gemeint war jedenfalls stets das gleiche Meinungskartell aus Tages- und Wochenzeitschriften, gebührenfinanzierten Fernsehsendern und einer in steter Fluktuation befindlichen Blase aus Prominenten und “Internetpersönlichkeiten”.
Eine Studie, die sich mit der Berichterstattung dieses Kartells zur Einwanderungskrise befasst, brachte nun Skandalöses an Licht:
Es ist das Migrationsjahr 2015, und die wichtigsten Tageszeitungen Deutschlands verwandeln sich in Volkserziehungsbroschüren. Die Journalisten kontrollieren nicht mehr das Handeln der Politik, sie kontrollieren das Denken der Bürger. Und weil die Lebenswirklichkeit ebenjener Bürger die Redakteure nur beim Beifallklatschen für die Regierung irritieren könnte, kommt sie in den Blättern gar nicht erst vor.
So beginnt dieser zerknirschte ZEIT-Artikel, welcher die Studie vorstellt, die am kommenden Montag erscheinen wird. Daß man sich anscheinend für die Flucht nach vorne entschieden hat, wird mehrere Gründe haben:
- Da die Studie noch nicht erschienen ist, kann die ZEIT auf diese Art und Weise beeinflussen, wie sie von ihren Lesern wahrgenommen wird; kaum jemand wird sich die vollen 200 Seiten einverleiben. Entsprechend kritisch ist der Unterton des Artikels, in welchem Jochen Bittner zwar lakonisch die Ergebnisse der Untersuchung vorträgt, aber mit verschiedenen Seitenstichen regelmäßig Mißtrauen sät. Das klingt dann zum Beispiel so:
Unstimmig werden die Darlegungen dort, wo die Autoren der FAZ zugestehen, dass sie in “vielen” Kommentaren gegen eine unbegrenzte Aufnahme von Flüchtlingen plädierte, das Blatt aber trotzdem als Rufer in der großen, eintönigen Echokammer einsortieren. Sicher, Leitartikel sind etwas anderes als Berichte – aber zum Meinungsklima tragen sie wohl mindestens ebenso bei.
- Selbstkritik ist im Moment ohnehin voll im Trend. Es ist wie damals, als mitten in das Lauffeuer, welches zu werden sich die Dresdner PEGIDA-Bewegung anschickte, plötzlich der weise Werner Patzelt stieß und väterlich aus wohlüberlegter wissenschaftlicher Distanz seine verständnisvollen Löckchen über die Boshaftigkeit des Feuilletons schüttelte, das so ungeziem auf das eigene Volk einschrieb. Jetzt ist halt mal die ZEIT mit Buße dran, wenn man sich anschaut, wer inzwischen was und worüber auf dem zeitungseigenen Denunziationsblog “Störungsmelder” schreibt, war das auch höchste Eisenbahn.
- Unter dem Artikel stehen zu dieser Stunde 1.035 Kommentare. Ich habe sie nicht alle gelesen, aber mein Tipp ist, daß sich neben hämischen Keifern (das sind die dümmsten), dankbaren Dauerkommentatoren (die sind auch nicht viel besser) und klugen Erklärbären, die nochmal einen eigenen Artikel drunterklatschen, auch diejenigen finden werden, die jetzt eine neue Ära des Journalismus heraufdämmern sehen, in der die Medien endlich, endlich, endlich! zur Vernunft gekommen sind und dem mündigsten aller mündigen Souveräne (also dem Reichsbürger) ausschließlich neutrale Fakten präsentieren.
Diese drei genannten Gründe haben vor allem eines gemeinsam: Sie sind eine Sehnsucht nach einer Beruhigung der Lage, nach Versöhnung, Zivilisation und Kaltem Krieg. Mitten aus der Unruhestimmung der letzten Jahre schält sich nämlich unerbittlich – und ich erlebe das täglich in Gesprächen mit Studenten und anderen Altersgenossen – eine neue bürgerliche Mitte, welche die Verwertungslogik ihrer Eltern- und Großelterngenerationen mit der Muttermilch aufgesogen hat und täglich reproduziert.
Ihr Feindbild sind Extremisten – die linken ein bißchen mehr als die rechten, Antikommunismus liegt nämlich gerade im Trend – ihr Traum ist immernoch das Einfamilienhaus mit zwei Autos und 40-Stunden-Woche, und weil sie alle studiert haben, halten sie sich für kritisch, wenn sie die taz scheiße finden. Wer diese Entwicklung gern illustriert haben möchte, der sei freundlichst auf diese Artikelreihe hingewiesen. Helden kann man da zwar keine ausmachen, aber weil diese studierten Neocons eh alle gleich sind, streue ich zum Sonntag einfach mal eine verächtliche Hand zerbröselter Lorbeerblätter in den Abendwind Richtung Hamburg.
Hat man diese Entwicklung im Hinterkopf, liest sich der Artikel von Jochen Bittner dann auch nicht mehr wie das Ende der Party; vielmehr hat der DJ ein ruhigeres Stück aufgelegt und die Lautstärke etwas runtergedreht, weil sich die Nachbarn beschwert haben – es ist schließlich schon fünf vor 10.
calculus
Herr Wessels, machen wir uns doch nichts vor und nennen das Kind beim Namen: Zusammenbruch.