zwischen den politischen Lagern allein möglich wäre. Wenn wir diese Rahmenbedingungen nicht akzeptierten, verschwänden wir für ihn in einer fremden Welt, die nicht mehr anschlußfähig an vernünftiges Denken wäre, dann gäbe es keine Diskussionsbasis mehr.
Rahmenbedingungen einer streitlustigen Koexistenz mit Rechten. Gegen totale Geschichtsvergessenheit.
- Teilen oder zumindest Verstehen des hellen Entsetzens, das die Untaten deutscher Frauen und Männer, begangen in der Wehrmacht, in Polizeieinheiten, Verwaltung, SS und anderen Organisationen der Nazis 1933–1945, bis heute in meiner Generation auslöst.
- Kenntnisnahme der Forschungsergebnisse der Holocaust-Forschung, des Ausmaßes des Massenmords. Respekt vor den Aktionen des Widerstands von Nationalkonservativen, Kommunisten und Christen im 3. Reich.
- Wissen um das Fortleben der Funktionselite des 3. Reichs, besonders in Justiz, Verwaltung, Medizin und Ministerialbürokratie bis in die 60er Jahre. Einverständnis mit der Notwendigkeit der Aufklärung dieser Zeit.
- Vernünftiger Austausch über Fehler der 68er in der Einschätzung des Staats, in der Beurteilung der Sowjetunion und Chinas, in der Verachtung der Nationalkonservativen.
- Abweisung aller Möglichkeiten von ethnischen Säuberungen oder Strategien, die darauf hinauslaufen. Eindeutige Distanz zum Rassismus.
Über Probleme der Staatsbürgerschaft, Grenzen, Globalisierung, Migration, „Überfremdung“ und Heimat, über Ungarn, Polen und Trump läßt sich streiten, ebenso über den Kapitalismus, sofern er allem zugrundeliegt. Klarheit über die zentrale Rolle der Sozialen Frage.
„Ihr Rechten denkt doch vollkommen unhistorisch!“ hörte ich immer wieder als Vorwurf von H. und wunderte mich. Ich hielt ihm Manfred Kleine-Hartlages Unterscheidung entgegen, derzufolge Rechte aus der Geschichte und Linke aus der Zukunft heraus dächten, so daß es doch höchst seltsam wäre, ausgerechnet uns Geschichtsvergessenheit vorzuwerfen.
Ich glaubte, er hielte uns für apokalypsetrunkene Ästhetizisten, die die realen Schrecken von Krieg und Leid jüngeresk anbeteten, oder wir würden mit dem Ruf nach einem „Schlußstrich“ die Vergangenheit zudeckeln, uns aber dann trotzdem heimlich aus der alten Kiste weiter bedienen. Wie kommt H. auf „totale Geschichtsvergessenheit“?
Mir fiel irgendwann auf, daß das Wort „historisch“ ganz offensichtlich eine Bedeutungsumkrempelung über sich ergehen lassen mußte. „Historisch“ heißt für H.: „schuldhaft“ oder „der deutschen Schuld eingedenk“. Wenn ich das weiß, kann ich die Zuschreibung der „Geschichtsvergessenheit“ einordnen: Rechte machen den Schuldkult, die Ausrichtung der gesamten Denkperspektive auf das Dritte Reich nicht mit. Und machen sich daher in H.s Augen so lange verdächtig, dem NS etwas abgewinnen zu können, bis sie sich explizit distanzieren.
H. gab mir seine Bedingungen in der Absicht, den Dialog zu befördern. Doch befördert es einen Dialog, wenn der eine Gesprächspartner die Bedingungen diktiert? Wenn seine Axiome die „Vernunft“ als geteilten Horizont darstellen sollen? Wenn das Nichtannehmen der Bedingungen den Abbruch des Dialogs zur Folge hätte? Ist H. der Diskurswächter, der er nicht sein will?
Ihm fällt seit längerem schon schmerzlich auf, wie eng der Meinungskorridor geworden ist, wie die selbsternannten „Diskursethiker“ zur Jagd auf die offenkundig „Vogelfreien“ blasen. Die Konsensgesellschaft maßt sich Kriterien des Ausschlusses an, die einer Demokratie nicht würdig sind.
Doch egal, ob es sich um die unangenehme Situation des Geschnittenwerdens nach seinem Vortrag bei der sozialdemokratischen Körber-Stiftung in Hamburg handelte, wo ihm mitgeteilt wurde, die Namen „Sloterdijk“ und „Bohrer“ hätten „keinen Platz in unserem Diskurs“, ob es sich um meinen Rauswurf als Köchin wegen „Publikation auf rechtsextremen Internetseiten“, um den Fall Sieferle oder die früheren Debatten um Walser oder Syberberg handelte: Offenbar waren seine Rahmenbedingungen nicht offen provoziert worden. Das erreicht nur die sekkante Gattin im Dialog.
Die Diskurshegemonie hat derjenige, der die Bedingungen formulieren und über die Sanktionen entscheiden darf. Lassen Sie mich fünf Rahmenbedingungen eins zu eins im Kontrast formulieren.
Die Sache mit den Sanktionen kann ich mir aufsparen für den „Tag der Machtergreifung“. Bis dahin fallen mir allerdings überhaupt keine Sanktionen ein, denn ich rede mit jedem, denke und spinne er, wie er will. Es hätte kommunikativ keinen Sinn, von einem linken Gesprächspartner die Anerkennung des „Großen Austauschs“, der Existenz von Rassen, des Untergangs des Abendlandes oder die Abkehr vom Nationalmasochismus zu verlangen, bevor ich mit ihm zu diskutieren begänne.
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Verstehen, aber nicht Teilen der Schockwirkung, die die Aufklärung der NS-Verbrechen (durch die Besatzungsmächte und durch eigene Anstrengung der „Vergangenheitsbewältigung“ dieser Generation) auf die Kriegskinder gehabt hat und bis heute hat. Die Schockwirkung muß psychologisiert werden (kollektives Trauma), und sie muß historisiert werden. Historisches Bewußtsein heißt, vergangene Ereignisse einkapseln zu können. Wer das nicht kann und Generation um Generation in derselben Schockstarre halten will, mißbraucht deren Freiheit.
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Holocaust-Forschung muß freie Forschung sein dürfen. Auch die anerkannten Ergebnisse sind wie absolut jede Forschung niemals interesselos, auch sie sind historisch kontingente Produkte. Widerstand nötigt uns größten Respekt ab, es ist vielmehr respektlos, entweder davon auszugehen, daß Rechte einem totalitären Staat konstitutionell untertan wären, oder Linke konstitutionell widerständig wären.
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Infragestellung der These von der Elitenkontinuität und Einbettung in einen größeren internationalen Kontext. Wer sagt außerdem, daß bestimmte Funktionsträger jemals mehr waren als bloße Funktionsträger? Aufklärung dieser Zeit muß heute anders ausschauen als die Aufklärung im Horizont der Zeitgenossen damals in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts.
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Die Fehler der 68er liegen nicht in Fehleinschätzungen der damaligen historischen Lage, auch nicht in kollektiver Schuld (wir sind ja nicht bescheuert und spielen das Spiel der „Vergangenheitsbewältigung“ gerne noch einmal), sondern in der „Dialektik der Aufklärung“: Ihre bösen Geister Emanzipation, Entstrukturierung, Dekonstruktion und Ethnomasochismus werden wir nicht mehr los.
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Eindeutig keine Distanzierung vom „Rassismus“. Wer sich distanziert, hat eingestanden, daß er die Kategorien „Rassismus“ und „Antirassismus“ teilt. Freilegen des Schiefe-Bahn-Arguments hinter der Furcht vor „ethnischen Säuberungen“, das lautet: Wer einmal anfinge, Ethnien zu unterscheiden, wolle sie schließlich gewaltsam reinhalten. Wenn nötig: erklären der Ebenen – wer sich vom Rassismus-Kampfbegriff nicht vereinnahmen läßt, ist kein Rassist. Wer „ethnische Säuberungen“ als leere Drohvokabel sieht, befürwortet sie nicht. Die Ebenen immer wieder aufs neue zu unterscheiden, wird noch lange nötig sein.
Rahmenbedingungen sind polemogen, tun aber so, als konstituierten sie Frieden. Sie kommen so daher, als könne man mit ihnen eine gemeinsame Ausgangsbasis schaffen, einen Verständigungshorizont, ein geteiltes Vokabular, womöglich irgendwann Konsens. Ihre Herrschaftsgeste können sie aber strukturell nicht ablegen. Ich habe nichts gegen Herrschaft, nur etwas gegen Doppelbödigkeit. Systemtheoretisch gesprochen: gegen paradoxe Kommunikation, die, um Freiheit zu bewirken, auf Freiheit einwirkt.
Wir definieren den ‘Herren’ als jemanden, der keine Rücksicht darauf nehmen muß, daß er beobachtet wird; also im Unterschied zum Knecht als jemanden, der die Perspektive der Beobachtung zweiter Ordnung vermeiden kann. (Niklas Luhmann)
Der Rahmenbedingungensteller sieht sich gegenbeobachtet von mir, er kann es nicht mehr vermeiden, selber in die Beobachtung von Beobachtung einzutreten.
Der Kernbestand von H.s Dialogbasis ist fixiert auf die Zeit des NS-Regimes. Diesen Frame (Rahmen) braucht die Neue Rechte (im Gegensatz zur alten Rechten, die im wesentlichen die Bewertungen innerhalb des Frames trotzig umgekehrt hat: statt monomanisches Verteufeln monomanische Anbetung des NS) nicht mehr mitzutragen.
Wir können von unserem heutigen Standpunkt rückblickend beobachten, daß die moralischen Lösungen der 68er für das Problem “Nationalsozialismus” damals Lösungen waren, die heute nicht mehr taugen. Es findet genau an dieser Trennlinie ein Paradigmenwechsel statt. Deswegen gerät H. in die paradoxe Lage, daß er Diskurswächter ist und doch keiner sein will.
Wir sind noch viel zu sehr in der Defensive. Zum Bekenntnis der ewigen deutschen Schuld gedrängt, muß die Antwort lauten: „Was gefällt dir denn so sehr am Schuldigsein, daß du das von allen verlangst?“ „Was ist an ‘rechtsradikal sein’ denn falsch?“, „Was ist an Sexismus falsch?“, „Was ist das Problem am ‘Antisemitismus’?“ Mit einem intelligenten linken Gesprächspartner wie H. wird die Ebenenunterscheidung – auch wenn die Sofortreaktion eine klassische Erstverschlimmerung sein wird, man kann’s auch „getriggert“ nennen – spätestens nach ein paar weiteren Sätzen klar.
Denn: Ich habe mit den Fragen ja nicht behauptet, rechtsradikal, sexistisch und antisemitisch zu sein und die deutsche Schuld abzuleugnen. Meine Fragen sind typische „Beobachtung zweiter Ordnung“: Ich beobachte H. beim Beobachten der Welt mit linken Suchbegriffen.
Meine Gegenbeobachtung stellt diese Suchbegriffe in Frage: Kann man nicht auch ganz anders suchen? Die unhinterfragten Voraussetzungen linken Beobachtens offenzulegen, wäre der offensive Zugang. Er ermöglicht die dringend nötige Beweislastumkehr: Der Ankläger muß darlegen, warum sein Vorwurf überhaupt ein Vorwurf sein kann.
„Was soll denn bitte schlimm sein an Rassismus?“ ist eine Provokation, ein böswilliges Als-ob. Natürlich rastet sofort der Abwehrreflex ein, bei den meisten Linken ein schnappatmendes: “Sie ist Rassistin und gibt es auch noch zu!“, bei H. erfolgt die Abwehr auf der Ebene, daß ich dieses „Gedankengut“ durch meine „Sophistereien“ bloß „wieder salonfähig“ machen würde und „nobilitieren“. Wenn wir beide so reden, beobachten wir einander. Der Dialog ist hergestellt, die Herr-Knecht-Dialektik eine Zeitlang ausgesetzt.
t.gygax
Die "Rahmenbedingungen" sind nichts weiter als der Aufruf zur Unterwerfung unter das Denkschema von H. Da bin ich nicht mehr scharf drauf- und wenn die andere Seite das nicht akzeptiert, was soll´s? Dann eben mit den Schmuddelkindern sprechen, bei denen dergleichen Eingrenzung der Freiheit und des Denkens nicht verlangt wird. Diese Fixierung auf eine bestimmte Epoche - über die es gar verschiedene Erzählungen gibt, dies nebenbei- hatte ich schon vor 25 Jahren, als ich überhaupt erst einmal dieses hier vertretene Milieu kennengelernt habe, nicht mehr. Warum soll ich in eine Zeit zurück, in der ich im Religionsunterricht, Im Geschichteunterricht und im Deutschunterricht medial vermittelte Leichenberge gesehen habe und das " glaubte", weil mir gar nichts anderes übrig blieb. Ich bilde mir heute selbst ein Urteil und weiß, dass das genauso vorläufig ist wie alles , was ich denke. Hinter H.´s Denkschemata und seinen Rahmenbedingugnen verbirgt sich meines Erachtens eine riesige Angst, die festen Anschauungen könnten einmal erschüttert werden. " Die Wahrheit wird euch freimachen", ein Satz Jesu aus dem Johannesevangelium, absolut aktuell.