Um die Motivationen des umfassenden und heterogenen neuen Protestmilieus zu ergründen, wurden von „Experten“ immer wieder die „diffusen Ängste“ bemüht, und denen die Widerständler angeblich litten.
Nur, die Sache verhält sich offenkundig grad seitenverkehrt. DIE haben Angst. DIE stricken sich daraus ihren polymorphen Untergang des Abendlandes! Ein paar „künstlerische“ Belege, die ich dieser Tage zusammentrug:
- Ein Autor namens Ulf. T. Swidler (der Publikumsverlag stellt ihn kurz&knapp vor; besonders wichtig erscheint, daß der Autor geborener Tobinsky ist und nach seiner Hochzeit den Namen seiner Frau angenommen hat) wird im Februar seinen neuen Thriller Roh präsentieren: Es geht um „christlich-fundamentalistischen“ Terrorismus (in Köln!). Die international agierende Terrorgruppe will mit ihren Taten (die freilich zunächst Moslems in die Schuhe geschoben werden) einen „weltweiten Kreuzzug gegen den Islam provozieren“. Verlagswerbung („Spitzentitel!“): “Ein erschreckendes Albtraumszenario, das angesichts des weltweiten Aufschwungs rechtspopulistischer Kräfte schon bald Realität werden könnte.“
- Ebenfalls im Februar wird das erste deutsche Staatsfernsehen einen Film „Aufbruch ins Ungewisse“ zeigen. Der Streifen spielt in der „nahen Zukunft“: „Europa ist im Chaos versunken. Rechtsextreme haben in vielen Ländern die Macht übernommen. Aus dem demokratischen Staat, der Deutschland einmal war, ist ein totalitäres System geworden, das Andersdenkende, Muslime und Homosexuelle verfolgt. Jan Schneider (Fabian Busch) hat sich als Anwalt auf die Seite enteigneter Opfer gestellt. Als er erfährt, dass ihn das Regime erneut ins Gefängnis stecken will, beschließt er zu fliehen.“
- Die Angst vor einer blutigen Machtübernahme der Rechten wird besonders gern in Jugendbüchern geschürt. Ein aktuelles Beipiel wäre Anschlag von rechts von Reiner Engelmann (mit solchem Namen ist man natürlich begnadet): Hier terrorisieren rechte Asoziale junge Flüchtlinge. Das liest sich so:
“Deutsches Land, deutsche Natur, durchwandert von deutschen Männern.“ Mit diesen Worten begann einer der Teilnehmer nach dem Essen eine kurze Rede. »Wir wollen dieses Land sauber halten. Erinnert euch an diese Natur, an die klare Luft! Noch nicht verpestet von jenen, die nicht hierhergehören. Hier ist die Natur noch rein und so soll sie auch bleiben, Kameraden!«
Lauter Beifall.
»Ich freue mich, ein paar neue Gesichter zu sehen. Das ist gut! Auf euch kommt es an! Jeder, der bei uns im Aktionsbündnis Hermannsland mitmacht, ist mehr Wert [!] als ein vertrottelter Wähler, der alle vier Jahre bei irgendeiner Partei sein Kreuz macht!«
Wieder tosender Beifall.
Very simple.
- Oder so: bei Martin Schäuble, der für seinen (auch literarisch) äußerst dürftigen Jugendroman Endland wahre Elogen von der Hauptstrompresse einfuhr. Es geht um Anton. Er bewacht die Grenzmauer, die Deutschland umschließt. Er ist begeistert von der Nationalen Alternative, der neuen Regierungspartei, und vom Selbstbewusstsein seines Landes. Anton soll zum Attentäter werden. Wenn das nicht das attraktive Flüchtlingsmädchen aus Äthiopien wäre, und sein, Antons, kluger, linker Freund…” Die Rezensenten überschlugen sich vor Angstfreude, nur ein Beispiel:
„Eine düstere Zukunftsvision, ein hochaktuelles Gesellschaftsdrama … Martin Schäuble (…) weiß wirklich, wovon er da schreibt. Das macht dieses Buch so handfest, so glaubhaft, so erschreckend bedrohlich.“ Ingrid Müller-Münch, WDR 5 Scala, 07.08.17
- Oder, ebenfalls als Neue Angstlektüre auf dem Buchmarkt erschienen, Der Schuss von Christian Linker (hat studiert: gemäß Deutschlandfunk nämlich: „Jugendpolitik“). Der 17-jährige Robin wird in seinem Wohnblock Zeuge des Mords an einem Anhänger der rechtsgerichteten »Deutschen Alternativen Partei«, deren Anführer Fred Kuschinski ein Kindheitsfreund von Robin ist. Die Rechten schieben den Mord dem sogenannten »Intensivtäter« Hakan Topal in die Schuhe und nutzen die Bluttat, um Fremdenhass und Ängste zu schüren. Eine begeisterte Angstleserin hat die Message voll begriffen und urteilt auf amazon.de [hier unkorrigiert, EK]:
Hauptsächtlich geht es hier um den Fremdenhass und den Rassismus. Egal ob gegen Türken, Araber oder Afrikaner. Jeder bekommt hier sein Stempel aufgedrückt. […]Generell ein Buch was zum nachdenken anregt, vor allem aber auch in der heutigen Zeit wo wir durch Parteien, Terror, Krisen und Rassismus alles selber mitbekommen. Politik geht einfach jeden etwas an. Ich finde das Buch würde sich sehr gut als Schullektüre eigen, da man auch sieht wohin alles führen kann.
Ergänze: Also optimal, um eigene Ängste zu optimieren!
- Ob Fatih Akins soeben in Übersee ausgezeichneter Film Aus dem Nichts in die Kategorie „Ängste bedienen“ fällt, vermag ich nicht zu sagen. Jedenfalls war Akin von der ZEIT skeptisch befragt worden, warum er die Opferrolle eigentlich ausgerechnet mit einer Blondblauen (Diane Kruger, eigentlich: Heidkrüger) besetzt habe.
Akin: “Mir hat das Bild gefallen: Eine blonde Deutsche, eine Arierin wie aus einem Leni-Riefenstahl-Film, legt sich mit Nazis an. Arisch gegen völkisch.”
Interessant eigentlich, daß man „Arierin“ noch „sagen darf“. Merke: Niggaz etc. pp. ist als Selbstbezeichnung (im Rap etc.) okay bis cool, als Fremdbezeichnung ist aber sogar der zivilisierte, strikt lateinischer „Neger“ Totaltabu.
„Arisch“ hingegen – läuft anscheinend? Mir schien bislang immer, der „Arier“ stehe historisch deutlich mehr im Verschiß als der „Neger“. Habe kapiert: „Neger“ und ärgeres darf nur der Betroffene sagen. „Arier“ hingegen dürfte als Selbstbezeichnung obsolet sein. Volkshochschulen Deutschlands, wo bleiben Eure Kurse in „Angstfrei sprechen“?
nom de guerre
Solcherart Angst-vor-dem-Rechtsruck-Jugendliteratur gab es schon mal in den 90ern – so z.B. anno 1993 „Der Schlund“ (https://www.amazon.de/Schlund-Jugendliteratur-12-Jahre/dp/3473351369/ref=tmm_hrd_title_0?_encoding=UTF8&qid=1515924350&sr=8-2) von der in jeder Hinsicht unnachahmlichen Gudrun Pausewang. Unnötig zu erwähnen, dass die von der Autorin als Schreckensvision an die Wand gemalte gesellschaftliche Entwicklung in keiner Weise eingetreten ist.