Es soll auch nur einen Euro kosten. Andererseits mag ich mich sogar für umsonst nicht gern mit Kram belasten, der mich nicht paßt oder steht. Umkleidekabinen gibt´s ja nicht. Die supernette Verkäuferin ermuntert mich ganz herzlich: „Doch! Das paßt dir! Ich weiß es!“ Woher? „Na guck dich mal an, guck mich mal an. Wir sind eigentlich Zwillinge!“ Stimmt, der Funke springt auch über.
Sie sieht mir wirklich ziemlich ähnlich. Sie hat zwei dunkelhäutige Kinder, und den Stand betreut sie gemeinsam mit einer schwarzen Frau und deren Kindern. (Daß die beiden Nichtganzschwarzen die Kinder der Blonden sind, weiß ich, weil ich nachgefragt habe.) Ich mag sie. Wirklich! Ich bin dabei extrem sicher, sie würde mich nicht mögen, wenn sie wüßte. Soll ich’s schade finden? Hab dann zugeschlagen. Also, das Kleid gekauft.
5.6.2017 – Das Lambda der Identitären war mir seit je suspekt. Es gab da früher so eine (in Kostenloszeitschriften stets wiederkehrende) Annonce für ein Potenzmittel, damals in den noch nicht so übersexualisierten achtziger Jahren, die warb mit einem verwechselbaren Zeichen. Drum erschien mir das IB-Lambda so speziell aufgeladen, so… Daumen-hoch-mäßig.
Ich komme drauf, weil ich gerade auf eine Frau aufmerksam geworden bin, deren Buch jüngst für den Lambda-Literary-Award nominiert wurde. In Anspielung auf den Grammy wird er von Leuten aus der Szene auch Lammy genannt.
Der Lambda-Literary-Award zeichnet Werke bzw. deren Autoren aus, die sich affirmativ mit LGBT-Themen auseinandersetzen. Sie wissen eh, was LGBT-Themen sind? Googlen Sie trotzdem mal, allein wegen des Farbfeuerwerks. Bin nicht sicher, ob Google auch bei anderen Suchbegriffen so abgeht!
Es geht erstens um Jane Ward, die ein Buch geschrieben hat: Not Gay. Sex between straight white men. In der (im Herbst erscheinenden) deutschen Übersetzung wird die Weißsseinskiste per Titel rausgelassen, es soll Nicht schwul. Sex unter heterosexuellen Männern titeln.
Es geht zweitens um mich. Denn ich bin nun definitiv Sexistin, laut Jane Ward. Warum? Sie sagt: „Frauen sind seit Jahrhunderten dafür bekannt, daß sie eine fluide Sexualität haben und sich sowohl Männern als auch Frauen zuneigen können. Zu behaupten, man sei als das eine oder andere geboren, ist einfach nur sexistisch.“ Da ich von mir „das eine“ behaupte, bin ich wohl sexistisch. Gibt vielleicht Schlimmeres.
Ward sagt nun in einem Interview, die Vorstellung, daß es eine klar definierte Grenze gebe zwischen Hetero- und Homosexuellen, sei „wirklich erst ein paar Jahrzehnte alt“. Relativ normal, das führt sie als Begründung an, sei innerhalb von Männergruppen die Praxis des sogenannten „Elefantenspaziergangs“: „Das ist ein Ritual, im Rahmen dessen junge Männer nackt auf Händen und Füßen im Kreis herumgehen und sich entweder gegenseitig an ihren Penissen anfassen oder ihren Zeigefinger in den Anus des Vordermanns stecken.“
Ein solcher Ritus werde von den Beteiligten nicht als sexuelle Praxis wahrgenommen. Eine solche „Heteroflexibilität“ werde zwar heute als „Errungenschaft gefeiert“ (oh – ich muß wirklich eine Hinterweltlerin sein…), sei dabei aber „absolut keine neue Erfindung“. Die Heilsamkeit von Heteroflexibilität habe sich schon früh erwiesen: Ward nennt jene Männer (sie spricht von den USA), die nach dem Zweiten Weltkrieg unter Posttraumatischer Belastungsstörung litten: „Sie hatten den Krieg überlebt, weil sie mit anderen Männern intim gewesen waren.“
Ward meint also, ein bißchen Homo-Gehampel verweise nicht auf Homosexualität. Ihre Interviewpartnerin sekundiert ihr mit Verweis auf all die Heteromänner, die heute auf Parties „liebevoll“ knutschen, während die Frauen „vergnügt und wohlwollend zuschauen.“
Ich frage mich erneut, wer lebt in einer Sonderwelt? Sie? Ich? Bin ich vergreist, weil ich solche Parties nicht kenne?
Ward weiter:
Aber es ist unwahrscheinlich, daß jeder Mann, der jemals einem anderen den Finger in den Po gesteckt hat, schwul ist. Nein, diese Rituale sind einfach feste Bestandteile der maskulinen Institutionen geblieben.
Ich habe eine paar Leute gefragt (zugegeben, niemanden aus den USA), die sich als Soldaten, Burschenschafter oder Ministranten ein wenig mit „maskulinen Institutionen“ auskennen: Keiner wollte eingestehen, je einen Finger in den Po eines anderen Mannes gesteckt zu haben.
Frage: Sind deutsche Männer verklemmt oder verlogen?
Ward behauptet, die männliche Heteroflexibilität beginne früh, nämlich mit dem allseits bekannten Phänomen, „daß kleine Jungen so tun, als würden sie sich gegenseitig bumsen, um sich hinterher gegenseitig zu verspotten“. Puh. Hier haben wir es, was mich betrifft, offenkundig mit familiär übergreifendem Sexismus zu tun. Mein Sohn hat nie so getan, als würde er andere Jungs „bumsen“… und mein Mann? Hat es sicher nur verdrängt.
Aber weiter im O‑Ton:
Interviewende Journalistin: Sie sprechen hauptsächlich von Sex zwischen weißen Männern. Was ändert sich, wenn farbige Männer involviert sind?
JW: Nicht viel, außer die Art und Weise, wie Wissenschaftler, Journalisten, die Öffentlichkeit sich dazu äußern. Die Interpretation ist eine andere, dieser Sex wird dann aus rassistischer Perspektive betrachtet. Wenn weiße Männer überraschende sexuelle Verhaltensweisen an den Tag legen, fragt niemand, was das mit ihrem Weißsein zu tun hat. Es handelt sich lediglich um eine interessante Sexpraktik. Wenn schwarze Männer dieselbe Sache tun, heißt es: „Oha, was stimmt denn nicht mit dem Schwarzsein, daß die so was tun?“ Das Vorurteil ist jahrhundertealt und lautet: Die gefährliche Sexualität haben die anderen.
Journalistin: Das kennt man auch in Deutschland vom Umgang mit Einwanderern.
Lassen wir den beiden Ladies auch noch das Schlußwort:
Journalistin: Wie würde eine ideale Welt für Sie aussehen?
JW: Meiner Meinung nach wird das Leben miteinander besser und lustiger, je mehr sexuelle Identitäten es gibt. In einer perfekten Welt wären all diese Identitäten feministisch.
Na klar. Vor allem „lustig“. Ein Journalist hat mich gerade gefragt, warum die Rechten so humorlos seien. Jetzt weiß ich’s wieder. Obwohl – eigentlich muß ich gerade lachen.
8.6.2017 – Nach dem familiären Abendgebet und einer stillen Reueminute gibt es bei uns immer die Runde „Mein Schönstes heute“. Was gibt´s da zu erzählen? Spielen mit den Kaninchenbabies, Zwei in Mathe, Lindenblüte etc. Heute mein Schönstes, zumal in einem Landkreis voller Barbaren: In dieser Woche wurden allumfassend Seitenstreifen gemäht. Auf der Bundesstraße, auf den Feldwegen. Das ist stets so sinnvoll wie schade. Aber heute: Auf der B 180 am Rande alles abrasiert. Jedoch: Hier war ein Poet am Werk. Die Klatschmohninseln hat er stets ausgespart. Ich heule nie, aber jetzt… beinahe.
Der_Jürgen
Ich würde Ellen Kositza ja gerne die Freude machen, diesen Beitrag als "Mein Schönstes heute" zu rühmen, auch wenn der Tag noch jung ist. Leider kann ich es nicht. Wie kann man einen so tiefen Blick in die grausen Abgründe des BRD-Wahnsinns tun und dabei so heiter und gelassen bleiben wie die Ellen? Ich bin zwar deutlich älter als sie, habe diese Stufe an Abgeklärtheit aber noch nicht erreicht und werde sie vermutlich nie erreichen.