wird es eng für die Freiheit des Geisteslebens und ihrer Mitglieder.
Im Februar diesen Jahres hat mich der Vorstand meiner Waldorfschule als Schulköchin aus dem Amt entfernt, da ich „auf rechtsradikalen Internetseiten“ schreibe. Zuerst wurde versucht, dies im Schulverein überhaupt nicht zu kommunizieren, was nicht leicht ist, wenn die Köchin plötzlich weg ist. In der Generalversammlung habe ich den Vorfall dann selber aufs Tapet gebracht, man sah das jedoch als mein „Problem, hier Küche und Politik zu vermischen“, an.
Bei der nächsten Generalversammlung beantragte ein Vater die lückenlose Aufklärung über den Fall Caroline Sommerfeld – der erste Held. Ihm schlug nur Verachtung entgegen, er möge bitte die „Wiener Erklärung gegen Rassismus und Diskriminierung“ lesen, dann wisse er, daß meine Gedanken an dieser Schule keinen Platz hätten.
Kurz darauf erhielten alle Eltern der Schule eine E‑Mail mit dem Text:
Liebe Schul- und Kindergartengemeinschaft, der Waldorfbund Österreich hat die sog. „Wiener Erklärung“ verfasst, die selbstverständlich in unserem Verein ebenso Gültigkeit besitzt: Auch unsere Schule lehnt jegliche “Form von Rassismus und Nationalismus” ab – genauso wie viele andere Waldorfschulen weltweit. Extremes Gedankengut hat in unserem Verein keinen Raum. Ab September werden alle Eltern weiters gebeten, diese Erklärung zu unterzeichnen, um mißverständliche Interpretationen zu vermeiden. Mit herzlichen Grüßen Der Vorstand
Monate nach der Kündigung, Identitärenstammtisch. Sellner bringt Leute mir, einer davon kam mir verflixt bekannt vor. Ein Vater aus der Schule, seltenst nur vor Ort weil vielbeschäftigter anthroposophischer Arzt. Sie ließen sich nieder, ich hörte ihm zu, wie er just zu erzählen begann, daß die Schule seiner Tochter doch tatsächlich nach den Ferien alle Eltern die „Wiener Erklärung gegen Rassismus und Diskriminierung“ zu unterschreiben zwingen wolle.
Ich ging zu ihm hin, stellte mich ihm vor, ich sei die leibhaftige Ursache dessen, daß man die moralische Schlinge gegen Rechts zuziehen wollte. Begeisterungsstürme und das Versprechen, dagegen einen Brief zu schreiben. Der Mann hielt Wort und schrieb an alle Eltern und den Vorstand einen Brief über seine Lebensgeschichte, wie er Sellners kennengelernt hat als Familie, und warum Martin Sellner, die Identitäre Bewegung und ich doch nun wirklich nicht „rechtsradikal“ genannt werden dürfen. Der zweite Held.
Was fast wie ein genialer Trick wirkt, war bei dem Mann echt: einfach vorauszusetzen, es sei völlig absurd, mir und der IB so etwas Böses wie “Rechtsradikalismus” vorzuwerfen, also wie kommen die denn darauf?
Die haßerfüllten Reaktionen der fassungslosen Eltern (die „ihre Lieben vor unseren Angriffen schützen“, sich „distanzieren“ und den Adreßverteiler nicht für „Werbung für die identitäre Bewegung mißbraucht“ sehen wollten) blieben nicht aus, ebensowenig aber Solidaritätserklärungen einiger weniger bisher völlig Unscheinbarer, an alle, ganz offen. Wenn der soziale Konformitätsdruck am größten ist, tun manche Menschen einfach so, als gäbe es ihn nicht. Diese Innengeleiteten sind es, auf die wir bauen können, egal, wie sie politisch denken.
Inzwischen ist die Causa auch bei der „Gleichbehandlungkommission“ des österreichischen Ministeriums für Frauen und Gesundheit anhängig. Wenn es eine offizielle Stelle zur Bekämpfung von u.a. „Diskriminierung aufgrund von Weltanschauung“ gibt, dann ist mein Fall eindeutig ein Fall dieser Kategorie, was sonst?
Ich legte ausführlich schriftlich dar, worin meine „Weltanschauung“ besteht, dies wurde akzeptiert. In einem informellen Verfahren muß nun der Schulvorstand Stellung nehmen, wenn es zu weiteren Vorladungen kommt, habe ich das Recht, einen „Experten einer von mir namhaft zu machenden Nichtregierungsorganisation zu benennen“. “Ein Prozent” kann womöglich auch in Österreich aushelfen.
Das ist der Anlaß. Die Ursache jedoch liegt viel tiefer, und um die geht es mir als Mutter zweier wohlbehaltener Waldorfschüler und um die Entwicklung der Anthroposophie besorgte politische Philosophin.
Deshalb habe ich die vorliegende Gegenerklärung verfaßt. Diese erscheint hier auf „Sezession im Netz“ und zeitgleich in der Augustausgabe des Schweizer anthroposophischen Monatsmagazins AGORA sowie im Nachrichtenblatt für die Mitglieder der Schweizerischen Anthroposophischen Gesellschaft. Desweiteren haben die Waldorfbünde im deutschen Sprachraum, alle Mitglieder meiner Schule und die Vorstände der anderen Wiener Waldorfschulen die Gegenerklärung erhalten.
Die „Stuttgarter Erklärung“ (textgleich für Österreich „Wiener Erklärung“) wurde 2007 verabschiedet und lautet:
- Die Freien Waldorfschulen leisten bei der Wahrnehmung ihrer erzieherischen Aufgabe im Geiste der Menschenrechte einen Beitrag für eine Gesellschaft, die auf dem solidarischen Zusammenleben aller Menschen beruht.
- Als Schulen ohne Auslese, Sonderung und Diskriminierung ihrer Schülerinnen und Schüler sehen sie alle Menschen als frei und gleich an Würde und Rechten an, unabhängig von ethnischer Zugehörigkeit, nationaler oder sozialer Herkunft, Geschlecht, Sprache, Religion, politischer oder sonstiger Überzeugung.
- Die Anthroposophie als Grundlage der Waldorfpädagogik richtet sich gegen jede Form von Rassismus und Nationalismus. Die Freien Waldorfschulen sind sich bewusst, dass vereinzelte Formulierungen im Gesamtwerk Rudolf Steiners nach dem heutigen Verständnis nicht dieser Grundrichtung entsprechen und diskriminierend wirken.
- Weder in der Praxis der Schulen noch in der Lehrerausbildung werden rassistische oder diskriminierende Tendenzen geduldet. Die Freien Waldorfschulen verwahren sich ausdrücklich gegen jede rassistische oder nationalistische Vereinnahmung ihrer Pädagogik und von Rudolf Steiners Werk.
Gegenerklärung zur „Wiener Erklärung“:
Es wird gar nicht lange dauern, wenn man das Jahr 2000 geschrieben haben wird, da wird nicht ein direktes, aber eine Art von Verbot für alles Denken von Amerika ausgehen, ein Gesetz, welches den Zweck haben wird, alles individuelle Denken zu unterdrücken. […]
Und damit nicht gestört wird das feste Gefüge des sozialen Zusammenhangs der Zukunft, werden Gesetze erlassen werden, auf denen nicht direkt stehen wird: Das Denken ist verboten, aber die die Wirkung haben werden, daß alles individuelle Denken ausgeschaltet wird. Das ist der andere Pol, dem wir entgegen arbeiten. Dagegen ist das Leben heute immerhin nicht gar so unangenehm. Denn wenn man nicht über eine gewisse Grenze hinausgeht, so darf man ja heute noch denken, nicht wahr? Allerdings eine gewisse Grenze überschreiten darf man ja nicht, aber immerhin, innerhalb gewisser Grenzen darf man noch denken. Aber das, was ich geschildert habe, das steckt in der Entwickelung des Westens, und das wird kommen durch die Entwickelung des Westens.
Also in diese ganze Entwickelung muß sich auch die geisteswissenschaftliche Entwickelung hineinstellen. Das muß sie klar und objektiv durchschauen. Sie muß sich klar sein, daß das, was heute wie ein Paradoxon erscheint, geschehen wird: ungefähr im Jahre 2200 und einigen Jahren wird eine Unterdrückung des Denkens in größtem Maßstabe auf der Welt losgehen, in weitestem Umfange. Und in diese Perspektive hinein muß gearbeitet werden durch Geisteswissenschaft. (Rudolf Steiner, Vortrag 4.4.1916, GA 167, Seiten 98f.)
Die “Wiener Erklärung” ist Ausdruck der Tatsache, daß wir heute bereits in den Verhältnissen stehen, von deren Eintreten Rudolf Steiner erst in etwa 200 Jahren ausgegangen ist. Diese Beschleunigung hat ihre Ursache nicht zuletzt darin, daß es die anthroposophische Bewegung – bis auf wenige Ausnahmen – verabsäumt hat, das angeregte Gegengewicht herauszubilden. Vor allem die institutionellen Strukturen sind zu einem Ideologieapparat gewuchert, der sogar vielmehr im gegenteiligen, reaktionären, Sinne wirkt.
Dieser Apparat sieht seine Loyalität nicht in der Freiheit des Geisteslebens, sondern in vorauseilendem Gehorsam gegenüber der „Offenen Gesellschaft“. Alles, was der globalistischen Weltordnung entgegensteht, wird als „Rassismus“, „Nationalismus“ und „Diskriminierung“ diskriminiert, ganz im Sinne von Steiners Bebachtung: „[…] allerdings eine gewisse Grenze überschreiten darf man ja nicht, aber immerhin, innerhalb gewisser Grenzen darf man noch denken.“
Die „Wiener Erklärung“ hat eigentlich keinen Inhalt als nur: Wir sind mit der Politik der Elite einverstanden und wollen auf keinen Fall abweichen. Und wenn Aussagen Rudolf Steiners den Zielen der Elite widersprechen sollten, dann distanzieren wir uns von diesen.
Denn ist es nicht das Gegenteil von Freiheit, wenn man an die Verhältnisse so angepaßt ist, daß man nur in ihrem Sinne laufen kann? Fordert es nicht die Freiheit, daß man sich nötigenfalls den äußeren Verhältnissen entgegenstemmen kann? Würde man nicht, was als Freiheit lebt, vergleichen müssen mit dem, was sich nötigenfalls so benehmen könnte, daß das Schiff gegen die Wellen wendet und stoppt?
Dies sagte Rudolf Steiner in einem Vortrag unter dem Titel „Geisteswissenschaft, Gedankenfreiheit und soziale Kräfte“ im Jahre 1919.
Die „Stuttgarter Erklärung der Waldorfschulen gegen Diskriminierung“ (und die textgleiche „Wiener Erklärung“ für Österreich) verrät und verkauft Steiners Idee der Freiheit des Geisteslebens. Diese besteht gerade nicht darin, sich vor den Karren einer bestimmten politischen Ideologie spannen zu lassen, und komme sie auch noch so „freiheitlich-demokratisch“ und „weltoffen“ daher.
Wer tritt schon für „Diskriminierung“, „Nationalismus“ und „Rassismus“ ein? Niemand. Denn diese Wörter sind inhaltsleere Sortierungsschablonen dafür, was an Waldorfschulen „nicht geduldet“ wird.
Sie ist überdies selbstwidersprüchlich: allgemein gegen Diskriminierung aufgrund von u.a. „politischer Überzeugung“ einzutreten und einen Punkt darunter exakt bestimmte politische Überzeugungen unter der Abwehrformel „Rassismus und Nationalismus“ nicht zu dulden.
Rudolf Steiners Ideen zu „Rasse“, „Volk“ und Individuation im Gang der Kulturepochen und des geistigen Widerspiels von Verwurzelung und Freiheitsstreben sind zu komplex, um aus ihnen eindeutige politische Bekenntnisse zu destillieren. Steiner war nicht „Rassist“, aber auch nicht „Antirassist“, nicht „Nationalist“, aber auch nicht „Globalist“. So befürwortet Steiner
nicht ein abstrakt-allgemeines Menschentum, sondern ein wirkliches Verbinden der Menschen aufgrund des Interesses für die besondere individuelle Gestaltung, die ein Mensch dadurch erhält, daß er in ein bestimmtes Volksseelentum hineinversetzt ist. Es ist heute einmal die Zeit gekommen, daß solche Dinge, die nicht nur als unbequem, sondern manchmal sogar als verletzend empfunden werden, populär werden müssen. Man kommt nicht weiter, meine lieben Freunde, ohne daß solche Dinge populär werden. (GA 159/160, S. 78)
Die „Stuttgarter/Wiener Erklärung“ nicht bloß als historisches Dokument der Steiner-Vergangenheitsbewältigung zu sehen, mit dem 2007 ein unfruchtbarer Streit beigelegt werden sollte, sondern heute Waldorfschulgemeinschaften durch Unterschrift auf ihren Wortlaut zu verpflichten, ist nicht mit der Freiheit des Geisteslebens zu vereinbaren.
Statt der politisch durchsichtigen „Diskriminierung“ von „Rassismus und Nationalismus“ führen wir uns das Bekenntnis zur eigenen Kultur und Identität und eine Bejahung der Vielfalt, Freiheit und Integrität der Völker vor Augen, Steiner nannte dies „die Volksseelen“. Im Geist der ganzheitlichen Sicht Rudolf Steiners stellt die Verwurzelung in Tradition, Heimat, Volk und Kultur einen unverzichtbaren Teil der individuellen Identität dar.
Waldorfschulen vollbringen diese Aufgabe im Schulalltag, Unterricht und in der anthroposophischen Grundlagenarbeit bereits – und jetzt „fordert es die Freiheit, daß man sich nötigenfalls den äußeren Verhältnissen entgegenstemmen kann“ und dies auch bekennt.
Stellen wir die Würde des seit dem Tode Rudolf Steiners verratenen Freien Geisteslebens wieder her!
H. M. Richter
Die von Frau Dr. Caroline Sommerfeld-Lethen geschilderten Sachverhalte bedrücken ungemein. Gerade auch mich, der ich den Einzug der Waldorfschulen ins Land der gerade niedergerungenen SED-Diktatur als beglückendes Moment errungener Freiheit erlebte. Ich habe nicht für möglich halten können, daß innerhalb weniger Jahre der Geist der Freiheit von repressiven Diktaten bedroht wird und verdrängt zu werden beginnt. Dennoch kann obiger Bericht trotz aller tiefen Bestürzung, die er hervorruft, auch ermutigen. Durch jene Eltern, die den Geist der Freiheit verteidigen, die Hoffnung geben, die sich den äußeren Verhältnissen entgegenstemmen. Die Gleichbehandlungskommission des österreichischen Ministeriums für Frauen und Gesundheit hat nun darüber zu befinden, ob das Gleichbehandlungsgesetz auch - noch - in jenen Schulen Anwendung findet, die einst dem Geist der Freiheit verpflichtet waren. Ich wünsche es mir nicht nur für Frau Dr. Sommerfeld-Lethen, sondern für die Waldorfschulen selbst.