf und ab wann man einen Skandal provoziert, der eigentlich keiner ist. Schramm hat schon der differenzierte Ausdruck „unbewaffnete Invasion“ das Genick gebrochen, währenddessen der Künstler Gerhard Richter noch ungestraft „Neger“ sagen und die Willkommenskultur als „verlogen“ ablehnen darf.
Dieses Messen mit vielerlei Maß dürfte seine Wirkung bei der Masse, zu der natürlich auch die meisten Schriftsteller zählen, nicht verfehlen. Will die Masse auf der sicheren Seite stehen, muß sie übervorsichtig sein. Sie achtet deshalb peinlich genau auf das Binnen‑I in offiziellen Schreiben, spricht kategorisch von „Flüchtlingen“ und Menschen mit Migrationshintergrund und stellt sich dumm, wenn es um die Minenfelder Ausländerkriminalität, den Islam, Terrorismus oder die deutsche Geschichte geht.
Unter Intellektuellen ist dieses Dummstellen übrigens noch verbreiteter, weil die Konsequenzen unabsehbar sind, wenn sie offen zugeben, schon einmal einen „falschen“ Autor oder eine „falsche“ Zeitschrift gelesen zu haben. Wann wir sich das ändern? Vermutlich erst dann, wenn die nonkonforme Gegenöffentlichkeit in Deutschland in der Lage ist, alle Ausgestoßenen sozial und finanziell aufzufangen.
Zadok Allen
Halten Sie es für möglich, daß in der freiheitlich-demokratischen Bundesrepublik jemand für eine nicht strafbare Äußerung ohne einen Richterspruch 10.000 Euro Strafe an den Staat zahlen muß?
Eine knappe Antwort: Nein, in einer freiheitlich-demokratischen Bundesrepublik scheint mir so etwas unmöglich. Wo gibt's dies? Kann ich dahin auswandern?