Man meint ja, sich selbst und den Geliebten recht gut zu kennen. Und doch prägen sich die Gene, die ersten frühkindlichen Erfahrungen oder Gott weiß was manchmal in einer Art aus, die einen überwältigt, erstaunt, kränkt oder vor den Kopf stößt.
Ich schrieb heute einen Brief an eine in fernen Landen weilende große Tochter und lud die kleinen Geschwister ein, Grußbotschaften beizugeben. Die Jüngste malte ein Spinnennetz und schrieb: ICH BIN HEDONIST. DEINE E. Ja, sie hatte jüngst das Wort irgendwo aufgegabelt und nach der Bedeutung gefragt. Ich versuche meistens, wertfrei zu erklären. Jetzt hab ich also eine Hedonistin und muß mit ihr klarkommen.
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23. November 2017 – Bei Walter Moers gibt es irgendwo, ich glaube in On the Road, diese Szene, wo man den entblößten Arm der LKW-Fahrers sieht. Darauf sind (in Sütterlin?) einige Zeilen eines Minnesangs tätowiert. Später im Comic schwadroniert der Brummi-Typ kundig über Zwölftonmusik. I love the people!
In unserer durch etliche Umbrüche durch-und-durch-proletarisierten Region ist es so: Fast alle Ämtertussis sind schrecklich drauf. Jede Anfrage, erst recht die höfliche, wird als Mehrarbeit, Affront oder Beleidigung aufgefaßt. Weiter unten in der offiziösen Hierarchie hingegen läuft es super. Handwerker et al.: top.
Heute fahre ich mit dem VV-Bus Altpappe abgeben, das ganze Verpackungsmaterial, das so anfällt. Früher war das einmal pro Quartal dran, seit einiger Zeit im Zweiwochentakt. Mittlerweile kenn ich die orangenen Typen bei der Entsorgungsgesellschaft.
Sie sind locker drauf und in punkto Ironie mir überlegen: „Nächstes Mal kostet das aber was bei diesen Massen!“ Ich, verlegen: „Na gut, wieviel?“ – „Haha, Spaß!“
Die Hedonistin (vulgo: meine kleine Tochter) darf die Knöpfe der Pappe-Zermalm-Maschine bedienen. Fragt der Profi-Zermalmer: Jetzt tät ihn schon mal interessieren, warum wir soviel Müll produzieren? Ich, gleichsam herabneigend: Wir produzieren Bücher, also sind ein Verlag. Der Müll, haha, sei nur Kollateralschaden.
Gleich schäme ich mich wegen meines Wortmülls. Aber mein Profimüllmann steigt voll ein: „Also, da wüßte man doch gern mal den Namen des Verlags!“ Wird geliefert. Müllmann. „Oh! Antaios! Griechisch! Kampf gegen… Herakles, oder? Verloren, oder?“
Mir schlackern die Ohren. „Na! Sie sind ja echt hochgebildet!“ Er: „Meine Freunde sagen immer: Leseratte. Dich sieht man nie ohne Buch.“ I really love my people.
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23. November 2017 – FAQ: „Echt, eure Kinder wachsen ohne Fernseher, ohne Smartphone uns so weiter auf? Wie soll das gehen? Die werden doch zwangsläufig zu Mobbing-Opfern?“
Frequently answered: „ Es ist schwierig. Man muß sich fragen, was man erziehungsmäßig erreichen will. Technisch gekidnappte oder freie, selbstbestimmte Menschen.“
Klar waren und sind unsere Kinder eher Außenseiter. Falls je ein Kind in die Lage kommen wird, Memoiren zu verfassen, wird das Wort „Lederranzen“ eine Rolle spielen… Heute, am Tag nach der Ausstrahlung der 3sat-Reportage „Die rechte Wende“ wurden zwei unserer Zöglinge (mehrfach) angesprochen. Ging immer ungefähr so: „ Du warst gestern im Fernsehen, haben mir meine Eltern erzählt.“- „ Ja, und?“ – „Cool. Also, haben meine Eltern gesagt.“
Die Kinder wundern sich. Mit diesem Attribut wurden sie selten in Verbindung gebracht.
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25. November 2017 – Ich wollte gerade innerhalb des entsprechenden „Fadens“ folgenden Kommentar von „Monalisa“ zu meinem #menot-Artikel beantworten. Nun tu ich es hier, gekürzt um einige Einlassungen. Monalisa schreibt:
Ich hatte auch gehofft, dass das Thema hier nicht (oder anders) aufgegriffen wird. Angesichts einiger hier geäußerter Kommentare macht sich mal wieder Fremdscham breit. Frauen, die sich über säuische Bemerkungen oder übergriffiges Verhalten beschweren, sind nur schlecht gef*ckt?
Welches Geschlecht muss sich denn in der Regel sehr viel mehr anstrengen, um jemanden fürs Bett zu finden? Bei wievielen Männer passiert bis Mitte 20 gar nix und nach der gescheiterten Ehe dann auch wieder nix bis zum verfrühten Tod in Einsamkeit?
Ja, da gebe ich Monalisa recht. Der Topos von der „underfuckten“ Frau ist eine paradigmatische Männerphantasie. Diese ulkige Vorstellung, „der müßte es nur mal einer richtig besorgen.“ Das ist zum Totlachen oder zum Erbarmen! Vermutlich liegt dem die Machtvorstellung eines Exhibitionisten zugrunde: „Wenn die mein Riesending sieht, dann … wird sie schon sehen!“
Zustimmung also: Männer sind das Geschlecht mit „Bedarf“, und zwar seit je.
Man bedenke aber das numinose Drumherum des reinen Geschlechtsakts. Die Liebesbeteuerungen vorab und nachher – ein Mann wird drauf verzichten können, aber eine Frau? Nur, weil dergleichen nicht inklusive ist, gibt es (übrigens weltweit) wenig Bedarf an Callboys.
Daß eine Frau aufgrund einer dauerhaften Ermangelung eines Aktes der Liebe zur krähenden Hysterikerin wird, halte ich deshalb für plausibel. Monalisa schreibt weiter:
Deutschland steht nicht vor der Übernahme durch alte Weiber. In wessen Händen befinden sich nach wie vor Eigentums- und vor allem Produktionsmittel? Grob gesagt gehört das meiste im Land nach wie vor westdeutschen Männern. (…)Vielversprechender scheint es mir, die “metoo” Aufregung tatsächlich im Hinblick auf ihre Ventilfunktion für anderes zu deuten. Als tatsächlicher Gehalt steckt aber vielleicht auch wachsende ökonomische Ungleichheit generell und auch zwischen den Geschlechtern dahinter…
Ich kenne die Mär von den 21%, die Frauen „weniger verdienen“, aus dem effeff. Jetzt müßte man mir nur erklären, was Frauen genau daran hindert, sich die Eigentums- und Pruktionsmittel unter den Nagel zu reißen. Die strukturell patriarchalischen Machtverhältnisse und – zirkel?
Mein Mann war heute bei einem Freizeittreffen. Es gab Kuchen (keiner der wenigen Männer hatte einen gebacken. Zwang? Verbot?), und es gab herzige adventliche Bastelei. Diese Bastelei war dermaßen scharf und wunderschön, daß sie (erstens) vor den Augen mehrerer Smartphonekameras Schritt für Schritt aufgefaltet und dann (zweitens) wieder zur vollen Größe wieder zusammengefaltet wurde.
Waren Smartphonekameras von männlichen Eigentümern beteiligt? Nein. Wurden sie, die Männer, gehindert, von „Rollenmustern“? Ich glaube: nein.
RMH
"Fast alle Ämtertussis sind schrecklich drauf. Jede Anfrage, erst recht die höfliche, wird als Mehrarbeit, Affront oder Beleidigung aufgefaßt."
Da kann ich Sie und alle aus dieser Region beruhigen, dass ist meines Erachtens nach ein deutschlandweites, seit gefühlten Ewigkeiten auftretendes Phänomen. Und zur Beruhigung von sensibleren MitleserInnen wie bspw. Monalisa: Dieses Phänomen tritt vollkommen geschlechtsneutral auf, also bei Amtsschimmeln allen Geschlechts/Genders/ was-weiß-ich-noch-alles.
Vermutlich ist es Folge eines tiefsitzenden Beamten- und Behördenpersonal- Burn-Outs. Wer einen vorgeblich gesicherten Arbeitsplatz hat und eigentlich objetiv betrachtet zu wenig zu tun hat, um richtig ausgelastet zu sein, für den ist jede minimalste Abweichung vom Standard, jede Anfrage, jeder persönliche Kontakt über das Gewöhnte hinaus Stress pur, da er in seiner strengen, gepflegten Routine gefangen ist. Übrigens sind genau diese Bereiche, wo das Personal besonders viel Zeit hat, sich gegenseitig zu beobachten die Betriebe, wo Mobbing besonders häufig vorkommt. Derdiedas Amtsschimmel/in hat also meistens subjektiv gefühlten, enormen Druck - und dann kommt so eine daher und fragt auch noch höflich (!) nach .... ne, also, ick gloob ick ...
Begünstigt wird dieses Verhalten auch noch durch die sich in der Praxis als einzig wahr und anwendbar zeigende, in der Jurisprudenz aber seit Jahrzehnten aus guten Gründen als veraltet geltende, Subordinationstheorie, wonach ein offentlich-rechtliches Verhältnis immer dann vorläge, wo ein Über-/Unterordnungsverhältnis gegeben ist.
https://de.wikipedia.org/wiki/Subordinationstheorie
Und der Ober zeigt dem Unter schon gerne, wer nach wessen Pfeife zu tanzen hat, damit überhaupt etwas geht ...