In meinem Elternhaus galt: Anständige Leute halten sich die örtliche Tageszeitung. Wie will man sonst mitreden? Nachbarn, die sich statt der Offenbach-Post etwa die Frankfurter Rundschau oder die FAZ hielten, galten als linke Spinner oder „überkandidelt“. Als Kind konnte ich das direkt nachvollziehen. So war’s ja!
Darum hab ich seit 2002 mehrere Versuche unternommen, mich an die örtliche Mitteldeutsche Zeitung zu gewöhnen. Stets aber dieses ungute Schwanken: Zwischen äußerster Belustigung (Diese Stilblüten! Dieser Hausfrauen- bzw. Garagenhockerton!) und Horror (Haben die alle ihren Deutschunterricht nach der siebten Klasse abgebrochen? Ist das also Sachsen-Anhalt?). Nee, es ging nicht.
Nun war der Werbemensch mit seinem MZ-Stand am real-Supermarkt so nett: Na gut. Eine (weitere) Chance bekommt jeder (immer).
Tatsächlich bereicherte das Blättchen unser Frühstück: Lese-Fundstücke wurden hin und her gerufen, eine schräge Metapher jagte die nächste; eigentlich war‘s eine Gaudi.
Am Mittwoch dann unter der Rubrik „Mitteldeutschland“ ein Großartikel unter der Überschrift „Die rechten Missionare“, auch „neue Nationalisten“ genannt.
Klar: wir. Es geht um uns.
Über die Stilblüten gehe ich mal hinweg. Fazit: Diese schlimmen, schrecklichen Typen (wir also: „rechtsautoritär“ – muß ich mir merken!) sind nach Sachsen-Anhalt gezogen, weil es hier „kaum Ausländer“ gäbe und „noch ein deutscher Geist“ herrsche. Logo, exakt unsere Denk- und Redeweise! Unser Haus: „gelb getüncht“.
Insinuierende Zwischenfrage: „Kippt da etwas in Richtung Gewalt?“ Man will es nicht beschwören, selbst nach Befragung linker Autoritäten nicht, aber man fühlt sich doch irgendwie unheilsschwanger.
Na gut. Kennt man ja ungefähr. Am nächsten Tag geht es im gleichen großen Format, in derselben MZ-Rubrik um ein paar der 43 dingfest gemachten afrikanischen Dealer, die in Halle ihr Unwesen trieben. Denen wird gerade der Prozeß gemacht.
Wie anders ist die Sprache hier, wo es nicht um „brandgefährliche“ (in Wahrheit ziemlich gesetzestreue) Neurechte geht, sondern um arme Menschen, die keinen anderen Ausweg aus ihrem Unglück fanden, als ins Drogengeschäft einzusteigen! Rund um den Verkehrsknoten in Bahnhofsnähe wurden im Jahr 2015 294 Betäubungsmitteldelikte (BTM) registriert, im letzten Jahr schon 399.
Schüchtern schaut der kleine Mann zum Richtertisch. Bacadi D. wirkt verunsichert. Was passiert hier? Und was passiert mit mir?, scheint der 22-Jährige zu fragen. Langsam beugt sich Dolmetscher Barry Mamadou hinüber und übersetzt. Bacadi D. ist erst ein Jahr in Deutschland, er spricht kein Wort Deutsch. Als Richterin Kathleen Aschmann nach seinem Geburtsdatum fragt, versteht er auch die Übersetzung nicht. 26. Februar 1999, gibt er an. Als Aschmann aus der Akte den 11. Januar 1995 zitiert, nickt er. „Das stimmt“, übersetzt Mamadou in D.s Sprache Mandinka.
Der ebenfalls angeklagte Adoulaya A. „spricht nur eine Sprache, die Bambara heißt. Dolmetscher Idrissa Keita ist aus Berlin angereist“. Bei der MZ schüttelt man nicht unwillig den Kopf, sondern legt ihn mitleidig schief:
Jeder einzelne Prozess entscheidet ein Schicksal. Junge Männer wie D. und A. sitzen plötzlich in kühlen Gerichtssälen.
Man kennt das: Wo Empathie angesagt ist, sprechen sie von „jungen Männern“.
„Sie müssen nicht aussagen“, erläutert Richter Peter Weber. „Aber wenn Sie es tun, wäre das gut für Sie.“ 16 Zeugen könnten ausgeladen werden, die Sache wäre vom Tisch. Abdoulaye T. nickt. Barry Mamadou übersetzt: „Er fragt, ob er seine Handys zurückbekommen kann.“
Das ist fast niedlich, findet die MZ:
Es sind keine Großdealer, die hier sitzen, stumm und schüchtern, sondern die Ameisenhändler der Straßenszene, kleine Fische, die in diesen Wochen wie eine endlose Parade Gescheiterter in den Verhandlungssälen an der Thüringer Straße Platz nehmen.
Stelle fest: Für diese Zeitung gibt es „neue Nationalisten“, mies drauf und schlimm vernetzt, und andererseits arme, schüchterne, schwarze Männer, die doch nur ihr Glück suchen. Die einen verteidigen das, was vor 25 Jahren als Normalität galt, die anderen verdienen an der Sucht der Allerärmsten. Die einen sind Feinde, die anderen bemitleidenswert.
26.6.2017 – Heute erst übern Tisch gereicht bekommen: die ZEIT. Gleich zwei Finis-Germania-Ekeleien darin. Stichwort „Schaum vorm Maul“. Aus der kürzeren der beiden Einlassungen will ich auszugsweise zitieren.
Es handelt sich um das Elaborat eines vom Schreibstil her geschätzt 22jährigen Autors (kurz vorm Bachelor-Abschluß stehend?), dem hier Raum zugestanden wird für das Ausspeien von Gift und Galle (sagt man: Hate speech?): „subterrestrisches Büchlein“, „Sieferles völkisches Geraune“, „seine antisemitischen Suggestionen“, „rechtsrandiger Verlag“, „völkische Zeloten“, eine Schrift „gegen die Juden“ (Sieferle), die uns den „Mythos Auschwitz (Sieferle) oktroyiert haben.“ Puh.
Der längere Artikel stammt aus der Feder von Thomas Assheuer, Alter schützt vor Torheit nicht; hier darum auch nur Fetzen: Sieferles Schrift sei ein „rechtsradikales Buch“; erst im letzten Teil des Buches wisse man, „warum Finis Germania in Schnellroda landen musste, in den Händen rechtsradikaler Büchsenspanner. Dieser Teil des Buches ist von ausgesuchter Obszönität “, naja, Assheuer muß es wissen.
Weiter im „Bruch“ (so heißt bei uns „Ausgekotztes“): „singulär widerlich“, „schamloser Subtext“, „rechte Begriff-Zombies“. Ach! Man könnte Bücher schreiben über Assheuers Sicht auf „rechte Anführer“, „psychosoziale Ängste“, das angebliche Profitieren von „Überforderungsgefühlen der Bürger“, die „Faszination am Weltuntergang“. Ich nenne Assheuers Edelekelkotzerei „Geraune“, so einfach kann man den Spieß nämlich umdrehen.
Was ja kaum einer bemerkt hat: Sieferle hat die Mechanismen des Skandals, den sein posthum erschienenes Büchlein entfacht hat, bereits in ebendieser Schrift vorweggenommen!
28.6.2017 – Es ist eine hinreißende Abwechslung, mal über Tage stundenlang nur Rechnungen zu schreiben, Briefmarken zu kleben und Bücher einzutüten. Macht auch Spaß, dabei über Namen und Adressen zu sinnieren. Frauen sind, gemessen am sonstigen Kundenstamm, überdurchschnittlich an Sieferle interessiert. Mir scheint weiterhin, halb München und halb Hamburg haben Finis Germania bestellt. Überdeutlich weniger Buchkunden aus Köln und Frankfurt. Woran liegt’s wohl?
Und, das springt völlig ins Auge: Auf zehn Wessis kommt ein mitteldeutscher Besteller. Normal herrscht in unserem Kundenkreis eher das umgekehrte Verhältnis. Besonders schöne Namen oder Adressen rufen wir uns zu.
Endjunilaune, alle müssen dauernd lachen. Die Kinder erhalten für ihre Packerei, Falterei und Stempelei Stundenlohn in unterschiedlicher Höhe. Bei der Jüngsten reicht es heute theoretisch für sieben Kugeln Eis.
30.6.2017 – Lese gerade einen Kommentar zum Lutz-Meyer-Artikel von „Klaus D.“:
Unsere erste Reise nach dem Fall der Mauer führte uns nach Lüchow/Wendland. Gleich neben dem Haus, in dem meine Tante wohnte, hauste eine Gruppe Späthippies. Sowas kannten wir gar nicht. Alles ungepflegt, das Gras meterhoch, ein Ärgernis für alle Nachbarn.
Ich sehe davon ab, unsere Nachbarn zu fragen, ob sie verärgert sind. Bewußtwerdung darüber, daß sie es theoretisch sein könnten. Spreche mit Kubitschek darüber. Der ist nun gerade sensen gegangen. Hübsche Bewegung, dieses Sensen. Muß übrigens nachher mit ihm noch über „Kubitscheks Faible für die Adenauer-CDU“ (anderer Kommentator) sprechen. War mir so auch noch nicht klar. Faibles müssen bitte mit mir abgestimmt werden!
Wahrheitssucher
Ellen, Sie sind einfach nur "klasse"! Entschuldigen Sie, daß ich Sie mit Vornamen anrede, aber es ist ein Bedürfnis nach einem Zeichen geistiger Verbundenheit.