Gemeinsame Erfahrung: Unsere Kinder erzählen von haarsträubenden Schuldialogen. Meist geht es darum: Ideologie schlägt Empirie. Niedergeschlagen sind dann oft genug die Kinder, die ganz genau wissen, daß zwei mal zwei eben nicht hundertfünfundzwanzig ist, auch wenn es darauf die volle Punktzahl gegeben hätte – wenn auch nicht grad in Mathe.
Wir Mütter dann oft zu den Kindern, die von den Auseinandersetzungen berichten: „Absurd! Du hättest doch einfach, und zwar ohne Dich argumentativ besonders vorzuwagen, XYZ entgegnen können!“
Unsere Kinder dann: „Ja. Klar. Aber das würden die trotzdem nicht kapieren. Die leben in einer Welt, wo Logik nicht viel zählt.“
Puh, ich kenne das Problem mit der Hypermoral aus meiner eigenen Jugend. Man mußte schon in den Neunzigern ein bißchen närrisch veranlagt und besonders temperamentvoll sein, um in der Schule mit Vorliebe offen anstößig zu sein. Diese Eigenart vererbt sich nicht automatisch.
Zwei hübsche Beispiele von heute. Erstens: Sohn berichtet aus Bio. Gefragt wurde nach dominant/rezessiv. (Es war mitnichten die Einführungsstunde zum Thema.) Inwiefern und weshalb und wann spricht man von genetischer Dominanz? Schülerantwort: „Das ist eine Art gesellschaftlicher Übereinkunft. Was sozusagen gerade in Mode ist, wird als dominant bezeichnet.“
Zweitens: Tochter berichtet aus dem Kunstunterricht. Ein Mitschüler hat ein Bild verfertigt, worauf ein „AfD-Wahlzettel“ in den Müll geworfen wurde. Lehrer lobt den künstlerischen Mut. Tochter: „Was ist eigentlich ein AfD-Wahlzettel? Und ist das nicht ein bißchen arrogant?“ Lehrer bescheidet, das sei nun wirklich Haarspalterei.
— — —
07. 12. 17 – Im Nebenzimmer hocken drei oder vier Kinder und lärmen lachend herum. Eine Flimmerkiste läuft. Eigentlich handhaben wir Eltern das extrem restriktiv. Unsere Leser wissen das.
Gut, heute lasse ich mal fünfe gerade sein. Solange es keine Zoten sind und ich nicht wieder die berühmte Seife zum Mundauswaschen hervorholen muß!
Allerdings erscheint mir das dumme Gelächter der jungen Damen tatsächlich grenzwertig. Was gibt es denn da zu lachen, heutzutage? Ich höre unanständige Satzfetzen: „… oarnee, der Vollpfosten… ey, mit dem Typ kann man ja nur Mitleid haben…grenzdebil… man, merkt der‘ s noch ?“
Ich möchte nicht, daß sich meine Töchter mit grenzdebilen Vollpfosten beschäftigen.
Mein Ohr nähert sich der Tür. Jetzt entwerfen sie nebenan einen Slogan: „Tillschneider statt Till Schweiger!“ Diese Jugend.
— — —
08. 12. 17 – Diese sogenannten Kids sind wirklich sehr durcheinander. Im folgenden Fall nicht meine.
Eines meiner Kinder trägt im Nachmittagssport ein T‑Shirt mit Deutschlandfarben, dezent, eine Art Fußballtrikot (ohne, daß es um Fußball ginge.) Sein Konkurrent (schwieriges Alter, alle beide) herrscht ihn an: „Du bist eh so einer! Hau mir ab mit Deinem fuck Deutschland-Trikot!“ Meiner: „Wieso? Was hast Du für ein Problem mit Deutschland?“
Der andere: „Deutschland ist Merkel! Doppeltscheiße! Du bist wohl Merkelfan, hä?“ Meiner: „?? Hab ich ein Merkel-T-Shirt an, oder was?“
Der andere, leicht drohend: „Deutschland ist am Arsch, und ich sag Dir eins: Mein Vater ist bei der AfD!“
Den weiteren mutmaßlich irren Dialog konnte ich nicht verfolgen. Hab nur mitbekommen, daß meiner und der andere sich nach dem Training abklatschten. Dann ist ja alles „in deutscher Hand“! Dunkeldeutschland, hehe.
— — —
10. 12. 17 – Hinter mir liegt ein qualitativ hochwertiges, insgesamt rührendes Weihnachtskonzert einer lokalen Institution. So viel Sachverstand und Kreativität! Blüte unserer Zeit – es lebe die Kleinstadt!
Kein Dach ohne ‑ach. Deshalb die Quizfrage, gestellt an eine imaginäre Rategemeinschaft: In welchem europäischen Land werden auf provinzieller Bühne im Advent anno 2017 folgende Lieder zu Gehör gebracht: Oh, how Joyfully, Away in an Manger, I saw three ships, Santa Claus is Coming und (sic, das gibt es glaub ich auch auf deutsch) Night of Silence?
Deutschland? Fffast! Genauer: Dunkeldeutschland. Incredible.
–
Ellen Kositzas gesammelte Wochenrückblicke der Jahre 2014–2016 sind in Buchform erhältlich! Ellen Kositza: Das war’s. Diesmal mit: Kindern, Küche, Kritik, Schnellroda 2017. Hier einsehen und bestellen!
sven h.
Frau Kositza, Sie habens noch gut. Ich wohne in einem ehelmals ansehnlichen Vorort von Nürnberg, welcher heutzutage nur schwer wieder zu erkennen ist. Wenn mein Sohn in 4 Jahren in die Schule soll, dann weiss ich nicht einmal ob Deutsch dort dann die vorherrschende Sprache sein wird. Für unsere Kinder wird es umso unerträglicher je jünger sie sind. Zur Zeit geht er (weils die Mutter unbedingt will) in einen russischsprachigen Vorkindergarten. Stellen Sie sich vor dort gibt es nur "helle" Kinder, der Herkunfts ists geschuldet. Das lässt man durchgehen, vermutlich weils der Integration schadet (Nürnberger OB ist Schirmherr in dieser Einrichtung, also alles klar). Und jetzt stellen Sie sich das mal vor, ein Deutsches Kulturzentrum, in das nur deutsche Kinder gehen...undenkbar...was für ein bigottes Zeitalter.
P.S. Auf den Bildern von dort sieht mein Kleiner aus, wie ich damals in den 80ern. Mir grauts, wenn er in das muss was man einen normalen Kindergarten nennt.