Wer sich in dissidenten Kreisen engagiert, kriegt früher oder später Besuch von jenen mehr oder weniger sympathischen Herren mittleren Alters, die als Verfassungsvertreter von Haustür zu Haustür ziehen und pralle Säcke mit Silberlingen anbieten für diejenigen, die bereit sind, ihre Freunde zu verraten.
Das kann – je nach Situation und Eifrigkeitsgrad der Schlapphüte – trivial, anstrengend oder unterhaltsam sein, und weil wir in Halle innerhalb der letzten Wochen häufiger Besuch hatten, sei nun ein bißchen aus dem Nähkästchen geplaudert. Anscheinend hat sich nämlich in unserer Saalestadt ein besonders neugieriges Exemplar eingenistet, das nun nach und nach Umfeld und Aktivistenkreis unserer örtlichen IB-Gruppe abklappert und mit großzügigen Premien winkt.
So geschehen am vergangenen Mittwoch: An jenem sonnigen Tag klingelte es zur Mittagszeit an der Wohnungstür eines Gefährten, der, weil er gerade Besuch erwartete, den Summer betätigte. Wenige Sekunden später standen zwei sichtlich abgehetzte Gestalten vor der Wohnungstür.
Bevor wir uns dem brisanten Inhalt des folgenden knappen Gespräches zuwenden, sei kurz auf das Erscheinungsbild der zwei aus Berufsgründen besorgten Bürger eingegangen. Es ist nämlich eine ganz spezielle Eigenart der Herren vom Innenministerium, in Sachen Kleidung und Auftreten haarscharf an dem vorbeizuschrammen, was man, das Profil des zu Bestechenden in Betracht ziehend, wahlweise als schick oder szenekonform ausgemacht zu haben glaubt.
In diesem Fall vermutete man wohl einen besonders subkulturellen Gesprächspartner auf der anderen Seite der Tür, weshalb sich die zwei Besucher in feinsten VS-Zwirn gezwängt hatten. Dazu gehörten unter anderem die allseits beliebte Cargo-Hose, Sportschuhe, lässige T‑Shirts und die obligatorische Lederjacke, die jeder Agent tragen muß, damit er für seinesgleichen weiter erkennbar bleibt.
Ein besonderes Sahnehäubchen (die Dame in der Bekleidungskammer hatte sich sichtlich Mühe gegeben): Wahlweise eine Baseballmütze oder ein Haarschnitt, wie man ihn in Halle vornehmlich von den Bewohnern ehemaliger sozialistischer Wohnprojekte kennt. Physiognomisch bot sich weiterhin das Bild des klassischen Beamtenduos: Einer groß und laut, einer klein und nett, beide mindestens 15 Jahre zu alt, um mit der oben beschriebenen Kleidung in irgendeiner Art und Weise angemessen angezogen zu sein.
Vorstellen tat sich der Große mit der Lederjacke als “Herr Ritter, Innenministerium”, wobei nur zu hoffen ist, daß es sich dabei um einen Decknamen handelt und wir es bei diesem Strolch nicht mit dem moralisch degenerierten Sproß eines einstigen Adelsgeschlechtes zu tun haben. Herr Ritter also kam unweigerlich zum Punkt, ratterte in der nicht ganz von-der-Leyen-konformen Geschwindigkeit eines MG 42 seine Fragen herunter und blickte dann mit dem hoffnungsvollen Blick eines Hundes, der sein Leckerli erwartet, auf unseren Gefährten herab.
Als er keine Antwort erhielt, dachte er kurz nach, erinnerte sich der unzähligen Folgen Tatort, die er sich mit seiner Frau und den zwei Katzen angeschaut hatte, und fragte seinen Gegenüber nach einer Summe, man könne selbige verdoppeln oder verdreifachen, in jedem Fall sei doch zumindest mal ein Treffen “auf einen Kaffee” drin.
Langer Rede kurzer Sinn: Den zwei Maden wurde die Tür vor der Nase zugeschlagen, Herr Ritter brüllte noch eine Kaffee-Einladung gegen die geschlossene Wohnungstür und zog dann mit seinem Sidekick ab, während der überdimensionale Ohrring – vielleicht Accessoire, vielleicht Erinnerung an eine rebellische Jugend, aus der er selbst von einem väterlichen Verfassungsschützer freigekauft worden war – melancholisch an seinem Ohrläppchen baumelte.
Diese tragikomische Episode geheimdienstlicher Dilettanz hat – bei allem Hohn und allem Spott – einen ersten Kern. Mit der fortschreitenden Beobachtung durch diverse Inlandsgeheimdienste steigt der Belästigungsgrad, dem sich die Aktivisten und das Umfeld dissidenter Strukturen in der Bundesrepublik ausgesetzt sehen, ständig. Je aufdringlicher die Anquatschversuche und je höher die angebotenen Summen werden, um so wichtiger wird auch die Solidarität im eigenen Lager.
Daher schließe ich diesmal mit einem ganz pragmatischen Aufruf an unsere Leserschaft, gerade an diejenigen, die als rechte “U‑Boote” durch den Alltag treiben:
Lassen Sie nicht zu, daß diejenigen, die mehr riskieren als Sie, durch Repressionsmaßnahmen vereinzelt werden! Wenn ein Aktivist seine Arbeit verliert, bieten Sie ihm eine neue an. Wenn in ihrem Freundeskreis politische Säuberungsaktionen durchgeführt werden, bekennen Sie Farbe. Wenn Ihre Partei, Ihr Schützenverein oder Ihr Seniorenschachspielclub jemanden rausschmeißen will, weil er zu einem IB-Stammtisch gegangen ist, stärken Sie ihm den Rücken.
Und wenn eines Tages Herr Ritter und Herr Stallbursche bei Ihnen vor der Tür stehen und Sie auf einen Kaffee einladen wollen, denken Sie an diesen Artikel, fassen Sie sich ein Herz und kippen Sie ihnen die ganze Tasse ins Gesicht.
Ein gebürtiger Hesse
"Lassen Sie nicht zu, daß diejenigen, die mehr riskieren als Sie, durch Repressionsmaßnahmen vereinzelt werden."
Manches muß, damit es einsinkt, fett, laut und kursiv an die innere Wand geschrieben werden. Euch Hallenser Helden muß das nicht gesagt werden, anderen aber vielleicht schon. Diesen einen kräftigen Knoten ins Taschentuch.
Exzellenter Sonntags-Text mal wieder - danke, Herr Wessels -, herrliches Lied von Melanie im Link am Ende. Wer hier die Guten sind, steht außer Frage.