Lehrbuchreflexe (II)

Weiter ging's mit der Projektion: „Projektion ist das Verfolgen eigener Wünsche in anderen.“ (Sigmund Freud)

Caroline Sommerfeld

Caroline Sommerfeld ist promovierte Philosophin und dreifache Mutter.

Weiß man ein­mal dar­um, daß Lin­ke gern und viel pro­ji­zie­ren (gemäß Vox Days Regel Num­mer 3: „Social Jus­ti­ce War­ri­ors Always Pro­ject!“), gelingt es mit ein biß­chen Übung, schon wäh­rend man die Pro­jek­ti­on abbe­kommt, sie als sol­che zu sehen. Gegen die Pro­jek­ti­ons­stra­te­gie hilft am bes­ten Ratio­na­li­sie­rung. Wer­den einem bei­spiels­wei­se Gefüh­le unter­stellt, die man über­haupt nicht hat, lohnt es, genau die­sen Sach­ver­halt aus­zu­spre­chen. Fast jeden Vor­wurf kann man sich im Kopf ein­mal umdre­hen und blitz­schnell über­le­gen, ob nicht der Vor­wer­fen­de sel­ber genau die­ses Pro­blem hat.

Immer wie­der streu­te er ein, daß ich ja ver­ständ­li­cher­wei­se ein emo­tio­na­les Pro­blem hät­te, und er kön­ne ja voll ver­ste­hen, war­um ich so betrof­fen reagie­ren wür­de. Ich hab ihm betont gedul­dig erklärt, daß ich damals im Büro emo­tio­nal “betrof­fen” war von der Über­rum­pe­lung und auf der Gene­ral­ver­samm­lung auch zor­nig, und mein Abschieds­tag war auch nicht emo­ti­ons­los, aber ich hät­te nun doch meh­re­re Wochen Zeit gehabt, eine distan­zier­te Sicht ein­zu­neh­men. Die “emo­tio­na­len Reak­tio­nen” sähe ich ganz woan­ders, näm­lich bei den all­zu “betrof­fe­nen” Denun­zi­an­ten. Das Pro­blem haben die Denun­zi­an­ten, die sich bedroht füh­len durch mei­ne Schrif­ten. Sie wol­len kei­ne poli­ti­schen The­men an der Schu­le, son­dern einen Schutz­raum für ihre Kin­der ohne Ras­sis­mus, Sexis­mus, Natio­na­lis­mus etc. pp.. Nur: Wer hat denn das The­ma in die Schu­le hineingezerrt?

Eine wei­te­re Pro­jek­ti­ons­form ist, die eige­ne Gesprächs­stra­te­gie dem ande­ren zu unter­stel­len. Neben dem „Emo­tio­na­li­sie­ren“ („Du bist so emp­find­lich, irgend­wie hast du da ein Pro­blem!“) bie­ten sich auch „Kon­ta­mi­nie­ren“ (etwas zusam­men­brin­gen, das nicht zusam­men­ge­hört) und „Pater­na­li­sie­ren“ (eine über­le­ge­ne Hal­tung anneh­men, weil man unter­le­gen ist) an.

Nach mei­ner kur­zen Erläu­te­rung des Vor­falls auf der Gene­ral­ver­samm­lung schoß P. sofort scharf zurück: “Du ver­mischst da jetzt zwei Din­ge. Die Küche und die Poli­tik!” Ich:“Ich ver­mi­sche? Ein­deu­tig du! Das Argu­ment ist: Wenn ihr das tren­nen könn­tet, dann stün­den jetzt nicht mei­ne zwei Kol­le­gin­nen ab heu­te allein in der Küche, als wenn ich mir das Bein gebro­chen hät­te!” P.: „Ich will dir doch nur hel­fen, aber wenn du dir nicht hel­fen läßt, ist am Ende alles dei­ne Ver­ant­wor­tung, dann kann ich per­sön­lich nichts mehr für dich tun.“ Er leg­te mir dann im Gespräch nahe, daß ich doch so “char­mant” sein könn­te und “sou­ve­rän”, von mir aus aktiv mei­nen Rück­tritt zu erklären.

Also will er sich schüt­zen und ver­kauft es mir als Für­sorg­lich­keit. Aus der pater­na­lis­ti­schen Posi­ti­on her­aus wird Abhän­gig­keit in Frei­wil­lig­keit umdefiniert.

In den Wahn­sinn treiben

In der Psy­cho­lo­gie wird es als Gas­light­ing bezeich­net, den Gegen­über sys­te­ma­tisch in den Wahn­sinn zu treiben.

Dem Gegen­über geht es dar­um, Vor­ge­fal­le­nes als Unge­sche­he­nes zu kom­mu­ni­zie­ren („Wie­so? Es war doch gar nichts!?“), mei­ne Wahr­neh­mung kom­plett zu leug­nen („Das siehst du nur so.“), mir Per­sön­lich­keits­ver­än­de­run­gen ein­zu­re­den („Irgend­wie kommst du mir so vor, als wenn du in letz­ter Zeit …“), bis hin dazu, mei­ne Exis­tenz in Abre­de zu stel­len und nach und nach tie­fe Unsi­cher­heit zu erzeu­gen, ob mit mir viel­leicht wirk­lich etwas nicht stimme …

Dann berich­te­te man aus allen Arbeits­krei­sen. A. sprach vom Kin­der­gar­ten­bü­ro (ist wich­tig, weil sym­pto­ma­tisch), ja, das wäre ja jetzt zusam­men­ge­legt mit dem Schul­se­kre­ta­ri­at, und die Öff­nungs­zei­ten hät­ten sich dadurch erfreu­li­cher­wei­se ver­län­gert. Dar­auf mel­de­te sich eine Mut­ter, daß er aber jetzt ver­schwie­gen hät­te, daß des­halb die Kin­der­gar­ten­se­kre­tä­rin ent­las­sen wur­de, und nie­mand hät­te das kom­mu­ni­ziert und jetzt wäre es genau­so mit der Küche, daß die Caro­li­ne ein­fach gehen muß und kei­ner erwähnt das.

Der Vor­stand drucks­te sicht­lich her­um, P. mein­te schnell, ja, das mit dem Kin­der­gar­ten­bü­ro täte ihm leid, aber nun bit­te nächs­ter Arbeits­kreis. M., sicht­lich ner­vös: “Die Küchen­si­tua­ti­on war ja schon, seit ich da bin, müh­sam. Zuerst haben wir die Aus­lie­fe­rung been­det (hat nichts mit mir zu tun), und jetzt geht auch noch die P. weg (mei­ne Kol­le­gin), die ja unse­re aus­ge­bil­de­te Köchin ist (aber ich war die Küchen­lei­tung). Ja, und dann hat die lie­be I. so eine schö­ne Stel­len­aus­schrei­bung an alle ver­schickt, ihr habt sie alle gele­sen, daß wir einen neu­en Küchen­chef suchen statt der P.”

In mei­ner Gegen­wart mei­ne Exis­tenz unter den Tisch zu keh­ren, ist schon ein star­kes Stück Wahn­sin­nig­ma­chen. Ich kann­te glück­li­cher­wei­se die­se Stra­te­gie, jeman­den irre zu machen, und freu­te mich eher über das schö­ne Lehrbuchkapitel.

Auch unab­läs­si­ges Bestehen dar­auf, ich müs­se „doch ver­ste­hen“, war­um der Gegen­über so han­deln müs­se, macht mir mei­ne Welt­sicht nach und nach abspens­tig. Irgend­wann kom­me ich dann an den Punkt, wo ich mich fra­ge, ob sie nicht gut dar­an tun, mich aus­zu­schlie­ßen. Ob mei­ne „rech­te Ideo­lo­gie“ nicht zu Recht von nie­man­dem geteilt wird und alles in Ord­nung wäre ohne mich. In den Wahn­sinn getrie­ben zu wer­den kann ganz schön zermürben.

Dage­gen hilft, zu wis­sen, wie es funk­tio­niert! Und trotz­dem skep­tisch zu blei­ben, denn es ist immer­hin mög­lich, daß die eige­ne Welt­sicht auch falsch sein könnte.

Caroline Sommerfeld

Caroline Sommerfeld ist promovierte Philosophin und dreifache Mutter.

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