- Es gibt die, die nichts wissen, nichts gelesen haben und dennoch laut plärren; Heiko Maas, Ralf Stegner und Konsorten. Dergleichen sollte man wohl auch nicht unter „Rezeption“ subsumieren.
- Dann haben wir die, die sehr wenig lesen, Fundstücke aus dem Internet zusammensammeln und daraus ein Alarmtütchen basteln; Liane Bednarz‘ Gefährliche Bürger wäre so ein Fall.
- Des weiteren haben wir solche, die aufmerksam zuhören und in Austausch treten, um daraus eine komplette Agenda zu stricken, die jedoch in einem einzigen Satz gebündelt wird, der dann als Essenz auf allen Kanälen, vor allem denen der öffentlich-rechtlichen, vorgetragen wird: „Diese Rechten haben einfache Antworten auf komplexe Fragen“; Armin Nassehis Die letzte Stunde der Wahrheit.
- Dann kommen die, die viel lesen, wenig fragen, ihr Weltbildchen eh schon fertigzusammengezimmert haben und sich schreibend nur noch um ein paar furchterregende Adjektive bemühen müssen: Bürgerliche Scharfmacher. (Allein dem Scharfmacher Speit, das sei erinnert, haben wir den Bestsellerstatus von Rolf Peter Sieferles Finis Germania zu verdanken.)
- Zuletzt hatten wir einen, der nicht fragte (also auch nicht zuhören mochte), aber dies & das las, viel las, aber eben mit Kantenscherebrille, die alle Kontraste möglichst scharf stellen sollte. Da überwog die denunziatorische Absicht; der stramm linke Publizist Volker Weiß (Die autoritäre Revolte) war derart vorgegangen.
- Und nun eben Thomas Wagner, der unglaublich viel gelesen hat (bereits auf S. 57 zähle ich Fußnote 157) und mit sehr vielen Leuten (hier: Martin Sellner, Frank Böckelmann, Benedikt Kaiser, Alain de Benoist, Henning Eichberg und eben „uns“, Kubitschek und Kositza) gesprochen hat.
Die Straße Unter den Linden ist gesperrt. Demonstranten verteilen Blumen. Ergraute Langhaarige sind darunter, Rentner-Ehepaare, Männer in Motorradkluft, auch ein paar St.-Pauli-Fans. ≫Keine Gewalt≪, tönt es von der Rednertribüne. Die Demokratie sei gefährdet, hört man hier und da. Die Frau werde im Islam unterdrückt. Und immer wieder: Merkel muss weg. Hinter der Polizeiabsperrung eine in Schwarz gekleidete Menge, junge Gesichter, manche vermummt. Drohgebarden in Richtung der Blumenkinder in fortgeschrittenem Alter. Die setzen sich zur Wehr, bilden Sprechchöre. ≫Nazis raus! Nazis raus!≪, rufen sie den Gegendemonstranten zu. Aber wer sind hier eigentlich die Nazis?
Wer die Guten, wer die Bösen? Die Touristen vor der Filiale der Coffee-to-go-Kette, in der ich gerade mein Frühstück verzehrt habe, sind irritiert. Man klärt sie auf: Die militanten Jungen sind von der Antifa, also Linke. Die Alten mit den Blumen von der AfD, also Rechte.
Die Verwirrung hat einen Grund: Die politische Rechte greift auf Sprüche und Aktionsformen zurück, die man seit den Tagen der Achtundsechziger-Studentenrevolte vor allem mit der Linken in Verbindung bringt.
Wagner kennt diese Irritationen schon länger, er weiß um solche Verblendungszusammenhänge, er weiß auch: Vieles im sterilen Rechts-Links-Schema der Leitmedien (Motto: „Pack“ gegen „engagierte junge Menschen“) ist keineswegs so, wie es scheint.
Wagner: „Dabei stellte ich mir die Frage, ob es tatsächlich eine gute Idee sei, rechte Intellektuelle vom politischen Diskurs auszuschließen, wie es immer wieder geschieht. Ist der offen geführte Streit nicht der viel bessere Weg, mit ihnen umzugehen? Diejenigen, die eine solche Auseinandersetzung in der Vergangenheit suchten, wurden dafür von links meist scharf kritisiert.“
Wagner jedenfalls nimmt hier alles sehr gründlich und redlich auseinander. Die 21 Großkapitel tragen Überschriften wie: „Die Zornbatterie wird aufgeladen“, „Antiimperalismus von rechts“, „Die Neunundachtziger: Rechter Aufbruch im Wende-Deutschland“ und „Nationale Graswurzelbewegung: Die Junge Freiheit.“ Die JF-Männer Dieter Stein und Karlheinz Weißmann übrigens haben ein Gespräch mit Wagner abgelehnt.
Ich rate sehr zur Lektüre dieses Buches. Es geht doch: Eine faire Auseinandersetzung, ohne dabei Sympathisant zu sein. (Wenn überhaupt sympathisiert Wagner übrigens mit der alten Tante Henning Eichberg – der nun, Gott hab ihn selig, „uns“ schon Jahrzehnte nichts mehr zu sagen hatte.)
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Thomas Wagner: Die Angstmacher. 1968 und die Neue Rechte. 352 Seiten, Klappenbroschur.
Solution
Die Barrikade hat nur zwei Seiten.