Gab’s schon immer, wird’s auch immer weiter geben, wird dadurch aber auch nicht wahrer. Insbesondere die Kunst ist, soweit wir wissen, schon immer (auch) mit der Darstellung von Allzumenschlichem befaßt, also Mord und Totschlag, Ausschweifungen und sonstigen Sachen, die eigentlich »gar nicht gehen«.
Das obige Bild etwa ist ein Abzug der Gravur “Schlacht der Nackten” von Pollaiuolo, vermutlich entstanden zwischen 1465 und 1475 und eines der wichtigsten altmeisterlichen Werke der Italienischen Renaissance. Da wird einander fleißig massakriert, auch wenn kein Blut fließt; die Wirkung auf damalige Betrachter dürfte eine ähnliche gewesen sein wie die von Filmen der Neuen Schule des französischen Terrorfilms (etwa Martyrs oder Inside, 2008/07) auf den unvorbereiteten heutigen Zuschauer.
Während die Gewaltdarstellungen klassischer Kunstwerke deren heutigen Status nicht tangieren, sieht das bei zeitgenössischen Arbeiten ganz anders aus. Die Debatte darüber, ob exzessive Gewalt‑, Blut- und sonstige Sekretdarstellungen den Kunststatus für sich beanspruchen dürfen, wird wohl nie ein Ende finden.
Der wahrnehmbare künstlerische Drang nach Devianz und Grenzüberschreitung hat heute zu einem guten Teil auch mit der Echtzeitverfügbarkeit von Informationen aus aller Welt und einer nicht leugbaren Hyperrealität zu tun. Wer will, kann sich den ganzen Tag Hinrichtungsvideos des IS anschauen oder sich mit Genitalverstümmlungspraktiken gewisser religiöser Gruppen beschäftigen – da lockt eine “provokante künstlerische Intervention” wie “Plumps Ei Nr. 1″ nicht mehr allzuviele Leute hinter dem Ofen hervor, zumal solche “Provokationen” sich ohnehin nie gegen irgendjemanden richten, von dem her echter Gegenwind zu erwarten wäre.
Wo es kaum noch Tabus und “rote Linien” gibt, ist es gar nicht mehr so leicht, jemanden zu schocken (sofern man sich nicht gerade, wie Jonathan Meese, am offenkundigsten und hochheiligsten Tabu vergreift). Das setzt den unabhängigen Kreativen unter Druck. Aber auch nur den, denn wie in allen Belangen, so kann es immer sein, daß der Staat eingreift und jemandes “visionäres”, “provokatives” – oder was auch immer der gerade gängige Modebegriff ist – Werk protegiert, um die eigenen Schäfchen zu erziehen.
Wer unlängst einmal in Paris war, hat es vielleicht schon gesehen (wahrscheinlich nicht): Mitten unter dem Eiffelturm prangt seit Spätherbst letzten Jahres das riesige, aparte Straßenbild eines gewissen Cleon Peterson. Es heißt Eternal Sleep, also “Ewiger Schlaf”. Was sehen wir?
Schwarz und Weiß in inniger Umarmung werden von Schwarz und Weiß im Ringelreihen umtanzt. Gewisse im Bild scheinbar angedeutete Symbole erregen seither den Zorn verschiedener Betrachter, aber lassen wir doch den Urheber, Jg. 1973, selbst zu Wort kommen:
An diesem Ort wird die abgebildete Geschichte zu der aller Menschen dieser Welt, die unserem modernen Dilemma der Spaltung gegenüberstehen, und der Suche nach politischer und gesellschaftlicher Einheit. […] Der Titel “Endless Sleep” bezieht sich auf den heutigen Stand der Dinge, die Übergangsphase, in der wir entweder aufwachen, Veränderungen anstoßen und unsere Spaltung überwinden oder weiterschlafen und im Zustand ständiger Reibereien verbleiben können.
Sehr philosophische Worte, und vor allen Dingen wahnsinnig mutig. Ebenso wie die Entscheidung der Pariser Stadtverwaltung, die unmittelbare Umgebung des Wahrzeichens der Stadt von einem Herrn “verschönern” zu lassen, dessen Friede-Freude-Eierkuchen-Buntheit ansonsten ganz anders miteinander interagiert.
Das obere Bild zeigt das Triptychon Victory, “Sieg”, das untere trägt den Titel Justice, “Gerechtigkeit”. Cleon Peterson hat eine klare Präferenz für Rassenkriegsmotive, wie schon vor Jahren Kevin MacDonald hervorgehoben hat; daß der Künstler in Los Angeles lebt, dürfte ihn mit einem steten Strom an Inspiration versorgen, auch wenn gewisse Steigerungen natürlich nicht fehlen dürfen: Die Bilder After Dark und The Weak and the Powerful etwa könnten glatt eine Bebilderung der berüchtigten Turner Diaries sein.
Natürlich ist es nicht statthaft, jemanden in Sippenhaft zu nehmen (außer natürlich, wenn es um Dissidenz geht), aber anmerken darf man ja noch: Petersons jüngerer Bruder Leigh Ledare ist Photograph und hat in der Ausstellung “Pretend You’re Actually Alive” (also “Tu so, als wärst du tatsächlich lebendig”) die Beziehung zwischen sich selbst und seiner Mutter auf ganz eigene Weise abgebildet – »ein verrücktes Genie« nennt das der Guide to Unique Photography.
Verschiedentlich haben abgestoßene Betrachter Peterson schon unterstellt, aufgrund seiner ausschließlichen Darstellung barbarischer Schwarzer insgeheim »einer von uns« zu sein – eine ziemlich hilflose Hoffnung, die eine Bewältigungsstrategie der Kategorie »Ausflüchte suchen« bildet. Nein, hier werden ganz konkrete Bewußtseinsmarker gesetzt zugunsten einer Die-versity, die sich gewaschen hat.
Dazu braucht es auch keinen Hooton- oder Coudenhove-Kalergi-Plan oder was in solchen Belangen seit einigen Jahren sonst noch immer triumphierend angeführt wird, als ob noch nie jemand davon gehört hätte. Viel interessanter ist doch das Nachdenken darüber, weshalb einheimische Entscheidungsträger ihrem verbliebenen Volk solche Preziosen vor die Nase setzen zu müssen vermeinen.
Es ist ja nun auch nicht so, daß Eternal Sleep irgendeinen ästhetischen Wert besäße. Abgesehen von einschlägigen “Kunstkritikern” und Mäzenen wie Marsea Goldberg, deren Galerie “New Image Art” in Hollywood neben Peterson noch eine ganze Reihe ähnlich gearteter Untergangsbildner hervorgebracht hat, wird sich kaum irgendwer für die fröhliche Vermischung unförmiger schwarzer und weißer Gestalten begeistern können.
Touristen, die den Eiffelturm besuchen, wird das Bild kaum auffallen, den Pariser Bürgern – die Besseres zu tun haben – springt es nur aus den Medien entgegen, und die dauerhaften Bewohner des Champs de Mars (wer in den letzten Jahren Paris besucht hat, weiß, was gemeint ist) wird der Bodenbelag kaum interessieren. Eternal Sleep ist ein reines Prestigeprojekt mit klarem politischen Anspruch: Paris (und mithin Frankreich) soll ein Ort sein, in dem alle Differenzen verschwinden und allerlei Völkchen freudig ineinanderfließen.
Klar, mit ähnlicher Politkunst (wohl aufgrund der andersgearteten deutschen Kolonialgeschichte allerdings monochrom) kann seit zwölf Jahren auch Berlin aufwarten. Von daher sollte man an dieser Stelle als Deutscher die Franzosen nicht belächeln. Die Frage nach dem Symbolcharakter dieser ins öffentliche Bewußtsein eingerammten Pfähle stellt sich dadurch aber um so mehr.
Abgesehen von der Applausheischerei nach außen (»Seht her, wie wir uns kümmern! Alle miteinander, egal was!«) signalisieren solcherlei visuelle Raumergreifungen nach innen: »Aufgepaßt, hier ist unsere Hood, und wir bestimmen hier den Blick auf die erfahrbare Realität. Wenn dir das nicht paßt, Bürger, dann meide unsere Plätze – oder, besser: gewöhn’ dich dran.«
Und der kritische Blick ist allzuleicht auf Nichtigkeiten abzulenken: Vor knapp zwei Jahren echauffierten sich hier bei SiN zahlreiche Kommentatoren über das handzahme Lied “Alles brennt” von Johannes Oerding, dessen Text so destruktiv und nihilistisch sei; wer von der Hysterie immer noch nicht kuriert ist, kann sich ja mal das Video ansehen und staunen.
Die wahre Abstumpfung, geradezu gezielte Hyposensibilisierung gegenüber den Verwerfungen um uns herum nämlich findet anderswo statt: in einem staatlich finanzierten und globalisierten Kunstsektor der Wurzellosigkeit, in dem ein White-genocide-Künstler die Stadtoberen von Paris ebenso bedienen darf wie die Segelsportmannschaft Benjamin de Rothschilds.
Das ist eine systemische Angelegenheit, und mit Kopfschütteln und Sätzen wie »Schlimm ist das… Aber wenn es all das nicht gäbe, wäre das Ganze eigentlich wieder ganz in Ordnung« ist nichts getan und noch weniger begriffen. Die politisch überformten Lebensbedingungen und subventionierte Abscheulichkeiten wie Eternal Sleep bedingen einander; das gilt es zu erkennen und den Blick für die alltäglichen Zumutungen (mindestens genauso auf dem “freien Markt”) zu schärfen.
Somit ist es absurd zu sagen, daß die moderne Kunst nichtig und daß alles sinnlos sei, denn ihre vitale Funktion besteht gerade darin, unsere Nutzlosigkeit und Absurdität zu illustrieren, besser: aus diesem Untergang ein Geschäft zu machen, während sie diesen Untergang als Spektakel beschwört. (Jean Baudrillard: »Die zeitgenössische Kunst … zeitgenössisch zu sich selbst«)
Caroline Sommerfeld
Hübscher Manichäismus, M.C. Escher hat vorgelegt: https://www.achim-und-kai.de/kai/fuc/fuc_escher.png.
Die "Seid-umschlungen-Millionen"-Agitpropkunst ist keine Kunst im modernen Sinne, wage ich mit Luhmann zu behaupten. Fremdreferenz heißt, auf andere Systeme und die in ihnen benötigten Inhalte zu referieren, z.B. eben politische Agenden oder pädagogische Programme.
"All dies konvergiert in der ausgeprägten Tendenz, die Überschüsse an Kommunikationsmöglichkeiten durch die Form der Mitteilung, und nicht durch die Art der Information wegzuarbeiten, also auch Selbstreferenz gegenüber Fremdreferenz zu bevorzugen." (Niklas Luhmann, Die Kunst der Gesellschaft, 1995, S.467).