Es gibt immer Gründe. Als Mensch, der politisch derart im Fokus steht wie wir, ist das noch ein bißchen anders. Man könnte Seiten füllen darüber…
Viel Feind, viel Ehr, das ist leicht dahergesagt. Grob gesprochen: Es gibt Hasser, die einem egal sind. Andere, die man bemitleidet. Noch mal andere, in deren Haß man sogar ganz gern badet. Und solche, denen man sich gern erklären würde, weil sie offenkundig einem Mißverständnis aufsitzen.
In unserem regionalen Umfeld wohnen keine Leute, die sich gerne/gut artikulieren. Das führt dazu: Man kann schwer abschätzen, was es bedeutet, wenn ein Gruß nicht erwidert wird. Zufall oder Zeichen?
Heute wurde mir eine eher schmerzhafte Sache ins Gedächtnis gerufen. Es gab da eine Lehrerin in der Grundschule unserer Kinder. Wir kannten keine bessere. Dieser Beruf war für sie Berufung. Es herrschte eine Art Totalvertrauen in sie. Es gab auch ein wenig privaten Austausch, so sehr mochten wir sie, und sie mochte unsere Kinder und förderte sie nach Kräften – so tat sie es bei allen Kindern. Ein Segen! Sie war rührend. Sie hatte auch ein Herz für Tiere. Ich erinnere mich noch gut an diese Initiativen, für die sich einsetzte. Die Ideen dafür hatte sie sicher aus bunten Blättchen: Sie setzte sich für malträtierte Tanzbären in Rußland ein und für Streunerkatzen. Unsere Kinder hatte dieses Engagement sehr beeindruckt. Wir haben’s unterstützt.Seit längerem ist sie pensioniert. Wenn ich Frau F. in den letzten Jahren zufällig sah, fiel der Gruß knapp aus. Es fehlte die Gelegenheit, nachzufragen.
Vor knapp zwei Jahren dann fand die erste Antifa-Demo in Schnellroda gegen die Akademie des Instituts für Staatspolitik statt. Es marschierte der Schwarze Block der Antifa auf und ein weiteres Dutzend städtischer Bürger, deren Gesichter uns fremd waren. Eine sympathische, bekanntermaßen linke Familie aus unserem Dorf lief damals auch mit, sowie zwei Einzelpersonen aus Schnellroda. Und: Frau F., jene Grundschullehrerin aus dem überübernächsten Nachbarort. War sie’s wirklich? Nein! Nein? Doch! Die Demo an sich war für uns damals ein tolles & lustiges Event, aber Frau F. darunter? Sollten wir sie mal ansprechen? Wir taten es nicht. Und zwar, um ihre Nerven zu schonen. Wir liebten sie ja immer noch und trotzdem. Es tat uns so leid.
Heute war ich als Elternvertreterin zur Versetzungskonferenz in der Grundschule geladen. Ich mußte ein paar Minuten im Flur warten. Dort hingen historische Photos aus den Anfängen der Grundschule. Es gibt ein paar Aufnahmen zu den DDRüblichen 1. Mai-Demos. Wen sehe ich, mehrfach? Unsere Frau F. Unterm Schild „Solidarität mit allen Völkern der Sowjetunion“, hinterm Schild „WIR PIONIERE FOLGEN!“. Die Gute, die Folgsame. Ich wär’ ihr nie bös. So sind die Menschen. Sie folgen. Oft sogar: die besonders Guten. Oft den Schlechten.
- Juni 2017
Meine Tochter trägt ein Kleid, das ich in ihrem Alter auch sehr gern getragen habe. Und noch besser: Ich hab diesen Sommerfummel von meiner Schwiegermutter geerbt. Als ich mal als junge Frau einen Fernsehauftritt hatte, trug ich dieses Kleid. Diese Fernsehsendung hab ich in sehr peinlicher Erinnerung. Mittlerweile kann ich das aber biographisch gut einordnen und drüber lächeln.
Ich erinnere mich – es ist über 20 Jahre her –, wie mich der Moderator vor der Sendung väterlich umarmte: „Ihr erster Dreh? Keine Sorge, wird phantastisch!“ Es sollte um die Neue Rechte gehen, mit mir trat mein damaliger Junge-Freiheit-Mitstreiter Manuel Ochsenreiter auf. (Ich glaub, der war damals nicht mal volljährig.) Ich weiß noch, wie komisch bockig die Tanten in der Maske zu mir waren. Sie fanden erstens mein Kleid, zweitens meine Frisur (einen locker geflochtenen Zopf) unmöglich. Ich hielt das damals tapfer aus und wollte nicht geschminkt werden. Bloß keine Mimikry!
Die erste Frage an mich vor laufender Kamera lautete dann sinngemäß, daß ich doch wohl Antisemitin sei. Damit hatte ich nicht gerechnet, wieso auch? Ich wollte, nein mußte, etwas über Auschwitz sagen. Gewiß nichts Dummes, aber es kam mir vor Aufregung nicht recht über die Lippen. Ich habe eine grobe Erinnerung: Ich erzähle über jüdische Schriftsteller, die ich liebe, und dann: „Auswitsch, pardon, Auswitsch, nein…“
Vollkommen lächerlich! Das VHS- Band, das meine Eltern damals aufgenommen hatten, trägt das ominöse Etikett „Länderjournal“.
Ich hatte nun den seltsamen Drang (hervorgerufen durch das Kleid der Tochter), dieses Dokument meinen Kindern vorzuführen. Habe ein VHS-Spielgerät ausgeliehen. Drauf konnten wir uns nun die Hochzeit meiner Eltern und einen TV-Bericht über mich als Austauschschülerin in Japan ansehen. Die Auswitsch-Kassette hingegen sendete nicht. Da ging nichts voran. Kein Bild, kein Ton, kein Hinweis. Und ich wär wirklich bereit gewesen. Allein um des Kleides willen.
- Juni 2017
Klassische Musik wird in unserem Haushalt mittelgroß geschrieben. Es wird soviel geredet, daß die Musik phasenweise leider zu kurz kommt. Immerhin haben sich die Kinder ihr Instrument nach Neigung (das heißt, durch das Hören bestimmter Musikstücke) ausgewählt. Die Kleinste (bislang Blockflötistin) möchte ich eigentlich in Richtung Trompete drängen. Mag ich, haben wir noch nicht. Allerdings hat das Nesthäkchen eine Neigung, die sie mit zwei Schwestern (damals, in dem Alter) teilt: Völlige Obsession von Dirigenten.
Ein richtiges Glotzophon hatten wir nie, aber gelegentlich läuft in der Küche der Rechner, der mir/uns schöne Musikstücke vorspielt. Es sind youtube-Aufnahmen, und die Kleine holt dort gern ihr Glotzbedürfnis nach. Interessant ist für sie immer nur der Dirigent. Ich glaube, sie geht nicht nach Klang. Dafür ist sie zu jung. Sie geht nach Majestät. Sie hat ein enormes Faible für Karajan. Manchmal dirigiert sie heimlich, ahmt dabei dies und das nach; von „Posen“ wird man bei Karajan nicht reden wollen.
Ich wunder mich ein bißchen. Warum sind es die Dirigenten, die faszinieren und nicht die sich ebenfalls hingebenden ersten Geigen, oft mit jähem Ausdruck? Oder die Percussionisten, die ewig ruhen und dann für Aufsehen sorgen? Von den Hörnern nicht zu reden!
Große Tochter: „Klar, der Dirigent als role model. Kenn ich. Liegt im Blut. Herrscherdrang, Bestimmenwollen, alles besser wissen. Der Entscheider sein.“ Oh. Gibt´s da nichts Positives im Dirigierwillen? „Wieso? Ist doch positiv.“
- Juni 2017
„Mama, anhalten!“- Wieso denn? „Na, weil… der Baum!“
Aah…! Ich erinnere mich, und zusätzlich erinnert mich die Tochter: „Weißt Du noch, vor ein paar Jahren? Wie Du stinksauer warst, weil sie diesen Baum gefällt haben? Und wie wir im Herbst zum Stumpf hingeradelt sind und Blumen gestreut haben?“
Oh ja, ich weiß das noch. Wenn sich Bäume über einer Straße die Kronen reichen, dann waren das Freunde, die uns Straßennutzer beschützten.
Dann haben Barbaren diesen einen freundlichen Baum abgesägt. Bestimmt aus sicherheitstechnischen Erwägungen. Sehr deutsch halt. Ich war so wütend. Das war tabula rasa!
Nach unserer Herbstbeerdigung anno dazumal war mir das traurige Baumschicksal entglitten, ich hatte es in mir beerdigt. Und nun: Wie es aussproßt! Meterhoch, bereits verzweigt! Hatte ich übersehen, die drei, vier Jahre zuvor. „Mein Schönstes“ heute.
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Der Gehenkte
Lehrerin: Das eine (Antifa-Marsch) aus dem anderen (die DDR-Demos) abzuleiten, ginge natürlich zu weit. Eingeimpfte Folgsamkeit mag durchaus eine Rolle spielen und gerade die ältere Lehrergeneration im Osten - ich kenne einige dieses Typus - hängen mitunter noch an der "guten alten Welt", wo man noch wußte, was gut und schlecht war und wo die ersten Kinder denen der übernächsten Generation noch so sehr ähnelten. Heute hingegen ist der Lehrerberuf für Ältere jedes Jahr eine neue Achterbahn - sie sind es letztlich, die lernen müssen: die rasanten Veränderungen und Moden und natürlich der drastische Niveauabfall und Disziplinverlust.
Diese Menschen haben oft eine Heidenangst von "rechts" und vor "Nazis". Sie sind nie dazu angeregt worden, diese Begriffe zu hinterfragen und lesen bis heute die immer gleichen Parolen. Ich erlebe das immer wieder, wenn Leute sich mit mir unterhalten, mir recht geben müssen und dann erschrocken begreifen: aber das hieße ja, daß ich AfD wählen muß oder daß man rechst ist - und dann wird auf den reset-Knopf gedrückt und man beginnt wieder von vorn. Sie haben die falschen Begriffe und die Begriffe sind tiefer verwurzelt als das unmittelbare persönliche Erleben und sie können tatsächlich nur durch sanftes und aufwendiges immer-wieder-Sprechen gelockert werden.
Baum: Das sind so die persönlichen Näheerlebnisse mit SR. Für mich ist der Baum und sein Umgang damit überhaupt die große und dialektische Metapher des Konservatismus. Nur Konservative können da mitleiden und umgekehrt: wer leidet, ist konservativ.