Man bekennt sich zu einem Glauben, man bekennt sich zu einer Schuld. Doch ob die Confessiones des Augustinus, das Augsburger Bekenntnis von 1530 oder heutige Bekenntnisse nach, sagen wir mal, Berliner Art: Stets geht es auch und vor allem um Machtfragen.
Heutige Bekenntnisse nach Berliner Art werden nicht mehr nur freiwillig und in vorauseilendem Gehorsam abgegeben, sondern von den Meinungsführern der Zivilreligion in Politik und Leitmedien auch vehement eingefordert. Ob Klimawandel, Energiewende, ewige Schuld der Deutschen, Massenzuwanderung, die vielbeschworenen Grundwerte des Westens oder sonstige Alternativlosigkeiten: Wer sich dem Bekenntniszwang entzieht oder gar eine rational wohlbegründete abweichende Meinung vertritt, sieht sich schnell in die Zeit der mittelalterlichen Ketzer- oder frühneuzeitlichen Hexenverfolgung zurückversetzt.
Es drohen Bann, Daumenschrauben und Scheiterhaufen – letztere hierzulande und derzeit nur im metaphorischen Sinne, doch der Wille, den Widersprechenden wenn nicht physisch, so doch sozial restlos zu vernichten, ist auch hier grenzenlos. Die Machtfrage verbindet sich bekanntlich immer auch mit der Moralfrage. Moral verleiht dem, der sie auf seiner Seite weiß, ein gutes Gewissen, immense Durchsetzungsenergie und damit den nötigen Rückenwind. Nichts aber entfacht das Feuer am Scheiterhaufen so schnell wie ein solcher Rückenwind moralischer Begeisterung.
Der Hinweis auf die Moral ist deshalb so wichtig, weil sie stets dort vorgebracht wird, wo es an guten Argumenten fehlt – als gute Argumente sollten wir nur jene gelten lassen, die sich nach den Regeln der Logik und dem vorurteilsfreien Befund der Tatsachen behaupten können. An der Durchsetzung der Moral gegenüber den Tatsachen des Lebens wird seit Jahrzehnten eifrig und durchaus subtil gearbeitet. Ein wesentlicher Meilenstein etwa war die Einführung der sogenannten sozialen oder emotionalen Intelligenz als Gegengewicht zum als technokratisch geltenden herkömmlichen Intelligenztest.
Sozial oder emotional intelligent ist derjenige, der weiß, wie er sich gegenüber anderen in bestimmten Situationen zu verhalten hat. Dieses Wissen entspringt keinem a priori, sondern ist das Ergebnis einer früh einsetzenden Erziehung. Man könnte auch sagen: Sozial oder emotional intelligent ist derjenige, der über das hingehaltene Stöckchen zu springen weiß, ohne lange darüber nachzudenken zu müssen. Er tut es intuitiv, so wie man sich auf einer technischen Benutzeroberfläche zurechtfindet.
Im Gegensatz zur Intuition stehen die Instinkte. Sie sind älter und dienen vor allem der Gefahrenabwehr – einer Abwehr von Gefahren, die von jenen geleugnet werden, die eine Erziehung zur sozialen oder emotionalen Intelligenz betreiben. An dieser Stelle möchte man sich auf Diskussionen gar nicht erst einlassen. Man kürzt die Sache deshalb ab und fordert – ein Bekenntnis.
Die Frage ist nun, wie wir als notorisch Bekenntnisunwillige uns verhalten sollten. Setzen wir dem einfach nur ein anderes, ein überliefertes Bekenntnis etwa zu Gott, Volk und Vaterland entgegen und begeben uns damit auf das Niveau eines Glaubenskrieges oder gehen wir den Weg der Aufklärung und zeigen beispielsweise, daß die sogenannten Grundwerte des Westens nichts weiter sind als Taschenspielertricks der Globalisierungsprofiteure?
Zu beiden Möglichkeiten gibt es lebbare Ansätze. Je nachdem, wie wir uns entscheiden, wird die Antwort der Anhänger des Berliner Bekenntnisses ausfallen: Traditionalisten lassen sich leicht in die Ecke der Abgehängten und nicht weiter ernst zu nehmenden Ewiggestrigen abdrängen. Aufklärer hingegen sind seit jeher gefährlich, ihnen muß man mit der Macht höherer Moralität entgegentreten. Doch was, wenn die Waffen der Moral immer schneller abstumpfen? Die Causa Sieferle war, was das Stumpfwerden angeht, geradezu ein Säurebad.
Thomas S.
Man sollte die Moral nicht der anderen Seite überlassen. Eine Moral, die sich darin äußert die Wirklichkeit nicht wahrnehmen zu wollen, ist eben eine falsche Moral. Außerdem beantwortet ein Blick auf die Tatsachen alleine die wichtigsten Fragen noch nicht, denn dafür muss man diese Tatsachen in Bezug auf Ziele setzen, und die sind mit der Vernunft nicht begründbar.
Das Ziel etwa, die eigene Heimat an seine Kinder weitergeben zu wollen, ergibt sich nicht aus irgendwelchen beobachtbaren Tatsachen, sondern daraus Teil einer guten Ordnung der Dinge zu sein die man sich nicht selbst ausgedacht hat und an der man auch nichts ändern kann. Die Vernunft braucht man erst in zweiter Linie, um innerhalb dieser Ordnung die richtigen Entscheidungen zu treffen.
Das Problem der anderen Seite ist m.E. nicht, dass sie unvernünftig wäre, sondern dass sie entweder keine Vorstellung mehr von dieser Ordnung der Dinge hat oder sie bekämpft und dabei ihre Vernunft sehr geschickt einsetzt, allerdings für destruktive Zwecke. Angefangen hat das aber alles mit der Vorstellung, dass man ohne die Annahme von Absolutheiten auskommen könnte, die über dem Menschen stehen, und sich alleine auf die Vernunft verlassen könne.