In einer hellen Loftwohnung irgendwo in Hamburg sitzt ein hochgewachsener Mann mit Sechstagebart und scrollt durch die Social-Media-Profile einer jungen Aktivistin. Ihm gefällt, was er sieht und er schreibt sie an, bittet um einen Interviewtermin.
Sein Profil:
Name: Takis Würger
Alter: 31
Beruf: Journalist
Verdacht: Rechtsextrem. Also nicht er, sondern die Aktivistin.
Wir treffen Takis Würger in einer urigen Kneipe in Halles Innenstadt, sein Kleidungsstil ist betont lässig, er sieht aus wie man sich einen Journalisten vorstellt, der Reportagen über Themen schreibt, die er für ausgefallen hält. Um die Augen hat er viele Lachfalten, überhaupt lacht Würger viel und herzlich. Er ist sofort sympathisch, sagt, dass er sich für unsere Beweggründe interessiert und, dass er uns für gefährlich hält. Das ist aufrichtig und es schafft Vertrauen.
Wir reden viel, doch an diesem Tag möchte Würger nicht über Politik sprechen. Vielmehr interessiert ihn unser Verhältnis zueinander, unser Gesprächsverhalten und vor Allem, dass wir uns für seine Geschichten begeistern.
Er erzählt offen, auch Privates; davon, dass er einmal in Notwehr einen Linken umgehauen hat, als der ihn angriff, von dem Morgen, als er von Sven Lau in einer ägyptischen Salafisten-Absteige geweckt wird, in die ihn seine Recherchen geführt haben und von Liebeskummer.
Zwischendrin immer wieder harmlose Fragen und ein gnadenloses Nachhaken, allerdings auf Augenhöhe. Solche Interviews, die man wie ein beiläufiges Gespräch führt, sind die angenehmsten und die gefährlichsten.
Als der Wirt vorbeikommt und fragt, ob wir beim Bar-Quiz mitmachen wollen, funkelt kurz die Kampfeslust in Würgers grünen Augen auf. Er trägt unseren Tisch in die Liste ein, auf die Frage nach dem Gruppennamen sagt er: „Die Identitären“. Der Wirt geht geschäftig davon, Würger feixt. Von nun an wird unsere Gesprächsrunde regelmäßig von den Quizfragen unterbrochen, für die Dauer des Fragespiels sind wir eine Gruppe. Takis Würger ist für kurze Zeit Teil der „Identitären“ – ist das noch Journalismus, oder ist das schon gefährlich?
Irgendwann kommt der Wirt vorbei und bittet uns verlegen unseren Gruppennamen zu ändern. Unser Gast schlägt „Antifa“ vor, diesmal lacht der Wirt mit. Als das Quiz vorüber ist, verabschiedet sich Würger, er habe noch ein Rendezvous.
Bei unserem Treffen haben wir Würger erzählt, dass wir am 14. Januar zu einer identitären Demonstration nach Paris fliegen, er will unbedingt mitkommen, wir stimmen zu. In Paris ist der Dandy Würger in seinem Element, bereits in Halle kündigte er an, sich dort maßgeschneiderte Handschuhe anfertigen zu lassen.
Es passt in das Bild, das wir von dem 31-Jährigen haben, hinter dessen offenen, herzlichen Grinsen immer wieder bitterer Zynismus hervordunkelt. In der Kathedrale Nôtre Dame lacht Würger, der angibt, eine katholische Erziehung genossen zu haben, als wir mit ihm über den Freitod Dominique Venners reden, er bezeichnet sich stolz als „dekadent“.
Auf der Demonstration am Abend läuft er wieder mit unserer Gruppe mit. Es entspricht nicht seinem Selbstverständnis als Investigativ-Journalist von außen zu berichten, Würger muss mittendrin sein. Doch auf den Straßen von Paris wird er vom stillen Beobachter in unseren Reihen zum Demonstranten: Er läuft mit, hüpft mit den anderen, wenn er von der Demonstrationsleitung dazu aufgefordert wird, irgendwann ruft er aus vollem Hals: „Daesh, on t‘ecule“ (etwa: „Islamischer Staat, wir ficken euch in den Hintern“).
An einem kalten Februartag treffen wir ihn wieder, diesmal auf dem Marktplatz in Halle. Er wirkt abgekämpft, die hanseatische Weltoffenheit, die er ganz erst meint, ist wie verflogen. Wir verteilen Pfefferspray, er hört zu und lässt einen Fotografen Fotos machen.
Danach zieht wieder einige Zeit ins Land, irgendwann trifft sich Würger mit unserer Aktivistin zum Kreuzverhör. Die beiden reden über 4 Stunden. Würger blüht auf, stellt immer wieder neue Fragen, möchte alles ganz genau wissen und notiert durchgängig. Später wird er aus diesem Gespräch den Wunsch nach einem „Kartoffelland“ und ein Bild von Albert Leo Schlageter mitnehmen.
Warum das so ist, weiß keiner so genau, aber je länger sich das Erscheinen des Artikels hinauszieht, desto deutlicher wird der Eindruck, dass Würger keine Lust mehr hat. Per Mail schreibt er uns niedergeschlagen, dass die Redaktion seinen Artikel abgelehnt hat, er muss ihn umschreiben. Warum der Artikel nicht veröffentlich wurde, sagt er uns nicht.
Hatte der Mann, der es sich nicht nehmen ließ, in einem Lesevideo einen versteckten Gruß an die Identitären auszurichten, sich zu sehr begeistern lassen? War er der Verführungsstrategie der „unheimlichen Frau Schmitz“ auf den Leim gegangen? Die Fragen werden unbeantwortet bleiben.
Am 27. 5. veröffentlicht Takis Würger schließlich seinen Artikel über uns im Spiegel. Darin kann man nichts lesen.
Martin Sellner
Genial!