Den Psychothriller hatten im vergangenen Herbst rund 200.000 Zuschauer in Deutschland gesehen.
Der Film (hier der Trailer) spielt in einem viktorianischen Landhaus. Das Haus ist gut bestellt und wunderschön, dank seiner Erbauerin (im Abspann und im Titel des Filmes “Mutter” genannt, gespielt von Jennifer Lawrence). Sie hat das Haus zwar geschaffen mit Handwerksgeschick, Fleiß und Hingabe, Herr des Hauses ist aber ihr Gemahl (genannt “Er”, Javier Bardem), ein gealterter narzißtischer Intellektueller, der seit einer Ewigkeit nichts Wertvolles oder Schönes mehr zustande gebracht hat. Als Fremde vor der Tür stehen (Ed Harris und Michelle Pfeiffer), die vorgeben, ihn anzuhimmeln, lädt er sie kurzerhand ein, für unbestimmte Zeit, möglicherweise sogar auf ewig in seinem Haus Quartier zu nehmen.
Die Leute sind aufdringlich, okkupieren das ganze Haus, werden unverschämt, bald auch gewalttätig. Als die Fremden sich an dem zu schaffen machen, was die Bewohner als Heiligtum des Hauses betrachten und dessen immense Wichtigkeit wir erst zum Ende des Films erfahren werden, kann sich der Herr sogar damit arrangieren und begnügt sich, seinen eigenen Sicherheitsbereich zu vernageln, der künftig als einziger Ort von den Fremden tatsächlich respektiert wird.
Fürs erste haben diese aber untereinander alte Rechnungen zu begleichen, Bruder erschlägt Bruder. Schon für die Trauerfeier läßt der Hausherr zur Familie die erweiterte Großfamilie nachziehen, die meint, nun zusammenzugehören, und außerdem versichert, nirgendwo anders hinzukönnen. Die Feier eskaliert und der Mutter gelingt es, die ganze Sippe hinauszuwerfen, bevor es in völliger Zerstörung des Hauses endet.
Dann herrscht brüchige Harmonie im Hause und der Herr schreibt aus den Erfahrungen seiner eigenen Menschenfreundlichkeit heraus ein rührseliges Buch über „Erbauen, Teilen und Gastfreundschaft“ und vermag sogar ein Kind zu zeugen. Der Herr schwelgt in seinem Glück, etwas Gutes getan und die richtigen Worte gefunden zu haben. Das Buch wird reißend aufgenommen, die Kunde über das für jeden offene Haus verbreitet sich, und nun ist es nicht mehr eine Familie, die kommt, sondern Heerscharen, um ihm zu huldigen. Die Ankömmlinge versichern, bald wieder zu verschwinden, doch das tun sie nicht. Sie überrennen das Haus, das in kürzester Zeit völlig zerstört wird. Polizei kommt vorbei, versucht gar den Besitzern des Hauses zu helfen, doch wird vom Mob kurzerhand liquidiert.
Derweil giert der Herr nach dem Neugeborenen und luchst es der erschöpften Mutter ab, um auch dieses noch als sein höchstes Gut buchstäblich an die Eindringlinge zu verteilen. Die Mutter überschreitet darauf alle ihr eingegebenen Grenzen und brennt das Haus mit allem und allen darin nieder.
Wir lasen einen irritierenden Bericht des Salonbolschewisten der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, Dietmar Dath, in der er eine Reihe übler Beschimpfungen gegen den Regisseur vom Stapel läßt. Es heißt dort abschließend: “Aronofsky wird nie begreifen, wie man die Leute im Saal mit Kinomitteln in eine Geschichte zieht, aus der sie auch nach dem Ende des Films nicht herausfinden werden, weil die Räume dieser Geschichte sich an ihre eigene Seelenarchitektur anschließen.” Nun, zumindest letzteres ist gut gesagt, und wir bekennen, daß es uns nach diesem Film gerade so ergeht. Aronofsky formuliert die Verwerfungen der heutigen Zeit als Allegorie.
Eine Allegorie benennt nicht beim Klarnamen, worum es ihr geht. Auch in einer von Benennungsverboten verstellten Geisteswelt darf der Künstler in Allegorien sprechen. Der Leser, der Zuschauer kann leichthin leugnen, sie verstanden zu haben.
Und so winden sich Interpreten dieses Filmes mit Auslegungen: Er sei eine Nacherzählung des Buches Genesis. Das ist ein bequemes Schubfach für einen unbequemen Film. Zwei Drittel des Films passen aber nicht in diese Schublade. Wenn jemand bei Paramount den Film beim Lesen verstanden hätte, hätten sie ihn nicht produziert, denn politisch unkorrekte Themen fürchten die Produzenten heute wie der Teufel das Weihwasser.
Nun herrscht viel Verleugnung, um die Peinlichkeit schnell wieder abzuwenden. Der Kritiker der NY Times (“ ‘Mother!’ is a Divine Comedy”) läßt Sympathie durchscheinen: “Don’t listen to anyone who natters on about how intense or disturbing it is, it’s a hoot!” Aber über dieses Lob hinaus produziert er den üblichen Nebel: “highly symbolic” und so weiter.
“At a certain point – it will vary according to your Sunday school attendance – you will find yourself in possession of the key to the analogical storage room where the Real Meaning resides.”
More sophisticated kann man wohl nicht sein beim Navigieren um die Real Meaning herum!
Aronofsky selbst legt noch eine falsche Spur dazu. Die NY Times zitiert unter dem Titel “Making ‘Mother!’ ” die Erklärung, die er dem braven, empörten Publikum anheim geben möchte:
“It is meant to be a parable about climate change and environmental destruction.”
Aber von Klimawandel ist nun wirklich gar nicht die Rede in diesem Film. Umweltzerstörung und die Verteidigung der Schöpfung waren bereits Thema seines Vorläuferfilms “Noah”. Die Schöpfung retten zu wollen ist nicht mehr als ein Gemeinplatz. “Noah” ist konsensfähig in alle Schichten unserer europäischen Gesellschaften hinein.
An “Mother!” hingegen scheiden sich die Geister. Wo es um Kultur geht, wird der Kernbereich des Dissenses in den postaufgeklärten westlichen Gesellschaften unserer Tage enthüllt. Jetzt muß differenziert werden zwischen dem Unseren und dem Feindlichen. Diese Fähigkeit zur Unterscheidung besitzen die “dominierenden Minderheiten”, deren Wirken Toynbee bei jedem Untergang einer Kultur diagnostiziert, eben nicht mehr. Um ihn, den Herren, “Er” genannt, geht es nämlich eigentlich in diesem Film. Kulturen werden aus ihrem Innern heraus zerstört (“sterben durch Selbstmord”, wie es oft verkürzt zitiert wird), und er ist der Vollstrecker, der seine eigene Welt in die Vernichtung treiben muß. Ohne Bedenken, ohne Trauer, ohne Reue, getrieben von Hochmut und Wollust.
Das verstörende Plakat zum Film findet seine Erklärung in der mystischen Schlußsequenz des Filmes, wenn der Herr, der der Katastrophe unverletzt entstiegen ist, der sterbenden Erbauerin das Herz herausreißt. In diesem wohnen noch immer Fleiß, Hingabe und iebe. Wir sehen sie aus diesen Attributen der Lebenskraft wiedergeboren werden, um das Haus erneut aufzubauen. Ein Ende ohne Trost, denn wir kennen den irren Kreislauf, der damit erneut beginnt. Geschichte wiederholt sich, meint Aronofsky.
Metall-Hahn
In der Tat, habe mehrere abrufbare Rezensionen überflogen, und nirgendwo wird die hier dargebotene Deutung auch nur erwogen, obwohl sich beim Anschauen bloß des Trailers bereits entsprechende Assoziationen einstellen könnten, wenn man denn bereit wäre, diesen Gedanken überhaupt zuzulassen. In einer Kritik des BR ist vage von einem "Kommentar zum Zeitgeist" die Rede, und Aronofskyn wird nicht ganz unpassend mit Lars von Trier verglichen, der ebenfalls immer wieder durch eine spürbare Distanz zum Zeitgeist und Tabubrüche im Sinne der PC auffällt. Den Elefanten im Raum beim Namen zu benennen kann oder will jedoch scheinbar niemand. Interessant wäre, wie es dem "normalen" Publikum mit diesem Film ergeht, ob also die Gehirnwindungen der meisten Menschen bereits soweit mit politisch korrekter Doppeldenke verklebt sind, dass man auch dort nicht sehen kann was nicht sein darf, und die intrapsychische Abwehr sich quasi "automatisch" dazwischen schaltet. Nun, nach Lektüre dieses Beitrags werde ich mir den Film natürlich nicht mehr unvoreingenommen ansehen können, wobei die Sensibilität für derartige Themen bei den Rezipienten dieses Blogs ohnehin nicht dem Durchschnitt entsprechen dürfte.