Wer bereits bestellt hat, möge sich bitte noch ein wenig gedulden: Der Nachschub ist in jedem Fall sichergestellt, die erste Ladung wird ab 26., die zweite ab dem 29. Juni ausgeliefert, und Vorbestellungen sind natürlich weiterhin direkt beim Verlag möglich. Bei amazon hält sich der Titel übrigens weiterhin auf Platz 1 – obwohl die Amis das Buch nicht direkt verkaufen!
Auch die Berichterstattung reißt nicht ab: Seit nunmehr über einer Woche schreiben die Feuilletons aller großen Zeitungen und Zeitschriften ihre Bestürzung voneinander ab und sind sich zumeist einig, daß man das Buch nicht gelesen haben muß (und besser auch nicht lesen sollte!), um darüber urteilen zu können – Christoph Schwennicke vom Cicero hat das sehr bildlich zum »Reizhirn-Syndrom« der Republik erklärt.
Mal wieder weit übers Ziel hinausgeschossen ist man allerdings in der Hamburger Ericusspitze. Im aktuellen Spiegel wirft sich die Redaktion auf ganzen drei Seiten vor der Leserschaft in den Staub, anstatt den “Skandal” über die Buchempfehlung Johannes Saltzwedels gelassen zu nehmen. Nun kennen die Mitarbeiter natürlich ihre Pappenheimer; ob der Angriff auf den eigenen Kollegen durch die stellvertretende Chefredakteurin Susanne Beyer, der etwa im Deutschlandfunk als »öffentliche Hinrichtung« bezeichnet wird, und die phrasenreiche Warnung vor dem verfemten Buch durch den Kulturredakteur Hammelehle aber nicht doch eher Leser verprellen wird?
Frank Böckelmann, Herausgeber der »Vierteljahresschrift für Konsensstörung« Tumult, in der Rolf Peter Sieferle noch bis kurz vor seinem Freitod publizierte, ist am heutigen Vormittag via Facebook mit einigen Anmerkungen zur “Causa Sieferle” an die Öffentlichkeit getreten. Wir dokumentieren seinen Text; auch Teilen und Verbreiten ist ausdrücklich erwünscht!
BEMERKUNGEN ZUR VERLEUMDUNG ROLF PETER SIEFERLES DURCH DEN „SPIEGEL“
von Frank Böckelmann
In der Causa „Finis Germania“ von Rolf Peter Sieferle wurde nun das höchstrichterliche Urteil gesprochen. „Es gibt keinen Zweifel“, bescheidet uns die stellvertretende Chefredakteurin des Spiegel, Susanne Beyer, nach „Lektüre“: „Das Werk ist rechtsradikal, antisemitisch, geschichtsrevisionistisch.“ Nun, ich habe das Werk Satz für Satz geprüft und gelange zu dem zweifelsfreien Befund, dass es nicht einmal in die Nähe von „Rechtsextremismus“ (ein vogelfreies Rätselwort), Antisemitismus und Geschichtsrevisionismus geraten ist. Jede Wette, dass Susanne Beyer nur die ihr als verdächtig avisierten Passagen gelesen hat, und diese erst dann, als das Urteil nach dem kühnen Eingriff Johannes Saltzwedels in das Sachbuch-Ranking und der gekränkten Abmahnung durch den Chefredakteur schon feststand.
Mit der Urteilsbegründung wurde der stellvertretende Kulturchef Sebastian Hammelehle betraut. Von ihm lässt sich lernen, wie man eine lästige Schrift verteufelt. Zunächst legt er nahe, Sieferle sei ein krypto-esoterischer Hitler-Bewunderer. Dann setzt er dem Werk eine Deutungsmaske auf: „Dies ist der zentrale Satz in diesem Buch – seine These: Die Deutschen sind die neuen Juden.“ Sieferle macht also die Deutschen zu den Hauptkriegsopfern – pervers!
Aber Sieferle hat nur schlicht registriert, dass aus dem Grauen von „Auschwitz“, dem unbestreitbaren industriellen Massenmord, in glaubensarmer Zeit ein heiligmäßiger Mythos für Deutschland, vielleicht für ganz Europa geformt worden ist, nämlich das Dogma von der Unvergleichlichkeit: „‘Auschwitz‘ ist zum Inbegriff einer singulären und untilgbaren Schuld geworden.“ (S. 65) Das bekommt seit Jahrzehnten jeder zu spüren, der den Holocaust in eine Dimension mit den Genoziden Stalins, Maos und Pol Pots stellt (um nur im 20. Jahrhundert zu bleiben) oder die Lehre von der Kollektivschuld eines ganzen Volkes ablehnt. Er wird des „Relativierens“ überführt, eines todsündenähnlichen Frevels.
Dass die Schuld an „Auschwitz“ unvergleichlich und untilgbar sei – das ist der Kern jener großen Erzählung. Noch präziser hätte es Sieferle nicht erläutern können. Dennoch lässt Hammelehle nicht vom Rufmord ab: Sieferle habe „Tatsachen als Mythen denunziert und damit die historischen Kategorien relativiert“. Auf diese Weise versuche er, „den Verlauf der Geschichte zu verschleiern und nachträglich infrage zu stellen“.
Von solchen Kulturjournalisten, solchen vorurteilsvollen und ränkereichen Täuschern, werden wir Woche für Woche über den Gang der Debatten um unsere Vergangenheit und die Bedeutung der Massenzuwanderung belehrt. Und immer noch Hunderttausende nehmen es ihnen ab.
Zugleich bestätigt Hammelehle, dass jener Mythos nach wie vor, obwohl die Welt eine ganz andere geworden ist, darüber entscheidet, was als „rechtsradikal“ gilt: „Entscheidendes Merkmal“ für eine rechtsradikale Position sei „die Haltung, die ein Autor zu den Verbrechen der NS-Zeit einnimmt“. Von ebendieser zähen Zuschreibung handelt Sieferles Text. Das heutige politische Gegeneinander gibt offenbar keinen Begriff für „rechtsradikal“ und „linksradikal“ mehr her. Grimmig lästert Sieferle: „Das Erste Gebot lautet: Du sollst keinen Holocaust neben mir haben.“ (S. 71)
Rolf Peter Sieferle wäre aber auch ohne das Votum eines Spiegel (!)-Redakteurs für Finis Germania ins Visier der Gesinnungswächter geraten. Denn Sieferle hat die heiligen Kühe der professionellen Schönredner unserer Zustände gleich dutzendweise geschlachtet: die Vorstellung von einer wildbewegten Parteienlandschaft (Sieferle: „fundamentaler Sozialdemokratismus“ im gesamten politischen Spektrum), die Gleichsetzung von Moderne und liberaler Demokratie, die gepriesene Individualisierung (in Gleichschaltung mündend), den Fortschrittsglauben, die „Zivilgesellschaft“. Mit solchen Botschaften kränkt Sieferle das Weltgefühl der tonangebenden Journalisten, die ihre Sache auf die „Vielfalt“, sprich: die unbegrenzte Austauschbarkeit der Orte, Herkünfte und Lebensweisen, gestellt haben. Von Sieferles Illusionslosigkeit sehen sich diese Journalisten insgesamt, wie eine politische Partei, angegriffen.
Journalisten sind Tagesglücksritter. Sie haschen nach beachtungsträchtigen Themen und versuchen, sie zu besetzen. Den Erfolg ihrer Arbeit messen sie weniger an der Reaktion der Leser als am Urteil und der Anerkennung ihrer Kollegen und Informanten. (Verstärkt gilt dies für die elektronischen Medien.) Journalisten haben gelernt, unter starkem Konsensdruck zu arbeiten und ihn als Freiheit auszulegen, und wissen, welch tiefe Stille sich um Abtrünnige herum ausbreitet. Man muss ihnen nicht erst sagen, was (noch) sagbar ist. Als Glücksritter wetten sie auf den Hype von morgen.
Sie wollen ja auch künftig dabei sein, und die Zukunft ist für sie die Zirkulationssphäre, sie sich ständig erweitert. Instinktsicher betreiben sie Entgrenzung – und sehen sich bei einem unverbindlichen Universalismus und Kosmopolitismus am besten aufgehoben. Darin wurzelt ihr typischer Zynismus, verbrämt mit Öffnungspathos. Denker wie Sieferle, die in die Menschheitsgeschichte und in die Weite blicken und infolgedessen am Fortschritt und am Gutmenschentum zweifeln, erregen ihre tiefe Abneigung, ja ihre Wut.
Viele Leser spüren, dass die meisten Journalisten heute die Rolle des objektiven Beobachters und neutralen Sachwalters aufgegeben haben und ihre Leserschaft belehren wollen. Das macht sie auch argwöhnisch gegen die Sieferle-Schelte. Wer aber Sieferle einmal neugierig gelesen hat, fasst Vertrauen zu diesem Universalgelehrten. Er spürt, dass Sieferle nicht dem Ressentiment und Revisionismus, sondern dem Erkenntnisdrang verfallen war. Die Diffamierung von heute presst seinen Namen ins Bewusstsein wachsender widerständiger Minderheiten. Sieferle wird, wenn die Werkausgabe seiner Schriften voranschreitet, in wenigen Jahren einem nach ungeschminkter Erkenntnis hungernden Publikum als einer der großen Denker unserer Zeit imponieren. Er hat den Rang von Kulturwissenschaftlern wie Rudolf Kassner und Eugen Rosenstock-Huessy, von Sozialphilosophen wie José Ortega y Gasset, Arnold Gehlen und Panajotis Kondylis und von Historikern wie Arnold J. Toynbee, Reinhart Koselleck und Christian Meier.
Nemo Obligatur
Meine Güte, soviel Bohei um ein sehr kurzes Büchlein...
Ich bin es übers Wochenende noch einmal in Ruhe durchgegangen. Es hat vier Kapitel, von denen das letzte aus kaum verständlichen Fragmenten besteht. Die ersten beiden sind pointiert erzählt, gehen aber inhaltlich nicht über das hinaus, was Martin Walser in der Paulskirche gesagt und Botho Strauß im Bocksgesang geschrieben hat und was Thilo Sarrazin oder Thorsten Hinz unablässig und ungefähr genauso stilsicher formulieren. Wenn es freilich stimmt, was man hier und da lesen konnte, dass nämlich die wesentlichen Teile in den mittleren(?) Neunzigern geschrieben wurden, muss man den Hut vor Sieferle insoweit ziehen, als er seiner Zeit (mit Ausnahme des Bocksgesang vielleicht) deutlich voraus war.
Die Presse ereifert sich indes vor allem über das dritte Kapitel ("Mythos VB"). Die Technik ist guterprobt: Aha, er hat "Jehova" gesagt! Dann wird nochmal genau nachgeschaut, wo man den Autor verkürzt oder entstellt zitieren kann, um ihm einen Strick zu drehen. Und so ist es dann auch gekommen, aber man nicht mehr mit der Reaktion des inzwischen geschulten "kleinen Lesers auf der Straße" gerechnet.
Antaios kann man zu viel Dummheit der angeblichen Info-Elite wohl nur gratulieren. Möge es noch viele tausendmal verkauft werden!
Was im Buch "Finis Germania" praktisch völlig fehlt sind das Scheitern der europäischen Einigungspolitik seit Errichtung der Währungsunion, ebenso die katastrophalen Folgen der Migrationspolitik. Zu letztem hat Sieferle bei Tumult sein m.E. eigentliches Meisterwerk veröffentlicht. Daran dürften sich Spiegel&Co. ebenfalls die Zähne ausbeißen... Aber vielleicht klappt der gleiche Trick ja noch einmal :-)