An dieser Stelle soll jedoch einmal der weitaus gefährlichere Defätismus vermeintlich „eigener Leute“ unter die Lupe genommen werden.
Zunächst ist der Defätismus dabei von konstruktiver Kritik klar abzugrenzen. Nicht jeder kameradschaftliche Rat ist Miesmacherei. Doch während der konstruktive Kritiker am Erfolg der gemeinsamen Sache orientiert ist, also eine Verbesserung anstrebt, eine Steigerung will, will der Defätist eben dies nicht.
Sein Anliegen ist es gerade, den Idealismus, den Tatendrang, die Hoffnung seines Gegenübers in den Dreck zu treten. Nicht selten kommt der Defätist im Kostüm des politischen Mitstreiters daher, will ja auch, daß sich endlich etwas ändert, und möchte seine Mitstreiter doch nur davor bewahren, Zeit und Energie an Sinnlosigkeiten zu verschwenden. Er handelt quasi altruistisch.
In Wahrheit ist der Defätist ein Mensch übelster Sorte. Wenn die Attacken des Gegners Pest sind, so ist das Wirken des Defätisten AIDS. Als vermeintlicher Mitstreiter genießt dieser nämlich ein Vertrauen des politischen Streiters, das ihm Zugriff auf das komplette Abwehrsystem verschafft, und kann ihn so dort emotional zermürben, wo es am effektivsten ist, nämlich in der Hoffnung.
Gegen derartige Elemente muß sich der Aktivist am radikalsten abschotten. Dazu ist es wichtig, den Defätisten früh zu erkennen, was nicht schwer ist, wenn man seine Taktiken kennt, derer es im Wesentlichen nur zwei gibt:
Die erste Taktik besteht darin, mit allerlei Phrasen zunächst die allgemeine Aussichtslosigkeit umfassend darzustellen. Dabei wird dann dem politischen Gegner regelmäßig ein Dienst erwiesen, indem dieser quasi zur unüberwindbaren Gottheit erhoben wird.
Gegen jede Maßnahme der Gegenwehr findet sich das passende Argument. Überhaupt irgend etwas zu tun, erscheint vor diesem Hintergrund geradezu töricht. Demnach ist jeder andere ein Narr, der dies nicht einsehen will – und die absolute Passivität ist damit absolut legitimiert, weil schlau.
Man erkennt den Defätisten in diesem Moment daran, daß er nicht nur darauf hinauswill, daß es egal sei, was man tue. Nein, vielmehr will er ganz energisch, daß man doch aufhören solle, irgend etwas zu tun. Warum er sich so echauffiert, werden wir gleich sehen.
Die zweite Taktik ist perfider, weil sie nicht mit Allgemeinplätzen argumentiert, sondern darauf abzielt, das Handeln und die Ziele des Gegenübers mittels Diskreditierung seiner Person schlechtzumachen und als sinnlos darzustellen. Dies ist letztlich eine Spielart des Ad-hominem-Arguments und funktioniert regelmäßig dergestalt, daß in einer Grundsatzdiskussion über die Notwendigkeit zur Tat mit „Aber DU!“ reagiert wird.
Aber du hast neulich deine Meinung auch nicht gesagt;
aber du bist neulich jener Auseinandersetzung aus dem Weg gegangen;
aber du hast neulich auch ein Bier getrunken.
Auch hier geht es nicht darum, den Idealismus der eigenen Reihen zu stärken und sich gegenseitig zu größerer Kampfkraft und Effektivität anzuspornen, sondern um die Legitimation der eigenen Passivität unter impliziter Aufforderung, diesen Weg mitzugehen.
Die Psychologie des Defätisten ist primitiv gestrickt. Seiner eigenen Feigheit, Faulheit und Erbärmlichkeit mindestens unterbewußt gewahr, versucht er die Wechselwirkung aus Minderwertigkeitskomplex und Neid gegenüber dem Mutigen, dem Aktiven, dem Aktivisten dadurch zu kompensieren, daß er ihn auf seine Stufe hinunterzieht, um die Diskrepanz zu nivellieren.
Vor diesem Hintergrund erklärt es sich auch, daß der Defätist nicht einfach Gleichgültigkeit zeigt, sondern sogar eine Art Verbissenheit darin, andere zu belehren. Im Kern geht es dem Defätisten nämlich nicht um die Sache, sondern um sich selbst.
Er kann das qualitative Hierarchiegefälle zwischen dem unerbittlichen Willen des Idealisten als „das Mächtigste unter den Menschen“ (Clausewitz) und seiner eigenen Willenlosigkeit nicht auflösen und muß deshalb zur Manipulation nach innen und außen greifen, indem er mit dem Instrument der „Sinnlosigkeit“ operiert und damit das eigene charakterliche Defizit zur Tugend aufbauscht.
Eine weitere Rolle mag die weitläufige Ignoranz vieler Defätisten spielen, die wirklich glauben, durch Passivität den Entbehrungen des politischen Kampfes zu entgehen und auf ewig ihr saturiert-bräsiges Leben fortführen zu können. Wären sie sich der ganzen Dimension des blühenden Schicksals Europas bewußt, würden sie vielleicht nicht so reden.
Vielleicht doch.
Man kann sich nun die Mühe machen und versuchen, die oben genannten Aussagen einem Defätisten zu erklären. Oder man läßt es, lacht über diese Menschen, geht ihnen aus dem Weg und ignoriert sie. Denn im Gegensatz zum politischen Kampf sind dies wirklich sinnlose Grabenkämpfe, die wichtige Energie rauben.
Der_Jürgen
Wahre Worte. Das "Es ist alles verloren, es ist alles vorbei"-Geplärre pseudopatriotischer Jammerlappen auf den meisten rechten Foren (auf diesem hier zum Glück nur sehr selten) nervt einen gründlich.
Angesichts des ungleichen Kräftegleichgewichts und der Tatsache, dass die grosse Mehrheit des Volkes das Regime zumindest indirekt, durch seine Passivität, stützt, scheint alles gegen einen Erfolg der patriotischen Kräfte zu sprechen. Doch erstens liebt die Geschichte Überraschungen - wer hätte im November 1988 vorauszusagen gewagt, dass die Mauer ein Jahr später fallen würde? -, und zweitens wollen wir, wenn unsere Niederlage wirklich nicht zu vermeiden sein sollte, dafür sorgen, dass der Feind keinen allzu leichten Triumph einheimst.
"Lieber einen Tag als Löwe leben denn hundert Jahre als Maus", sagte ein bekannter italienischer Staatsmann der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Sein Name fällt mir im Moment nicht ein. Man wird eben nicht jünger...