Wenn’s jemandem zu gut geht, wir kennen das von manchen, schwindet die Neigung, sich „wie die Karnickel“ zu vermehren. Manfred wie Lotta hatten ordentliche Wohlstandbäuche. Nach der Kaninchenseuche vom Sommer 2016 (6 tote Kaninchen, der gesamte Nachwuchs) hatten wir sie nicht mehr rammeln gesehen. Auch der Versuch, durch das moderne Konzept „living apart together“ die Libido anzufeuern, war gescheitert.
Dachten wir. Bis unsere Frau Drese („vom Vertrieb“) mit entleertem Kaffeesatz von unserem Komposthaufen zurückkehrte und vermeldete: „Eine der Katzen hat gerade ein winziges Kaninchen verschleppt!“ Hieß für uns: Rattenalarm! Wir hatten ja gar keine kleinen Kaninchen.
Suchten nach einer Rattenunterkunft. Da war also ein Loch im Freigehege. Tief, tiefer, richtig tief. Und ganz unten, tiefer, als ein Menschenarm reicht: sieben Kaninchen. Gar nicht mehr klein, schon überaus flügge. Sowas gibt es! Daß man die Hoffnung schon fahren läßt, sich abfindet mit degenerativen Symptomen, mit Trägheit, Faulheit, Frustration. Und dann das! Quicklebendig! Und Krallen haben sie, und Zähnchen!
15.5.2017 – Tiere /Überlebensstrategien II: Unsere Katze ist vor exakt zwei Jahren auf uns gekommen, eine der Töchter hatte sie gefunden und für eine tote Eidechse gehalten. Die Tierärztin hatte ihr damals sekundiert: „Das soll eine Katze sein? Oh. Die macht nicht mehr lange.“
Doch, machte sie. Mimi (kann nichts für den Namen) ist der Grund, warum wir mittlerweile ungefähr 20 Katzen (und endlich ein mausfreies Haus) haben. Einige Leute in diesem Hause haben Mimi nämlich so sehr ins Herz geschlossen, daß sie überversorgt wird mit feinen Süppchen und gekochten Häppchen. Sie hat’s ihren Freunden weitergesagt…
Manchmal haben wir zehn Katzen auf der Terrasse. Ich schätze Mimi, habe aber eine Aversion gegen jegliche Art von Aufdringlichkeit. Im Haus hat die nichts zu suchen! Will gar nicht dran denken, wieviel Ziegenkäse die schon erbeutet hat! Bin darum ein bißchen rabiat, wenn ich sie zum x‑ten Mal im Treppenhaus erwische.
Wie kommt die eigentlich dauernd rein? Darf man nicht mal mehr Fenster kippen? Und was maunzt die denn so, die olle Bettlerin, geht‘s noch? Der Mensch mit dem weichsten Herz der Familie sagt im Laufe des Tages: Da ist was im Busche. Er öffnet die Tür, Mimi stürmt voraus, in den Keller. Zwischen Apfelsaftflaschen findet er: drei schneeweiße Kätzchen. Schon ein paar Tage alt. Und nun: Schon recht unterkühlt, mea culpa.
Aber sie leben! Nun in der Küche, klar, auch bei uns gibt’s Mutterschutz. Wer gern eine Schnellroda-Katze möchte, gebe Bescheid!
18.5.2017 – Apropos Bettlerin: In Lehmanns Media/Leipzig spricht mich heute eine junge Bettlerin an. Ihre Schuhe und T‑Shirt glitzern, dazwischen Skinnyjeans. Sie gibt mir einen Zettel, darauf in erwachsener Handschrift: „… Rumenien… dringend Medizin… fieleicht tot wenn nicht helfen… bitte!!“ Hab leider kein Kleingeld.
Sie sagt, es ginge um ihren Bruder. Ich mag sie erstens nicht, ihr Blick (sie ist vielleicht acht) ist nicht kindlich. Ich habe zweitens gerade kein Kleingeld. Eigentlich ist sie mir lästig. Eigentlich geht’s mir gut. Entbehre zwei Euro. Sie steckt‘s ein und sagt, das sei wenig, ob ich nicht mehr habe? Ich habe mehr, aber ich gebe es ihr nicht. Ich stöbere/schmökere weiter in den „Neuerscheinungen“, aber ich finde die jetzt alle daneben.
19.5.2017 – Hab mich früher oft geärgert, wenn im vollen Zug das ICE-Kinderabteil besetzt war, weil dort Mama und Papa samt Tante und Oma den Kleinleon/die Kleinlily betreuen mußten. Erstens war der Ärger unnötig, weil die Stunden mit meinen drei, vier Kleinkindern in überfüllten ICE-Gängen rückblickend zu den vitalsten, erlebnissatten Momenten meines Lebens gehören.
Zweitens ist heute eh’ alles anders: Die Jungeltern sind namensgebungstechnisch von der Niedlichkeitsmasche weg, Lily und Leon heißen heute Lilith und Leonhard. Das „Kinderabteil“, früher mit Schaukelpferd, tollem Spielfußboden (Straßenpanorama) und Riesenmemory ausgestattet, ist heute zu einem klinisch-reine, altersneutrale Safe space mutiert, und außerdem, ich vergeß’ das oft: So richtige Kleinkinder hab ich gar nicht mehr!
Dennoch, heute nochmal mit den Jüngsten meiner brandneuen Bekannten Silke (42) und Aline (38) im Kinderabteil, die Kindernamen verrate ich hier nicht (zu individuell), die “Kids“ sind jedenfalls drei und vier. Ich bescheiß mich ein bißchen mit der pflichtgemäßen Duzerei, man kennt die üblichen kommunikationstechnischen Auswege. Bin eh lieber Zuhörererin.
Sowohl Silke als auch Aline reden im typischen Liane-Ton. Ich erklär das mit Liane jetzt nicht näher, aber man kennt das von bestimmten, meist akademischen Frauen: Diese leicht knödelige Art, sich aus dem Kehlkopf heraus bewußt „eine Stimme zu geben“. Schönster Gesprächsfetzen (es ging darum, daß man es als Mutter mit Karriereabsicht superschwer hat):
Aline: „… und dann stehst du quasi als Rabenmutter da! Sagt dir zwar niemand, aber irgendwie merkst du es.“ Silke: „Kenn ich sooo gut! Ich hab persönlich für mich da meinen Schnitt gemacht. Es bringt keinem was, dem Kind nicht, dir nicht, wenn du meinst, den ganzen Alltagsscheiß handlen zu müssen. Ich setzt‘ voll auf das Konzept Premiumtime.“ Aline: “Premium-?“ Silke: „Klar, kennst du doch: Zeit, die man bewußt und achtsam mit dem Kleinen verbringt. Ein, zwei Stunden, dann aber Vollpower.“ Aline: „Logisch, wie bei uns. Läuft aber eigentlich unter Quality time.“ Premiummutter Silke wird rot: „Verdammt, ja, mein ich doch.“
Premiummutter… Klingt nach Übermensch, oder?
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Urs Graf der Aeltere
Zum totlachen! Der beste Artikel seit langem. Auch das Foto. Jetzt hab' ich wieder Hoffnung.