Zum einen soll die Kolumne nicht in das monotone Geplärr des Feuilletons einstimmen, weshalb gelegentlich allzu offensichtliche Kandidaten auf die hinteren Plätze verbannt wurden, andererseits gilt es, gerade bei unbekannteren Anwärtern darauf zu achten, nicht zu tief im selbstreferentiellen Substrat der subkulturellen Abgeschiedenheit zu graben, damit auch feinfühligere (Stil-)Blüten intellektuellen Nährstoff aus diesem Boden ziehen und gedeihen können.
Jedenfalls war es in der vergangenen Woche irgendwie so, daß einfach kein geeigneter Heros auftauchen wollte. Je näher das Wochenende rückte, desto fiebriger die Suche; nächtelange Recherche in japanischen Anime-Foren in der Hoffnung, es möge sich irgendwo aus dem Alltagsgrau ein Hektor oder ein Achill erheben, das tägliche Durchpflügen der Schlagzeilen, irgendwann beschämtes Fragen im Freundeskreis.
Als mir auch am Donnerstagabend immer noch kein Herkules über den Weg gelaufen war, faßte ich den Entschluß, selbst aktiv zu werden: Nicht ganz so kurzentschlossen, wie man das vielleicht vermuten mag, schloß ich mich einer Truppe verwegener Gesellen aus Halle an und zog am Samstagmorgen nach Berlin.
Der Plan:
Deutsches Sparta.
Der Mythos:
Roter Wedding – Deutsche Thermopylen.
Der Schlachtruf:
Europa, Jugend, Reconquista.
(Ein bißchen pathetisch, ich weiß, aber es gibt Leser, die sowas erwarten.)
Am Morgen des 17. Juni lagen Wolken über der Stadt, im Verlauf des Tages sollte sich ein herrlicher Frühsommernachmittag entfachen. 850 Menschen hatten sich am Bahnhof Gesundbrunnen im Berliner Wedding versammelt, die Stimmung war angespannt, aber gut. Im Schatten des nahegelegenen Humboldthaines wärmten sich die ersten Gegendemonstranten auf. Heran traute sich keiner, nur ein halbwüchsiger Osmane bat – sich fanatisch in den Schritt fassend – um eine orale Erleichterung, das Techtelmechtel blieb allerdings in Ermangelung silvesternächtlicher Rudeltätigkeit aus.
Besonders auffällig war jedoch die von Anfang an hohe Medienpräsenz. Sobald das Frontbanner in Bewegung war, trieb es quasi ununterbrochen einen Halbmond aus Fotografen, Journalisten und Fernsehteams vor sich her, der – mal höflich, mal weniger höflich – von den Ordnern darauf hingewiesen wurde, die Demonstration nicht zu behindern.
Die erste Antifa-Blockade ließ nicht lange auf sich warten, wurde jedoch zügig geräumt. Es schien fast, als hätte die Polizei im rot-rot-grün-gebeutelten Berlin beschlossen, die Konsequenzen aus der nächtlichen Randale in der Rigaer Str. zu ziehen. Wenige hundert Meter weiter bot sich der – ob der ausbleibenden Stein- und Bengalowürfe – friedlich vor sich hinfeiernden Masse der Demonstranten dann allerdings die Möglichkeit, eine kurze Ruhepause einzulegen.
Gleiches hatte nämlich der verantwortliche Einsatzleiter der Polizei gemacht, der sich für geschlagene anderthalb Stunden nicht blicken ließ und so sämtliche Kooperationsgespräche verunmöglichte. Die Stimmung blieb ungebrochen, auch die aus den umgekippten Hochhäusern herausbeleidigenden Migranten konnten keine Eskalation herbeiführen. Inzwischen hatte sich dann auch allerlei buntes Volk unter die “Pressevertreter” gemischt, vom Kartoffelexperten Manuel Gogos über linksextreme Recherchephotographen, die Porträtaufnahmen anfertigten, bis hin zu adipösen Antifas, die abermals ein erhöhtes Paarungsbedürfnis kommunizierten, war alles dabei.
Und trotzdem, keiner ließ sich ärgern, keinem platzte die Hutschnur, keiner vermummte sich – die linken Nasenbären, Glotz-Auguste und Horch-Ottos konnten in Ruhe ihren Job machen. Das ist überhaupt so ein Selbstbewußtsein, das sich in den letzten Jahren wieder sehr stark entwickelt hat: Die Menschen gehen auf Demonstrationen, um ihr Gesicht zu zeigen, und nicht, um sich zu verstecken.
Der restliche Tagesverlauf wird den meisten SiN-Lesern vermutlich bekannt sein: Als immer klarer wird, daß die Polizei nicht bereit ist, die Blockade in einem hinnehmbaren Zeitrahmen zu räumen, erklärt der Veranstaltungsleiter die Demonstration für beendet, Unmut macht sich breit, spontan raffen Aktivisten das Frontbanner zusammen, weitere Demonstranten schließen sich an, eine Polizeikette wird friedlich, aber bestimmt durchflossen und zurückgedrängt, 200 Meter weiter kommt der Zug zum Stehen, ordnet sich und zieht schließlich zurück zum Bahnhof.
Fazit: Keine verletzten Polizisten oder Demonstranten, eine Handvoll Aktivisten, die sich die abgeholten Beulen beim anschließenden Ausklang grinsend mit einem eiskalten Pils kühlten, und eine Demonstration, welche sich in voller Mannstärke solidarisch hinter die jungen Heißsporne stellte, die mit ihrem Ausbruch die Stimmung gerettet hatten. Noch am Bahnhof bretterten die Parolen über die Bahnsteige, eine Handvoll Linksextremisten wollte provozieren und wurde ausgelacht, mitten durch die die Treppen herabströmenden Demonstranten hilft ein Aktivist einer jungen Frau, ihren Kinderwagen gegen den Strom nach oben zu tragen.
Weil bis jetzt keine eigentliche Person zur Ehrenrunde antreten darf, gehen noch ein paar besondere Grüße raus an:
- die Antifa-Photographen Theo Schneider und Simon Telemann, die dafür sorgen, daß uns niemals die Profilphotos ausgehen;
- die charmante Dame, die sich im Lokal als Sonntagsheld-Fan outete und mir die Schamesröte ins Gesicht trieb;
- die Zwei-Meter-Kante von einem Polizisten, der zwar das Vorbeifließen der Aktivisten nicht verhindern konnte, dafür aber auf verlorenem Posten die Stellung hielt und ordentlich ausgeteilt hat;
- meine SiN-Kollegen Martin Sellner und Konstantin Poensgen, die ebenfalls vor Ort waren;
- Jerome Trebing, das treueste Groupie der Identitären Bewegung;
- Julia Spacil, die mir auch dieses Mal kein Lächeln schenkte; den uniformierten Sozialarbeiter, der am Lautsprecher des Polizeiautos saß, welches uns zum Bahnhof geleitete, und der uns mit der Zärtlichkeit eines Waldorfpädagogen einen schönen Ausklang des Abends wünschte.
Monika L.
Ihr seid tatsächlich Helden ! Ihr seid Popstars und Postergirls. Ihr zeigt Gesicht und redet mit jedem Journalisten. Eure Bildproduktion ist einfach klasse ! Das irritiert all jene, die kein Gesicht zeigen und Scheißbilder produzieren:
https://blog.zeit.de/stoerungsmelder/2017/06/19/von-postergirls-und-dunklen-rittern-wie-man-ueber-die-neue-rechte-schreiben-sollte-und-wie-nicht_23988
Inzwischen habe ich mich schon des öfteren bei dem Gedanken ertappt, wenn ich einen jungen Menschen in der analogen Welt sehe, der offen, freundlich, gut gekleidet daherkommt: Der könnte bei den Identitären sein. Das ist mir in zwei Wochen dreimal passiert. Ich fasse es nicht: Die Identitären sind kein Internetphänomen. Die sind echt !