Wahr:
Erik Olin Wright: Reale Utopien. Wege aus dem Kapitalismus, 530 S., broschiert, 24 €
»Antikapitalismus« ist oft eine leere Phrase gefühlslinker Pseudorebellen, und das heißt in diesem Fall konkret: Schlagworte verhindern Ernsthaftigkeit, Parolen ersetzen Inhalte, Glaubenssätze verdrängen Debatten. Gut, daß nun mit Erik Olin Wright ein Autor von Format in deutscher Sprache erscheint, der mit all dem Schluß macht. Reflexionen über Kapitalismuskritik und alternative Wege, Freiraumtheorien und Praxisbeispiele, Nachdenken über Nah- und Fernziele – all das findet sich auf 500 Seiten in herausragender und in zum Weiterdenken anregender Art und Weise. Ein kluges Nachwort von Michael Brie rundet jenes Werk ab, das als die gegenwärtig wichtigste Einführung in realitätsnahe Kapitalismuskritik anzusehen ist.
Schön:
Nikolai Ostrowski: Wie der Stahl gehärtet wurde, Roman. 518 S., gebunden, 16 €
2017 hieß auch: 100 Jahre Oktoberrevolution. Wer verstehen will, welche Widersprüche diese an Konflikten reiche Zeit für die Menschen im Alltag bedeuteten; wer verstehen will, was Jungkommunisten und Altbolschewiki antrieb, Leib und Leben zu riskieren, um »ihre« Revolution mit allen Mitteln – auch die des Terrors – zu verteidigen; wer verstehen will, welche Dinge vor hundert Jahren Menschen bewegten, über sich hinauszugehen; wer schließlich verstehen will, wieso ein sterbenskranker junger Autor wie Nikolai Ostrowski seinen Schwung im Dienst des Schreibens suchte; wer sich auch nur für einen dieser Verstehensprozesse interessiert, wird nicht an der Lektüre des verhaßten wie geliebten Epochenromans Wie der Stahl gehärtet wurde vorbeikommen. Gemeinsam mit den Kadetten des Alcázar geht man so den Schritt zum besseren Verständnis der europäischen Krisis des 20. Jahrhunderts wie auch deren mobilisierender Mythen.
Gut:
Thor v. Waldstein: Die entfesselte Freiheit. Aufsätze wider die liberalistische Lagevergessenheit, 287 S., gebunden, 22 €
In diesem Sammelband finden sich die bedeutendsten Aufsätze, Reden und Autorenporträts von Thor v. Waldstein. Eins seiner Hauptaugenmerke gilt der Kapitalismuskritik. Da sie in Deutschland „heute intellektuell verwaist“ sei, solle sie mit „nationalen Inhalten“ gekoppelt werden – damit wäre der Linken ein weiterer inhaltlicher Schlag zu versetzen. „Entweder“, so v. Waldstein, „kommen endlich die ‚linken Leute von rechts’, oder es kommen überhaupt keine Leute von rechts.“ Diese Erkenntnis ist so richtig wie wichtig, und sie findet sich in Waldsteins Thesen zum Kapitalismus, die durch Thesen zum Islam (und zur Islamisierung) ergänzt werden. Die Thesen sind Teil einer scharfsinnigen Analyse, die allein auf weiter Flur steht und künftig als neurechte Basis für den wohldurchdachten Blick auf „den“ Islam zu gelten hat.
Der Gehenkte
Für unsereinen gehört der Ostrowski seit früher Kindheit zum inneren Bestand - ich glaube im Übrigen, daß dieses Buch - aufgrund seines energischen Helden - trotz Pflichtlektüre mehr geliebt als gehaßt wurde. Sehr mutig und a rebours, es hier zu empfehlen.
Allein: warum diese Ausgabe? Handelt sich um eine neue Übersetzung oder eine noch unbekannte Fassung? Wodruch zeichnet sie sich aus? Bekanntlich hat Ostrowski seinen Roman mehrfach bearbeitet.
Es tut immer wieder mal gut, einen Roman des sowjetischen sozialistischen Realismus zu lesen oder etwa Makarenko ... man bekommt ein Gefühl für jene Seite des historischen Prozesses, die auch aus Idealismus und Begeisterung bestand. Seit drei Jahrzehnten ist es ja Usus geworden, nur noch mit dem Schwarzbuch zu argumentieren.
Wie weit Pawel Kortschagin sich allerdings von der Realität entfernt hatte, zeigen seine Nachfolger, etwa Rudajew aus Wladimir Popws "Havarie im Stahlwerk", die durch unfreiwillige Komik unter der Jubelpose, tief in den Krankheitsherd des gesamten Überbaus hineinleuchteten. Schnell ist aus dem sogenannten sozialistischen Realismus ein protosozialistsicher Irrealismus geworden, wovon die Bitterfelder Schule - trotz einzelner literarischer Meisterleistungen - ein vielstimmiges Lied sang.
Trotzdem, seltsam: Man spürt dort Heimat!