Ich berichte ihr, „was heute wieder los war“, und das ist nicht grad ein Jammern, eher ein heiter-ironisch tuender Kampfbericht von der Front.
„X. hat uns in Magazin Xy bezichtigt, dies und das zu sein. Firma Z hat uns gekündigt, weil es anonyme Hinweise gäbe, daß wir […]. Dem W. haben sie alle Reifen abgestochen. A. hat ihre Stelle verloren, weil ruchbar geworden ist, daß sie gute Kontakte zu uns hat. Bei B. gibt’s Privattrouble. Die Schwiegereltern wollen keinen im Haus haben, der AfD wählt.“
Ich will das alles nicht konkret ausbreiten, erstens ist es „täglich Brot“, zweitens möchte man ja jeden Opfergestus vermeiden. Tochter hingegen ist fröhlich. „Denk einfach immer dran, daß so viele auf unserer Seite sind!“
Sie (die in diesem Jahr an ihrem Studierort so viele klammheimlich Geistesverwandte aufgespürt hat) hatte nämlich gerade ein beflügelndes Erlebnis: Abends geht sie immer in den Gemüseladen, um sich Unverkäufliches abzuholen. Bananenbündel, wo zwei Exemplare schon angebräunt sind, Salat mit welken Außenblättern, Pfirsiche mit Schlag.
„Das sind so zwei Omis, die dort verkaufen. Ich mag die, und die mögen mich. Kam heute ein Asylant dazu mit Alkoholfahne, typisch mit Markenklamotten und ausrasierten Haaren. Hat an allem rumgefummelt. Die kannten den. Der und seine Kumpel bedienten sich immer an den exotischen Früchten. Mit bedienen meinten sie: klauen.
Die haben den erst nur beobachtet. Dann wanderten zwei Mangos in seine Jackentaschen. Voll auffällig, waren Riesendinger. Da sind die beiden Alten aber abgegangen! Die Ältere ist hinter der Kasse hervorgesprungen! Hat gerufen: Diebe wollen wir hier nicht! Die Mangos werden zurückgelegt, aber zackzack! Der Typ ist erst frech geworden, dann richtig aggressiv. Das hat die beiden Omis aber nicht im mindesten erschreckt, null!
Die haben sich beide zeternd vor ihn gestellt und ihn aufgefordert, sofort die Mangos zurückzulegen und den Laden zu verlassen. Hat er keinen Anlaß dazu gesehen. Der hat geschimpft und auf den Boden gespuckt. Dann greift ihm die Alte rechts und links in die Taschen, er wehrt das sogar ab, sie läßt nicht locker, nimmt die Mangos, und beide bugsieren den Kerl raus. Der war vielleicht zwanzig, der hätte die fertigmachen können.“
„Und Du?“ – „Naja, das hat vielleicht eine Minute gedauert. Mein Puls war auf 180. Ich hab innerlich gerast, sagen wir: Sprungbereitschaft. Aber die haben den mit der Wucht ihrer Empörung einfach rausgeschubst.“ – „Und dann? Haben die die Polizei gerufen?“ – „Nö, die hatten keine Angst. Die waren nur stinksauer. Und haben mir dann zusätzlich ein Pfund Ochsenherzen geschenkt. Mama, echt. Das Volk ist schon okay.“
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28. 8. 17 – Gut, vom Hochmut zur Demut: Kind berichtet, es würde (via Schule) an einem Spendenmarathon teilnehmen. Übliches Prozedere: Kind rennt so viele Runden, wie es schafft. Zuvor hat es ein, zwei, viele Sponsoren für sich gewonnen, die pro gelaufener Runde einen gewissen Betrag zahlen. American way of life.
„Und für wen ist das Geld dann?“ – „Na, für eine Schule in Nepal. Der Herr X. [Lehrer] ist mit dem Schulleiter dort befreundet. [Kind malt Anführungszeichen in die Luft.] Die Schule dort ist nun mehrmals zusammengebrochen, hat er erzählt. Und jetzt soll sie wieder aufgebaut werden.“
Die beiden schwerhörigen Männer der Familie kommentieren das unterschiedlich. Einer: „Das ist doch wohl ein Witz. Das glaub ich nicht. In welchem Land leben wir eigentlich, daß Spenden für eine marode Nachbarschule errannt werden müssen?“ (Er hatte „Nebra“ verstanden.)
Der andere, offenkundig nicht nur von Schwerhörigkeit betroffen: „Find ich auch absurd, Neapel, Spanien, das ist doch EU. Daß die nicht mal ordentliche Schulen bauen können?“ (Er will weder Bauarbeiter werden noch Fußballer. Entdecker? Reiseschriftsteller?)
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29. 8. 17 – Wenn Kubitschek lange Reisen unternimmt, hört er Audiodisketten. Hörbücher oder klassische Musik. Ich hingegen bin extrem radioaffin. So viele Sender, und was Interessantes ist immer dabei! Einschränkung: meistens. Fahren wir gemeinsam, fungiere ich (ein Typ wie K. will immer am Steuer sein) als Vorleserin – Romane, Zeitungsartikel.
Gestern und heute hatte ich lange und beifahrerlose Fahrten. 16 Stunden das Radio und ich. Logisch war selbst mir das Bildungsfunkgesabbel irgendwann über; vor allem während der immergleichen Nachrichten wechselte ich zu den volkstümlichen Sendern.
Nun bin ich nicht bloß mit abartigen Ohrwürmern gestraft, sondern habe eine neue Erkenntnis fürs Genderfach gewonnen: In fast sämtlichen Popsendern moderiert heute ein Pärchen: „Morningshow mit Uschi Schultze und Hagen-Henning Bierfleisch“ oder „Afternoonspaß mit Mandy Maus und Peter-Stefan Schmitt“.
Stets werfen sich Uschi/Mandy und ihre männliche Kompagnons überlustig und aufgedreht die Bälle zu, es wird geulkt, was das Zeug hält; übers Wetter, über „die Prominenten“, die Staumeldungen; stets auf Schenkelklopfniveau. Die Leute/Hörer wollen das, sonst gäb es das nicht.
Auffallend und über Ländergrenzen (ich hörte diverse Unterhaltungssender aus Sachsen, Thüringen, Hessen, Bayern, Baden-Württemberg) hinweg: Er ist der mit dem trockenen Humor. Er ist andererseits stets Objekt der fieseren Witze („Oh Gott, wenn morgen hochsommerliche Kleidung angesagt ist, guck ich bei dir morgen lieber weg!!“ HAHAHA) – wirklich komisch wär’s, wenn er das zu ihr sagen würde.
Und dann das: Frauen, die glucksend vor Lachen auf ihrem Moderatorinnenstuhl schier zusammenbrechen, sind extrem angesagt. Ich hab mitgezählt in meinen zwei, drei Stunden Popsenderhören: 13mal ist unterdessen eine Radiofrau (also: etwa sieben Radiofrauen zwischen Sachsen und Ba-Wü, einige demnach mehrfach) vor Lachen fast kollabiert. Die Abfolge ist stets gleich: Co-Moderator (m) reißt einen Witz, Mikro-Dame schnappt über, und zwar so: „GEIL!!! Hohohohohahahaha, nein, sowasvongeilhehehehahaha!“
Ich hab in diesen (sicher repräsentativen) Stunden keinen männlichen Moderator sich derart entäußern gehört. Ich überlege noch, was uns das sagen soll, und wie ich das werten soll.
Frau als permanente Adressatin/Empfängerin/(Witz)konsumentin? Und Mann? Als Anlaßgeber, Produzent, Verursacher? Er macht, sie lacht? Bin noch nicht sicher. Nur darüber, daß Geschlechterrollen offenkundig äußerst vital sind.
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31. 8. 17 – Im Erziehungsfunk lästern sie über den Wahl-o-Maten. Ein mündiger Bürger verlasse sich nicht auf 38 Thesen zum Ankreuzen, sondern lese Wahlprogramme. Wolkenkuckucksheim läßt grüßen!
Klar hab auch ich „mich testen lassen“. Das war nicht mal überraschungslos, weil ich beispielsweise keine Ahnung hatte, wie einzelne Parteien zur Impfpflicht stehen. Mein höchster Überschneidungswert (83 %) war bei der „Partei der Vernunft“, danach AfD (79 %), unter den „Etablierten“ schnitt die FDP mit 53 % am besten ab. (Ein Familienmitglied hat 97 % Zustimmung mit einer anderen Partei erzielt, ich staune.) Das übliche Bonmot, das mit „Wenn Wahlen etwas ändern würden“ beginnt, unterlasse ich hier.
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Ellen Kositzas gesammelte Wochenrückblicke der Jahre 2014–2016 sind in Buchform erhältlich! Ellen Kositza: Das war’s. Diesmal mit: Kindern, Küche, Kritik, Schnellroda 2017. Hier einsehen und bestellen!
H. M. Richter
Die wunderbare Geschichte von den zwei wackeren Gemüsefrauen liest sich, als entstamme sie einer anderen Zeit, als schlösse sich an sie der Ausbruch einer Revolution wie der französischen gar unmittelbar an. Warten wir es also ab. Zuvor findet vermutlich noch die Bundestagswahl statt. Und da weist der sogenannte Wahl-o-mat ganz offensichtlich orwellsche Züge auf, denn es wird von ihm erzählt, es spielten bei ihm die wichtigsten Themen wie beispielsweise Islam und illegale Einwanderung gar keine Rolle:
https://www.facebook.com/malte.kaufmann/posts/10213523802069099
Aber Menschen, die das Herz auf dem rechten Fleck haben und Verstand noch dazu - wie die beiden Gemüsefrauen, die sich keine Mangos und Tomaten stehlen lassen - brauchen keine Wahlomaten ...