Mit der Erkaltung des christlichen Glaubens traten an die Stelle des Heiden oder Ketzers neue Beschreibungen dessen, was als menschlicher Unwert angesehen und vor allem markiert werden sollte. Wenig überraschend erklärte jede der aufkommenden Weltanschauungen zunächst einmal die Namen ihre Verneiner zu Schimpfwörtern. Aristokrat, Bourgeois, aber auch umgekehrt Demagoge oder Kommunist wurden zu Wörtern, die zeitweilig nur noch im polemischen Sinne Gebrauch fanden.
Die Bezeichnungen Untermensch und Unmensch sind etwas anderes. Hier wird nicht der Feindname zur Beleidigung. Der so Bezeichnete soll nicht in seiner bloß politischen Eigenschaft getroffen werden. Untermensch und Unmensch zielen auf sein Menschsein, sprechen ihm beide in gewisser Weise die Zugehörigkeit zur menschlichen Spezies ab. In einem anthropozentrischen Zeitalter ist dies die schärfste denkbare Unwerterklärung.
Damit verraten aber beide Bezeichnungen das Menschenbild desjenigen, der sich ihrer bedient. Denn auch wenn beide auf das Menschsein zielen, haben sie dabei doch Unterschiedliches im Visier.
Das Wort Untermensch beinhaltet eine hierarchische Abstufung, auf welcher der damit Bedachte unter der Stufe des Menschen angesiedelt wird. Es ist kein Zufall, daß sich dieses Schimpfwort zur selben Zeit etablierte, in der sich die Lehre Darwins massenwirksam durchsetzte. Unmensch hingegen ist ein viel älteres Wort. Es existiert, seit Menschen den Ausdruck „menschlich“, den Namen ihrer Spezies, als Adjektiv gebrauchen, um damit die Einhaltung moralischer Mindestnormen zu beschreiben. Menschlich ist hier zunächst das Gegenteil von grausam.
Ein Mensch kann durch und durch böse sein, solange seine Bosheit nicht viehische Züge annimmt, wird er dadurch nicht zum Untermenschen. Hannibal Lecter ist kein Untermensch. Umgekehrt kann ein Mensch noch so zurückgeblieben sein, solange sich dies nicht als moralischer Defekt ausweist, wird er nicht zum Unmenschen. Doch umgekehrt, was ist dann jeweils ein Mensch? Was ist die Menschheit? Wie wird man aus ihr ausgeschlossen? Und vor allem: Welche Konsequenzen hat das?
Trotz ihres zerstörten Rufes ist die Unwerterklärung zum Untermenschen die weniger gefährliche der beiden Schwestern. Der Untermensch ist nicht aus der metaphysischen Ordnung der Dinge ausgestoßen. Seine Vernichtung ist nicht logisch zwingend ein moralischer Imperativ. Liquidatorisch wird sie dann, wenn im Untermenschen nicht nur eine unwürdige Kreatur, sondern ein soziales Problem gesehen wird, das die Gemeinschaft durch sein bloßes Vorhandensein bedroht.
Die dann aufkommenden Vergleiche mit Krankheiten („menschliche Bazillen“, „Krebsgeschwür“) sollen dann nicht bloß abwerten, sie sollen vor allem verdeutlichen, daß man es hier nicht mit einem Subjekt zu tun habe, sondern mit einer Art Naturvorgang. Eine Krankheit mordet schließlich nicht, sie verläuft, manchmal mit tödlichem Ausgang. Der Arzt kann aber nicht mit den Erregern verhandeln, weil sie nicht bewußt aktiv sind, sondern einfach ihrer Natur folgen. Er muß versuchen, sie auszulöschen.
Geschichtlich war der Untermensch Teil einer Polemik, die sich Anfang des 20. Jahrhunderts gegen aufkommende Dekadenzerscheinungen wandte. Die erste Fortschrittsgläubigkeit des frühen Darwinismus war verflogen und an ihre Stelle trat die zunehmende Angst vor der Degeneration. Was, wenn die moderne Lebensart nicht mehr zur gesunden Auslese führt? Was, wenn sie sogar das Gegenteil tut?
Derartige Befürchtungen machten selbst in Kreisen die Runde, die für Darwin nur Spott übrig hatten. Wenn Oswald Spengler an einer Stelle über die „Untermenschen der Großstädte“ schimpft, so trifft er damit eine kulturmophologische Gestalt. “Untermensch” meint nicht den Tölpel, der eine liebenswerte Figur sein kann, und auch nicht den Krüppel, der einfach zu bemitleiden ist.
Das Wort trifft das Objekt und Produkt eines Entwicklungsvorganges, welcher den Menschen in seinen Anlagen verkrüpple und auf ein Dasein unterhalb menschlichen Potentials zum kulturlosen, von niederen Trieben gesteuerten Wesen herabdrücke. Im Denken Hitlers hat es dann auch weniger mit Rassenlehre als mit Herrschaftskritik zu tun. Er wendete die “Veruntermenschung” von einem Verfallsprozeß zum jüdischen Programm, welches die Herstellung von Untermenschen aufgrund ihrer leichteren Beherrschbarkeit betreibe.
Es ist bemerkenswert, daß keines der vielen Schlagworte nationalsozialistischer Propaganda so sehr im Gedächtnis der Nachwelt haften blieb wie “Untermensch”. Die Gegenseite erblickte darin offenbar mehr als in irgend sonst etwas ihre eigene weltanschauliche Verneinung. Ihre Verschwefelung verdankt diese Unwerterklärung ihren fundamental antiegalitären Implikationen. Wer dieses Wort gebraucht, behauptet nicht bloß eine Hierarchie innerhalb der menschlichen Spezies. Er stellt Mindeststandards für das vollwertige Menschsein auf.
Gemäß dem Denken, das bestimmte Menschen als Untermenschen abklassifiziert, kann man biologisch der menschlichen Spezies angehören, ohne im ganzen Sinne Mensch zu sein. In früheren Zeiten wäre eine Abstufung des Menschseins problematisch, aber noch erträglich gewesen. Doch mit dem Tod Gottes wurde im Abendland die nun freischwebende Ethik an den Menschen gebunden, genauer gesagt: an dessen durch seine Spezieszugehörigkeit ihm angeborenen Rechte. Für den so Denkenden muß das Wort Untermensch mehr bedeuten als eine Beleidigung. Es wird zur Negation der Ethik selbst. In Abwandlung Dostojewskis gilt hier: Ohne die Gleichheit ist alles erlaubt!
Unmensch ist dagegen ein egalitärer und universalistischer Kampfbegriff. Wie Untermensch eine hierarchische Abstufung unterschiedlicher Grade des Menschseins beinhaltet, impliziert Unmensch den einen Raum der moralischen Menschheit, aus der die Unmenschen ausgestoßen sind. Es ist sehr bezeichnend, daß die Nationalsozialisten, wenn sie ihren Kampf gegen das Judentum rhetorisch zu universalisieren trachteten, nicht von Untermenschen sprachen. Stattdessen verwendeten sie Worte wie „Weltfeind“ oder „Menschheitsfeind“, also andere Umschreibungen des Unmenschens.
Das Gleichheitsprinzip wird durch die Unwerterklärung “Unmensch” nicht verletzt. Im Gegensatz zu “Untermensch”, das den unwerten Menschen innerhalb einer Ordnung der Gestalten beläßt und dort abqualifiziert, stößt “Unmensch” diesen Menschen aus der gerade durch diesen Akt der Verbannung intakt gehaltenen Ordnung der Gleichen und Guten hinaus. Das ist der Grund, aus dem “Unmensch” anders als “Untermensch” weiterhin als akzeptabel gilt.
Die Unwerterklärung zum Unmenschen ist für eine egalitär-universale Ordnung unverzichtbar. Sie ist ihre einzige Möglichkeit, Feindschaft gedanklich zu fassen. Carl Schmitt hat diese Dialektik aufgezeigt, die aus der Politisierung des Menschheitsbegriffs entspringt. Zum Behufe des ewigen Friedens soll die Menschheit zum politischen Subjekt werden. Tritt der erwartete Frieden dann nicht ein, so kann der Menschheitsgläubige gar nicht anders, als seinen Feind aus eben jener Menschheit auszustoßen. Andernfalls, so die Logik, wäre er ja selbst der Unmensch, der die Gebote der einen Menschheit verletzt.
Die Verbannung aus dem ethischen Raum macht die Vernichtung des Verbannten zur moralischen Pflicht. Denn der Unmensch ist weder Feind noch soziales Problem. Er ist das Böse, das um der Heiligkeit des Guten willen ausgelöscht werden muß.
Maiordomus
Der "Unmensch" verfügt über eine "menschenfeindliche" oder wenigstens "menschenverachtende" Ideologie. Auf dem Programm steht indes nicht die Ausrottung des Unmenschen im Gegensatz zur Liquidierungsthese, sondern dessen Isolierung aus dem politischen Diskurs und aus öffentlichen Aemtern. So hat die Schweizer Zeitung "Blick" neulich die Foto eines Jugendfussballtrainers gebracht, der ein "Rechtsextremist" sein soll, steht auf jeden Fall der Partei Pnos nahe. Klar, darf so einer auch im Sport nicht mit der Jugend zusammenarbeiten. So wie eine olympische Rudererin in Deutschland nicht mit einem Mitglied der NPD zwar nicht Rassenschande, aber Menschenfeindschaft im Bett treiben darf. Wie es mit dieser Geschichte weitergegangen ist, weiss ich nicht.