Sozial, ohne rot zu werden? (1)

Hamburg, 6. Juni 2017

Ham­burg, 6. Juni 2017

Lie­ber Herr Kaiser,

wenn ich recht sehe, sind Sie unter den hier und heu­te sich selbst der Neu­en Rech­ten zurech­nen­den Publi­zis­ten der ein­zi­ge, der die »sozia­le Fra­ge« pro­gram­ma­tisch auf die Tages­ord­nung gesetzt hat, nicht ohne damit ein har­tes Licht auf den blin­den Fleck vie­ler »natio­na­ler Fra­ger« zu werfen.

In Zei­ten eines One-World-Kapi­ta­lis­mus, der natio­na­le Schutz­räu­me und sozia­le Siche­rungs­sys­te­me glei­cher­ma­ßen bedroht, neh­men Sie die durch die viel­be­re­de­ten Kul­tur­kämp­fe unse­rer Tage gern ver­dräng­ten, in Wahr­heit aber welt­weit wie­der her­vor­bre­chen­den Klas­sen­kon­flik­te ins Visier. Eine freund­li­che Über­nah­me sozia­ler Per­spek­ti­ven legen Sie Rechts­kon­ser­va­ti­ven aber auch des­halb ans Herz, weil die zum Neo­li­be­ra­lis­mus kon­ver­tier­ten Links­kon­for­mis­ten sich einst­wei­len weit mehr für den Auf­stieg von Min­der­hei­ten als für den Abstieg der Mehr­heits­ge­sell­schaft interessieren.

Wenn die sozia­le und die natio­na­le Fra­ge der­ge­stalt wie­der enger zusam­men­rü­cken, liegt es frei­lich nur in der Natur der Sache, auf die Idee einer »Quer­front« zurück­zu­kom­men, obschon die einst­mals unter die­sem Namen fir­mie­ren­den Ver­bin­dun­gen und Bewe­gun­gen kei­ne unmit­tel­ba­ren Anknüp­fungs­punk­te zu bie­ten scheinen.

In Ihrem gleich­na­mi­gen kapla­ken-Büch­lein geben Sie denn auch zu ver­ste­hen, daß es nicht in Ihrem Inter­es­se liegt, etwa den Natio­nal­bol­sche­wis­mus wie­der­zu­be­le­ben, son­dern daß Sie auch in Ihren his­to­ri­schen Streif­zü­gen von dem Erkennt­nis­in­ter­es­se gelei­tet sind, die stra­te­gi­sche Kon­zep­ti­on der Quer­front auf ihre aktu­el­le Brauch­bar­keit zu prü­fen. Und ange­sichts der ideo­lo­gi­schen Bor­niert­heit der zeit­ge­nös­si­schen Lin­ken leuch­tet es ein, daß Sie der­zeit kei­ne Vor­aus­set­zun­gen für ein ech­tes Links-Rechts-Bünd­nis erken­nen kön­nen und es Ihnen viel­mehr dar­um zu tun ist, der Neu­en Rech­ten einen gehö­ri­gen Linksd­rall zu ver­pas­sen, um auf die­se Wei­se den Geist der Quer­front in unse­re Gegen­wart hinüberzuretten.

So beken­nen Sie sich zu Drieu la Rochel­les Pro­gramm, »lin­ke Poli­tik mit rech­ten Men­schen« zu machen, um auf einen »euro­päi­schen Sozia­lis­mus« hin­zu­ar­bei­ten, der eine »auf der Basis eines bewuß­ten Euro­pä­er­tums voll­zo­ge­ne Syn­the­se aus sozia­len und natio­na­len Ideen« bie­ten wür­de. In der Tat läßt sich das von Ihnen auf­ge­grif­fe­ne »iden­ti­tä­re« Kon­zept eines in Regi­on, Nati­on und Euro­pa aus­dif­fe­ren­zier­ten »Eige­nen« inso­fern als ein Stück »euro­päi­sches Erbe« begrei­fen, als es den aus dem mit­tel­al­ter­li­chen deut­schen Kai­ser­reich über­kom­me­nen föde­ra­lis­ti­schen und sub­si­diä­ren Prin­zi­pi­en ver­bun­den bleibt.

Aller­dings stau­ne ich nicht schlecht dar­über, daß Sie der Neu­en Rech­ten eine sol­che euro-sozia­lis­ti­sche Revi­si­on ihrer ver­al­te­ten, gleich­sam aso­zi­al-natio­na­lis­ti­schen Auf­fas­sun­gen nahe­le­gen, ohne zugleich auch die von Ihnen selbst wie­der zum Leben erweck­ten Kon­zep­te der Alten Lin­ken für revi­si­ons­be­dürf­tig zu halten.

Daß die von Ihnen pro­pa­gier­te neue »Ein­heits­front« im Zei­chen des »Zwil­lings­paa­res« Antikapitalismus/Antimperialismus ste­hen soll, sieht für mich näm­lich theo­re­tisch nach einer ledig­lich rechts­ab­weich­le­ri­schen Fort­ent­wick­lung mar­xis­tisch-leni­nis­ti­scher Dok­tri­nen aus, und prak­tisch lie­fe dies wohl auf eine »rech­te Poli­tik mit lin­ken Men­schen« hinaus.

Hier sehe ich nun Pro­ble­me über Pro­ble­me. Um mit dem älte­ren Zwil­lings­bru­der »Kapi­ta­lis­mus« zu begin­nen und zunächst nur etwas Alt­be­kann­tes in Erin­ne­rung zu rufen: Der von Ihnen ver­foch­te­ne »Anti­ka­pi­ta­lis­mus« ist im 20. Jahr­hun­dert in immer­hin mehr als drei­ßig sozia­lis­ti­schen Staa­ten, unter denen sich auch zwei impe­ria­le Groß­mäch­te befan­den, zur mate­ri­el­len Gewalt gewor­den, und alle haben sie ihren Kar­ren so gründ­lich in den Dreck gefah­ren, daß ihr Unter­gang nur noch von hart­ge­sot­te­nen Alt­kom­mu­nis­ten bedau­ert wird.

Im his­to­ri­schen Ver­gleich mit Sta­lin oder Mao mag man zwar fin­den, daß Cas­tro noch eines der klei­ne­ren sozia­lis­ti­schen Übel dar­stell­te, aber die Uner­schro­cken­heit, mit der Sie die Kuba­ni­sche als eine »authen­ti­sche natio­na­le Revo­lu­ti­on« anprei­sen und auch ande­ren latein­ame­ri­ka­ni­schen Revo­lu­tio­nen Ihren Respekt zol­len, als ver­kör­per­ten die­se bereits den Sozia­lis­mus des 21. Jahr­hun­derts, macht mich doch stutzig.

Oder wit­te­re ich zu Unrecht eine apo­lo­ge­ti­sche Hal­tung, wo Sie ledig­lich sach­lich refe­rie­ren? Von der Regel, daß die von Ihnen gefor­der­te »revo­lu­tio­nä­re Über­win­dung der kapi­ta­lis­ti­schen Markt­wirt­schaft« bis­lang noch immer zu sozia­lis­ti­scher Plan- und Miß­wirt­schaft geführt hat, stellt jeden­falls auch Kuba kei­ne Aus­nah­me dar. Und in Anbe­tracht der pene­tran­ten Regel­mä­ßig­keit sozia­lis­ti­schen Schei­terns wird man sich nicht auf den poli­ti­schen Dilet­tan­tis­mus und die öko­no­mi­sche Inkom­pe­tenz von Revo­lu­ti­ons­füh­rern wie Fidel Cas­tro und Che Gue­va­ra her­aus­re­den dür­fen, son­dern auch über die sys­te­mi­schen Grün­de nach­den­ken müssen.

Da Sie hier­über aber kein Wort ver­lie­ren und auch kei­ne alter­na­ti­ven Model­le sozia­lis­ti­schen Wirt­schaf­tens ins Gespräch brin­gen, stimmt mich Ihre unge­bro­che­ne Zuver­sicht, daß beim nächs­ten Ver­such alles ganz anders lau­fen kön­ne, eini­ger­ma­ßen ratlos.

Denn selbst wenn Ihnen kei­ne zen­tra­lis­ti­sche Plan­wirt­schaft »von oben«, son­dern eine irgend­wie basis­de­mo­kra­ti­sche Selbst­ver­wal­tungs­wirt­schaft »von unten« vor Augen ste­hen soll­te, wie sie viel­leicht in klei­nen Gemein­schaf­ten von Kib­buz-For­mat funk­tio­nie­ren mag, möch­te ich doch zu beden­ken geben, daß die Gelin­gens­chan­cen für eine sol­che öko­no­mi­sche Fun­da­men­tal­re­vo­lu­ti­on in grö­ße­ren Gesell­schaf­ten gleich null sein dürf­ten. Von daher scheint es mir wenig aus­sichts­reich, gera­de Kon­ser­va­ti­ve und Rech­te auf eine Uto­pie ver­pflich­ten zu wol­len, deren Ver­wirk­li­chung abseh­bar nur eine wei­te­re real exis­tie­ren­de Dys­to­pie zum Ergeb­nis hätte.

Wohl­ge­merkt: Ich unter­stel­le Ihnen kei­nes­wegs, eine Neu­auf­la­ge der  Rus­si­schen oder der Kuba­ni­schen Revo­lu­ti­on zu pla­nen, wenn ich gleich­wohl vor der Ver­füh­rungs­kraft theo­re­tisch leicht zu for­mu­lie­ren­der, aber prak­tisch kaum erfolg­reich zu rea­li­sie­ren­der anti­ka­pi­ta­lis­ti­scher Groß­pro­gram­me war­ne. Dabei gebe ich gern zu, daß ich als Ex-Lin­ker, der noch Gulag-Über­le­ben­de ken­nen­ge­lernt hat, in die­sem Punkt ziem­lich unnach­gie­big bin – denn nicht zuletzt auf­grund eines sol­chen, um die Fol­gen des eige­nen Tuns unbe­küm­mer­ten, gesin­nungs­ethi­schen Rigo­ris­mus habe ich mich bei­zei­ten von der Lin­ken ab- und einem mehr ver­ant­wor­tungs­ethisch aus­ge­rich­te­ten Kon­ser­va­tis­mus zugewandt.

Soll­te ich Sie hier nun gründ­lich miß­ver­stan­den haben, so beleh­ren Sie mich gern eines Bes­se­ren! Ande­ren­falls wür­de ich für eine rea­lis­ti­sche­re, frei­lich auch beschei­de­ne­re Quer­front plä­die­ren, die statt auf die revo­lu­tio­nä­re Abschaf­fung des Welt­ka­pi­ta­lis­mus viel­mehr auf des­sen refor­mis­ti­sche Bän­di­gung durch die Stär­kung des Natio­nal­staa­tes aus wäre. Für jun­ge Men­schen mit leicht erhöh­ter Tem­pe­ra­tur mag dies lang­wei­lig klin­gen, aber das unaus­weich­li­che Schei­tern über­spann­ter Erwar­tun­gen wäre zwei­fel­los noch unbefriedigender.

Jeden­falls schei­nen Sie mir den Natio­nal­staat etwas vor­ei­lig abzu­schrei­ben, denn obschon Sie mit guten »iden­ti­tä­ren« Grün­den für eine Erwei­te­rung des natio­na­len Hori­zonts in regio­na­le wie in kon­ti­nen­ta­le Rich­tung wer­ben, fällt der Nati­on doch schon auf­grund ihrer Staats­för­mig­keit die zen­tra­le Rol­le eines Auf­hal­ters neo­li­be­ra­ler Frei­han­dels­in­va­sio­nen und glo­bal­ka­pi­ta­lis­ti­scher Beschleu­ni­gungs­pro­zes­se zu.

Mögen die Natio­nal­staa­ten einst­wei­len auch erheb­lich an Sou­ve­rä­ni­tät ver­lo­ren haben, so sind deren Regie­run­gen den mul­ti­na­tio­na­len Wirt­schafts­eli­ten gleich­wohl nicht ein­fach wil­len­los aus­ge­lie­fert, son­dern sie arbei­ten will­fäh­rig mit die­sen an der Ent­staat­li­chung der glo­ba­len Wirt­schafts­räu­me zusam­men. Die »Dere­gu­lie­rung« der Märk­te ist ja kein öko­no­mi­sches Schick­sal, son­dern eine poli­ti­sche Ent­schei­dung gewe­sen, und ent­spre­chend lägen auch »Rere­gu­lie­run­gen«, wel­che die regio­na­len, natio­na­len und euro­päi­schen Eigen­wirt­schaf­ten und Bin­nen­märk­te stär­ken wür­den, im Bereich des poli­tisch Mög­li­chen. Als ein Ding der poli­ti­schen Unmög­lich­keit erscheint mir hin­ge­gen Ihr Wil­le, den kapi­ta­lis­ti­schen Welt­markt im Gan­zen abzuschaffen.

Kurz und gut: Ich beken­ne mich zu dem sozi­al­kon­ser­va­ti­ven Glau­ben, daß nur durch eine »reak­tio­nä­re« Wie­der­her­stel­lung des demo­kra­ti­schen Natio­nal­staa­tes aus sei­nen »pro­gres­si­ven« olig­ar­chi­schen Ver­falls­for­men der bür­ger­li­che Sozi­al­staat zu ret­ten ist, des­sen Grund­la­gen bezeich­nen­der­wei­se von dem beken­nen­den Reak­tio­när Bis­marck gelegt wur­den, und der im übri­gen ein weit arbei­ter­freund­li­che­res Gesicht gezeigt hat als der von dem Revo­lu­tio­när Lenin gegrün­de­te bol­sche­wis­ti­sche Arbeiterstaat.

Nicht zuletzt vor dem Hin­ter­grund der schon damals sich abzeich­nen­den Feind­schaft zwi­schen einem revo­lu­tio­nä­ren und einem refor­mis­ti­schen Flü­gel der Arbei­ter­be­we­gung könn­te man jene »Tee­ge­sprä­che«, zu denen sich Bis­marck und Fer­di­nand Lass­alle zusam­men­fan­den, gera­de­zu als den Beginn einer wun­der­ba­ren Freund­schaft zwi­schen Arbei­ter­klas­se und Staats­macht bezeichnen.

Aber frei­lich muß­te dies bei August Bebel und Wil­helm Lieb­knecht, den Begrün­dern der anfangs noch ent­schie­den mar­xis­ti­schen Sozi­al­de­mo­kra­tie, den Arg­wohn wecken, Bis­marck habe mit sei­nem eta­tis­ti­schen Sozi­al­pro­gramm nur dem revo­lu­tio­nä­ren Sozia­lis­mus das Was­ser abgra­ben wol­len. Und spä­ter soll­te ein Lenin sogar so weit gehen, die von der Aus­beu­tung der Kolo­nien pro­fi­tie­ren­de und dar­über revo­lu­ti­ons­mü­de gewor­de­ne west­eu­ro­päi­sche Arbei­ter­klas­se ins­ge­samt als eine »besto­che­ne Arbei­ter­aris­to­kra­tie« zu denunzieren.

Bevor ich aber zum jün­ge­ren Zwil­lings­bru­der »Impe­ria­lis­mus« kom­me, möch­te ich es mit die­ser pro­vo­zie­rend wohl­wol­len­den Erin­ne­rung an die refor­mis­ti­sche Tra­di­ti­on der Sozi­al­de­mo­kra­tie erst ein­mal bewen­den las­sen – nicht ohne Sie abschlie­ßend ganz unrhe­to­risch zu fra­gen, ob Sie die­se tat­säch­lich grund­sätz­lich ableh­nen und allein einen revo­lu­tio­nä­ren Sozia­lis­mus gel­ten las­sen, wie ich es Ihrem Büch­lein zu ent­neh­men glau­be? Mit ande­ren Wor­ten: Kann es auf die sozia­le Fra­ge nur eine sozia­lis­ti­sche Ant­wort geben?

Mit bes­ten Grü­ßen aus dem küh­len Norden

Sieg­fried Gerlich

Schnell­ro­da, 11. Juni 2017

Lie­ber Herr Gerlich,

ich dan­ke Ihnen herz­lich für Ihre Zei­len – nicht zuletzt des­halb, weil es ermög­licht, eini­ge (durch­aus nahe­lie­gen­de) Miß­ver­ständ­nis­se zu klären.

Zunächst stim­me ich Ihnen zu: Tat­säch­lich betrach­te ich die Blind­heit vie­ler Kon­ser­va­ti­ver und Neu­rech­ter, wenn es um dezi­diert sozia­le und soli­da­ri­sche Ansät­ze poli­ti­scher Theo­rie und Pra­xis geht, mit eini­ger Sor­ge. Die Alt­last des bie­der-bür­ger­li­chen Anti­kom­mu­nis­mus, den nicht nur Armin Moh­ler mit guten Grün­den ver­spot­te­te, belas­tet offen­bar bis in die heu­ti­ge Zeit die Denk­struk­tur der rech­ten Spektren.

Die kon­venable Kri­tik der gesell­schaft­li­chen und poli­ti­schen Para­dig­men des Libe­ra­lis­mus geht in der Fol­ge zu sel­ten ein­her mit einer Kri­tik auch der wirt­schaft­li­chen Grund­an­nah­men unse­res Zeit­al­ters. Dabei ist der zeit­ge­nös­si­sche – von F. C. Weis­kopf in sei­nem Roman Inmit­ten des Stroms so genann­te – Homo ins­a­pi­ens et aso­cia­lis ja nicht im luft­lee­ren Raum ent­stan­den. Der Typus des „jeden sozia­len Ver­ant­wor­tungs­ge­fühls baren Trieb- und Genuß­men­schen“ ist viel­mehr das direk­te Pro­dukt aller drei Sphä­ren des Liberalismus.

Daß die­se drei Geschwis­ter nicht von­ein­an­der zu tren­nen sind, weil sie ele­men­tar ver­wo­ben sind und für eine vol­le Ent­fal­tung ihrer selbst ein­an­der bedin­gen, wuß­te schon Arthur Moel­ler van den Bruck. Nach ihm akzen­tu­ier­ten vie­le lin­ke und rech­te Den­ker die­sen Aspekt, heu­te ste­hen hier­für allen vor­an die Namen Jean-Clau­de Michéa, Alain de Benoist oder auch Thor v. Wald­stein.

Daß die­se Hypo­the­se indes häu­fig geleug­net oder abge­schwächt wird, hat, so mei­ne ich, auch damit zu tun, daß öko­no­mi­scher Anti­li­be­ra­lis­mus a prio­ri mit sozia­lis­ti­schen Expe­ri­men­ten des 20. Jahr­hun­derts gleich­ge­setzt wird. Auch Sie tap­pen – zumin­dest für mei­nen Geschmack – in die Fal­le bür­ger­lich-libe­ra­ler Denk­struk­tur, wenn Sie aus mei­nem kapla­ken-Band Quer­front her­aus­zu­le­sen mei­nen, die Bezug­nah­me auf Pierre Drieu la Rochel­les Maxi­me „lin­ke Poli­tik mit rech­ten Men­schen“ bedeu­te, einen „euro­päi­schen Sozia­lis­mus“ zu reak­ti­vie­ren, ja den Ver­such, eine „euro-sozia­lis­ti­sche Revi­si­on“ rech­ter Welt­an­schau­ung vorzulegen.

Lin­ke Poli­tik mit rech­ten Men­schen zu for­cie­ren meint – das muß für die wei­te­re Dis­kus­si­on betont wer­den – in die­ser zuge­spitz­ten Sen­tenz Drieus, eine inhalt­li­che Arbeit zu betrei­ben, die als Axi­om das „gründ­li­che Bewußt­sein der sozia­len Unord­nung“, „bewirkt durch den deka­den­ten Libe­ra­lis­mus, durch einen Kapi­ta­lis­mus bar jeder Tugend“ auf­weist, zugleich aber eines Typus bedarf, der „Sinn für Auto­ri­tät“ wie auch das „unzer­stör­ba­re Gefühl für das Vater­land bewahrt“.

Aus die­sen (sicher­lich auch emo­tio­nal-mora­lisch inten­dier­ten) Maxi­men fol­gen, mit Drieu gedacht, alle wei­te­ren spe­zi­fi­schen und aus­dif­fe­ren­zier­ten, ratio­na­le­ren Über­le­gun­gen. Ein stets auf der Höhe der Zeit und der aktu­el­len öko­no­mi­schen und gesell­schaft­li­chen Pro­zes­se ste­hen­der Anti­ka­pi­ta­lis­mus, der zu die­sen Fol­ge­über­le­gun­gen zu rech­nen ist und den jede Gene­ra­ti­on anhand der sie betref­fen­den tech­ni­schen, sozia­len, kul­tu­rel­len (etc.) Her­aus­for­de­run­gen neu for­mu­lie­ren muß, ist gänz­lich unbe­fleckt von his­to­ri­schen Alt­las­ten des real­exis­tie­ren­den sozia­lis­ti­schen Lagers, dem er schon des­halb nicht zuge­rech­net wer­den kann, weil er aus einer ande­ren Famil­le spi­ri­tu­el­le stammt als ortho­dox mar­xis­tisch-leni­nis­ti­sche Expe­ri­men­te aus der Zeit des „Kal­ten Krieges“.

Sta­lin und Mao haben hier also nichts ver­lo­ren, aber es muß nüch­tern sag­bar sein, daß – wie ich eben in Quer­front anführ­te – die Kuba­ni­sche Revo­lu­ti­on selbst­re­dend eine „authen­ti­sche natio­na­le Revo­lu­ti­on“ gewe­sen ist, in deren Ver­lauf man sich mit natio­na­len und sozia­len Moti­ven, die sich mit­hin über­lapp­ten (wobei lan­ge ers­te über­wo­gen), gegen die eige­ne, volks­fer­ne Feu­dal­dik­ta­tur wand­te, die sei­tens einer west­li­chen Hege­mo­ni­al­macht gestützt wurde.

Das sagt gleich­zei­tig nichts dar­über aus, ob die gesell­schaft­li­che, wirt­schaft­li­che oder poli­ti­sche Kom­pe­tenz der Cas­tro-Regie­run­gen posi­tiv oder nega­tiv ein­ge­stuft wird; die anhal­ten­den Pro­ble­me Kubas – ob extern oder intern ver­ur­sacht – sind frei­lich bekannt. Das­sel­be gilt für die von Ihnen ange­spro­che­nen wei­te­ren latein­ame­ri­ka­ni­schen „Revo­lu­tio­nen“, von denen Sie schrei­ben, ich wür­de ihnen „Respekt zol­len, als ver­kör­per­ten die­se bereits den Sozia­lis­mus des 21. Jahr­hun­derts“. Das muß Sie nicht stut­zig machen, weil es schlicht­weg nicht zutrifft.

Respekt zol­le ich etwa der vene­zo­la­ni­schen Regie­rung für ihren Ver­such eines eigen­stän­di­gen Weges jen­seits der west­li­chen Markt­lo­gik, für das Stre­ben, Sou­ve­rä­ni­tät und Selbst­be­stim­mung zu bewah­ren. Als Bei­spiel für einen Sozia­lis­mus der Zukunft eig­net sich das auf­grund vie­ler Fak­to­ren heu­te wahr­lich dar­ben­de Land zugleich denk­bar wenig. Ideen eines Heinz Die­te­rich bei­spiels­wei­se, der – wenn­gleich er das heu­te nicht mehr hören möch­te – als Vor­den­ker hin­ter wesent­li­chen Aspek­ten des „Cha­vis­mus“ steht, etwa das Kon­zept einer „Zeit-“ oder einer „Äqui­va­lenz­öko­no­mie“ erdach­te, in der Arbeit mit „Arbeits­zeit-Inputs“ (Zeit­ein­hei­ten) ver­gol­ten wird, hal­te ich für naiv bis skur­ril, bes­ten­falls irri­tie­rend, wäh­rend Sie es irri­tiert, daß ich hier­über kein Wort ver­lie­re in mei­nem Büchlein.

Nun: Es rich­tet sich vor allem an das „eige­ne Milieu“ des kämp­fe­ri­schen Kon­ser­va­tis­mus, der Neu­en Rech­ten, und pri­mä­res Anlie­gen der klei­nen Arbeit war es, die Not­wen­dig­keit einer (sozia­len, soli­da­ri­schen) Neu­jus­tie­rung poli­ti­scher Theo­rie und Pra­xis kur­so­risch zu the­ma­ti­sie­ren. Zweck der Arbeit war es aber gera­de nicht, Sozia­lis­mus­ver­su­che des 20. und 21. Jahr­hun­derts zu unter­su­chen, ein­zu­ord­nen – oder gar zu entwerfen.

Daher bit­te ich um Par­don, wenn ich Ihnen bei der Lek­tü­re das Gefühl gege­ben haben möge, „unge­bro­che­ne Zuver­sicht“ aus­zu­strah­len, was gro­ße Ent­wür­fe jen­seits des Kapi­ta­lis­mus anbe­langt. Hier muß ich pas­sen. Das fügt sich weder in einen ein­zi­gen kapla­ken-Band ein, noch habe ich sol­che Patent­re­zep­te. Jahr­zehn­te kon­ser­va­ti­ver Untä­tig­keit auf die­sem Gebiet kön­nen wir nicht in Mona­ten nach­ho­len, aber wir müs­sen die Dis­kus­sio­nen begin­nen, wir müs­sen hier gemein­sam vorankommen.

Wor­um es mei­nes Erach­tens daher gehen muß, ist, eine Debat­te zu ent­fa­chen, ob neu­rech­tes Den­ken jen­seits kapi­ta­lis­ti­scher Logik mög­lich ist oder ob man nur Ein­zel­fra­gen (Zuwan­de­rung, Geschichts­po­li­tik usw.) anders ideo­lo­gisch bewer­tet und prak­tisch behan­deln möch­te. Es gilt, die­se Debat­te zu füh­ren und vor­an­zu­trei­ben – und anschlie­ßend die ent­spre­chen­den Rück­schlüs­se zu zie­hen. Im bes­ten Fall ent­wi­ckeln sich im „Dis­kurs“ neue Ideen und Lösungsansätze.

Von dem Wil­len, den Sie mir zuschrei­ben, „den kapi­ta­lis­ti­schen Welt­markt im Gan­zen abzu­schaf­fen“, ist die­ser Ansatz, Sie mer­ken es, weit ent­fernt. Ein solch unge­heu­res Maxi­mal­pro­gramm ist in so wei­ter Fer­ne, daß der Wil­le wohl frü­her oder spä­ter auf­grund nicht gehal­te­ner Erwar­tun­gen schlapp machen wür­de. Alain de Benoist wies in Am Ran­de des Abgrunds dem­entspre­chend dar­auf hin, daß es unmög­lich sei, einen glo­ba­len Wan­del herbeizuführen.

Daher müs­se man end­lich begin­nen, eige­ne „Räu­me der Frei­heit und des Mit­ein­an­ders zu schaf­fen“, also Inseln geleb­ter Alter­na­ti­vi­tät und Soli­da­ri­tät jen­seits des kapi­ta­lis­ti­schen Betrie­bes. Die­se Auf­ge­schlos­sen­heit erfor­dert etwa auch, daß man inno­va­ti­ven nicht­ka­pi­ta­lis­ti­schen Ideen und Pro­jek­ten mit intel­lek­tu­el­ler Neu­gier­de begeg­nen soll­te, ob es nun um neue All­men­de-/Com­mons-/Ge­mein­gut-Ansät­ze geht, um Dis­kus­sio­nen zur (von mir kri­tisch gese­he­nen) Sha­ring eco­no­my oder auch um Visio­nen kon­kre­ter Trans­for­ma­ti­ons­we­ge der heu­ti­gen Produktionsweise.

Der­je­ni­ge zukunfts­ge­wand­te Kon­ser­va­ti­ve oder Neu­rech­te, der den Sta­tus quo des gegen­wär­ti­gen (digi­ta­len, finanz­markt­ba­sier­ten, teils post­in­dus­tri­el­len) Kapi­ta­lis­mus für kri­tik- und über­win­dens­wür­dig befin­det, wird nicht umhin­kom­men, zu prü­fen, was von den wesens­ge­mäß und welt­an­schau­lich zum Teil erheb­lich ver­schie­de­nen „post­ka­pi­ta­lis­ti­schen“ Ansät­zen zu hal­ten ist, wo man Anschluß­punk­te fin­det, was sich anzu­eig­nen lohn­te oder was es zu igno­rie­ren und zu ver­wer­fen gelte.

Zu ver­wer­fen gilt, jeden­falls nach mei­nem Dafür­hal­ten, auch Ihre roman­ti­sche Annah­me, man könn­te „zurück“ zu einem Zustand der Koope­ra­ti­on im Sti­le Bis­marcks. Man käme mit ihr in die heik­le Regi­on einer rück­wärts­ge­rich­te­ten Uto­pie, in der die Vor­stel­lung herrscht, man habe es mit einem Sta­di­um des Kapi­ta­lis­mus Mar­ke spä­tes 19. Jahr­hun­dert zu tun, wo man qua Ver­trä­gen und Sozi­al­part­ner­schaf­ten mit Groß­un­ter­neh­mern Wider­sprü­che lös­te oder zumin­dest auf ein erträg­li­ches Maß reduzierte.

Nichts schie­ne mir (heu­te!) fal­scher. Es gibt bei­na­he kei­ne natio­na­le Bour­geoi­sie mehr, mit der zu koope­rie­ren wäre, und wenn es sie noch in grö­ße­rer Zahl gäbe, müß­te man gera­de sie für die Ent­wick­lun­gen der letz­ten Jahr­zehn­te in Ver­ant­wor­tung neh­men, ja als Geg­ner bestim­men. Wie dem auch sei: Die heu­ti­ge trans­na­tio­nal den­ken­de und han­deln­de besit­zen­de Klas­se – spe­zi­ell in Deutsch­land, aber auch anders­wo – optiert aus eige­nem mate­ri­el­len (und zum Teil ideo­lo­gi­schen) Inter­es­se für offe­ne Gren­zen, freie Märk­te, gesell­schaft­li­che „Plu­ra­li­sie­rung“.

Die Ange­hö­ri­gen die­ser herr­schen­den und besit­zen­den Klas­se han­deln als pri­vi­le­gier­te Akteu­re des Kapi­ta­lis­mus in Tat­ein­heit mit der ton­an­ge­ben­den poli­ti­schen „Kas­te“. Bei­de – wirt­schaft­li­che und poli­ti­sche Olig­ar­chie – sind heu­te ent­kop­pelt vom „Volk“ als poli­ti­schem Sub­jekt, bekämp­fen das – sich teil­wei­se noch dif­fus äußern­de – Auf­be­geh­ren ers­ter unzu­frie­de­ner Bür­ger in bewähr­ter Koope­ra­ti­on mit dem links­li­be­ra­len Medienblock.

Die Kluft ist da, sie wird über die Jah­re hin­weg wei­ter wach­sen, und auf eben­die­se Spal­tung hin­zu­wei­sen sowie auf die Not­wen­dig­keit, die wirt­schaft­li­che Macht des Finanz­bür­ger­tums und der Groß­kon­zer­ne ein­zu­däm­men oder gar zu „bre­chen“: Das hat nichts mit dem – von Ihnen, nicht von mir ins Spiel gebrach­ten – ideo­lo­gi­schen Wunsch­bild eines „revo­lu­tio­nä­ren Sozia­lis­mus“ zu tun, aber viel mit einer rea­lis­ti­schen Lage­ein­schät­zung, die in längst ver­gan­ge­nen Zei­ten mal eine rech­te Domä­ne gewe­sen ist.

Die poli­ti­sche Rech­te des 21. Jahr­hun­derts muß sozi­al wer­den – das kann ihr durch­aus gelin­gen, ohne rot zu wer­den. Aber mit ängst­li­chen, alt­na­tio­na­len Refle­xen und will­fäh­ri­ger ideel­ler wie habi­tu­el­ler Anpas­sung an die herr­schen­den öko­no­mi­schen (und in der Fol­ge: poli­ti­schen) Ver­hält­nis­sen kommt sie, wie man sieht, nicht weit. „Ent­we­der“, so Thor v. Wald­stein im Sam­mel­band Die ent­fes­sel­te Frei­heit zutref­fend, „kom­men end­lich die ‚lin­ken Leu­te von rechts’, oder es kom­men über­haupt kei­ne Leu­te von rechts.“

Bes­te Grüße

Bene­dikt Kaiser

Der schrift­li­che Schlag­ab­tausch zwi­schen Kai­ser und Ger­lich wird mor­gen fort­ge­setzt und abgeschlossen.

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