Katalonien und die Unabhängigkeit

Eine Solidaritätswelle mit den Katalanen rauscht durchs Netz. Auch im konservativen bis identitären Lager herrscht Begeisterung. Begründet?

Benedikt Kaiser

Benedikt Kaiser ist Politikwissenschaftler und arbeitet als Verlagslektor.

Zunächst ein paar Fak­ten zur Ein­ord­nung: Kata­lo­ni­en ist eine der 17 auto­no­men Gemein­schaf­ten Spa­ni­ens, und zwar die wirt­schaft­lich stärks­te und die all­ge­mein wohl bekann­tes­te bis belieb­tes­te – die kata­la­ni­sche Metro­po­le Bar­ce­lo­na darf als Sehn­suchts­ort der euro­päi­schen Jugend gel­ten, der FC Bar­ce­lo­na scheint nicht nur für zahl­lo­se Kata­la­nen “mehr als nur ein Club” zu sein.

Cata­lu­ña (kata­la­nisch: Cata­lu­nya) ist aber nicht nur Bar­ce­lo­na und sei­ne pro­spe­rie­ren­de Umge­bung, son­dern umfaßt im Selbst­ver­ständ­nis eini­ger Unab­hän­gig­keits­be­für­wor­ter auch Gebie­te, die nicht zur Auto­no­men Gemein­schaft (für den Ein­stieg hier: ver­gleich­bar unge­fähr dem Bun­des­land in der BRD) zäh­len wie Valen­cia oder die Balea­ren (z. B. Mal­lor­ca), wo – wie auch in Andor­ra oder um Per­pignan in Süd­frank­reich – kata­la­nisch gespro­chen wird. Kata­la­nisch ist kein Dia­lekt des Spa­ni­schen, son­dern eine eigen­stän­di­ge roma­ni­sche Spra­che mit eige­nen gram­ma­ti­ka­li­schen Regeln und diver­sen regio­na­len Dia­lek­ten; der Unter­schied zwi­schen den stan­dar­di­sier­ten Spra­chen cata­là und espa­ñol (bzw. cas­tel­lano) ist dabei grö­ßer als jener zwi­schen Hoch­deutsch und Schweizerdeutsch.

Und spä­tes­tens hier begin­nen die Pro­ble­me. Im Bal­lungs­raum Bar­ce­lo­na, dem Motor der Unab­hän­gig­keits­be­für­wor­ter, leben mehr als drei Mil­lio­nen Men­schen. Min­des­tens ein Vier­tel sind Nicht-Kata­la­nen aus ande­ren Regio­nen Spa­ni­ens, wei­te­re star­ke Grup­pen kom­men aus dem spa­nisch­spra­chi­gen Aus­land (v. a. Süd­ame­ri­ka), bis zu einem Fünf­tel der drei Mil­lio­nen gar aus dem nicht­spa­ni­schen (und nicht­ka­ta­la­ni­schen) Aus­land, ins­be­son­de­re aus Paki­stan und Nord­afri­ka. Bei vie­len Kata­la­nen herrscht aber mehr Skep­sis ange­sichts his­pa­ni­scher Zuwan­de­rung als vor außer­eu­ro­päi­schem Zuwachs; die Mas­sen­de­mons­tra­tio­nen für offe­ne Gren­zen spre­chen Bände.

Die his­to­risch-poli­ti­sche Ent­wick­lung in Kata­lo­ni­en selbst ist seit über 300 Jah­ren von extre­men Pen­del­schlä­gen gezeich­net. Im zurück­lie­gen­den Jahr­hun­dert gab es zwei mar­kan­te Strän­ge: Zunächst, unter dem reak­tio­nä­ren Fran­co-Regime, war Kata­la­nisch ver­bo­ten, wur­den die kata­la­ni­sche Kul­tur und Selbst­be­haup­tung mas­siv in ihrer Ent­fal­tung behin­dert. Der im Sti­le eines auto­ri­tä­ren Feu­dal­herr­schers auf­tre­ten­de gene­ralí­si­mo ver­zieh Kata­lo­ni­en nicht, daß es im Bür­ger­krieg (1936–39) Kopf und Herz des “roten Spa­ni­ens” ver­kör­per­te. Resul­tat war der fort­wäh­ren­de Kampf gegen jedes kata­la­ni­sche Lebenszeichen.

Dann, nach der Dik­ta­tur, schlug das Pen­del um, und die­ser Pen­del­schlag dau­ert wei­ter an: Die Kata­la­ni­sie­rung Kata­lo­ni­ens begnügt sich nicht mit den Auto­no­mie­rech­ten, nicht damit, daß bei­de Spra­chen glei­che Rech­te erhiel­ten und alle Ein­schrän­kun­gen auf­ge­ho­ben wur­den. Die kata­la­ni­sche Poli­tik ging wei­ter und tilg­te das Kas­ti­li­sche als einen­de Spra­che der gesam­ten spa­ni­schen Nati­on; eine offen­si­ve Enthis­pa­ni­sie­rung setz­te ein, die spe­zi­ell in Bar­ce­lo­na bis­wei­len bizar­re Blü­ten treibt, etwa in bezug auf Stra­ßen­um­be­nen­nun­gen, Dis­kri­mi­nie­rung nur spa­nisch­spre­chen­der Kata­la­nen (und nur spa­nisch­spre­chen­der Zuwan­de­rer, ob aus Sevil­la oder Tétou­an) wie auch der Degra­die­rung des Spanischen/Kastilischen zur “Fremd­spra­che” neben Eng­lisch oder Fran­zö­sisch in Lehr­ver­an­stal­tun­gen von Bildungseinrichtungen.

Neben die­sen gesell­schaft­lich-kul­tu­rel­len Ent­wick­lun­gen ist es beson­ders die wirt­schaft­li­che Potenz Kata­lo­ni­ens, beson­ders in den indus­tri­el­len und kon­sum­gü­ter­ori­en­tier­ten Sek­to­ren, die, noch am ehes­ten ver­gleich­bar der Rol­le Bay­erns in Deutsch­land, den Abspal­tungs­dis­kurs antreibt: Die Rede ist nicht sel­ten von der Melk­kuh Kata­lo­ni­en, die das fer­ne, arme, unpro­duk­ti­ve Spa­ni­en am Leben hal­ten muß (– dabei wäre es inter­es­sant zu sehen, um bei der Melk­kuh-Meta­pher zu blei­ben, wohin Kata­lo­ni­en sei­ne tat­säch­lich man­nig­fal­ti­gen Milch­pro­duk­te, die in ganz Spa­ni­en in den Super­märk­ten aus­lie­gen, denn zu expor­tie­ren gedenkt, wenn Rest­spa­ni­en die neu­en Gren­zen direkt schlie­ßen würde).

Es sind also, ver­ein­fa­chend gesagt, zwei Haupt­ten­den­zen, die die Unab­hän­gig­keits­be­für­wor­ter dazu trei­ben, das Refe­ren­dum vom 1. Okto­ber gegen den aus­drück­li­chen Wil­len Madrids durch­zu­füh­ren: die natio­nal-kul­tu­rel­le und die mate­ri­el­le. Der­zeit über­lap­pen sich bei­de Ten­den­zen, der Eigen­stän­dig­keits­ge­dan­ke ist auf dem Höhe­punkt. Von der radi­ka­len Lin­ken bis zur bür­ger­li­chen Rech­ten Kata­lo­ni­ens wird er ver­tre­ten, wäh­rend das Ergeb­nis des Refe­ren­dums, so es denn über­haupt in den cir­ca 80 Pro­zent der Gemein­den, die sich an ihm betei­li­gen wol­len, durch­ge­führt wür­de, lager­über­grei­fend als ergeb­nis­of­fen begrif­fen wird. Man rech­net so oder so mit einer sehr knap­pen Ent­schei­dung für oder gegen die Los­lö­sung von Spa­ni­en; das Lager der Sezes­sio­nis­ten ist ledig­lich medi­al sicht­ba­rer (weil von Stu­den­ten bzw., all­ge­mei­ner, von brei­ten Tei­len der Jugend getra­gen) und auf der Stra­ße laut­stär­ker vertreten.

Auf­grund der ers­ten genann­ten Ten­denz nun, nament­lich der natio­nal-kul­tu­rel­len, üben sich auch in Deutsch­land iden­ti­tä­re und kon­ser­va­ti­ve Akteu­re in vir­tu­el­ler Soli­da­ri­tät: Da sei ein Auf­fla­ckern iden­ti­täts­be­wuß­ter Poli­tik zu kon­sta­tie­ren, der Wil­le, als Kata­la­ne in einer kata­la­ni­schen Nati­on zu leben. Oder, an ande­rer Stel­le: Kata­lo­ni­en zei­ge Brüs­sel die Gren­zen auf. Nun: Bei­des ist nur sehr ein­ge­schränkt gül­tig, und vor allem die Grenz­fra­ge fällt den rech­ten Freun­den Kata­lo­ni­ens schnell auf die Füße. Denn die kata­la­ni­sche Unab­hän­gig­keits­be­we­gung for­dert Gren­zen (für ein eigen­stän­di­ges Kata­lo­ni­en) gewis­ser­ma­ßen nur, um sie dann wie­der zu öff­nen – für Migran­ten, die, pole­misch gespro­chen, am bes­ten aber nicht aus Rest­spa­ni­en stam­men, son­dern von außerhalb.

Aber auch ers­te­res – der kata­la­ni­sche Furor als Boll­werk gegen Ver­ein­heit­li­chungs­ten­den­zen aus Madrid oder gar Brüs­sel – führt zu Miß­ver­ständ­nis­sen. Denn die­ser bis­wei­len arti­fi­zi­el­le kata­la­ni­sche Natio­na­lis­mus, wie er, in ent­spre­chen­den ideo­lo­gi­schen Abstu­fun­gen, von der links­ra­di­ka­len Can­di­da­tu­ra d’Unitat Popu­lar (CUP) bis zu rechts­li­be­ra­len Demo­kra­ten ver­tre­ten wird, basiert ins­be­son­de­re auf dem Prin­zip des Civic natio­na­lism, wie wir ihn ähn­lich auch aus Schott­land ken­nen, d. h. vor­herr­schend ist ein genu­in staats­bür­ger­li­ches (und dezi­diert nicht-iden­ti­tä­res) Ver­ständ­nis eines mul­ti­kul­tu­rel­len “Natio­na­lis­mus”, den man hier­zu­lan­de, unter den spe­zi­fi­schen Bedin­gun­gen der deut­schen Situa­ti­on, schlicht Ver­fas­sungs­pa­trio­tis­mus nen­nen wür­de. In Kata­lo­ni­en ver­mengt sich die­ser zeit­geis­ti­ge Staats­bür­ger­na­tio­na­lis­mus – der kein klas­si­scher iden­ti­täts­po­li­ti­scher Natio­na­lis­mus sein möch­te, aber bspw. sprach­li­chen Chau­vi­nis­mus betreibt – nun mit sozia­len Fra­gen, einer gesell­schaft­lich durch­aus hege­mo­nia­len Refu­gees-Wel­co­me-Men­ta­li­tät sowie dem reüs­sie­ren­den anti­s­pa­ni­schen Res­sen­ti­ment, das sich aus his­to­risch-anti­fa­schis­ti­schen und aktu­ell-real­po­li­ti­schen Moti­ven speist.

Auch die Brüs­sel-Kri­tik sei­tens “der” Kata­la­nen (hier und fol­gend gemeint: der Befür­wor­ter der Los­lö­sung von Spa­ni­en) wird all­ge­mein über­schätzt. Sie for­dern von extrem links bis bür­ger­lich rechts den Ver­bleib eines eigen­stän­di­gen Kata­lo­ni­ens inner­halb der Uni­on und befür­wor­ten uni­so­no Mas­sen­zu­wan­de­rung. Der kata­la­ni­sche Sepa­ra­tis­mus, wie er sich gegen­wär­tig arti­ku­liert, ist, über­spitzt gesagt, sei­ner Gesin­nung nach über­wie­gend links­li­be­ral; er will ein Kata­lo­ni­en in der EU – aber ohne den läs­ti­gen Mitt­ler aus Madrid. (In neu­rech­te Ter­mi­no­lo­gie über­setzt: die tri­ple appar­ten­an­ce aus Regi­on, Nati­on und Euro­pa wird auf­ge­ho­ben; Säu­le 1, Kata­lo­ni­en, wird ver­ab­so­lu­tiert, Säu­le 2, Spa­ni­en, negiert, Säu­le 3, Euro­pa, als sozi­al und mul­ti­kul­tu­rell zu gestal­ten­des EU-Welt­bür­ger-Pro­jekt umin­ter­pre­tiert und daher zumin­dest ideell eben­falls aufgehoben.)

Für die EU ist ein Zen­tral­staat Spa­ni­en, bei dem Kata­lo­ni­en als inte­gra­ler Teil erhal­ten blie­be, dabei gewiß von Vor­teil. Nur wür­de die EU nicht poli­zei­staat­li­che Maß­nah­men ergrei­fen (las­sen), um die­ses kata­la­ni­sches Refe­ren­dum zu stop­pen, weil man dann gewis­se Reak­tio­nen und Stim­mun­gen schü­ren wür­de, die euro­pa­weit auf­fla­ckern könn­ten. Dem­entspre­chend heißt es sei­tens der EU-Nomen­kla­tu­ra, man sei besorgt, aber doch nicht in Panik; man set­ze auf demo­kra­ti­sche Ent­schei­dungs­pro­zes­se. Am Ende wäre es für die EU emi­nent wich­tig, den Stand­ort Kata­lo­ni­en für diver­se gesamt­eu­ro­päi­sche wirt­schaft­li­che Inter­es­sens­grup­pen (Phar­ma & Che­mie, Metall & Maschi­nen­bau etc.) am Leben zu hal­ten. Das geht am bes­ten mit Spa­ni­en, aber not­falls auch ohne.

Anders gesagt: Für die EU ist das Refe­ren­dum, ob es nun am 1. Okto­ber 2017 durch­ge­führt wür­de oder um ein, zwei Jah­re ver­zö­gert wer­den kann, ein Prä­ze­denz­fall, aber kei­ne Fra­ge auf Leben und Tod: für Madrid schon. Iro­ni­scher­wei­se aber auch für Kata­lo­ni­en: Denn wenn das um Kata­lo­ni­en erleich­ter­te (Rest)Spanien kei­ne Gebrauchs- und Ver­brauchs­gü­ter mehr aus Kata­lo­ni­en bezö­ge (als trot­zi­ge Reak­ti­on), wäre Kata­lo­ni­en rasch gezwun­gen, noch stär­ker (und güns­ti­ger) in die Mit­glied­staa­ten der EU zu expor­tie­ren. Damit jedoch wäre der Aspekt des rela­ti­ven Wohl­stands zumin­dest poten­ti­ell unter­mi­niert, mit­hin aus­ge­rech­net jener Aspekt, der die Über­heb­lich­keit vie­ler Kata­la­nen gegen­über dem rest­li­chen Spa­ni­en mate­ri­ell begründet.

Iro­nisch scheint, daß die über­wie­gend links, sozi­al und eman­zi­pa­to­risch aus­ge­rich­te­te kata­la­ni­sche Unab­hän­gig­keits­be­we­gung just auf die­ses wohl­stand­schau­vi­nis­ti­sche Res­sen­ti­ment bau­en könn­te, wenn es an die Urnen gin­ge. Die Soli­da­ri­tät links­ori­en­tier­ter Kata­la­nen unter­schied­li­cher Cou­leur mit dem ide­al­ty­pisch kon­stru­ier­ten Refu­gee wiegt offen­bar stär­ker als jene mit dem arbeits­lo­sen Spa­ni­er aus der Extre­ma­du­ra. Die spa­ni­sche Nati­on gerät so in eine exis­ten­ti­el­le Kri­se. Das „leben­di­ge Bewußt­sein der Soli­da­ri­tät“, das, wie José Orte­ga y Gas­set in einem aufs Neue aktu­ell zu lesen­den Essay aus­führ­te, „unum­gäng­lich ist für die Gesund­heit der Nati­on“, hat wei­te Tei­le der gesamt­spa­ni­schen poli­ti­schen Land­schaft längst ver­las­sen. Nach der Bewe­gung 15‑M (2011/12) und Pode­mos (2014 ff.) droht nun zum drit­ten Mal in sechs Jah­ren eine brei­te Pro­test­wel­le aufzukommen.

Die Zei­chen ste­hen in die­sem Sin­ne auf Zuspit­zung der Ver­hält­nis­se, denn die Kri­se des poli­ti­schen Sys­tems, bereits seit 2008 in schwan­ken­dem Maße viru­lent, erreicht neue Aus­ma­ße. Das neo­li­be­ra­le Estab­lish­ment in Madrid um Volks­par­tei (PP) und Sozi­al­de­mo­kra­ten (PSOE) kennt als Ant­wort auf die kata­la­ni­sche Her­aus­for­de­rung nur Repres­sa­li­en; die spa­ni­sche Lin­ke um Pode­mos oszil­liert zwi­schen Pro­test gegen eben­die­se auto­ri­tä­re Ansät­ze und einer gesamt­spa­ni­schen sozia­len Aus­rich­tung; die kämp­fe­ri­sche Rech­te (jen­seits der Main­stream-PP) ist tra­di­tio­nell mar­gi­na­li­siert und, aus exter­nen wie inter­nen Grün­den, iso­liert, ver­sucht aber seit 2016, den anti­na­tio­na­len Spal­tungs­ten­den­zen mit­tels Bünd­nis­ar­beit im Zei­chen des “Respekt” (#Res­pe­to) ent­ge­gen­zu­wir­ken (feder­füh­rend in die­ser anti­se­pa­ra­tis­ti­schen Alli­anz sind im übri­gen die iden­ti­tä­re Platt­form für Kata­lo­ni­en, PxC, und der Front Natio­nal-Gesprächs­part­ner Spa­ni­en 2000, E‑2000).

Der war­me kata­la­ni­sche Herbst – er beginnt mit vie­len Sorgen.

Benedikt Kaiser

Benedikt Kaiser ist Politikwissenschaftler und arbeitet als Verlagslektor.

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Kommentare (11)

Robert Fürstl

22. September 2017 19:35

Interessanter Artikel - danke. Eine Korrektur ist aber angebracht: Rest-Spanien könnte die Grenzen für katalanische Produkte nicht schließen, selbst wenn es das sollte. Spanien ist - wie alle halbwegs wirtschaftlich bedeutsamen Territorien dieser Welt - Mitglied in der Welthandelsorganisation (World Trade Organisation - WTO). Alle Mitgliedsländer sind - etwas vereinfacht - nach den Statuten verpflichtet, gegenüber anderen Mitgliedsländern keine Zölle zu erheben, die nicht bei Beitritt des Landes schon bestanden und auch sonst keine Behinderungen des freien Warenverkehrs (sog. nicht-tarifäre Handelshemmnisse) gegenüber anderen WTO Mitgliedern einzuführen. Bei einem Ausscheiden Kataloniens aus Gesamtspanien würden sich die Rechte und Pflichten von Spanien unter dem WTO Vertrag automatisch auf die beiden neuen Einheiten Rest-Spanien und Katalonien übertragen. Keines der beiden neuen Länder dürfte den Handel mit dem anderen Land also durch Zölle oder nicht-tarifäre Handelshemmnisse erschweren. Unterbinden dürfte es den Handel schon gar nicht. Also: Die Drohung der Spanier, sonst die Grenzen zuzumachen und so das neue Gebilde wirtschaft in die Knie zu zwingen ist ein glatter Bluff, weil evident völker(vertrags-)rechtswidrig. Mit demselben Argument wird übrigens auch in der Diskussion um den Austritt von Großbrittanien aus der EU (dann macht die EU eben die Grenzen zu ...) oder von  Schottland aus der Rest-Großbrittanien argumentiert. Auch dort ist das Argument - teils bewußt, teils aus Unkenntnis der Materie - barer Unsinn.

Solution

22. September 2017 20:14

Volle Zustimmung! Übrigens: Wem nützt es, wenn Europa in viele kleine Einheiten zerfällt? Zum Thema: https://altright.com/2017/09/22/catalonian-secession-is-a-joke-and-white-nativists-will-never-support-it/

Thomas

22. September 2017 21:21

Bei der katalanischen Unabhängigkeitsbewegung bin ich sehr skeptisch. Die Masseneinwanderung von Moslems aus Nordafrika, die dort schon seit Jahren stattfindet wird sich dadurch noch verstärken, weil die Mentoren der Unabhängigkeitsbewegung sich dadurch Hilfe bei der Separation versprechen. Die Islamisierung wird dort sehr schnell voranschreiten. Sie nehmen dazu sogar Unterstützung aus Quatar und Iran an, weshalb man bereits nicht mehr von einer Katalanisierung sondern von einer einer "Quatarlinisierung" spricht. Gudrun Eussner hat in ihrem Blog einen interessanten Artikel dazu geschrieben, den jeder lesen sollte: Katalonien auf dem Weg ins Kalifat
"Sieh, mein Sohn, dieser Boden, auf den du trittst, wird in wenigen Jahren Allahs Land sein. Unterstütze die Unabhängigkeit!"

Der_Jürgen

23. September 2017 00:24

Als grosser Freund Spaniens und des spanischen Volkes kann ich Benedikt Kaiser für diese luzide Analyse nur hohe Anerkennung zollen. Wenn es tatsächlich Identitäte gibt, die den eventuell bevorstehenden Abfall Kataloniens von Spaniens begrüssen, so erliegen sie einem fatalen Irrtum. Angesichts der tödlichen Gefahr der afro-orientalischen Invasion ist kleinkarierter Regional-Nationalismus, sei es nun der katalanische oder der bretonische oder der walisische, vollkommen fehl am Platz. Selbstverständlich war es ein grosser Fehler von Franco (den ich sehr respektiere), nach dem Bürgerkrieg gegenüber Katalonien und dem Baskenland eine kleinliche revanchistische Politik zu betreiben und die Regionalsprachen zu unterdrücken. Selbstverständlich ist der Erhalt der katalanischen und der baskischen Sprache sowie der regionalen kulturellen Besonderheiten zu fördern. Dagegen hat kein Mensch etwas, ebenso wenig wie ein deutsche Patriot etwas  gegen die Pflege des Dänischen in Schleswig-Holstein oder des Sorbischen in der Lausitz hat. Aber die Auflösung europöischer Nationalstaaten ist abzulehnen. Wie Kaiser richtig festhält, haben diese merkwürdigen katalanischen "Nationalisten" nicht das Geringste gegen die Überflutung Kataloniens durch Landnehmer aus der Dritten Welt; im Gegenteil, sie begrüssen sie sogar. Das erinnert mich fatal an die ukrainischen "Nationalisten", die GIft und Galle gegen Russland speien, sich aber von zionistischen Oligarchen aushalten lassen und jeden Befehl aus Washington gehorsam ausführen. Weniger bekannt ist, dass auch die weissrussischen "Nationalisten", die - Lukaschenko sei es gedankt - an einer sehr kurzen Leine gehalten werden, eine betont proamerikanische Politik befürworten. Ihr "Nationalismus" wird von den USA unterstützt - nicht weil diese irgendwelche Sympathie für die weissrussische Sprache oder weissrussische Bräuche hätten, sondern weil sie den weissrussischen Nationalismus wie den ukrainischen als Instrument gegen Moskau nutzen wollen. Wenn Katalonien in ein paar Jahrzehnten islamisiert ist, interessiert es mich herzlich wenig, ob dort als Zweitsprache nach Arabisch nun Spanisch oder Katalanisch gesprochen wird!

RMH

23. September 2017 00:29

"Eine Solidaritätswelle mit den Katalanen rauscht durchs Netz. Auch im konservativen bis identitären Lager herrscht Begeisterung."

Sieht schwer nach einer Nebenwirkung der nur eingeschränkt tauglichen Theorie des Ethnopluralismus aus, an der sich ja gerade auch die identitäre Bewegung (zu?) stark orientiert. DIese Theorie birgt in der Tat ein gewisses Risiko für zu viel Sympathie für Kleinstaaterei und an der Atomisierung starker Nationen, die aber gerade in Europa angesichts der global werdenden Welt und des damit einhergehenden Globalismus dringend gebraucht werden. "Ehtnien" sind zu kleine Bestandteile jeder europäischenNation - wer ernsthaft National denkt, der muss eigentlich größer denken. Die Spanier sollten daher bitte mal schön zusammen bleiben (was macht eigentlich Galicien aktuell in dieser Frage des Auseinanderdriftens ?). Fazit: Guter, kritischer Artikel!

PS: Wer die linke Tradition Kataloniens literarisch erleben will (und dabei eine Abrechnung mit dem Stalinismus lesen will), für den sei das hier empfohlen:

https://antaios.de/detail/index/sArticle/45019

Cacatum non est pictum

23. September 2017 04:02

Schön, etwas mehr über die Begleiterscheinungen dieser anstehenden Sezession zu erfahren. Sehr interessant! In der politischen Wirklichkeit unserer Zeit bin ich skeptisch, was die Überlebenschancen eines solch kleinen Staates angeht. Kann er seinen Bürgern die innere und äußere Sicherheit garantieren? Im Ernstfall wohl eher nicht. Ein Autonomiestatus innerhalb Spaniens würde vermutlich die bessere Lösung bleiben. Interessant ist die Frage, was eine erfolgreiche Abspaltung für das Monstrum EU, für die Globalisierung bedeuten würde. Denn ein solcher Vorgang wird mit Sicherheit Triebkräfte für andere Volksgruppen erzeugen, die auf Separation aus sind: Basken, Korsen usw. Wäre das der Anfang vom Ende der EU? Oder würde es den Brüsseler Zentralisten in die Hände spielen, weil starke Nationalstaaten geschwächt werden und die neuen Minivölker keinen nennenswerten Widerstand zuwege bringen können (Divide et impera)? Einigermaßen fassungslos habe ich von der Einwanderungsfreundlichkeit der Katalanen Kenntnis genommen. Das lässt bei mir jede Sympathie für ihr Vorhaben absterben. Wollen sie die Reconquista rückabwickeln, die ihre Vorfahren so mühevoll erkämpft haben? Merken sie nicht, dass sie damit ihrem Volk den Garaus machen werden? Abgesehen davon braut sich gerade ein gefährliches Konfliktgemisch zusammen. Sollte das Referendum positiv ausfallen, und die Zentralregierung erkennt es nicht an, dann könnte das einen Bürgerkrieg in Gang setzen. Man erinnere sich an die frühen Neunzigerjahre: Da haben Sezessionen dieser Art den Staat Jugoslawien blutig auseinanderbrechen lassen. An etwas Vergleichbarem kann uns nicht gelegen sein.

John Haase

23. September 2017 10:25

Bei diesen europäischen Separationsbewegungen muß ich immer an Roths "Radetzkymarsch" denken. Nach dem Tode des Kaisers werden alle Völker ihre "dreckigen kleinen Staaten" errichten. Diese Phrase blieb bei mir irgendwie besonders stark haften. Ich sehe ein Europa voll dreckiger kleiner Staaten, von denen sich teilweise weitere dreckige kleine Staaten abspalten wollen. Ich meine das gar nicht chauvinistisch, heute gibt es in Europa von Rußland abgesehen überhaut nur noch dreckige kleine Staaten. Wenn die Katalanen für ihre Unabhängigkeit stimmen (von Spanien jedenfalls, von der EU und der herrschenden liberalen Hypermoral bleiben sie natürlich völlig abhängig), dann kann Spanien vielleicht zeigen, daß es kein dreckiger kleiner Staat ist. 

quarz

23. September 2017 15:26

Das ist in der Tat eine Perversion: um den fanatischen Wunsch nach Abgrenzung von einer nahe verwandten Kultur realisieren zu können, holt man sich massenweise Angehörige einer fremden Kultur ins Land, der man fast täglich dabei zusehen kann, wie aus ihrem Nährboden Gewalt und Terror wächst.

Nemo Obligatur

23. September 2017 21:52

Vorweg: Ich bin wirklich kein Spanien-Kenner. Das Land und seine Geschichte haben mich noch nie sonderlich interessiert.

Ihr Artikel, Herr Kaiser, scheint mir einer der informativsten und ausgewogensten zu sein, die in den letzten Tagen zum katalanischen Autonomiebestreben erschienen sind. Es spricht für die Sezession, dass sie inzwischen eine ziemliche Bandbreite an Themen kompetent abdeckt. Vermutlich wird das Thema Katalonien nach der Bundestagswahl auch bei uns stärker wahrgenommen. Im europäischen Kontext könnte es sich als Wegmarke entpuppen. Bleiben Sie bitte dran.

Curt Sachs

23. September 2017 23:00

Der Jürgen schrieb: »Selbstverständlich ist der Erhalt der katalanischen und der baskischen Sprache sowie der regionalen kulturellen Besonderheiten zu fördern. Dagegen hat kein Mensch etwas, ebenso wenig wie ein deutsche Patriot etwas  gegen die Pflege des Dänischen in Schleswig-Holstein oder des Sorbischen in der Lausitz hat.«

Das Dänische passt nicht in diese Reihung von Kalatanisch, Baskisch und Wendisch. Dänisch ist Staatssprache und wird von einem eigenen Staatsvolk gesprochen. Deshalb ist Dänisch auch weiterhin stabil. Katalanisch, Baskisch und Wendisch dagegen werden von keinem je eigenen Staatsvolk gesprochen. Alle diese Sprachen sind selbst innerhalb ihres angestammten Siedlungsraums inzwischen Minderheitensprachen, auch deshalb, weil der Siedlungsraum keine festen Grenzen hat: Dem Zustrom aus der jeweiligen Mehrheitsgesellschaft kann nicht einmal ansatzweise gesteuert werden. Der Auswanderung in die übrigen Staatsgebiete kann nicht einmal das Etikett "Auswanderung" aufgeklebt werden. Zur Erhaltung eines Volkes ist eine wirkliche Grenze, die Innen und Außen trennt, unabdingbar. Diese Grenze muss nicht undurchlässig sein. Sie muss auch nicht haarscharf definiert sein. Aber es muss einen verdichteten eigenen Raum geben. Ein eigenes staatliches Gebilde kann ein Beitrag dazu sein.

M. M.

25. September 2017 00:34

Katalanische Separatisten vermeiden nach Möglichkeit den Zuzug von den sonst in Spanien sehr präsenten Lateinamerikanen, da die Spanisch sprechen und auf das Erlernen des Katalanischen nicht viel Lust haben. Stattdessen haben sie den Zuzug von bisher ca. 400.000 Moslems ermöglicht, darunter allein ca. 60.000 Pakistanern. Katalonien war übrigens nicht lange unter islamischer Herrschaft und lange Zeit ein Bollwerk dagegen. Jetzt aber begehen Katalanen den gleichen Verrat wie westgotische Streithähne 711.

Zei ganz gute englischsprachige Übersichten:
https://www.gatestoneinstitute.org/3393/catalonia-islamic-republic
https://gatesofvienna.blogspot.de/2012/04/islamization-of-catalonia.html

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