Ich beichte an dieser Stelle, daß ich manchmal auf der Suche nach geeigneten Sonntagshelden durch die Schlagzeilenübersicht von Spiegel Online scrolle. Dabei erfährt man allerhand: Was es mit der neuen Geliebten von Gerhard Schröder auf sich hat, daß ein Albino-Orang-Utan jetzt eine eigene Insel bekommt, und irgendwas mit Fußball.
Manchmal stößt man in dieser Wüste der Belanglosigkeiten aber auch auf richtige Typen, und so geht der Dank diese Woche mal an Jochen Leffers.
Manchen Lesern wird unser Held ein Begriff sein; ich kannte ihn bis vorgestern nicht, und das trägt für mich vornehmlich zum Charme des Auszuzeichnenden bei. Sein Name ist Stanislaw Jewgrafowitsch Petrow, er war Oberstleutnant der russischen Luftverteidigungskräfte, und der Grund, weshalb am Dienstag ein paar Artikel über ihn erschienen, ist, daß er vor einigen Monaten verstorben ist.
Davon hatte man in Deutschland und selbst in seiner russischen Heimat nicht wirklich etwas mitbekommen. Petrow wohnte seit einigen Jahren zurückgezogen in einer Plattenbausiedlung im kleinen Ort Fjasino in der Nähe von Moskau.
Er war – für einen kurzen Zeitraum um die Jahrtausendwende – einmal „der Mann, der die Welt rettete“, dann verschwand er wieder im Humus der Geschichte irgendwo zwischen Amy Winehouse, Rudi Carrell und Helmut Schmidt. Die paar Ehrungen, die ihm zuteil wurden (unter anderem der World Citizen Award und der Dresden-Preis), gehen zurück auf einen Abend, der heute fast genau 34 Jahre zurückliegt.
Am 26. September meldet die russische Satellitenüberwachung im Serpuchow-15-Bunker den Abschuß von insgesamt fünf amerikanischen Interkontinentalraketen. Zu diesem Zeitpunkt war Petrow diensthabender Offizier, und auch wenn die letzte Entscheidung nicht bei ihm lag, war es doch sein Bauchgefühl, das im Umgang mit dem drohenden Inferno letztendlich den Ausschlag gab.
Allen Alarmsignalen zum Trotz meldete Petrow einen Fehlalarm und verhinderte so einen sowjetischen Vergeltungsschlag, der in der angespannten Atmosphäre des Kalten Kriegs eine Kettenreaktion mit mehreren hundert Millionen Opfern ausgelöst hätte.
Die wirkliche Größe dieses Mannes zeigt sich aber nicht nur daran, daß er mit seiner Entscheidung einen globalen Konflikt ungeahnten Ausmaßes verhindert hat. Viel beeindruckender ist die Vehemenz, mit der er trotz der nacheinander eingehenden Alarmmeldungen bei seinem Entschluß blieb. Um ihn herum die drückende Schwere des Bunkers, flackernde Alarmleuchten, dröhnende Sirenen, der riesige Bildschirm, auf dem in großen roten Buchstaben erst das Wort START, später dann RAKETENANGRIFF aufleuchtet, dazu die wartenden Blicke seiner Untergebenen, die er mit einem unwirschen „Weiterarbeiten!“ zur Seite wischt, bevor er – immer und immer wieder – zum Hörer greift und mit tauben Füßen und schweißgebadet „Fehlalarm“ meldet.
Unter diesem Druck nicht zusammenzubrechen – heldenhaft. Sein Umgang damit – soldatisch:
Danach trank ich einen halben Liter Wodka und schlief 28 Stunden.
Твоё здоровье, Genosse!
Der Starost
Was für ein großartiger Mensch! Was für ein Soldat - haben wir nicht immer hören müssen, Soldaten seien alle Mörder?