Das letztere ist hier nicht weiter von Belang. Ich verstehe darunter das leidenschaftslose Interesse des Wissenschaftlers, der bei anderer akademischer Neigung auch Insekten oder subatomare Partikel erforschte. Wir verdanken ihm vielleicht den besten Teil der harten Wissenschaft von der Politik, doch fehlt diesem Interesse per Definitionem die Teilhabe am politischen Schicksal.
Für den als Teilhabenden am politischen Schicksal Empfindenden gibt es die entgegengesetzten Perspektiven von Macht und Ohnmacht. Auf die Gefahr hin wie ein Selbsthilfecoach zu klingen: Das ist vor allem eine Frage der inneren Einstellung. Sieht man sich selbst als machtvoll oder als machtlos? Als jemanden der handelnd, oder nur erleidend in diese Welt verstrickt ist?
Um sich als das Erstere aufzufassen bedarf es keines hohen Amtes. Und der Unterschied ist kaum zu überschätzen, nicht nur für das persönliche Wohlbefinden. Ob man die politische Welt als ein Mächtiger oder Ohnmächtiger betrachtet formt unwillkürlich das eigene Denken.
Wer über Macht verfügt handelt – hoffentlich nicht ohne vorher nachzudenken. Dieses Nachdenken vor dem Handeln dient dem praktischen Zweck. Seine Vollendung findet es in der Strategie. Der Mächtige denkt natürlich nicht nur dann, wenn er gerade ein bestimmtes Ziel vor Augen hat. Doch auch wenn er sonst die Augen offen hält, wird sein Bild von der Praxis geprägt.
Das Erkenntnisinteresse des politischen Machtdenkens richtet sich deshalb auf erfahrbare Wirklichkeiten. Das bedeutet nicht, daß die Spekulation über das ihm Unbekannte diesem Denken fremd wäre. Im Gegenteil, zu jedem reifen Machtdenken gehört die Frage nach der Unsicherheit des eigenen Wissens über die Welt dazu.
Insofern gehört dasjenige politische Denken, dem das verheerende Etikett der „Verschwörungstheorie“ angeheftet wird zum Machtdenken dazu. Wer glaubt, daß die Politik nur aus dem besteht, was in den Abendnachrichten gesendet wird und alles darüber hinaus als „Verschwörungstheorie“ abtut, ist gehirngewaschen und hat sich in der eigenen intellektuellen Eitelkeit verfangen, genauer: in dem Wunsch vor sich selbst und vor anderen als vernünftig zu erscheinen.
Dennoch unterscheidet sich die Beschäftigung des Machtdenkens mit dem Phänomen der Verschwörung grundsätzlich von dem das so häufig bei denen auftritt, die aus der eigenen Ohnmacht heraus denken.
Das charakteristischste Merkmal der „Verschwörungstheorien“ des Machtdenkens besteht darin, daß es nur zum Teil um Verschwörungen im strengen Sinne, also um Geheimbünde geht. Machtdenken kommt zu der Einsicht, daß Politik zum größten Teil nicht im Licht der breitesten Öffentlichkeit stattfindet. Jenseits des Scheinwerferkegels der Tagespresse entdeckt es dann eine Vielfalt von Erscheinungen: Gekungel in Parlamenten und Lobbys, vertrauliche Abmachungen, die banale Normalität, daß andere Akteure ihre Motive und Strategien nicht notwendig in die Welt hinausposaunen (etwas womit der Handelnde aus eigener Erfahrung vertraut ist), aber natürlich gibt es auch beständigere Strukturen, die das Licht der Öffentlichkeit scheuen und nicht zuletzt jene, die sich vor aller Augen versteckt halten, weil die Presse selten bis nie über sie berichtet, obwohl die Informationen frei zugänglich sind.
Wer als Handelnder denkt, muß diese Tatsachen berücksichtigen um zu einer möglichst zutreffenden Lageeinschätzung zu gelangen. In vielen Fällen wird er sich eingestehen müssen, daß er nur mehr oder weniger gut begründet mutmaßen kann. Manchmal wird er auch vor einem Rätsel stehen und vielleicht noch nicht einmal den Finger auf die Frage legen können.
Diese Erfahrung ist beunruhigend, gehört aber zum politischen Erkennen genauso dazu, wie die Erfahrung der Grenze der eigenen Macht zum politischen Handeln. Wer für beides eine Leidenschaft hat, wird sich davon weder abschrecken noch irre machen lassen. Unsicherheit gehört dazu, man muß lernen damit umzugehen.
Der Ohnmächtige hingegen denkt, um das worauf er keinen Einfluß hat, was er als übermächtige, ihn zerdrückende Außenwelt empfindet, wenigstens im Gedanken zu bannen. Deshalb neigt er zu Erklärungen über geheime Hintermänner und Pläne im Verborgenen, die sich von der Einsicht, daß Politik zu großen Teilen unter Ausschluß der Öffentlichkeit stattfindet in zwei wesentlichen Punkten unterschiedet.
Zum Ersten ist es für das Ohnmachtdenken bestenfalls zweitrangig, ob es für die von ihm angenommene Verschwörung belastbare Indizien gibt oder nicht. Denn wer vom politischen Denken nur eine Erklärung für die eigene Ohnmacht will, den interessiert die Wirklichkeit gar nicht. Er ist nur auf der Suche nach einer persönlichen Wahrheit, an die er sich klammern kann.
Zweitens findet man bei ihm häufig etwas, daß man Verschwörungsmonotheismus nennen könnte. Es gibt nur eine Verschwörung und sie ist allmächtig. Der sich ohnmächtig Empfindende ist meistens blind dafür, daß die feindliche Außenwelt kein einheitlicher Block ist. Er nimmt diese Außenwelt ja nur in Bezug auf die eigene Ohnmacht war.
Deshalb begreift er auch nicht, daß diese Außenwelt selbst aus einer Vielzahl von Akteuren besteht, die keineswegs nur damit beschäftigt sind, die politischen Ziele voranzutreiben, vor denen der Ohnmächtige sich fürchtet. Daß die Feinde sich untereinander in die Wolle kriegen, weil sich ihre Ziele und Interessen in Vielem widersprechen, ist ihm unbegreiflich. Liegt ihm solch ein Fall dann unleugbar vor der Nase, versucht er herauszufinden, welche Strategie der großen Verschwörung jetzt schon wieder dahinter steckt. „Wem wurde hier welche Rolle zugewiesen?“
Wer sich mit Politik befaßt, um eine Erklärung zu finden, die die Angst vor der eigenen Ohnmacht stillt, ist nicht nur für jede politische Bewegung ein Klotz am Bein, er diskreditiert auch jede kritische Analyse der politischen Eliten und Strukturen, die in der Aussicht verfaßt ist, daß man etwas ändern kann und nicht nur jammern, weil die Mächtigen alle so böse sind.
Die Analyse ihrer Strategien und Strukturen als „Verschwörungstheorie“ zu verleumden, gehört zum gemeinsamen Programm all der großen und kleinen Gauner und Volksverräter. Um sich darauf zu einigen brauchen die nicht einmal eine Verschwörung. Es gibt genügend Spinner, da liegt es auf der Hand.
Der_Juergen
Kann das nur unterschreiben. Aufgrund der Tatsache, dass es offenkundige Terroranschläge unter falscher Flagge gibt (das bekannteste Beispiel ist natürlich der 11. September), schliessen Übereifrige, dass JEDES von den Medien den Dschihadisten zugeschriebene Attentat ebenfalls eine solche Operation darstellt. Hier gilt es jeden Einzelfalls so gut zu analysieren, wie es anhand des vorhandenen Materials geht.
Wer axiomatisch annimmt, in der Politik werde alles und jedes von Hintergrundmächten festgelegt und alle Akteure spielten lediglich die ihnen zugewiesene Rolle, unterschätzt die Bedeutung des menschlichen Faktors.