Szene-Kaleidoskop XVIII: All diese Typen

Blicken wir nach dem Trubel um die Buchmesse und "Mit Linken leben" einmal wieder über Frankfurt hinaus – die Welt bleibt ja nicht stehen.

Nils Wegner

Nils Wegner ist studierter Historiker, lektorierte 2015–2017 bei Antaios, IfS und Sezession und arbeitet als Übersetzer.

Da wäre zu aller­erst das zwei­te Buch im aktu­el­len Dop­pel­pack, das bis­lang ein wenig zu kurz kam: Das ande­re Deutsch­land ver­sam­melt nicht nur eine treff­li­che (und, um ver­letz­ten Gefüh­len vor­zu­beu­gen: immer augen­zwin­ken­de) inter­ne Kate­go­ri­sie­rung unse­res weit­läu­fi­gen Wider­stands­mi­lieus, son­dern auch die Anre­gung zu ver­tie­fen­der Ver­stän­di­gung untereinander.

In ihrer neu­es­ten Buch­be­spre­chung befaßt sich Ellen Kositza mit die­sem Buch und stellt vor, mit was für einer Band­brei­te von Weg­ge­fähr­ten wir es zu tun haben. Das macht Mut – und ist die sinn­vol­le Ergän­zung zur Dis­kurs­un­ter­wei­sung von Licht­mesz und Sommerfeld!

Eben jenes Wider­stands­mi­lieu hält noch immer alle Geis­ter auf Trab, und offen­sicht­lich geht es im Pres­se­zir­kus jetzt dar­um, mög­lichst schnell mög­lichst qua­ki­ge, aber wenig bis gar nicht trag­fä­hi­ge Posi­tio­nen einzunehmen.

Ein Para­de­bei­spiel gibt in der gera­de erschie­ne­nen Aus­ga­be von jun­ge Welt aus­ge­rech­net der Alte Kämp­fer Volk­mar Wölk (den die älte­ren Mit­le­sen­den noch als Jean Cremet ken­nen wer­den) ab: Sei­ner Ein­las­sung merkt man deut­lich an, daß sie ver­zwei­felt gestreckt wur­de, um eine gan­ze Sei­te zu füllen.

Nicht nur ist der kom­plet­te Ein­stieg (übri­gens ganz genau­so wie der ent­spre­chen­de Part bei neu­es deutsch­land; ein Schelm…) bloß die Para­phra­se einer Arti­kel­be­ar­bei­tung bei Wiki­pe­dia; schlap­pe drei Vier­tel des Texts sind voll­kom­men red­un­dant, weil wie­der­auf­ge­wärm­te “Ent­hül­lun­gen” von Mit­te der 1990er.

Als ob die Deut­sche Gil­denschaft mit ihren weni­gen ver­blie­be­nen Mit­glie­dern heu­te poli­tisch von Bedeu­tung wäre (oder in der Nach­wen­de­zeit plan­mä­ßig die bür­ger­li­che Rech­te unter­wan­dert hät­te); auch hier herrscht die klas­sisch-bewuß­te Ver­wechs­lung von Ursa­che und Wir­kung vor.

Man darf gespannt sein, wann end­lich das revo­lu­tio­nä­re Poten­ti­al des Mit­glie­der­re­gis­ters der Deut­schen Kno­chen­mark­spen­der­da­tei “ent­hüllt” wird! Übrig bleibt bei Wölk eigent­lich nur die – aller­dings beden­kens­wer­te – Erkennt­nis, daß es die ste­te Ver­wei­ge­rungs­hal­tung gegen­über Neue­run­gen und der Erle­di­gung “alter Zöp­fe” ist, mit der die deut­sche Rech­te sich seit Jahr­zehn­ten selbst geis­ti­ge Fes­seln anlegt.

Im Ver­gleich dazu regel­recht wohl­tu­end nimmt sich dage­gen der Arti­kel des bereits auf der Buch­mes­se als ehr­li­cher Kon­tra­hent her­vor­ge­tre­te­nen Tho­mas Wag­ner im Frei­tag aus: Wer die gewohn­heits­mä­ßi­ge Skla­ven­mo­ral des Hes­si­schen Rund­funks eben­so selbst­ver­ständ­lich beim Namen nennt, wie er offen­sicht­lich die zen­tra­len dis­si­den­ten Accounts der sozia­len Medi­en im Auge hat, ist die Lek­tü­re wert!

Zum Abschluß und Wochen­en­de sei denn allen noch eine Por­ti­on all­täg­lich-bun­des­re­pu­bli­ka­ni­schen Irr­sinns gegönnt: Nach­dem Kol­le­ge Licht­mesz die anti­deut­sche Flagg­schiff-Publi­ka­ti­on Baha­mas schon mehr­fach als »rech­ten Geheim­tip« emp­foh­len hat, sei hier ums Eck auf das Gedan­ken­pro­to­koll eines ihrer Autoren von einer Ver­an­stal­tung der “Jun­gen Islam­kon­fe­renz” verwiesen.

Ohne uns mit dem gan­zen Kas­per­le­thea­ter um Anti- vs. Pro­zio­nis­mus und “Islam­feind­schaft um jeden Preis” vs. “Was die in ihren Län­dern machen, ist nicht mein Pro­blem” ermü­den zu wol­len: Hier­mit sei eine War­nung aus­ge­spro­chen. Wer nicht ansatz­wei­se damit ver­traut ist, wor­über im heu­ti­gen poli­ti­schen und aka­de­mi­schen Bereich tat­säch­lich stun­den­lang dis­ku­tiert wird, der wird nach der Lek­tü­re mit blu­ten­den Augen glau­ben, à la Event Hori­zon in die Höl­le geblickt zu haben. Aber nur die Ruhe: Es war ledig­lich ein ideo­lo­gisch (falsch) auf­ge­la­de­ner Poststrukturalismus.

Und dann war da noch Richard Spen­cer, der schon im Vor­feld des ver­gan­ge­nen Don­ners­tags durch sei­nen geplan­ten Auf­tritt an der Uni­ver­si­ty of Flo­ri­da für die Aus­ru­fung des Not­stands sorg­te und so – man höre und stau­ne – sogar die Auf­merk­sam­keit der nach Abset­zung der Hob­by­thek füh­ren­den BRD-Info­tain­ment-Sen­dung Gali­leo geweckt hat!

Der moder­nen Tech­nik sei es gedankt, daß es von die­sem denk­wür­di­gen Inter­view bereits eine Roh­fas­sung gibt; eine Stern­stun­de des deut­schen Jour­na­lis­mus hat Ste­fan Göd­de da näm­lich wahr­lich nicht vor­ge­legt, und eine Aus­strah­lung scheint mir eher frag­lich. Zuviel sei nicht ver­ra­ten, aber: Das Insti­tut für Zeit­ge­schich­te wird es sicher mit Bestür­zung zur Kennt­nis neh­men, daß es sich aus­ge­rech­net bei sei­nem Opus magnum um eine so hei­ße Ware handelt.

Nils Wegner

Nils Wegner ist studierter Historiker, lektorierte 2015–2017 bei Antaios, IfS und Sezession und arbeitet als Übersetzer.

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Kommentare (10)

Wahrheitssucher

21. Oktober 2017 15:38

Liebe Frau Kositza,

zu der Literaturbesprechung: Ihre Talente erscheinen einfach unbegrenzt...

Monika L.

21. Oktober 2017 15:57

Wie ? Es gibt nur neun verschiedene Typen. There are " Seventy shades of brown" ( Nina Horrorzeck). In der zweiten Aufmachung gefällt mir Frau Kositza am besten. Diese Brille...die Rüschenbluse...

Coriolan

21. Oktober 2017 17:13

Wenn das, was Götz Kubitschek und seine Mitstreiter bislang geschaffen haben, "nicht unbedingt" eine Erfolgsgeschichte ist, stellt sich sogleich die Frage, was denn überhaupt noch als Erfolg zu werten ist.

Daß Volkmar Wölk nicht sonderlich originell ist, wurde ja bereits von Herrn Wegner sehr richtig betont. Darüberhinaus sind es Kunstgriffe aus der Dialektik, keine seriöse Auseinandersetzung mit den "Neurechten", aus denen sich Wölks Schlußfolgerungen ableiten lassen. Eigentlich zählt er nur Erfolge auf, gleich wie groß, klein oder bedeutungsschwer sie sein mögen, nimmt sich aber das Recht raus, seinen Lesern diese Wegmarken "nicht unbedingt als Erfolgsgeschichte" zu verkaufen. 

Da muss man sich an Schopenhauer erinnern und sein Werkchen, "Die Kunst Recht zu behalten". An der Stelle würde es durchaus Sinn machen, Herrn Wölk zu fragen, ob es sich bei dem, was man in Schnellroda auf den Weg brachte, bedingt um eine Erfolgs- oder eher um eine Misserfolgsgeschichte handelt? So wäre das Paradox schnell geklärt.

Weiterhin ist es unredlich, die Auflage von Sezession zu kritisieren, ohne darauf hinzuweisen, daß die Herausgeber ganz bewusst kein Massenpublikum ansprechen. Daß man sich in Schnellroda nicht verbogen, angepasst und an den "Mainstream" ausgerichtet hat, wird als Schwäche betrachtet, statt als Stärke. Später wirft der Mitarbeiter der Zeitschrift "Der Rechte Rand" ein:

"Ein kluger Philosoph des Mittelalters kam einmal zu der weisen Einschätzung, dass die Zeitgenossen jeweils nur als Zwerge auf den Schultern von Riesen stehen. Im Falle Kubitscheks und seines Umfelds handelt es sich sogar lediglich um die Schultern von Scheinriesen."

Ganz unfreiwillig gibt Wölk hier eine Anregung, woran man sich orientieren kann. Daß es im Mittelalter kluge Philosophen gab, ist ein Ein- und Zugeständnis aus dem erhabenem und belesenem Munde einer echten Geistesgröße, daß man im Hinterkopf behalten sollte. Sollte es hier die Absicht gewesen sein, das Nutzen von historischen Vorbildern in der geistigen Auseinandersetzung zu diskreditieren, wären auch die Ideengeber der "Linken", angefangen von Marx, bis hin zu "Che Guevara", leicht angreifbar.

Weiterhin schreibt Wölk, der über die alte Rechte in der BRD ganz leicht ein vernichtendes Urteil fällen kann, und dort keine Erneuerung sah, daß "wenn Götz Kubitschek ehrlich zu sich wäre, dann müsste er zugeben, dass er nur wenig dazu beigetragen hat, das zu ändern".

Mit der Ehrlichkeit ist das immer so ein Sache. Und weibische ad hominem sind typisch für die radikal-demokratischen Gesinnungswächter in der BRD. Da Wölk diese These aber nunmal aufgestellt hat, lässt sich darauf entgegen, daß wenn Volkmar Wölk ehrlich zu sich wäre, er dann zugeben müsste, daß er fast schon vor Neid auf Götz Kubitschek platzt.

 

Corax

21. Oktober 2017 18:57

Gratuliere zur genialen Grafik mit minimalpoetischem Text. Gäbe ein tolles Wandposter ab.

Kositza: War übrigens schon mal ein Bestseller bei Antaios.

Martin S.

21. Oktober 2017 21:48

Es ist schon auffällig:

Während die "Rechten" auf der Buchmesse immerhin das ernsthafte Bemühen zeigen, "Mit Linken [zu] leben", ist für die Linke "die Zeit des Redens vorbei":

https://m.spiegel.de/kultur/gesellschaft/a-1173702.html#ref=meinunghpmobi

Vielleicht ist der Schwarze Block, die jungen Menschen der Antifa, die Faschisten mit dem einzigen Argument begegnen, das Rechte verstehen, die einzige Bewegung neben einem digital organisierten Widerstand, die eine Wirkung hat. Es wird nichts mehr von alleine gut. Die Regierung wird uns nicht retten. Allein eine Neudefinition des Begriffs linker Aktivismus kann den Schwachsinn des Hasses und der Menschenverachtung stoppen.

Ich tue diesen schlecht verhüllten Aufruf zur Gewalt vorläufig noch als das berühmte "Pfeifen im Keller" einer linken Autorin ab. Aber wenn schon der Wille zur Vernichtung bereits beim gebildeten Establishment aufkeimt, wie sieht es dann erst weiter unten aus?

Solution

21. Oktober 2017 23:51

Für die Linken gibt es nur die Vernichtung der Rechten, alles andere ist Wunschdenken. Sie werden alles versuchen, dieses Ziel zu erreichen.

Lotta Vorbeck

22. Oktober 2017 01:37

@Martin S. - 21. Oktober 2017 - 07:48PM

"... Ich tue diesen schlecht verhüllten Aufruf zur Gewalt vorläufig noch als das berühmte "Pfeifen im Keller" einer linken Autorin ab. ..."

Zu dieser "linken Autorin" hier noch drei Links für Sie:

1 - Akif Pirinçci nochmals an Sibylle Berg | PI-NEWS - 08. Dezember 2013

2 - An Sibylle Berg, zum Zweiten: Ruf in die Rumpelkammer, Freistil - Akif Pirinçci - eigentümlich frei - 07. Dezember 2013

3 - Sibylle Berg vs. Akif Pirinçci - Sezession im Netz - von Martin Lichtmesz - 05. Dezember 2013

Simplicius Teutsch

22. Oktober 2017 01:52

Also, ich finde den angesprochenen polemischen Artikel in der „jungeWelt“, vom 20.10., sehr unterhaltsam. Amüsant, wie der altlinke Autor Volkmar Wölk über viele Zeilen hinweg den rechten „Scheinriesen“ Antaios (= Kubitschek / Schnellroda) kleinschreiben will. Eines wird offensichtlich: TotSCHWEIGEN geht schon nicht mehr.

 https://www.jungewelt.de/artikel/320345.zwerge-und-scheinriese.html

Cacatum non est pictum

22. Oktober 2017 01:55

@Martin S.

Ich tue diesen schlecht verhüllten Aufruf zur Gewalt vorläufig noch als das berühmte "Pfeifen im Keller" einer linken Autorin ab. Aber wenn schon der Wille zur Vernichtung bereits beim gebildeten Establishment aufkeimt, wie sieht es dann erst weiter unten aus?

Was dieser Kolumnen-Seppel da im Spiegel von sich gegeben hat, ist ja wohl nicht der Rede wert. Wie buchstabiert man noch mal intellektuellen Niedergang? Diese linksliberalen Bürgerkriegsphantasien - herzerwärmend! Ein Sturm im Bacardiglas ...

Konservativer

22. Oktober 2017 22:24

Ich habe beide Bücher vor kurzem geordert und inzwischen durchgelesen/-gearbeitet. Die vier Autoren verstehen ihr Handwerk, Kompliment. Beide Bücher sind sowohl inhaltlich, als auch stilistisch überzeugend.

Was das Buch "Das andere Deutschland" anbelangt, will ich als Rechter von links an dieser Stelle lediglich den Abschnitt über "Ex-Linke" erwähnen, den ich, als Blick von außen auf mich und meinesgleichen, unter "hilfreich" verbuche. Von links nach rechts, wie geht das? Musikalisch ausgedrückt in etwa so:

https://www.youtube.com/watch?v=aBV-I3RP2zk

"Turn it all around
And turn it upside down
Notice things
I hadn't seen before
Walking through the door of change

Trying to believe it
I've opened up and broken through all my chains

...

A time to land a hand
A time to understand
Feeling things
I hadn't felt before
Walking through the door of change
Questions I can answer now
The life I had is over now
Nothing strange

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