die “alltäglich” ein “trauriges Bild” böten und über “keinerlei schöpferische Gestaltungskraft” verfügten, weiter: Daß doch auch ich trotz meiner “staatsgläubigen […] naiven sozialen Orientierung” endlich erkennen müßte, wer das “tragende Gerüst unseres Vaterlandes” stelle: das Bürgertum, große Unternehmer, “traditionsreiche Familien”.
Und alles, was die AfD tun müsse, sei es doch, diese vermögende und wertschaffende Schicht zu erreichen und auf sie zu bauen, weil eben das obere Bürgertum von der Überfremdung hart getroffen werde, es ansonsten doch aber “unser Land und unsere Gesellschaft ganz passabel finde und passabel gestalte”. Erkenne man dies, könne die AfD klare Kante gegen links (bzw. Sozialpopulismus) und rechts (bzw. Rechtspopulismus) zeigen und die Klippe der Diabolisierung umschiffen. Wenn das obere Bürgertum mit der AfD gehe, könnte auch Medienhetze nichts am langfristigen Erfolg ändern, dann wäre man am Ziel, hätte Finanzstärke und könnte Deutschland vom rotgrünen freiheits- und wirtschaftsfeindlichen Ungeist befreien.
Ein anderer Leser schrieb mir, in fast gegenteiliger Stimmungslage, es sei schön, daß das konservative Milieu endlich begonnen habe, sich von dem “Ruch des Besserverdiener-Wessis” wegzubewegen. Die Wahl habe wiedermal gezeigt, daß die Hoffnung nicht nur aus dem Osten käme, sondern vor allem auch “aus den sogenannten prekären Milieus, wo man die Merkel-Politik auszubaden” habe, ob es nun um Leiharbeitsproblematik oder die Überfremdung in sozial schwächeren Wohngebieten gehe. Hätte die AfD im Lucke-Petry-Pretzell-Still einseitig auf bürgerliche Schichten gesetzt, wäre man baden gegangen, hätte die AfD keine solide Perspektive.
Soweit, zwei Leser derselben Zeitschrift, zwei Wähler derselben Partei, zwei Personen, die sich beide als “konservativ” beschreiben und verstehen. Man darf durchaus annehmen – als empirische Basis kann ich leider nur die hiesige Kommentarspalte angeben –, daß diese beiden Leser gar nicht so alleine mit ihren jeweiligen Meinungen stehen. Beide dürften Zustimmung und Widerspruch finden.
Weil solche Themen innerhalb der politischen Rechten häufig schnell emotional diskutiert werden, und weil diese Positionen nur schwer konstruktiv ausgefochten werden können, genügt uns heute eine nüchterne Zusammenfassung dessen, was man wenige Tage nach der Bundestagswahl an Informationen besitzt.
- Die AfD erhielt in Ostdeutschland 20,5 Prozent, in Westdeutschland 10,7 Prozent der Stimmen (jeweils gerundet). Das spricht für eine starke Ostverortung der Parteiwählerschaft, zugleich gilt es aber zu bedenken, daß die Stimmen aus dem Osten alleine nicht gereicht hätten: Man wäre knapp an der Fünfprozenthürde gescheitert.
- Das Gefälle besteht nicht nur im Verhältnis Ost-West, sondern auch Südost-Nordwest. Niedersachsen, Hamburg und Schleswig-Holstein sind die schwächsten Länder für die AfD mit Ergebnissen zwischen 7,8 und 9,1 Prozent, Sachsen mit 27 Prozent Spitzenreiter. Weiter: Bayern ist relativ stark (12,4), desgleichen Baden-Württemberg (12,2). Aber selbst diese beiden Süd-Bundesländer bleiben unter dem Bundesschnitt, der nur dadurch gehoben wurde, daß neben Sachsen auch Thüringen, Sachsen-Anhalt und Brandenburg knapp unter 20 bis knapp unter 23 Prozent erreichen konnten. Die stärksten Landesverbände sind, dies wertfrei, jene, die zugleich den politisch konsequentesten Kurs fahren.
- Die AfD ist ein Demokratiemotor. Fast 1,5 Millionen Nichtwähler wurden von der Partei an die Urnen gebracht, und es ist davon auszugehen, daß die Partei auch dafür verantwortlich ist, daß die Grünen entgegen einer weit verbreiteten Stimmung im Lande mit Gewinnen aus der Wahl hervorgingen: Ihr Milieu wurde durch die Anti-Rechts-Hysterie motiviert.
- Neben Nichtwählern gewann die AfD v. a. von Schwarz und Rot. 980 000 Stimmen kamen von CDU und CSU, 470 000 von den Sozialdemokraten und 400 000 von der Linkspartei. Rein quantitativ hat man zwar von der Union am meisten Stimmen gewinnen können, doch muß bedacht werden, daß die Linke (und auch die SPD) insgesamt viel weniger Wähler hat als CDU/CSU, d. h.: In der Relation zu Wählerschaft/Abwanderung zur AfD litten die linken Parteien stärker als die Merkel-Union, wanderten Linkswähler von Rot und Dunkelrot relativ häufiger zur AfD ab.
- Allgemein ist die AfD die Partei der Unzufriedenen. Nach Daten von Infratest Dimap und der Forschungsgruppe Wahlen sind 80 Prozent der AfD-Wähler mit der Funktionsweise der Demokratie in unseren Tagen unzufrieden, 68 Prozent empfinden die herrschenden Verhältnisse als ungerecht (Wähler anderer Parteien: 39), doch nur 39 Prozent fühlen Nachteile durch Flüchtlinge. Das zeigt: Die Krise, wie sie durch AfD-Sympathisanten interpretiert wird, ist keine ausschließliche Zuwanderungskrise, wie Leser 1 meinte (er verzeihe mir diese öffentliche Widerrede), sondern eine grundsätzliche Krise der repräsentativen Demokratie und der von ihr nur unzureichend verwalteten Zustände.
- Die stärksten Milieus für die AfD waren Arbeiter und Arbeitslose. Jeweils 21 Prozent stimmten aus ihren Reihen für die Alternative. Selbst gewerkschaftsgebundene Arbeiter, eine Spezies, von der man meinen könnte, sie wäre durch fortwährende DGB-Propaganda antifaschistisch-dogmatisch geprägt, wählten zu 18,6 Prozent AfD. Eine Studie der Bertelsmann Stiftung verweist auf die Verluste der Linken in diesem Segment sowie auf die Verankerung der AfD im Gegenzug, und kommt zum Resümee: “Das zeigt, dass Die Linke den Kampf um ihr früheres Kernmilieu der Prekären bereits weitgehend verloren hat.”
- Im Jargon der Sinus-Geo-Milieus, der ja der aktuellen Bertelsmann-Studie zugrundeliegt, erzielte die AfD insgesamt 28 Prozent im Lager der “Prekären” – also einschließlich der abstiegsbedrohten unteren Mittelschicht, um es umgangssprachlich zu formulieren. Die sog. Bürgerliche Mitte (nicht: die Oberschicht), ein weiteres Sinus-Milieu, wählte zu 20 Prozent AfD. Daraus folgt: Prekäre und Bürger der (unteren) Mittelschichten sind das doppelte Standbein der AfD. “Traditionelle” folgen dann mit 16 Prozent im Mittelfeld; schlecht schneidet die AfD erwartungsgemäß bei anderen Milieus ab, etwa den “Hedonisten”, “Liberal-Intellektuellen” und den “Expeditiven”.
- Die Autoren der Bertelsmann-Stiftung formulieren es in ihrem typischen Sound so: “Damit ist die AfD bei der Bundestagswahl 2017 von unten in die Mitte eingedrungen, und hat sich dort als rechtspopulistische Protestpartei der sozial-kulturell Abgehängten und der sich sozial-kulturell bedrängt fühlenden Mitte etabliert.” Und: “Je mehr Haushalte aus der Unter- und Mittelschicht in einem Stimmbezirk wohnen, umso besser schneidet die AfD ab.” Die Lucke-Petry-Pretzell-Blaue-Kanal-Sehnsucht nach der Akzeptanz und Zuneigung durch die materielle Oberschicht ist somit als Traumgebilde von der Wirklichkeit negiert worden.
- Vor der Wahl fand eine beispiellose Hetzkampagne gegen die AfD und ihre Funktionsträger statt. Der gesamtgesellschaftlich angenommene Sympathiewert der Partei sank dementsprechend von Minus 1,4 auf Minus 2,8. Dennoch wählten 12,6 Prozent AfD, was bedeutet, daß dieser Ansehensverlust viele Menschen entweder nicht mehr stört oder aber gerade mobilisiert hat, erst recht Protest zu zeigen. Addiert man hierzu die o. g. Unzufriedenheitsrelationen, wird deutlich, daß die AfD zunächst eine Partei des Protests ist, die Unzufriedene und von den Verhältnissen Irritierte anzusprechen vermag. Das sind im Regelfall Arbeiter, Arbeitssuchende, Angestellte, Kleinunternehmer, Selbständige. Dies ist zugleich das “tragende Gerüst unseres Vaterlandes”, wie es der erwähnte, langjährige Leser formulieren würde. Dies ist zugleich und vor allem jene Bevölkerungszusammenstellung, die am meisten unter den Krisen der Wirtschaft, des Staates, der Überfremdung und des Sozialen leiden muß – wohl weniger jene Kreise, die in der FDP (oder in bälde: in einer Union ohne Merkel?) ihr Revival verkörpert sehen.
- Es geht, so meine ich, in den kommenden Monaten für AfD und das kämpferisch-konservative Milieu zunächst um dreierlei:– Um eine Forcierung einer authentisch sozialen Ausrichtung bei dem Bewußtsein für die Bedeutung der popularen Klassen und des tatsächlichen Mittelstandes (hier droht mittelfristig eine Kollision mit dem Parteiprogramm)
– Um eine Vermeidung geschichtsbezogener, privater oder scheinbar politischer Skandale (hier droht stets der mediale Wille, solche auch dann zu konstruieren, wenn man sie nicht offensiv herbeiführt)
– Um eine solidarische Umgangsweise im eigenen Beritt, die nach Innen das Signal sendet: Es geht nur vereinigt, es steht zu viel auf dem Spiel. Und die nach Außen das Signal sendet: Bei allen Widersprüchen innerhalb unseres Lagers wissen wir doch, daß wir gemeinsame Gegner und gemeinsame Ziele haben. Beides ist uns wichtiger als euer Wohlwollen, als scheinheilige Gesprächsangebote (“Wenn die AfD …, dann …), als der Platz am Katzentisch. (Hier droht das Politikersyndrom, geliebt werden zu wollen, koste es auch die Standfestigkeit oder alte Loyalitäten.)Der Anspruch sollte also lauten: Wir sind gekommen, um zu bleiben. Im besten Falle: gemeinsam. Im zweitbesten Falle: mit Abgängen, aber geschlossen.
Solution
Ich bin seit Mai 2013 dabei und stimme dem Artikel voll zu.
Die AfD muß im sozialen Bereich "linker", aber vor allem beim Kampf um die Erhaltung unseres Volkes "rechter" werden. Vergessen wir nicht, daß die AfD leider immer noch eine Partei der explizit propagierten Einwanderung ist.
Da, wo das Nationale und das Soziale miteinander verbunden werden können, wird es brisant.