die Besorgte Bürger Bewegung, die dezidierte Anleihen bei der realen AfD nimmt.
Nun lief am vergangenen Sonntag im bürgerfinanzierten Erziehungsfunk ein Tatort mit dem Titel „Dunkle Zeit“, der für Furore sorgte. Kurzgesagt ging es darum, daß eine neue, aufstrebende Partei, die „Neuen Patrioten“, sich als Opfer inszeniert. Dem Augenschein nach werden sie, vor allem ihre Führungsfiguren (erstens eine Mixtur aus Weidel/Petry und zweitens Jörg Meuthen) durch Linksextremisten bedroht.
Am Ende stellt sich eine kaltblütige und waffenerfahrene Linksextremistin als echte Rechte heraus, die im Auftrag einer besonders rechten Patriotenclique Abweichler killen soll. Spannungsmäßig fiel der Fernsehkrimi weithin durch, und sogar Leitmedien hielten ihn für ziemlich klischeebeladen.
Regisseur und Drehbuchautor Niki Stein sagte der FAZ zu seiner Recherchearbeit erstens:
Vor allem habe ich Parteiprogramme gelesen und mir die neurechten, ideologischen Hintergrundfiguren angeschaut: Elsässer, Kubitschek.
Aber, denn hier wird’s echt eng, was die False-Flag-Aktion angeht (daß also Linksextreme eigentlich Mitglieder des rechten Spektrums seien):
Nach Vorbildern in der Realität habe ich dabei tatsächlich nicht gesucht.
Aha. Wir haben verstanden. Das darf Fiktion: Einen Buhmann ausmalen, der extrem einfach in der Realität wiederzuerkennen ist. Jeder Idiot versteht, was und wer mit Niki Steins „Neuen Patrioten“ und Juli Zehs „BBB“ gemeint ist. Und dann? Das wird man als Künstler sich wohl nach wildströmender Phantasie ausmalen dürfen!
Hier wäre meine Besprechung von Juli Zehs Roman, einem Paralleltext zum Tatort:
Es ist im Grunde so, daß für jeden Schreibwütigen oder-willigen die Themen auf der Straße liegen. Es gibt Stoff genug, ja! Aber es gibt mehr Möchtegern-Schneider als echte Haute-Couture-Künstler.
Die „Bestenlisten“ hochgebildeter Jurys haben wenig gemein mit den Bestsellerlisten. Letztere bilden den Publikumsgeschmack ab; erstere das Erlesene, oft Verstiegene. Beispiel: Bestverkauft werden zur Zeit die Thriller Blutroter Sonntag, Flugangst 7A, oder die tränenrührende Geschichte Nur noch ein einziges Mal. Auf der Bestenliste hingegen finden sich elaborierte Empfehlungen für die “oberen Zehntausend”: Thomas Lehrs anspruchsvoller Roman Schlafende Sonne und die hyperintellektuelle Biographie von Annie Ernaux: Die Jahre.
Ich meine damit: Wenn es eine „Filter-Bubble“, eine Echokammer gibt, eine scharfe Trennlinie zwischen intellektueller Abgehobenheit und Volk, dann wird sie auch im Lese- und Empfehlungsverhalten deutlich. Der Arbeiter, der durchschnittliche Angestellte und Beamte wird einen Scheiß geben auf die „Schlafende Sonne“!
Wir kämen zu Juli Zeh. Ihre Romane sind insofern besonders, weil sie die Trennlinie zwischen Volkskunst und Hochkultur offenkundig zu durchbrechen verstehen. Zehs letzter Roman, Unterleuten, war nicht nur ein Gassenhauer, er wurde auch von der bibliophilen upperclass goutiert. Man las ihn nicht nur in der Elbchaussee gern, sondern auch in Hinter der Grube. Juli Zehs Sicht auf die Dinge hat etwas Weltweises, die Frau (Jahrgang 1974, späte Mutter zweier Kinder) ist klug, gebildet (sie ist Juristin) und eine Menschenkennerin. Letzteres, also die Kunst, das Personal mit raschen Strichen kenntlich zu entwerfen, dabei Ambivalenzen nicht scheuend, hat mich zur begeisterten Leserin von Zehs Romanen gemacht. Dabei ist Zeh eine der wenigen Schriftstellerinnen, die sich nicht scheut, sich politisch zu verorten. Gerade ist sie (ich dachte, sie wäre es längst) in die SPD eingetreten.
Nun also Leere Herzen. Die Grundidee ist bestechend: Rund 10.000 Menschen jährlich begehen in Deutschland Suizid. Die allerwenigsten (eine Ausnahme hat Nicol Ljubic gerade in Ein Mensch brennt aufgezeichnet) verknüpfen ihren individuellen Lebensüberdruß mit einer politischen Botschaft. (Ich bzw. Zeh reden von Abendländern.) Dabei wär das doch was: Menschen, die ohnehin aus dem Leben scheiden wollen, noch eine letzte Sinnbotschaft als Etikett mitzugeben!
Die Geschichte spielt in der nahen Zukunft, 2025. Es gibt einen Frexit, eine Bewegung „Free Flandern“ und „Katalonien first!“. In Deutschland hat Merkel abdanken müssen. Die neue Kanzlerin wurde von der BBB gestellt, sie heißt Regula Freyer.
Die BBB ist die Besorgte-Bürger-Bewegung, die damals, in den Zeiten der Flüchtlingskrise anno 2015, Fahrt aufgenommen hatte. Mittlerweile bringt die Partei das fünfte „Effizienz-Paket“ auf den Weg. Der Staat macht sich schlank, Eigenverantwortung zählt wieder. Stadtteile, die Jahre zuvor noch in muslimischer Hand waren, sind wieder „deutscher“. Die BBB, bereits in der zweiten Legislaturperiode, hat aufgeräumt – dafür war sie angetreten.
Im sozialen Umfeld der Protagonistin Britta verhält es sich ähnlich, wie es sich anno 2017 mit den öffentlichen Intellektuellen und der AfD verhält: Diese Partei kann keiner leiden, man parodiert deren Vorsitzende gern. Alle stehen ihr mehr als skeptisch gegenüber, das gleiche gilt für Trump und Putin. Dabei: Diese Staatsmänner haben den Syrienkrieg befriedet, und eigentlich schaut auch Deutschland ganz gut aus unter der Regentschaft von Kanzlerin Freyer. Die kleine Tochter der Karrierefrau Britta und ihrem Ehegespons Richard (irgendwas mit IT) spielt gemeinsam mit der der Tochter von Brittas jüngerer, naiverer Busenfreundin Janina brutale Killerspiele. Das ist okay. Alle tun es. Immerhin speist man meistens vegan.
Britta betreibt mit dem schwulen irakischen Flüchtling Babak ein erfolreiches Unternehmen: „Die Brücke“. Über das Internet und einen ausgeklügelten Algorithmus filtern sie Selbstmordkandidaten aus und vermitteln sie an diverse Organisationen, die sich auf irgendeine Weise die Weltrettung auf die Fahnen geschrieben haben.
Die meisten Selbstmörder in spe werden durch Britta und Babak „geheilt“. Sie müssen nämlich zwölf Prüfungsstufen durchlaufen (Waterboarding etc.), um zu testen, ob sie wirklich vollends lebensmüde sind. Wer auf Stufe x scheitert, hat neuen Lebenswillen entdeckt und zeigt sich mittels Geldspenden erkenntlich. Wer durchhält, ist ein echter Freitodkandidat und wird beispielsweise an Umweltorganisationen vermittelt.
Nun hat sich aus abgewiesenen Suizidwilligen eine brutale Untergrundorgansisation namens „Empty Hearts“ entwickelt, die Brittas „Brücke“ in die Bredouille bringt. Der Roman hat hier ein paar logische, vor allem psychologische Brüche. Im tonangebenden Großfeuilleton ist er vor allem deshalb durchgefallen.
Bislang (soweit ich sehe) unerwähnt in den Buchbesprechungen war die erregende Phantasie, die am Ende des Romans Wirklichkeit zu werden droht: Die Empty Hearts planen ein gigantisches Attentat auf die BBB-Regierung und wollen die nun über 70jährige Angela Merkel wieder ins Amt setzen. Alle strahlen! Ein großes „Wow“!
Britta allein ist skeptisch, immerhin seien diese „Spinner“ von der BBB gewählt worden! Ja, genau, wie die NSDAP damals, schleudert man ihr entgegen. Was sei demokratisch an einer Wahl, „die massiv aus dem Internet gesteuert“ worden sei? Gäbe es nicht ein Widerstandsrecht? Die Mordsphantasie: Niedere Angestellte werden verschont, man freut sich auf die „schreckgeweiteten Augen“ bestimmter Personen und auf die Stille, die dann über „Leichenteilen und Trümmern“ schweben wird.
Britta spürt, wie das Blut in ihren Adern zu prickeln beginnt. Wegfegen, ausräuchern, saubermachen. Eine Aktion von historischem Ausmaß. Der Aufstand der Gerechten, Terror der Guten, demokratisches Großreinemachen. Sie malt sich aus, wie ein Sturm der Erneuerung durchs Land fegen wird, der nicht nur die BBB-Elite mit sich reißt, sondern auch deren Anhänger, jene notorischen Nörgler, die seit Jahrzehnten mit ihrer Missgunst und Kleinkariertheit an den Fundamenten der Demokratie grabe. Die das Internet in eine Schlammschleuder verwandelt haben, die nur glücklich sind, wenn sei auf andere herabschauen können. […] Jener Bodensatz aus schlechtgelaunten Postdemokraten, die erfolgreich dabei sind, die größte zivilisatorische Errungenschaft der Menschheitsgeschichte ihren persönlichen Minderwertigkeitskomplexen zu opfern. Zur Hölle mit ihnen!
Julietta, eine magersüchtige Hauptfigur, ist sofort dabei, sie will unbedingt „für eine gute Sache sterben.“ Der sinistre Geheimdienstmann, der nun die Empty Hearts dirigiert, bekräftigt: „Das ist die beste Sache der Welt!“
Nun, Britta und mithin Juli Zeh kriegen am Ende die Kurve. Es wird kein Massaker geben. Aber eine geile Phantasie war’s wert! Juli Zeh, die noch Ende 2016 auf den Verbleib von Angela Merkel als Kanzlerin hoffte, ist 2017 übrigens Mitglied der SPD geworden. Unbekannt: Wen und was Niki Stein gewählt hat.
cso
Ach du meine Güte!
Bleibt nur zu hoffen, daß sich so manche Schreibkraft in Zukunft für den stumpfen Blödsinn anständig schämen wird, mit welchem sie sich gegenwärtig verdingt.