Irritiert zeigt sich auch Alex Rühle in der Süddeutschen Zeitung, weil „sich zwei verfeindete Gruppen mit genau denselben Worten, in ein und demselben Rhythmus, anschreien:
Der bunte Haufen der Linken und die stramm rechten Identitären, sie skandieren im Hass vereint aufeinander ein: „Nazis raus! Nazis raus!”
Auch in Leipzig wurden eine Woche später Linke als “Nazis” wahrgenommen – und von anderen Linken verprügelt.
Haß ist nun die stärkste Form von Abneigung und zeigt vor allem eines: eine ungute Abhängigkeit. Die Rechte ist abhängig von der Linken und umgekehrt. Die nicht nur die Linken irritierende Verwechslungsgefahr zwischen lechts und rinks wurde für mich auf dieser Buchmesse zum Satori-Erlebnis. Ich stand während des lautstarken Geschehens im „Forum Wissenschaft und Bildung“ als stiller Beobachter am Rande; zwecks Außenwahrnehmung und weil schrille Weiberschreie meinen Ohren wehtaten.
Ein tiefenentspannter Dauerlächler namens Dirk am Sahaja-Yoga-Stand um die Ecke amüsierte sich über den Tumult und empfahl mir zur Entspannung Meditation. Er würde sich erst wehren, wenn er „eines in die Fresse“ bekäme, antwortete er auf meine Frage, warum er so ruhig sei und ob ihn diese aggressive Veranstaltung nicht aufregen würde. Im übrigen würden sich die verschiedenen Pole ergänzen, so wie Yin und Yang, sinnierte er weiter.
Bekanntermaßen ist Yin und Yang das Konzept der Dualität, das gemeinsam ein Ganzes formt: Sozusagen die Verbindung des hellen mit dem dunklen Deutschland. Daß diese Verbindung irgendwie nicht zustande kam, schmerzte schon.
Das wurde mir noch klarer, als ein attraktives Moslempärchen voll Heiterkeit das Gebrüll kommentierte. Ich hörte nicht, was die beiden sagten. Aber peinlich war mir das Ganze schon.
Daß da Menschen, die „im selben Land leben, dieselbe Sprache sprechen, dieselbe Herkunft haben, dieselben Zeitungen lesen, dieselben Dinge konsumieren, ihre Kinder auf dieselben Schulen schicken, ein historisches Schicksal teilen“ (Lichtmesz und Sommerfeld im Vorwort zu Mit Linken leben) sich so unversöhnlich und zerrissen gegenüberstehen, das tut weh.
Die Unerbittlichkeit rührt m.E. vom letztgenannten Punkt der Aufzählung her: Die „Biodeutschen“, oder „die, die schon länger hier leben“, teilen ein historisches Schicksal. Alle, die dieses Schicksal teilen, sind Nazis. Rechte wie linke Deutsche. Sie wird verschwinden, je weniger autchthone Deutsche es geben wird. Der Rapper Bushido soll gesagt haben, daß er aus dem Grund der ewigen Anklage gegen die Deutschen und deren Dauerschuld wohl AfD-Wähler würde, wäre er ein gebürtiger Deutscher.
Natürlich sind die meisten rechten oder linken Deutschen keine Nazis. Aber beide zusammen sind der ewige Nazi. Beide sind in eine unauflösliche Schuld verstrickt, die jeder auf seine Weise gutmachen möchte.
Die Wiedergutmachungsthematik wurde durch die sogenannte Flüchtlingskrise noch einmal virulent. Der linken Weise der Wiedergutmachung entspricht die „Willkommenskultur“. Der Historiker Heinrich August Winkler warnt allerdings vor einer „deutschen Überheblichkeit im Zeichen der Willkommenskultur“, vor diesem „neuen deutschen Größenwahn“. Er schreibt:
Es gibt eine Reihe von Zeugnissen aus dem Jahre 2015, die deutlich machen, dass Politiker, Publizisten, Vertreter der Kirchen und der Zivilgesellschaft das Gefühl vermittelt haben, als bestehe jetzt endlich eine Möglichkeit, sich vom Ruf der Schreckensnation des 20. Jahrhunderts zu befreien. Der Tenor war: Wir können unser schlechtes Image loswerden, indem wir moralisch handeln und andern sagen, sie sollten sich gefälligst an uns ein Beispiel nehmen. Das ist eine neue Form von deutscher Arroganz. Sie hat bei unseren Nachbarn zu Recht sarkastische Reaktionen hervorgerufen. Ich kann vor diesem neuen deutschen Größenwahn nur warnen. So einfach werden wir mit unserer Vergangenheit nicht fertig. Deutschland taugt aufgrund seiner Geschichte nicht zur moralischen Leitnation Europas.
Die rechte Weise der Wiedergutmachung ist allerdings kaum überzeugender. Im schlimmsten Falle schafft Deutschland sich ab. Weil es kein Entrinnen gibt. Finis Germania. Beides ist deprimierend. Auch deshalb empfand ich es als etwas unbefriedigend, als Messebesucher nur um „einen Kleinverlag aus Schnellroda zu rotieren“ (Tichy).
Vielleicht muß man nicht nur „den eindimensionalen Diskurs um den fehlenden Part ergänzen und die linkslastige Wippe in die Balance bringen“ (Götz Kubitschek), vielleicht sollte man endlich mal schaukeln. Beschwingt und befreit, wie es die Franzosen können, weil sie nicht so eine große Last zu tragen haben.
In der Literaturausgabe der ZEIT zur Frankfurter Buchmesse lesen wir in einer Besprechung von Elisabeth Raether zu Philippe Pujols Die Erschaffung des Monsters, einem Buch über die düstere Parallelwelt von Marseille:
In der deutschen Vorstellung sind die Franzosen einfach härter drauf als die Deutschen. Die Konflikte erscheinen krasser, die Polizei wirkt brutaler. Das Militär kann noch richtig zulangen. Die Panzerparaden, der Nationalismus, all der Hochmut gegenüber der Außenwelt, den die Deutschen nicht können oder nicht wollen. In Frankreich ist ja selbst die Relativierung historischer Schuld durchaus üblich, weil die französische Schuld vielleicht groß ist, zumal in Afrika, aber die deutsche eben doch größer.
Sollten wir die Moral also nicht besser den Franzosen überlassen? Taugt vielleicht Frankreich zur moralischen Leitnation Europas? Da seine Schuld kleiner ist? Steht die Anzahl der aufgenommenen Flüchtlinge und Migranten gar im direkten Verhältnis zur nationalen Schuld?
Da stellt sich die Frage nach der politischen Erpreßbarkeit und der moralischen Glaubwürdigkeit. In einem Interview von Claudius Seidel mit Daniel Cohn-Bendit äußert dieser:
Angela Merkel beeindruckt die Franzosen. Sie wird nicht immer verstanden, aber sie regiert ein Land, das gut funktioniert. Wie die Deutschen 800 000 Flüchtlinge aufgenommen hat, wie, vor allem in Bayern, die Organisation perfekt lief, das beeindruckt die Franzosen. Auch wenn es manchmal gehässige Untertöne gibt, mit Verweisen auf die deutsche Geschichte: Sie haben immer gut funktioniert, die Deutschen.
Gehässige Töne waren auch in Maxim Billers „satirischer“ Kolumne „Moralische Geschichten“ in der Druckausgabe der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung zu lesen. In dieser Kolumne disputiert Dudek Kohn, ein erfolgloser jüdischer Schriftsteller, mit seiner siebenjährige Tochter Rosa, die immer bessere Ideen hat als er.
Am Sonntag, dem 15. Oktober 2017, ging es um die Neue Rechte. Maxim Biller macht sich zunächst mit seinem schrägen jüdischen Humor über die Neuen Rechten lustig, etwa auch über Götz Kubitschek und Ellen Kositza, die „erzählen, wie die alten Germanen Brot gebacken haben“. Gegen Ende der Kolumne liest man die Frage von Tochter Rosa:
“Und warum hörst du dir dann trotzdem schon seit einer halben Stunde an, wie linke Deutsche reihenweise rechte Deutsche interviewen und ihnen dabei so aufmerksam zuhören, als wären sie beim Arzt oder vor Gericht?“ „Na, was glaubst du wohl, Rosale?“, sagte Kohn. „Weil ich mir eben wahnsinnig gern anschaue, wie sich die Gojim mal wieder gegenseitig langsam zerfleischen und dabei gemeinsam untergehen.“ „Aber was wird dann aus uns, wenn sie untergegangen sind, Papa?“, sagte Rosa erschrocken. „Ach, Rosale“, sagte Kohn. „Wir sind hier sowieso nicht zu Hause, habe ich dir das noch nie gesagt? Und darum hauen wir spätestens nach der nächsten Bundestagswahl nach Israel ab. Okay?“
Zwischen linkem Größenwahn und rechter Weltuntergangsstimmung gibt es also doch noch einen kleinen Spielraum, wenn man denn weitere Kreise um den Stand des kleinen Verlages aus Schnellroda zieht. Etwas mehr französische Moral und ein bißchen jüdischer Humor.
Das wär‘s doch, Herr Biller: Ich schaue es mir nicht wahnsinnig gerne an, wenn wir Gojim uns gegenseitig zerfleischen und dabei gemeinsam untergehen. Auch ich fühle mich hier nicht mehr wie zu Hause. Und wäre am liebsten schon vor dieser Bundestagswahl abgehauen. Weiß aber nicht, wohin! Ich habe nur dieses eine Land.
Coriolan
Die Schuld der Deutschen ist, das sie zu faul sind, sich unabhängig zu informieren. In Zeiten des Internets ein unverzeihlicher Fehler, der sich noch bitter rächen wird. Die tiefgläubigen Gedanken, die hier von Frau Leiser geäußert wurden, lässt man in der Bundesrepublik besser unberührt, auch bei SiN. Revisionismus ist eben verboten. Nur eine Sache:
*Maxim Biller macht sich zunächst mit seinem schrägen jüdischen Humor über die Neuen Rechten lustig, etwa auch über Götz Kubitschek und Ellen Kositza, die „erzählen, wie die alten Germanen Brot gebacken haben“.*
Das erinnert mich sofort an Bernhard Henri-Levy:
„Selbstverständlich sind wir entschieden kosmopolitisch. Selbstverständlich ist uns alles Bodenständige, die Bourrée [Anm. d. Ü.: frz. Tanz], der bretonische Dudelsack, kurz gesagt alles typisch Französische oder Fahnenschwenkende, fremd und sogar zuwider. Vaterländer aller Art und der ganze altmodische Plunder in ihrem Gefolge“ widern ihn in höchstem Maße an: „All das ist nichts weiter als ein furchtsamer und verklemmter Rückzug auf die armseligste Identität. (…) Patois zu sprechen, im Takt der Bourrée zu tanzen und zum Klang von bretonischen Dudelsäcken zu marschieren (…) so grenzenlose Dummheit ist widerwärtig.“
Darauf kann es nur eine Reaktion geben, und ich vermisse sie noch immer. Der Rückzug auf die Identität würde die Vorherrschaft der Globalisten brechen. Als Anregung dazu, deutsche Tänze von Ludwig van Beethoven: https://youtu.be/asCa0Ipkyxk