Roger F. Devlins Sex, Macht, Utopie irritiert nachhaltig, weil dieses Buch die intime Wahrnehmung von Mann und Frau vom Kopf auf die Füße stellt, wir nicht mehr Herren im eigenen Hause der Beziehungen sind, das eigene Handeln doch bloß Erleben ist. Devlin versachlicht die Seelen. Natürlich hat Devlin als Reduktionist große Vorbilder, das “Gattungsmäßige” im Individuum sollte uns nicht fremd sein.
Sein Angriff auf den Feminismus ist ein Angriff auf die mächtige Subjektivierung der Frau. Frauen halten sich selbst, kaum daß sie als Mädchen in den Genuß der Sozialisation durch ihre feministischen Mütter, einschlägige Medien und Kampagnen kommen, für unterdrückte Objekte. Sie glauben dann, endlich ergreifen zu müssen, was ihnen zusteht: Subjektstatus, Selbstermächtigung, Selbstbewußtsein.
Sich als Frau über Ansprüche und Rechte zu definieren, die ihr als Individuum zustehen, geht von einem Bild aus, einem “sozialen Konstrukt”, das alles Gesellschaftliche ausblendet. Das ist insofern paradox, als Emanzipation, Ansprüche und Rechte wesentlich gesellschaftliche Vorstellungen sind. Die Feministin bastelt sich das Paradox so zurecht: die patriarchale Gesellschaft unterdrückt mich, deswegen sind meine Probleme “gesellschaftliche Probleme”. Doch anders als der klassische Marxismus und Anarchismus und der zweite Feminismus lösen gegenwärtige Frauen das Problem durch eine radikale Subjektivierungssemantik: ich werde unterdrückt, dabei habe ich doch das Recht auf Durchsetzung meiner Bedürfnisse!
Feminismus in seiner aktuellen Erscheinungsform ist Narzißmus. Gegen diesen Narzißmus objektiviert Devlin heftig an, indem er diesen Frauen sagt: Ihr seid keine Subjekte, vergeßt es, ihr seid gattungsmäßige Objekte, und indem er den Männern sagt: nehmt ihren Subjektivismus nicht ernst, was ihr braucht, sind geeignete Objekte zur Gründung einer Familie, denn diese hat objektiv Bestand.
Im Standard konnte man vor ein paar Tagen auf einer Seite zwei Artikel über Afrika lesen. Der obere handelte davon, den afrikanischen Kontinent mit elektrischem Strom zu versorgen, um Bildung und medizinische Versorgung zu ermöglichen. Der untere Artikel verkündete das Unheil der Demographie: allein in Nigeria werden in einem Jahr so viele Kinder geboren wie in ganz Europa, und die überzähligen von ihnen scharren in den Startlöchern gen Europa. Das Problem tritt ganz offen zutage, doch im Standard verkündet man als Lösung Bewußtseinsstärkung vor Ort für “Frauenrechte” und “Familienplanung”.
Der Globalismus als entwicklungshelfender Interventionismus subjektiviert die demographische Katastrophe auf das Niveau der konkreten Afrikanerin. Er suggeriert, sie hätte dieselben Selbstermächtigungswünsche wie die postmoderne Feministin. Und wenn sie diese noch nicht hegt, sondern “Gebärmaschine” ist, dann muß die Afrikanerin gebildet werden. Man ist versucht, zu überlegen, ob eigentlich flächendeckende Stromversorgung mehr oder weniger Kinder bringt. Vom subjektiven Standpunkt kommt man offensichtlich auch mit der klarsten Sicht („It’s the demography, stupid!“ heißt der Text) auf die maximal objektivierende Wissenschaft, die Statistik, kaum wieder weg.
Der historische Blick ist objektivierend, führt weg vom Einzelschicksal. Das bedeutet: wer in Geschichte denkt, denkt nicht in Geschichten. Das bedeutet aber auch: man kann nur subjektiv-ahistorisch oder objektiv-historisch denken. Der einzelne Afrikaner als potentieller oder realer Migrant ist individuelles Rechtssubjekt, für den laut neuester EU-Parlamentsentschließung gilt, “dass Personen, die durch die Folgen des Klimawandels vertrieben werden, ein spezieller internationaler Schutzstatus gewährt werden sollte”.
Durch die Anerkennung von “Klima” als Asylgrund hebt sich die Semantik der Subjektivierung selber auf. Die Zahl von “244 Millionen freiwilligen und unfreiwilligen internationalen Migranten” kann nicht mehr sinnvoll auf Subjekte gerechnet werden. Die Kriterien “Benachteiligte und Schutzbedürftige, wie etwa Frauen, […] LGBTI-Personen, Menschen mit Behinderungen” hier für reklamierbare Sonderrechte von Migranten überhaupt in Anschlag zu bringen, bedeutet, einen fatalen subjektivistischen Kategorienfehler zu begehen. Ich will es so fassen: jeder Mensch ist potentiell Subjekt, aber wenn es jeder Mensch wirklich wird, dann ist es keiner mehr.
Georg Wilhelm Friedrich Hegel, der Großmeister der dialektischen Vermittlung des Objektiven mit dem Subjektiven, schrieb 1807 Wer denkt abstrakt?, einen bissigen kleinen Angriff auf die “feine empfindsame Leipziger Welt”, die damaligen “Gutmenschen”.
Sie bildeten sich ein, mächtig “abstrakt zu denken”, es gehörte zum guten Ton, in geselliger Runde moralisch zu philosophieren. Doch Hegel hält ihnen vor, daß der “ungebildete Mensch (abstrakt denkt), nicht der gebildete.”
Ein Mörder wird zur Richtstätte geführt. Das Volk sieht ihn ihm nichts als das Abstraktum: “der Mörder”. Die “schöne Welt” der
Menschenkenner sucht den Gang auf, den die Bildung des Verbrechers genommen, findet in seiner Geschichte schlechte Erziehung, schlechte Familienverhältnisse des Vaters und der Mutter, irgendeine ungeheure Härte bei einem leichteren Vergehen dieses Menschen, die ihn gegen die bürgerliche Ordnung erbitterte, eine erste Rückwirkung dagegen, die ihn daraus vertrieb und ihm jetzt nur noch durch Verbrechen sich noch zu erhalten möglich machte.
Durch Konkretisierung (Psychologisieren der Sozialisation des Individuums) wird es unmöglich, das Objektive zu sehen. Heutigen Mördern begegnet die “schöne Welt” auf dieselbe subjektivierende Weise:
Verblüffenderweise geht ein Bericht des Senders CBS auf Zehenspitzen darüber hinweg, daß hier soeben ein männlicher Schwarzer zugegeben hat, weiße Männer aus Haß getötet zu haben. Stattdessen konzentriert sich der Bericht auf schockierende Behauptungen, daß Muhammads Familie wegen der von ihm begangenen Morde rassistisch belästigt wurde.
Wer demonstrativ gut sein will, abstrahiert nicht, sondern verharrt trotzig im Subjektiven. Hegel wäre nicht der, als den wir ihn kennen, wenn es damit sein Bewenden hätte. In der „Ästhetik“ (1835) liest sich seine Abrechnung mit der “romantischen” Subjektiviererei so:
Je partikulärer nun der Charakter ist, der nur sich selber festhält und sich dadurch leicht dem Bösen nähert, desto mehr hat er sich in der konkreten Wirklichkeit nicht nur gegen die Hindernisse zu behaupten, die sich ihm in den Weg stellen und seine Realisation hemmen, sondern desto mehr wird er auch durch diese seine Realisation selber dem Untergange entgegengetrieben. Indem er sich nämlich durchsetzt, trifft ihn das aus dem bestimmten Charakter selbst hervorgehende Schicksal, ein selbstbereitetes Verderben.
Subjektivierer ist man nicht aus Dummheit oder weil man aus persönlicher Befangenheit außerstande ist, die “Empfindungsseele” (Rudolf Steiner) zu überschreiten. Das einfache Volk ist nicht naiv, es sieht die “konkrete Wirklichkeit”: das Objektive, die großen Züge, das Historische.
Selbstverwirklichung – Hegel sagt: “Realisation” – des mündigen Subjekts ist eine romantische Erfindung, die hart auf die Wirklichkeit stößt. Es ist die Wirklichkeit der Biologie, der Demographie, der Gewalt. Ein “selbstbereitetes Verderben” ereilte 1835 nur den, der selber zu sehr Subjekt sein wollte. Wer aber diese Romantik globalisiert, führt heute mehr als sich selbst in den Untergang.
Was hilft gegen subjektivierendes Denken? Antifeminismus, Statistik, Hate facts, historisches Denken, Metapolitik. Schön und gut, das Objektivieren läßt sich subjektiv-individuell lernen. Nur was tun, wenn das Subjektivieren die Welt fest im Griff hat? Gegenanobjektivieren ist einzig vernünftig und debattentauglich, ändert aber nichts daran, daß die globalisierte Linke die Weltgeschichte bereits aggressiv enthistorisiert hat. Ob es dann noch klug ist, mit Hegel auf die dialektische Selbstzerstörung des “partikulären Charakters” zu setzen?
Doch da gibt es noch ein anderes Mittel, im selben “Wer-denkt-abstrakt?”-Bilderbogen:
Alte, ihre Eier sind faul, sagt die Einkäuferin zur Hökersfrau. Was, entgegnet diese, meine Eier faul? Sie mag mir faul sein! Sie soll mir das von meinen Eiern sagen? Sie? Haben ihren Vater nicht die Läuse an der Landstraße aufgefressen, ist nicht ihre Mutter mit den Franzosen fortgelaufen und ihre Großmutter im Spital gestorben, – schaff sie sich für ihr Flitterhalstuch ein ganzes Hemd an; man weiß wohl, wo sie dies Halstuch und ihre Mützen her hat; wenn die Offiziere nicht wären, war jetzt manche nicht so geputzt, und wenn die gnädigen Frauen mehr auf ihre Haushaltung sähen, säße manche im Stockhause, – flick sie sich nur die Löcher in den Strümpfen! – Kurz, sie läßt keinen guten Faden an ihr. Sie denkt abstrakt und subsumiert sie nach Halstuch, Mütze, Hemd usf. wie nach den Fingern und anderen Partien, auch nach [dem] Vater und der ganzen Sippschaft, ganz allein unter das Verbrechen, daß sie die Eier faul gefunden hat; alles an ihr ist durch und durch mit diesen faulen Eiern gefärbt, dahingegen jene Offiziere, von denen die Hökersfrau sprach – wenn anders, wie sehr zu zweifeln, etwas daran ist –, ganz andere Dinge an ihr zu sehen bekommen mögen.
Es kommt darauf an, in diesem Sinne “abstrakt zu denken”, wenn alles mit diesen faulen Eiern gefärbt ist! Und nichts anderes passiert gegenwärtig im Meme war im Internet, in endlosen Verarschungen, symbolischen IB-Aktionen, Viral videos, sogenannten „Haßkommentaren“, höherem und niederem Blödsinn. Linke, eure Eier sind faul!
Der Gehenkte
Beim ersten Lesen des Beitrages hatte ich gleich mehrere Aha-Erlebnisse, beim zweiten stellten sich die Fragen ein.
1. Es bietet sich eine provokative Gegenüberstellung an:
@CS: „Sich als Frau über Ansprüche und Rechte zu definieren, die ihr als Individuum zustehen, geht von einem Bild aus, einem "sozialen Konstrukt", das alles Gesellschaftliche ausblendet. Das ist insofern paradox, als Emanzipation, Ansprüche und Rechte wesentlich gesellschaftliche Vorstellungen sind.“
Volker Weiß schreibt in „Die autoritäre Revolte“ fast spiegelbildlich: „Es gehört zu den Paradoxien Donovans, daß sein als Kreuzzug gegen die Gender-Theorie angelegter Lobgesang auf den männlichen Mann das Geschlecht selbst immer wieder über soziale Praktiken definiert. Daß er den Gender-Begriff damit bestätigt, statt ihn zu widerlegen, fällt seinen Anhängern nicht auf.“ (231) Hier böte sich eine Gelegenheit für „seine Anhänger“, darauf zu antworten.
2. Es steht außer Frage, daß die „romantische Idee“ der Selbstverwirklichung, würde sie weiter als die europäische Kultur greifen, zum globalen Katastrophenfall führen muß. Man wird sich dagegen aber nicht wehren können (also sollte man es?) und es ist ohnehin die Frage, ob tribale Kulturen überhaupt dazu in der Lage und Willens sein werden. Besteht die Gefahr also tatsächlich?
3. Den Konflikt zwischen Subjektivierung und Objektivierung herausgearbeitet zu haben, ist der wichtigste positive Ertrag. Diesen Kategorienfehler kann man von nun an in Diskussionen argumentativ verwenden. Aber die harte Gegenüberstellung scheint mir übers Ziel hinauszuschießen, was im Kontext Hegel umso deutlicher wird. Sollte man das Verhältnis nicht dialektisch betrachten und nach einer Aussöhnung, nach einer Verwindung suchen, den objektiven Blick eisern trainieren, ohne die jeweilige Subjektivität gleich über Bord zu werfen? Kubitschek hatte irgendwann mal sinngemäß gesagt: Das sind wirkliche Schicksale, wir können uns dem Anbranden der Bedrängnis nicht verschließen.
4. „Das einfache Volk ist nicht naiv, es sieht die "konkrete Wirklichkeit": das Objektive, die großen Züge, das Historische.“ Welche Anhaltspunkte gibt es denn für diese Sicht? Man müßte wohl erst klären, was das „einfache Volk“ ist – wie ich es verstehe, da sehe ich fast nur reinen Subjektivismus. Das „einfache Volk“ ist komplett abstraktionsunfähig, geschichtsvergessen und wird es mit der Zerstörung der Familie immer mehr auch auf ganz subjektivem Terrain.
5. Den Schwenk zum Meme war verstehe ich überhaupt nicht. Was hat das eine mit dem anderen zu tun?
Großartige Sätze:
Der Globalismus als entwicklungshelfender Interventionismus subjektiviert die demographische Katastrophe
Der historische Blick ist objektivierend, führt weg vom Einzelschicksal. Das bedeutet: wer in Geschichte denkt, denkt nicht in Geschichten. Das bedeutet aber auch: man kann nur subjektiv-ahistorisch oder objektiv-historisch denken.
Durch die Anerkennung von "Klima" als Asylgrund hebt sich die Semantik der Subjektivierung selber auf.
Jeder Mensch ist potentiell Subjekt, aber wenn es jeder Mensch wirklich wird, dann ist es keiner mehr.
Wer demonstrativ gut sein will, abstrahiert nicht, sondern verharrt trotzig im Subjektiven.
Wer aber diese Romantik (der Selbstverwirklichung) globalisiert, führt heute mehr als sich selbst in den Untergang.