Das Berliner Bekenntnis

Bekenntnisse haben zum einen eine religiöse, zum anderen eine juristische Bedeutung:...

Lutz Meyer

Lutz Meyer kommt aus der linksanarchistischen Szene, seine Themen findet er auf der Straße.

Man bekennt sich zu einem Glau­ben, man bekennt sich zu einer Schuld. Doch ob die Con­fes­sio­nes des Augus­ti­nus, das Augs­bur­ger Bekennt­nis von 1530 oder heu­ti­ge Bekennt­nis­se nach, sagen wir mal, Ber­li­ner Art: Stets geht es auch und vor allem um Machtfragen.

Heu­ti­ge Bekennt­nis­se nach Ber­li­ner Art wer­den nicht mehr nur frei­wil­lig und in vor­aus­ei­len­dem Gehor­sam abge­ge­ben, son­dern von den Mei­nungs­füh­rern der Zivil­re­li­gi­on in Poli­tik und Leit­me­di­en auch vehe­ment ein­ge­for­dert. Ob Kli­ma­wan­del, Ener­gie­wen­de, ewi­ge Schuld der Deut­schen, Mas­sen­zu­wan­de­rung, die viel­be­schwo­re­nen Grund­wer­te des Wes­tens oder sons­ti­ge Alter­na­tiv­lo­sig­kei­ten: Wer sich dem Bekennt­nis­zwang ent­zieht oder gar eine ratio­nal wohl­be­grün­de­te abwei­chen­de Mei­nung ver­tritt, sieht sich schnell in die Zeit der mit­tel­al­ter­li­chen Ket­zer- oder früh­neu­zeit­li­chen Hexen­ver­fol­gung zurückversetzt.

Es dro­hen Bann, Dau­men­schrau­ben und Schei­ter­hau­fen – letz­te­re hier­zu­lan­de und der­zeit nur im meta­pho­ri­schen Sin­ne, doch der Wil­le, den Wider­spre­chen­den wenn nicht phy­sisch, so doch sozi­al rest­los zu ver­nich­ten, ist auch hier gren­zen­los. Die Macht­fra­ge ver­bin­det sich bekannt­lich immer auch mit der Moral­fra­ge. Moral ver­leiht dem, der sie auf sei­ner Sei­te weiß, ein gutes Gewis­sen, immense Durch­set­zungs­en­er­gie und damit den nöti­gen Rücken­wind. Nichts aber ent­facht das Feu­er am Schei­ter­hau­fen so schnell wie ein sol­cher Rücken­wind mora­li­scher Begeisterung.

Der Hin­weis auf die Moral ist des­halb so wich­tig, weil sie stets dort vor­ge­bracht wird, wo es an guten Argu­men­ten fehlt – als gute Argu­men­te soll­ten wir nur jene gel­ten las­sen, die sich nach den Regeln der Logik und dem vor­ur­teils­frei­en Befund der Tat­sa­chen behaup­ten kön­nen. An der Durch­set­zung der Moral gegen­über den Tat­sa­chen des Lebens wird seit Jahr­zehn­ten eif­rig und durch­aus sub­til gear­bei­tet. Ein wesent­li­cher Mei­len­stein etwa war die Ein­füh­rung der soge­nann­ten sozia­len oder emo­tio­na­len Intel­li­genz als Gegen­ge­wicht zum als tech­no­kra­tisch gel­ten­den her­kömm­li­chen Intelligenztest.

Sozi­al oder emo­tio­nal intel­li­gent ist der­je­ni­ge, der weiß, wie er sich gegen­über ande­ren in bestimm­ten Situa­tio­nen zu ver­hal­ten hat. Die­ses Wis­sen ent­springt kei­nem a prio­ri, son­dern ist das Ergeb­nis einer früh ein­set­zen­den Erzie­hung. Man könn­te auch sagen: Sozi­al oder emo­tio­nal intel­li­gent ist der­je­ni­ge, der über das hin­ge­hal­te­ne Stöck­chen zu sprin­gen weiß, ohne lan­ge dar­über nach­zu­den­ken zu müs­sen. Er tut es intui­tiv, so wie man sich auf einer tech­ni­schen Benut­zer­ober­flä­che zurechtfindet.

Im Gegen­satz zur Intui­ti­on ste­hen die Instink­te. Sie sind älter und die­nen vor allem der Gefah­ren­ab­wehr – einer Abwehr von Gefah­ren, die von jenen geleug­net wer­den, die eine Erzie­hung zur sozia­len oder emo­tio­na­len Intel­li­genz betrei­ben. An die­ser Stel­le möch­te man sich auf Dis­kus­sio­nen gar nicht erst ein­las­sen. Man kürzt die Sache des­halb ab und for­dert – ein Bekenntnis.

Die Fra­ge ist nun, wie wir als noto­risch Bekennt­nis­un­wil­li­ge uns ver­hal­ten soll­ten. Set­zen wir dem ein­fach nur ein ande­res, ein über­lie­fer­tes Bekennt­nis etwa zu Gott, Volk und Vater­land ent­ge­gen und bege­ben uns damit auf das Niveau eines Glau­bens­krie­ges oder gehen wir den Weg der Auf­klä­rung und zei­gen bei­spiels­wei­se, daß die soge­nann­ten Grund­wer­te des Wes­tens nichts wei­ter sind als Taschen­spie­ler­tricks der Globalisierungsprofiteure?

Zu bei­den Mög­lich­kei­ten gibt es leb­ba­re Ansät­ze. Je nach­dem, wie wir uns ent­schei­den, wird die Ant­wort der Anhän­ger des Ber­li­ner Bekennt­nis­ses aus­fal­len: Tra­di­tio­na­lis­ten las­sen sich leicht in die Ecke der Abge­häng­ten und nicht wei­ter ernst zu neh­men­den Ewig­gest­ri­gen abdrän­gen. Auf­klä­rer hin­ge­gen sind seit jeher gefähr­lich, ihnen muß man mit der Macht höhe­rer Mora­li­tät ent­ge­gen­tre­ten. Doch was, wenn die Waf­fen der Moral immer schnel­ler abstump­fen? Die Cau­sa Sie­fer­le war, was das Stumpf­wer­den angeht, gera­de­zu ein Säurebad.

Lutz Meyer

Lutz Meyer kommt aus der linksanarchistischen Szene, seine Themen findet er auf der Straße.

Nichts schreibt sich
von allein!

Das Blog der Zeitschrift Sezession ist die wichtigste rechtsintellektuelle Stimme im Netz. Es lebt vom Fleiß, von der Lesewut und von der Sprachkraft seiner Autoren. Wenn Sie diesen Federn Zeit und Ruhe verschaffen möchten, können Sie das mit einem Betrag Ihrer Wahl tun.

Sezession
DE58 8005 3762 1894 1405 98
NOLADE21HAL

Kommentare (8)

Thomas S.

22. Juni 2017 21:17

Man sollte die Moral nicht der anderen Seite überlassen. Eine Moral, die sich darin äußert die Wirklichkeit nicht wahrnehmen zu wollen, ist eben eine falsche Moral. Außerdem beantwortet ein Blick auf die Tatsachen alleine die wichtigsten Fragen noch nicht, denn dafür muss man diese Tatsachen in Bezug auf Ziele setzen, und die sind mit der Vernunft nicht begründbar.

Das Ziel etwa, die eigene Heimat an seine Kinder weitergeben zu wollen, ergibt sich nicht aus irgendwelchen beobachtbaren Tatsachen, sondern daraus Teil einer guten Ordnung der Dinge zu sein die man sich nicht selbst ausgedacht hat und an der man auch nichts ändern kann. Die Vernunft braucht man erst in zweiter Linie, um innerhalb dieser Ordnung die richtigen Entscheidungen zu treffen.

Das Problem der anderen Seite ist m.E. nicht, dass sie unvernünftig wäre, sondern dass sie entweder keine Vorstellung mehr von dieser Ordnung der Dinge hat oder sie bekämpft und dabei ihre Vernunft sehr geschickt einsetzt, allerdings für destruktive Zwecke. Angefangen hat das aber alles mit der Vorstellung, dass man ohne die Annahme von Absolutheiten auskommen könnte, die über dem Menschen stehen, und sich alleine auf die Vernunft verlassen könne.

Rufus Salamander

23. Juni 2017 00:08

Sehr geehrter Herr Meyer,

ich für meinen Teil sehe mich auf keinen Fall als "Bekenntnisunwillig".

Der von Ihnen beschriebene "Bann" ist aber leider die Realität und so bleibt zumindest - Stand heute - eine gewisse Diplomatie gemäß der Leitlinie 
"Sage immer die Wahrheit, aber die Wahrheit nicht immmer" 
für einen in der Öffentlichkeit stehenden Familienvater von 3 Kindern die zwingend erforderliche Notwendigkeit.

Aber in Analogie dazu wie Fredmund Malik mit "Führen von unten" die bewusste, offenkundige oder auch subtile, gezielte Einflussnahme von Mitarbeitern auf deren Vorgesetzte propagiert, so können wir uns auch aus der - heute noch - leider nötigen Deckung bekennen: zu deutschen Denkern, zu deutschen Errungenschaften aller Art und unsere Tugenden (Fleiß, Pünktlichkeit, Klarheit, Ordnung, Zuverlässigkeit, Gewissenhaftigkeit) als Vorbild vorleben, in den Alltag implementieren und damit auch weitergeben.

Auch das ist eine Form der Bekenntnis.

Der_Jürgen

23. Juni 2017 03:01

Ein kurzer, aber sehr fundierter Beitrag. Lutz Meyers Frage lautet, ob wir uns durch ein Bekenntnis zu Gott, Volk und Vaterland auf einen Glaubenskrieg einlassen oder uns damit begnügen sollen, die Verlogenheit der vom System propagierten "Werte", die in der Tat bloss "ein Taschenspielertrick der Globalisierungsprofiteure" sind, aufzudecken.

Ich habe mir diese Frage auch schon durch den Kopf gehen lassen und mit Freunden darüber diskutiert. Die Antwort lautet: Beides, je nachdem, mit wem man es zu tun hat und ob man kurzfristig oder langfristig plant.

Einen Linksgrünen kann man - immer vorausgesetzt, er ist überhaupt zu einer Debatte bereit - in tödliche Verlegenheit bringen, indem man ihn fragt, warum er, der er doch für Laizismus, Feminismus, Abtreibung, Schwulenrechte etc. eintritt, denn eine uferlose Zahl von Menschen ins Land holen will, die aufgrund ihrer islamischen Religion nichts von diesen "Werten" und "Errungenschaften" wissen wollen und sie, kämen sie an die Macht, mitsamt ihren Trägern flugs ausrotten würden.  

Für einen PI-Mann oder einen Libertären ist dieses Argument vielleicht schon ausreichend. Es geht ihm ja nicht um "Gott, Volk und Vaterland", sondern nur darum, die Islamisierung zu stoppen (gegen die Zuwanderung von Millionen Hindus aus Indien hätte er vermutlich nichts). Ein authentischer Nationalist oder Identitärer kann sich, wiewohl auch er selbstverständlich die Islamisierung ablehnt, damit nicht zufriedengeben.

Er will die ethnische Substanz seines Volkes erhalten und wünscht deshalb auch keine Massenzuwanderung von Hindus, obwohl diese keine Terroranschläge begehen und vermutlich zehnmal weniger oft kriminell werden als die Muslime. Er will nicht nur gegen etwas sein, sondern auch für etwas, aber ganz gewiss nicht für die "modernen Werte".

Gott, Volk und Vaterland ist in der Tat die Losung, unter der es zu marschieren gilt. Statt "Gott" kann der Kulturchrist natürlich mit Alexander Gauland "die christlich geprägte abendländische Zivilisation" sagen, und der Neuheide darf, wenn er will, dabei an Zeus oder Odin denken. Auch er ist ein Gegner des zerstörerischen Materialismus und darum unser Verbündeter.

Wenn der Untergang des Abendlandes verhindert werden soll, geht dies letztlich nur durch ein Bekenntnis zu traditionellen Werten. Der Kulturkrieg, der Glaubenskrieg, wird nicht zu vermeiden sein. Der libertäre Approach ("Aber die Muslime sind doch gegen die Emanzipation und gegen die  Demokratie und gegen Schwule, Lesben und Juden") mag als provisorisches Notargument zur Erschütterung linker Gewissheiten taugen, ist langfristig jedoch unbrauchbar. Auf dieser Ebene sollen Alice Weidel und Michael Stürzenberger argumentieren und der AFD damit Stimmen einbringen, die sie für den Einzug in den Bundestag braucht.

Wer höhere Ziele hat als den (natürlich höchst wünschenswerten) Einzug der AFD in den Bundestag, wird den Kampf nicht auf dieser Ebene führen können.

Dieter Rose

23. Juni 2017 11:07

man bringt einen Linksgrünen mit dieser Frage nicht in Verlegenheit "Mitmenschlichkeit ist das Wichtigste, dann kommt auch das Verständnis für unsere "Werte"!"

Curt Sachs

24. Juni 2017 11:16

Ich bekenne mich zu den Argumentationen Herrn S. und Herrn Roses.

In der Tat kennt man auf linker Seite (also bis in die CDU hinein) weithin eingeübte Rationalisierungen der Art, dass man behauptet, wenn die Zuwanderer erst einmal hier seien, würden sie etwa durch Bildung und durch unseren gesellschaftlich liberalen Alltag schon zu "unserer" Denkungsart hinaufgezogen. Deshalb sei Akzeptanz der Zugewanderten so wichtig, damit sie sich angenommen fühlten und sich der "aufnehmenden" Gesellschaft zuwendeten. Nur daraus könne dann "Integration" entstehen.

Herr S. weist auf den grundlegenden Umstand hin, dass die Vernunft nur Werkzeug ist, die Ziele, zu dessen Erreichung auch der Verstand eingesetzt wird, aber schon gesetzt sind, und zwar ontisch, voraufklärerisch.

Nautilus

25. Juni 2017 01:25

leider bringt man Linksgrüne mit diesen Fragen nicht in Verlegenheit. Ich habe ihm dieselbe Frage auch gestellt, die Antwort war, dass Muslime überhaupt nicht so sind. Nein mit solchen Typen kann man nicht reden, völlig sinnlos. Ihre Utopie ist grösser als der normale Verstand, wenn sie ihn noch besitzen.

Der_Jürgen

25. Juni 2017 10:28

@Nautilius @Dieter Rose @Curt Sachs

Wenn Sie recht haben - und da Sie vermutlich sehr viel mehr Diskussionserfahrung mit Linksgrünen besitzen als ich, ist dies wohl so -, ist ein Dialog mit diesen Leuten so unmöglich wie der zwischen einem Eskimo und einem Zulu, von denen jeder nur seine eigene Sprache kann. Dann muss die Auseinandersetzung in der Tat mit anderen Mitteln erfolgen.

Zu den "Linksgrünen" kann man natürlich auch die CDU-Führung zählen; im Fussvolk dieser Partei wird man wohl anders denken, auch wenn man sogar dort so gehirngewaschen ist, dass man es nicht wagt, in der Wahlkabine, wo einem keiner zuschaut, sein Kreuz bei einer Rechtspartei zu mchen.

Hartwig aus LG8

25. Juni 2017 18:16

Ein Tipp für das alltägliche Gelaber:

Diskutieren Sie nicht mit Linken! Wenn Ihnen der Kamm schwillt, dann schmettern Sie ein Statement in den Raum. Aber verweigern Sie jede Debatte. Das erfordert ein wenig Disziplin, weil Sie ja die besseren Argumente auf Ihrer Seite haben - die Sie auch gern kundtun möchten. Tun Sie's dennoch nicht. Ein Statement - und sich entziehen!

Ich wähle AfD, - als das kleinere Übel.

Ich bin gegen Einwanderung. Punkt.

Deutschland den Deutschen; ja wem denn auch sonst?

u.s.w.

Ein Linker wird immer das Gefühl haben, Ihnen 'ein Podium geboten zu haben', wenn Sie ihm die Chance des geschwätzigen Widerspruches nehmen.

 

Für diesen Beitrag ist die Diskussion geschlossen.