…also die Solidarität. Und deshalb möchte ich mit einer Anekdote aus meiner Schulzeit beginnen. An meinem Gymnasium war es, und ich denke, dass es sich an den meisten deutschen Gymnasien bis heute so verhält, üblich, dass sich die Abiturienten nach absolvierter Prüfung allerlei Schabernack mit dem Lehrkörper erlauben durften.
Landläufig ist diese Sitte bekannt als “Abistreich” und es gehörte zumindest an unserer Schule zum Selbstverständnis einer Oberstufe, dass dafür eigens ein Kommitee gegründet wurde. Die jüngeren Schüler fieberten stets auf diesen Tag hin, verhieß eine freidrehende Abiturientia doch geradezu Anarchie, lustiges Programm und vor Allem Unterrichtsausfall.
Nun hatte es die Lehrerschaft in den Jahren meiner Gymnasialzeit geschafft, die anfangs noch relativ spontanen und – zum Leidwesen der Pauker – gerne einmal aus dem Ruder laufenden Festivitäten durch Zuckerbrot und Peitsche soweit zu regulieren, dass der ganze Spaß eigentlich mehr den Charakter eines bunten Schulfestes und weniger eines Tages in Fiume hatte. Wo früher frisch-volljährige Heißsporne in Spurensicherungs-Schutzanzügen über der Schulhof gejagt waren, um bei norddeutschen Sommertemperaturen um die 15 Grad Fünftklässler mit Wasserbomben einzudecken gab es jetzt strenge Vorgaben von der Schulleitung, die – mit unablässigem Verweis auf das ultimative Hausrecht – versuchte das Treiben in geordnete Bahnen zu lenken. Controlled Opposition, quasi.
Die Leidtragenden des Spaßes waren aber immernoch die Lehrer, inzwischen wurden sie allerdings nicht mehr von johlenden Halbstarken aus ihren Klassenräumen gezerrt. Stattdessen schien es so, als ob das Kollegium, welches sich im Lehrerzimmer mit Kaffee und Keksen einverbarrikadiert hatte, einige Morituri auf den Schulhof schickte um die Rachegelüste der Absolventen zu befriedigen. Keine Sorge, das hielt sich alles sehr in Grenzen, am erniedrigendsten waren vermutlich die Negerküsse, welche die qua Verbeamtung Verdammten sich dort gegenseitig in die Visage schmieren durften.
Es handelte sich dabei um eine Art katharsischer Hierarchieumkehr, wie man sie etwa aus den römischen Saturnalien kennt. Als institutionalisierter Racheakt, der sich auf relativ gemäßigte Weise äußerte, ermöglichte der Abistreich es den an der Schule verbleibenden Schülern mit einem gewissen Gefühl der Genugtuung in die Ferien zu gehen, während die Lehrer bis auf wenige Blessuren an Würde und Anstand (wobei ohnehin die Frage zu stellen ist, wieviel davon noch übrig ist, wenn man es dieser Tage schafft, mehrere Jahre ohne einen Zwischenfall an einem staatlich legitimierten Gymnasium zu unterrichten) unbeschadet aus der ganzen Prozedur hervorgingen.
Das Ganze funktionierte nur – und damit komme ich zum eigentlich sonntagsheldischen Teil dieses Textes – weil das restliche Jahr über ein die egalitaristischen Anfeindungen der auf-Augenhöhe-Pädagogik geradezu ignorierendes Autoritätsverständnis von Lehrendem und Lernendem bestand. Ohne dieses Verhältnis ist auch die Katharsis nichts wert.
Dementsprechend öde muss es den Studenten ergangen sein, die sich am vergangenen Donnerstag einem kleinen antifaschistischen Abistreich- Einsatzkomittee gegenübersahen, als sie die Übung des Leipziger Professors Thomas Rauscher besuchen wollten. Mit einem Bierernst wie ich ihn sonst nur vom dem eigentlich mehr calvinistischen denn katholischen Rektor meines Gymnasiums kannte echauffierten sich einige Studenten über die Ungeheuerlichkeiten, welche besagter Dozent auf der Plattform Twitter zu veröffentlichen gewagt hatte:
“,Ein weißes Europa brüderlicher Nationen’. Für mich ist das ein wunderbares Ziel!”
Aufschrei hier, Mimimi da und ein bisschen konservativ sein, wie diese nette Liane Bednarz zum Beispiel, ist ja noch ok – es scheint, als hätten sich die Rollen gänzlich vertauscht: Revolution kommt heute von rechts, Abistreiche macht heute der Lehrkörper und unter den Wursthaaren ein Muff von tausend Jahren. Weil an diesem üblen Witz der Geschichte aber ein Menschenschicksal hängt, möchte ich mit meinen Lesern gemeinsam einmal herzhaft durchladen und eine solidarische Leuchtrakete nach Leipzig feuern.
Es ist wirklich eine seltsame Zeit und die braucht seltsame Ratschläge. Deshalb empfehle ich künftig wärmstens, dass die Dozenten wieder anfangen sollten, ihren Studenten zu widersprechen. Der Streich ist lang genug gelaufen, es ist höchste Zeit.
S.J.
Da mich dieser Vorfall gewaltig ärgert, muss ich nach einigen Worten unter Nils Wegners Wochenbeitrag auch hier etwas schreiben. Man sollte sich das Video mit all den Respektlosigkeiten ansehen, welches in der JF eingestellt ist. Man erkennt, dass die Störer es einfach nicht schaffen, was dem Vernehmen nach Prof. Dr. Dr. Rauscher bislang gelungen ist: seine politische Meinung außerhalb des Hörsaals zu vertreten. Die Störer hingegen haben den ganzen Hörsaal für ihre politische Selbstdarstellung in Haft genommen und andere Studenten daran gehindert, ihren Studienpflichten und Bildungsinteressen nachzukommen. Es ist schließlich nicht nur in Leipzig seit längerem bekannt, welche Positionen Thomas Rauscher vertritt, die bislang nicht justitiabel waren und es mutmaßlich auch nicht sein werden. Viele Studenten suchen seine Vorlesungen auf, weil sie seine Fachkompetenz schätzen und die Politik außen vor lassen. Wer in einem Hörsaal stört, gehört exmatrikuliert.