Sonntagsheld (12) – Wenn Herr Ritter dreimal klopft…

Warum der einstige Waffenarm des Abendlandes heute nichts Gutes im Schilde führt.

Wer sich in dis­si­den­ten Krei­sen enga­giert, kriegt frü­her oder spä­ter Besuch von jenen mehr oder weni­ger sym­pa­thi­schen Her­ren mitt­le­ren Alters, die als Ver­fas­sungs­ver­tre­ter von Haus­tür zu Haus­tür zie­hen und pral­le Säcke mit Sil­ber­lin­gen anbie­ten für die­je­ni­gen, die bereit sind, ihre Freun­de zu verraten.

Das kann – je nach Situa­ti­on und Eif­rig­keits­grad der Schlapp­hü­te – tri­vi­al, anstren­gend oder unter­halt­sam sein, und weil wir in Hal­le inner­halb der letz­ten Wochen häu­fi­ger Besuch hat­ten, sei nun ein biß­chen aus dem Näh­käst­chen geplau­dert. Anschei­nend hat sich näm­lich in unse­rer Saal­e­stadt ein beson­ders neu­gie­ri­ges Exem­plar ein­ge­nis­tet, das nun nach und nach Umfeld und Akti­vis­ten­kreis unse­rer ört­li­chen IB-Grup­pe abklap­pert und mit groß­zü­gi­gen Pre­mi­en winkt.

So gesche­hen am ver­gan­ge­nen Mitt­woch: An jenem son­ni­gen Tag klin­gel­te es zur Mit­tags­zeit an der Woh­nungs­tür eines Gefähr­ten, der, weil er gera­de Besuch erwar­te­te, den Sum­mer betä­tig­te. Weni­ge Sekun­den spä­ter stan­den zwei sicht­lich abge­hetz­te Gestal­ten vor der Wohnungstür.

Bevor wir uns dem bri­san­ten Inhalt des fol­gen­den knap­pen Gesprä­ches zuwen­den, sei kurz auf das Erschei­nungs­bild der zwei aus Berufs­grün­den besorg­ten Bür­ger ein­ge­gan­gen. Es ist näm­lich eine ganz spe­zi­el­le Eigen­art der Her­ren vom Innen­mi­nis­te­ri­um, in Sachen Klei­dung und Auf­tre­ten haar­scharf an dem vor­bei­zu­schram­men, was man, das Pro­fil des zu Bestechen­den in Betracht zie­hend, wahl­wei­se als schick oder sze­ne­kon­form aus­ge­macht zu haben glaubt.

In die­sem Fall ver­mu­te­te man wohl einen beson­ders sub­kul­tu­rel­len Gesprächs­part­ner auf der ande­ren Sei­te der Tür, wes­halb sich die zwei Besu­cher in feins­ten VS-Zwirn gezwängt hat­ten. Dazu gehör­ten unter ande­rem die all­seits belieb­te Car­go-Hose, Sport­schu­he, läs­si­ge T‑Shirts und die obli­ga­to­ri­sche Leder­ja­cke, die jeder Agent tra­gen muß, damit er für sei­nes­glei­chen wei­ter erkenn­bar bleibt.

Ein beson­de­res Sah­ne­häub­chen (die Dame in der Beklei­dungs­kam­mer hat­te sich sicht­lich Mühe gege­ben): Wahl­wei­se eine Base­ball­müt­ze oder ein Haar­schnitt, wie man ihn in Hal­le vor­nehm­lich von den Bewoh­nern ehe­ma­li­ger sozia­lis­ti­scher Wohn­pro­jek­te kennt. Phy­sio­gno­misch bot sich wei­ter­hin das Bild des klas­si­schen Beam­ten­du­os: Einer groß und laut, einer klein und nett, bei­de min­des­tens 15 Jah­re zu alt, um mit der oben beschrie­be­nen Klei­dung in irgend­ei­ner Art und Wei­se ange­mes­sen ange­zo­gen zu sein.

Vor­stel­len tat sich der Gro­ße mit der Leder­ja­cke als “Herr Rit­ter, Innen­mi­nis­te­ri­um”, wobei nur zu hof­fen ist, daß es sich dabei um einen Deck­na­men han­delt und wir es bei die­sem Strolch nicht mit dem mora­lisch dege­ne­rier­ten Sproß eines eins­ti­gen Adels­ge­schlech­tes zu tun haben. Herr Rit­ter also kam unwei­ger­lich zum Punkt, rat­ter­te in der nicht ganz von-der-Ley­en-kon­for­men Geschwin­dig­keit eines MG 42 sei­ne Fra­gen her­un­ter und blick­te dann mit dem hoff­nungs­vol­len Blick eines Hun­des, der sein Lecker­li erwar­tet, auf unse­ren Gefähr­ten herab.

Als er kei­ne Ant­wort erhielt, dach­te er kurz nach, erin­ner­te sich der unzäh­li­gen Fol­gen Tat­ort, die er sich mit sei­ner Frau und den zwei Kat­zen ange­schaut hat­te, und frag­te sei­nen Gegen­über nach einer Sum­me, man kön­ne sel­bi­ge ver­dop­peln oder ver­drei­fa­chen, in jedem Fall sei doch zumin­dest mal ein Tref­fen “auf einen Kaf­fee” drin.

Lan­ger Rede kur­zer Sinn: Den zwei Maden wur­de die Tür vor der Nase zuge­schla­gen, Herr Rit­ter brüll­te noch eine Kaf­fee-Ein­la­dung gegen die geschlos­se­ne Woh­nungs­tür und zog dann mit sei­nem Side­kick ab, wäh­rend der über­di­men­sio­na­le Ohr­ring – viel­leicht Acces­soire, viel­leicht Erin­ne­rung an eine rebel­li­sche Jugend, aus der er selbst von einem väter­li­chen Ver­fas­sungs­schüt­zer frei­ge­kauft wor­den war – melan­cho­lisch an sei­nem Ohr­läpp­chen baumelte.

Die­se tra­gi­ko­mi­sche Epi­so­de geheim­dienst­li­cher Dilet­tanz hat – bei allem Hohn und allem Spott – einen ers­ten Kern. Mit der fort­schrei­ten­den Beob­ach­tung durch diver­se Inlands­ge­heim­diens­te steigt der Beläs­ti­gungs­grad, dem sich die Akti­vis­ten und das Umfeld dis­si­den­ter Struk­tu­ren in der Bun­des­re­pu­blik aus­ge­setzt sehen, stän­dig. Je auf­dring­li­cher die Anquatsch­ver­su­che und je höher die ange­bo­te­nen Sum­men wer­den, um so wich­ti­ger wird auch die Soli­da­ri­tät im eige­nen Lager.

Daher schlie­ße ich dies­mal mit einem ganz prag­ma­ti­schen Auf­ruf an unse­re Leser­schaft, gera­de an die­je­ni­gen, die als rech­te “U‑Boote” durch den All­tag treiben:

Las­sen Sie nicht zu, daß die­je­ni­gen, die mehr ris­kie­ren als Sie, durch Repres­si­ons­maß­nah­men ver­ein­zelt wer­den! Wenn ein Akti­vist sei­ne Arbeit ver­liert, bie­ten Sie ihm eine neue an. Wenn in ihrem Freun­des­kreis poli­ti­sche Säu­be­rungs­ak­tio­nen durch­ge­führt wer­den, beken­nen Sie Far­be. Wenn Ihre Par­tei, Ihr Schüt­zen­ver­ein oder Ihr Senio­ren­schach­spiel­club jeman­den raus­schmei­ßen will, weil er zu einem IB-Stamm­tisch gegan­gen ist, stär­ken Sie ihm den Rücken.

Und wenn eines Tages Herr Rit­ter und Herr Stall­bur­sche bei Ihnen vor der Tür ste­hen und Sie auf einen Kaf­fee ein­la­den wol­len, den­ken Sie an die­sen Arti­kel, fas­sen Sie sich ein Herz und kip­pen Sie ihnen die gan­ze Tas­se ins Gesicht.

 

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Kommentare (20)

Ein gebürtiger Hesse

21. Mai 2017 15:30

"Lassen Sie nicht zu, daß diejenigen, die mehr riskieren als Sie, durch Repressionsmaßnahmen vereinzelt werden."

Manches muß, damit es einsinkt, fett, laut und kursiv an die innere Wand geschrieben werden. Euch Hallenser Helden muß das nicht gesagt werden, anderen aber vielleicht schon. Diesen einen kräftigen Knoten ins Taschentuch.

Exzellenter Sonntags-Text mal wieder - danke, Herr Wessels -, herrliches Lied von Melanie im Link am Ende. Wer hier die Guten sind, steht außer Frage.

Der Feinsinnige

21. Mai 2017 15:58

Nach der Lektüre dieses Artikels muß ich erst einmal meine Gedanken und Sinne sammeln. Ich gehe selbstverständlich davon aus, daß der Artikel einen realen Vorfall und diesen genauso schildert wie er sich ereignet hat. Gleichzeitig habe ich den Eindruck, eine Szene aus einem sehr schlechten Buch oder Film zur Kenntnis genommen zu haben. Darum sicherheitshalber die Nachfrage: Gehen hier (Alb-)Traum und Wirklichkeit durcheinander (ob beim Autor oder beim Leser) oder ist das tatsächlich inzwischen die Realität in der sich selbst als freiester Staat der deutschen Geschichte sehenden Republik? Es ist schier unglaublich, was hier berichtet wird - und scheint doch wahr zu sein.

Meine Hochachtung für die Haltung, diesen Vorfall gelassen als "tragikomische Episode geheimdienstlicher Dilettanz" zu werten. Als bei der Wiedervereinigung die Rede davon gewesen ist, Deutschland werde "östlicher und protestantischer" werden, habe ich mir darunter jedenfalls nicht vorgestellt, daß das vereinte Deutschland solche Methoden bei der Bekämpfung mißliebiger politisch engagierter und explizit gewaltfrei auftretender junger Leute einsetzt - und als solche haben sich die Aktivisten der IB bislang, soweit mir bekannt, immer gezeigt. Gewaltlose "Regelverletzungen" gehören seit 1968 zur demokratischen Kultur der Bundesrepublik dazu. Dies hat die politische Linke doch propagiert und durchgesetzt! Jetzt, da gewaltfreie Regelverletzungen bei politischen Aktionen von mißliebiger Seite eingesetzt werden, Geheimdienste loszuschicken, zeugt nicht nur von schlechtem Stil, sondern auch davon, daß unsere Behörden offenbar jedes Maß verlieren. Es zeigt auch, wie verunsichert die politisch Verantwortlichen inzwischen tatsächlich sind!

Der Feinsinnige

21. Mai 2017 16:54

Eine Zusatzbemerkung sei erlaubt:

Die Aktionen der IB (Spruchbandaktionen, kurzzeitiges Entern von symbolträchtigen Gebäuden oder Bauwerken, auf öffentliche Plätze legen, um auf die Terror-Gefahr hinzuweisen usw. usw.), die man auf deren zahlreichen Facebook-Seiten im einzelnen nachverfolgen kann, würden, wenn sie andere politische Zielsetzungen hätten, sicher einhellig und zu recht als phantasievoll, kreativ usw. usw. gewertet werden. So ist und war das jedenfalls, solange derartige Aktionen von links bzw. aus der Umweltbewegung (Greenpeace o.ä.) oder aus der „Friedensbewegung“ kamen (auch dort legte man sich, wenn ich mich richtig erinnere, auf öffentliche Plätze zur Warnung vor Nuklearkriegen oder -katastrophen). Störungen durch Sitzblockaden bzw. „Sit ins“ gehörten doch von Anfang an dazu, ob unter freiem Himmel oder auch bei Saalveranstaltungen, z.B. Uni-Vorlesungen, und wurden vom Bundesverfassungsgericht nach vielen Jahren des Streits nicht mehr als „Gewalt“ im Sinne des Nötigungstatbestandes gewertet, vgl. hierzu nur den Wikipedia-Artikel „Sitzblockade“, also eine politisch unverdächtige Quelle:

https://de.wikipedia.org/wiki/Sitzblockade

Soviel zur Gleichbehandlung unterschiedlicher politischer Gruppen in diesem Lande. Wenn zwei das gleiche tun, ist es also noch lange nicht dasselbe.

deutscheridentitärer

21. Mai 2017 18:42

Man wird sehen, inwiefern der Fall Franco A. noch zur Ausweitung der Repression genutzt werden wird.

Im Übrigen frage ich mich schon seit langem, was gegen die Strategie spricht, das Geld zu akkzeptieren, den Vorfall dem Gruppenleiter zu melden und die Spitzel dann mit Falschinformationen ader auch gar nicht zu versorgen.

Utz

21. Mai 2017 18:42

Es ist völlig unglaublich und man schaut unwillkürlich auf den Kalender, ob nicht doch der 1. April ist. Andererseits ergibt es schon Sinn. Es ist die Methode Mißtrauen zu säen. Es ist deren Hoffnung, daß sich die Betroffenen sagen: "Moment mal, ich habe Besuch bekommen, dann vielleicht auch x, y und z. Ich bin nicht umgekippt, aber vielleicht x oder y oder z." Nur dazu kann das gut sein. Um so wichtiger war Ihr Artikel.

Caroline Sommerfeld

21. Mai 2017 20:08

H glaubt das nicht! Und zwar nicht, weil er es nicht glauben will (haben wir ja auch manchmal, diese Ignoranz), sondern weil es vollkommen irrational ist. Warum verrät sich der VS so? Ist nicht sein Sinn, verdeckt zu operieren? H überlegte sogar, ob Ihr verarscht worden sein, ich wandte ein, daß das von hinten durch die Brust ins Auge geschossen wäre - wem würde das denn nützen? Können die sich nicht denken, daß Sie das öffentlichmachen? So schlappige Schlapphüte kann's doch gar nicht geben. Mißglückte MfS-Anwerbeversuche wurden jedenfalls durch Erpressung gedeckelt, sodaß sich die Umworbenen nicht getraut hätten, darüber zu sprechen.

stimmviech

21. Mai 2017 20:36

Einige Anregungen für die jungen Revolutionäre https://antaios.de/detail/index/sArticle/40694

Wegen der Demographie halte ich die Sache zwar für aussichtslos.Aber wer jung ist hat vielleicht Spaß an der Subversion...

RMH

21. Mai 2017 21:25

Mit den Schlapphüten ist es wie mit den Eisbergen. Mindestens 80% sind unter Wasser und nicht so einfach zu erkennen, wie in dem hier geschilderten Fall. Im übrigen ist es Teil einer jeden Zersetzungs- und Unterwanderungsstrategie, mal offen mit der Fahne zu wedeln und mal diskret und unerkannt zu operieren.  Dies steigert die Verunsicherung der unter Beobachtung stehenden Objekte.

Gehen wir also einfach mal davon aus, dass schon genügend die Kohle angenommen haben oder eben mit anderen Mitteln unter Druck gesetzt wurden (manchmal ist es ja auch eine Kombination von beiden) und jetzt liefern.

Es wäre schön, wenn hier auf Erfahrungen der ehem. DDR Widerstandskreise zurückgegriffen werden könnte bzw. wenn Leute mit diesen Erfahrungen (ehem. Oppositionelle und evtl. auch ehem. Stasi Mitarbeiter) der jetzigen Jugend Tipps geben könnten.

Harding

21. Mai 2017 23:50

Hui!

Den Lieben Verfassungswächtern müssen aber ganz schøn die Nerven flattern. Hier und dort ein paar koordinierte Aktionen, Plakate und Gegenmeinung der IB und jetzt schon so ein Affen-Theater? Gehts nicht noch langweiliger? Weshalb kümmern sich diese Beamten nicht um solche Staats-Zersetzer wie H. Maas? Was diese Person treibt ist doch wohl weit gefährlicher....

Thomas S.

22. Mai 2017 00:41

@RHM

Solche Erfahrungen gibt es, bzw. sie wurden auch entsprechend niedergeschrieben. Demnach ist es eine gute Idee, skeptisch gegenüber Personen zu sein, die freiheitliche Oppositionelle zu Gesetzesverstößen oder kompromittierendem Handeln provozieren wollen. Es ist auch eine gute Idee, sich nicht in die gewünschte Rolle des Staatsgegners hineindrängen zu lassen, sondern sich im Gegenteil auf die staatlicherseits anerkannten Rechte zu berufen. Ansonsten wirkte die Opposition im Ostblock in den wenigen kulturellen Schutzräumen, die der Staat nicht zerschlagen konnte oder dies nicht wagte, und stand mit weißer Weste da, als sich ihre totalitären Gegner selbst diskreditiert hatten. Und ein Herr Ritter würde vermutlich lieber Terroristen jagen als Oppositionelle, die frühzeitig und zutreffend vor eben diesen gewarnt haben. Es schadet nicht Personen wie ihm zu zeigen, dass die Klischees, die man über die Opposition verbreitet, nicht stimmen.

0001

22. Mai 2017 01:10

@ Thomas S.

Eben. Wir sind der Grundgesetzschutz.

Martin S.

22. Mai 2017 01:33

Ganz wichtig, um sich (relativ) unangreifbar zu machen:

-  keine  Schulden machen

- finanzielle  Rücklagen bilden

-  keine langfristigen  Kredite  am Laufen  habe.

-  mobil bleiben,  zur Miete wohnen,  kein Haus kaufen oder  bauen

-  anständiger Lebenswandel

- sich von Lob und Tadel der Außenwelt weitgehendst  frei machen

Wenn das alles vorliegt, muss das System schon schwere Geschütze, wie  beispielsweise Erpressung, einsetzen.   

Und der Kaffee? Diskret ablehnen.  Doch nicht in das Gesicht schütten!  "Wer lächelt statt zu schreien, ist immer der Stärkere." ...

Rabenfeder

22. Mai 2017 06:42

Gesetzt, es handelt sich beim beschriebenen Hausbesuch um ein wirkliches Vorkommnis und keine literarische Übertreibung oder gar Fiktion, dann sehe ich dennoch nicht zwingend einen dilettantischen Auftritt der Herren in Zivil. Sicher, der persönliche Eindruck mag lächerlich gewesen sein, aber wir sollten ja nun nicht naiv glauben, dass die tatsächliche Anwerbung des IB-Aktivisten das primäre Ziel des Besuchs war.   

Eine solche Vorgehensweise stammt doch aus dem Lehrbuch der Gedankenkontrolle und Psycho-Manipulation. Die Botschaft an den Aktivisten selbst und über die Veröffentlichung an alle Widerständler ist doch klar:

Erstens: Wir wissen wer ihr seid und beobachten Euch; und dies nicht nur aus der Distanz.

Zweitens: Nur weil Du uns entlarvt hast, folgt daraus ja nicht, dass Dein Kamerad X unser Angebot ebenso ausschlug, nicht wahr? Vielleicht achtest Du ab sofort etwas genauer auf Deine Mitkämpfer, vielleicht gerade auf die Anführer, denn wenn wir Dir schon Summe A anbieten…

Das Gefühl des Unbehagens wächst und die Saat zukünftigen Misstrauens ist gelegt.

Jim Jones hat sich zeitgleich mit den MK-Ultra-Experimenten der CIA solcher Mind control-Techniken auf dem Weg zum Massen(selbst?)mord  mit über 900 Toten im Dschungel von Guyana bedient.

Zum Beispiel flüsterte er seinen Opfern ein, dass Prüfer kommen würden, die jeden zu jeder Zeit inkognito auf seine Loyalität testen würden, indem sie vorgeblich ebenfalls Flucht-oder Widerstandsgedanken hegten.

Zu Jonestown:

https://jonestown.sdsu.edu/?page_id=29478

Zum Thema Vertrauen und induzierte Neurose sei noch auf Pavlovs Hundeexperiment mit Kreisen und Ellipsen hingewiesen.

Wie geht man mit derartigen Psychomethoden um?

Ich glaube, Vertrauen in sich selbst, sein eigenes Urteilsvermögen (oder auch nur seine Nase) und die Richtigkeit der Sache müssen genügen; lieber vertraut man einer Figur, die sich als nicht vertrauenswürdig herausstellen mag, als niemandem zu trauen. Unser Volksgedächtnis hat eine schöne Merkformel für solche Situationen:

Trau. Schau. Wem.

(Man sollte vielleicht Trau! schreiben, um die Notwendigkeit des Vertrauen schenken zu unterstreichen; ohne trauen macht schauen keinen Sinn, aber trauen ohne schauen ist blind)

 

siegfried

22. Mai 2017 11:21

Auch wenn der Verfasser versucht den Besuch ins lächerliche zu ziehen, anhand von manchen ängstlich-ungläubigen Kommentaren, läßt sich bereits eine gewisse Wirkung erkennen. Bürgerliche Konservative, die die Polizei als Freund, Helfer und Beschützer sehen und bisher lediglich mit der Polizei zu tun hatten, weil sie 10 km/h zu schnell gefahren sind, nun aber plötzlich im Fadenkreuz des VS stehen, kann man eben maximal als anonyme Geldgeber (das ist aber schon viel wert) sehen.

Stil-Blüte

22. Mai 2017 22:16

@ Martin S. 

'... kein Haus kaufen oder  bauen'

Doch! Gerade das! Das Eigene, Eigentum schaffen: Ein Mann muss drei Dinge tun: ein Haus bauen, einen Baum pflanzen, einen Sohn zeugen.

Gotlandfahrer

22. Mai 2017 22:19

Solchen Besuchern entgegnen: Ich bin schon beim Verfassungsschutz. Beim Geistesverfassungsschutz.

Katzbach

23. Mai 2017 01:18

Ist es nicht befremdlich die Realität auf einer Literaturseite einziehen zu sehen?
Keine Satire, keine Parabel, kein lyrisches Werben um Erkenntnis. Wie sollen zarte Geister ohne zu erschauern der Realität ins Auge sehen? War es nicht doch ein Theaterstück, das gruselig man durchlebt hat, um dann zu Haus erleichtert den Schauer abzuschütteln, ja ich bin in der besten aller Welten, meiner Heimat der Bundesrepublik Deutschland.

Werner Holt

23. Mai 2017 03:23

@ RMH - 21. Mai 2017 19:25

"Es wäre schön, wenn hier auf Erfahrungen der ehem. DDR Widerstandskreise zurückgegriffen werden könnte bzw. wenn Leute mit diesen Erfahrungen (ehem. Oppositionelle und evtl. auch ehem. Stasi Mitarbeiter) der jetzigen Jugend Tipps geben könnten."

- - -

Sehr geehrte/r RMH,

als zirka Fünfzehn-/Sechzehnjähriger wurde ich vom MfS angeworben, hatte mehrere konspirative Treffen mit den "Tschekisten", bekam Geld und Sachwerte angeboten - und widerstand letztlich allen Anwerbe-"Gesuchen". Dies war allerdings - zumindest in mentaler Hinsicht - nicht ganz so einfach, wie im oben geschilderten Fall.

Wie Frau Sommerfeld bereits richtig bemerkte, gehört zu einem wirksamen konspirativen Anwerbeversuch eine knallharte Deckelung mittels Erpressung/Drohung. In meinem Falle war es die Aussicht auf den Aufenthalt in einem Jugendgefängnis, falls ich auch nur einen Menschen (explizit auch meine Eltern) vom Anwerbeversuch in Kenntnis setzen sollte. Dies mußte ich damals unterschreiben, ohne mir den Text durchlesen zu können - ich wurde knapp mündlich "informiert". - So etwas erzeugt einigen Druck (da schwingt Gefahr mit), zumindest in dieser Alterskohorte. Ein Werber hingegen, dem ich die Tür vor der Nase zuschlagen kann, ist eigentlich kaum ernstzunehmen.

Wichtig und richtig im meinem Falle war, daß ich meine Eltern und meinen damaligen Freundes- und Bekanntenkreis zwar zuvorderst zögerlich, aber dennoch schließlich umfänglich informierte. Und siehe da: Es passierte nichts. Jedenfalls, wenn man davon absieht, daß später mindestens einer meiner Bekannten (aus einer Subkultur) IM-Meldungen über mich verfaßte. Aber auch das blieb bis auf eine Stasi-Akte letztlich fast folgenlos, wenn man von kleineren Schikanen absieht.

An dieser Stelle nun zum oben geschilderten Fall aus Halle an der Saale:
Mittels solcherart Geheimdienst-Taktik soll innerhalb einer observierten/zu observierenden Dissidenten-Gruppe der gezielt gesäte Samen um sich greifenden Mißtrauens keimen und schließlich ganz aufgehen. Eine Saat indes, die -  da ja ohne deutlich erkennbares Drohpotenzial (kein Geheimdienst bettelt, wenn er auch erpressen kann!) - getrost ausgerissen bzw. ausgetrocknet werden kann (und sollte!). Und zwar ganz simpel durch angstfreie offene Kommunikation innerhalb der Gruppe. Dieses Verfahren (als Recht und Pflicht) muß allen Gruppenmitgliedern vollumfänglich klar sein. (Um ein mögliches Restrisiko kümmert man sich hierbei erstmal überhaupt nicht!) Es kann sicherlich sogar von Nutzen sein, sich dessen in zeitlichen Abständen gegenseitig erneut zu versichern.

Von dieser einfachen Möglichkeit des Abschmetterns der geplanten Unterwanderung, Vereinnahmung und somit der letztlich folgenden Zerschlagung der Gruppe durch den Geheimdienst weiß eben auch der Geheimdienst. Es handelt sich deshalb im geschilderten Fall aus der Hallorenstadt wohl eher um eine Mitteilung mit dem Inhalt: "Wir haben Dich auf dem Radar. Überleg Dir also, was Du sagst und tust. Halte Dich zurück. Wir bestimmen die Spielregeln."

Ohne mich wiederholen zu wollen: Bei dieser "Info" handelt es sich natürlich auch um versteckte Drohungen. Diese sind jedoch derart diffus formuliert (da ja ohne direkt offerierte Strafe und allenfalls erahn- bzw. interpretierbar), daß man sie in diesem Stadium der Einschüchterung getrost in den Wind schießen kann.

Sollte sich bei diesem "Spiel" hingegen doch ein Spitzel finden lassen, haben die Schlapphüte natürlich nicht nur ein Teilziel erreicht, wenngleich dies vielleicht gar nicht das Hauptziel war. Im Falle von direkten Aktionen (wie bei der IB üblich) bemerkt man diesen Umstand aber irgendwann unweigerlich. Spätestens dann nämlich wird's auffällig, wenn jegliche Spontaneität unmöglich zu werden scheint, weil der Hase immer schon vor dem Igel im Ziel ist. Dann waren Termin und Ort der Aktion den Langohren bereits vorab bekannt.

Summasummarum: Da also offensichtlich Verunsicherung/Zersetzung das vorrangige Ziel solcher VS-Operationen ist, rate ich jedem Betroffenen dazu, sich umfänglich im Kreis der Gleichgesinnten mitzuteilen. Hierbei aus erfolgter Einschüchterung und Angst zu schweigen, bedeutet nicht anderes, als sich der Geheimdienst-Maßnahme (Verunsicherung/Zersetzung/Zerschlagung) bereits unterworfen zu haben.
Der hallesche Gefährte des Herrn Wessels hat also in die richtigen Tasten gegriffen. Da capo!

Mit patriotischen Grüßen -

Werner Holt

Werner Holt

23. Mai 2017 03:51

@ Thomas S.: 21. Mai 2017 22:41

"Ansonsten wirkte die Opposition im Ostblock in den wenigen kulturellen Schutzräumen, die der Staat nicht zerschlagen konnte oder dies nicht wagte (...)"

Verglichen mit der Ost-Opposition fehlen uns heute zwei nicht ganz unwichtige Verbündete: Zum einen die Kirchen mit ihren schutzbietenden Räumlichkeiten und auch ihren politischen Freiräumen. Dies ist dem Umstand geschuldet, da unsere Kirchenfürsten längst desertiert und (noch schlimmer!) zum Feinde übergelaufen sind. Und zum anderen ein "Westfernsehen", welches der breiten Masse in einfachen und somit verständlichen Worten auch mal "die Rückseite des Mondes" beschreibt (WF-Ausnahme damals ausgerechnet Dunkel-Dresden).

(Na, und vielleicht war ja '89 doch auch der eine oder andere Auslandsgeheimdienst involviert.)

- - -

"Und ein Herr Ritter würde vermutlich lieber Terroristen jagen als Oppositionelle, die frühzeitig und zutreffend vor eben diesen gewarnt haben. Es schadet nicht Personen wie ihm zu zeigen, dass die Klischees, die man über die Opposition verbreitet, nicht stimmen."

Oh, ich fürchte, da kennen Sie diese "Ritters" schlecht ...

- - -

Ansonsten bitte ich um die Verzeihung meiner Einmischung in ihren Disput mit "RMH". - Mit patriotischen Grüßen - W.H.

Cacatum non est pictum

24. Mai 2017 15:58

@Werner Holt

Danke für Ihren sehr interessanten Erfahrungsbericht. Die Stasi war ja auf dem Gebiet der Zersetzung Weltmeister. Warum sollte man heute nicht aus diesem Fundus schöpfen? Interessant ist eben nur, gegen wen sich solcherlei Repression unserer Tage richtet: Die Tonangebenden fürchten sich vor einer Gruppe junger Menschen, die den Staat zu rechtskonformem Handeln auffordern - und nebenbei Heimatgefühle zum Ausdruck bringen. Dass man ausgerechnet gegen sie nun das geheimdienstliche Repertoire in Stellung bringt, sagt viel aus über den traurigen Zustand unseres Staates; und darüber, welche Feindbilder die Herrschenden hierzulande pflegen.

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