Lehrbuchreflexe (III)

Dann die Entgleisung: Entgleisungsmanöver (Derailings) laufen, wenn jemand unvermittelt ein anderes Thema anschneidet oder das Thema des Gegenübers als „hier nicht das Thema“ hinstellt.

Caroline Sommerfeld

Caroline Sommerfeld ist promovierte Philosophin und dreifache Mutter.

Er kann auch die Rede­wei­se oder psy­chi­sche Ver­faßt­heit des Gegen­übers ange­hen, kurz­um: auf einer Meta­ebe­ne die Gesprächs­schie­nen (Rails) mani­pu­liert.

Im Gespräch wech­sel­te er stän­dig die Argu­men­ta­ti­ons­grund­la­ge: Ent­we­der war ich nie­mals rich­tig ange­stellt (das ist das Argu­ment, war­um auch nichts offi­zi­ell kom­mu­ni­ziert wer­den dür­fe), oder aber ich hat­te eine offen­bar höchst reprä­sen­ta­ti­ve offi­zi­el­le Funk­ti­on an der Schu­le (das ist das Argu­ment, war­um man mich lei­der aus poli­ti­schen Grün­den ent­fer­nen mußte).

Dann das Tot­schlag­ar­gu­ment aller Öko­no­men: Da der finan­zi­el­le Fort­be­stand der Schu­le gesi­chert wer­den müs­se, wofür er täg­lich kämp­fe, wür­de jedes Quer­schie­ßen mit “absei­ti­gen Pro­ble­men” die Schu­le gefähr­den. Wer die öko­no­mi­sche Basis gefähr­de, gefähr­de auch sich selbst als Fami­lie an der Schu­le, und davor müs­se er mich schützen.

Ich bekräf­tig­te, daß ich noch immer nicht wirk­lich wis­se, wovor sich die Leu­te kon­kret fürch­ten. Ich wol­le es von ihnen sel­ber hören. Denn es könn­te ja sein, daß eine Mut­ter mit zwei Neger­kin­dern glaubt, ich wol­le ihnen an den Kra­gen. “Das N‑Wort hat man sich in Öster­reich geei­nigt, nicht zu ver­wen­den, das weißt du doch ganz genau, Caro­li­ne! Da kann ich ver­ste­hen, war­um sich jemand belei­digt fühlt, und ich möch­te dich bit­ten, die­ses Wort nie wie­der zu verwenden.”

„Wir“ defi­nie­ren den Rah­men des Sag­ba­ren, der Spur­wech­sel zwi­schen Inhalt und Meta­ebe­ne geschieht wie ein beding­ter Reflex, immer hin und her, sobald der Rah­men wackelt.

Tugend­bot­schaf­ter

Eine Mut­ter ver­ab­schie­de­te sich von mir und erklär­te: “Ich hab ja gern mit dir zusam­men­ge­ar­bei­tet. Daß wir poli­tisch ande­re Mei­nun­gen haben, respek­tie­re ich. Aber schau, ich kann es ein­fach nicht mit mei­nem Gewis­sen ver­ein­ba­ren, daß wir durch unser Schul­geld dei­nen Lebens­un­ter­halt querfinanzieren.“

Eine ande­re Mut­ter am Tele­fon: “Es ist doch aber klar, daß du aus­ge­schlos­sen wirst, wenn du so radi­kal bist. Ich mei­ne, gegen Rechts­ra­di­ka­le muß sich so eine Schu­le doch auch abgren­zen, das sind die Wer­te unse­rer Gemeinschaft.“

Tugend­bot­schaf­ten abzu­set­zen (Vir­tue signal­ling) dient nor­ma­ler­wei­se der Befes­ti­gung des eige­nen sozia­len Sta­tus in einer Grup­pe Gleich­ge­sinn­ter. Die Grup­pe fes­tigt ihren mora­li­schen Zusam­men­halt als „wir Guten“, indem sie „die Bösen“ defi­niert. Offen­bar fällt es so man­chen guten Lin­ken nicht unan­ge­nehm auf, wie es wirkt, wenn die Tugend­bot­schaf­ten dem „Bösen“ direkt ins Gesicht klat­schen. Der Klar­text des signa­li­sier­ten Guten ist aus­ge­spro­chen gehäs­sig: Leu­te wie dich wol­len wir nicht.

Er mein­te wei­ter, er habe sich per­sön­lich für mich ein­ge­setzt, denn es gab ja viel wei­ter­rei­chen­de For­de­run­gen, d.h. daß wir kom­plett aus­ge­schlos­sen wür­den als Fami­lie wegen mei­ner dis­kri­mi­nie­ren­den Tex­te. Er per­sön­lich, als Papa, mensch­lich, wol­le das ja ver­hin­dern, von ihm wür­de ich ja nie­mals eine Dro­hung hören (ich hat­te davon gespro­chen, daß der “Schutz” der Kin­der aber ein Damo­kles­schwert wäre). Wenn ich nicht auf­hö­ren oder ver­hin­dern wür­de, daß wegen die­ser Sache jetzt ande­re Eltern da gro­ße Wel­len schla­gen, dann müs­se er gezwun­ge­ner­ma­ßen doch wei­te­re Kon­se­quen­zen ziehen.

„Enga­ge­ment“ oder „Sich­ein­set­zen“ zu beto­nen, ist eine typi­sche Tugend­bot­schaft, inter­es­sant wird es dann, wenn im sel­ben Atem­zug die Kon­se­quen­zen mit­ge­nannt wer­den. Die Rhe­to­rik der „Anstän­di­gen“ legt sich dadurch sel­ber frei. Dahin­ter liegt lee­re Dro­hung. Es ist eine lee­re Dro­hung, das weiß ich erst jetzt.

Eine der Denun­zi­an­tin­nen hat einen Gam­bier zum Man­ne, sei­nes Zei­chens Men­schen­rechts­ak­ti­vist. Die Iro­nie der Geschich­te ist: Dort kämp­fen sie für die Demo­kra­tie, hier kämp­fen sie dage­gen. Es ihnen zu sagen, ist sinn­los. Sich zu wapp­nen, das Lehr­buch zu stu­die­ren, ist sinn­voll. Gehen muß man trotzdem.

Caroline Sommerfeld

Caroline Sommerfeld ist promovierte Philosophin und dreifache Mutter.

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