Darren Aronofskys “Mother!” über die Zerstörung unserer kulturellen Identität

von Thomas Bez -- Dieser Tage erscheint die DVD mit Darren Aronofskys Film Mother.

Den Psy­cho­thril­ler hat­ten im ver­gan­ge­nen Herbst rund 200.000 Zuschau­er in Deutsch­land gesehen.

Der Film (hier der Trai­ler) spielt in einem vik­to­ria­ni­schen Land­haus. Das Haus ist gut bestellt und wun­der­schön, dank sei­ner Erbaue­rin (im Abspann und im Titel des Fil­mes “Mut­ter” genannt, gespielt von Jen­ni­fer Law­rence). Sie hat das Haus zwar geschaf­fen mit Hand­werks­ge­schick, Fleiß und Hin­ga­be, Herr des Hau­ses ist aber ihr Gemahl (genannt “Er”, Javier Bar­dem), ein geal­ter­ter nar­ziß­ti­scher Intel­lek­tu­el­ler, der seit einer Ewig­keit nichts Wert­vol­les oder Schö­nes mehr zustan­de gebracht hat. Als Frem­de vor der Tür ste­hen (Ed Har­ris und Michel­le Pfeif­fer), die vor­ge­ben, ihn anzu­him­meln, lädt er sie kur­zer­hand ein, für unbe­stimm­te Zeit, mög­li­cher­wei­se sogar auf ewig in sei­nem Haus Quar­tier zu nehmen.

Die Leu­te sind auf­dring­lich, okku­pie­ren das gan­ze Haus, wer­den unver­schämt, bald auch gewalt­tä­tig. Als die Frem­den sich an dem zu schaf­fen machen, was die Bewoh­ner als Hei­lig­tum des Hau­ses betrach­ten und des­sen immense Wich­tig­keit wir erst zum Ende des Films erfah­ren wer­den, kann sich der Herr sogar damit arran­gie­ren und begnügt sich, sei­nen eige­nen Sicher­heits­be­reich zu ver­na­geln, der künf­tig als ein­zi­ger Ort von den Frem­den tat­säch­lich respek­tiert wird.

Fürs ers­te haben die­se aber unter­ein­an­der alte Rech­nun­gen zu beglei­chen, Bru­der erschlägt Bru­der. Schon für die Trau­er­fei­er läßt der Haus­herr zur Fami­lie die erwei­ter­te Groß­fa­mi­lie nach­zie­hen, die meint, nun zusam­men­zu­ge­hö­ren, und außer­dem ver­si­chert, nir­gend­wo anders hin­zu­kön­nen. Die Fei­er eska­liert und der Mut­ter gelingt es, die gan­ze Sip­pe hin­aus­zu­wer­fen, bevor es in völ­li­ger Zer­stö­rung des Hau­ses endet.

Dann herrscht brü­chi­ge Har­mo­nie im Hau­se und der Herr schreibt aus den Erfah­run­gen sei­ner eige­nen Men­schen­freund­lich­keit her­aus ein rühr­se­li­ges Buch über „Erbau­en, Tei­len und Gast­freund­schaft“ und ver­mag sogar ein Kind zu zeu­gen. Der Herr schwelgt in sei­nem Glück, etwas Gutes getan und die rich­ti­gen Wor­te gefun­den zu haben. Das Buch wird rei­ßend auf­ge­nom­men, die Kun­de über das für jeden offe­ne Haus ver­brei­tet sich, und nun ist es nicht mehr eine Fami­lie, die kommt, son­dern Heer­scha­ren, um ihm zu hul­di­gen. Die Ankömm­lin­ge ver­si­chern, bald wie­der zu ver­schwin­den, doch das tun sie nicht. Sie über­ren­nen das Haus, das in kür­zes­ter Zeit völ­lig zer­stört wird. Poli­zei kommt vor­bei, ver­sucht gar den Besit­zern des Hau­ses zu hel­fen, doch wird vom Mob kur­zer­hand liquidiert.

Der­weil giert der Herr nach dem Neu­ge­bo­re­nen und luchst es der erschöpf­ten Mut­ter ab, um auch die­ses noch als sein höchs­tes Gut buch­stäb­lich an die Ein­dring­lin­ge zu ver­tei­len. Die Mut­ter über­schrei­tet dar­auf alle ihr ein­ge­ge­be­nen Gren­zen und brennt das Haus mit allem und allen dar­in nieder.

Wir lasen einen irri­tie­ren­den Bericht des Salon­bol­sche­wis­ten der Frank­fur­ter All­ge­mei­nen Zei­tung, Diet­mar Dath, in der er eine Rei­he übler Beschimp­fun­gen gegen den Regis­seur vom Sta­pel läßt. Es heißt dort abschlie­ßend: “Aro­nof­sky wird nie begrei­fen, wie man die Leu­te im Saal mit Kino­mit­teln in eine Geschich­te zieht, aus der sie auch nach dem Ende des Films nicht her­aus­fin­den wer­den, weil die Räu­me die­ser Geschich­te sich an ihre eige­ne See­len­ar­chi­tek­tur anschlie­ßen.” Nun, zumin­dest letz­te­res ist gut gesagt, und wir beken­nen, daß es uns nach die­sem Film gera­de so ergeht. Aro­nof­sky for­mu­liert die Ver­wer­fun­gen der heu­ti­gen Zeit als Allegorie.

Eine Alle­go­rie benennt nicht beim Klar­na­men, wor­um es ihr geht. Auch in einer von Benen­nungs­ver­bo­ten ver­stell­ten Geis­tes­welt darf der Künst­ler in Alle­go­rien spre­chen. Der Leser, der Zuschau­er kann leicht­hin leug­nen, sie ver­stan­den zu haben.

Und so win­den sich Inter­pre­ten die­ses Fil­mes mit Aus­le­gun­gen: Er sei eine Nach­er­zäh­lung des Buches Gene­sis. Das ist ein beque­mes Schub­fach für einen unbe­que­men Film. Zwei Drit­tel des Films pas­sen aber nicht in die­se Schub­la­de. Wenn jemand bei Para­mount den Film beim Lesen ver­stan­den hät­te, hät­ten sie ihn nicht pro­du­ziert, denn poli­tisch unkor­rek­te The­men fürch­ten die Pro­du­zen­ten heu­te wie der Teu­fel das Weihwasser.

Nun herrscht viel Ver­leug­nung, um die Pein­lich­keit schnell wie­der abzu­wen­den. Der Kri­ti­ker der NY Times (“ ‘Mother!’ is a Divi­ne Come­dy”) läßt Sym­pa­thie durch­schei­nen: “Don’t lis­ten to anyo­ne who nat­ters on about how inten­se or dis­tur­bing it is, it’s a hoot!” Aber über die­ses Lob hin­aus pro­du­ziert er den übli­chen Nebel: “high­ly sym­bo­lic” und so weiter.

“At a cer­tain point – it will vary accor­ding to your Sun­day school atten­dance – you will find yours­elf in pos­ses­si­on of the key to the ana­lo­gi­cal sto­rage room whe­re the Real Mea­ning resides.”

More sophisti­ca­ted kann man wohl nicht sein beim Navi­gie­ren um die Real Mea­ning herum!

Aro­nof­sky selbst legt noch eine fal­sche Spur dazu. Die NY Times zitiert unter dem Titel “Making ‘Mother!’ ” die Erklä­rung, die er dem bra­ven, empör­ten Publi­kum anheim geben möchte:

“It is meant to be a para­ble about cli­ma­te chan­ge and envi­ron­men­tal destruction.”

Aber von Kli­ma­wan­del ist nun wirk­lich gar nicht die Rede in die­sem Film. Umwelt­zer­stö­rung und die Ver­tei­di­gung der Schöp­fung waren bereits The­ma sei­nes Vor­läu­fer­films “Noah”. Die Schöp­fung ret­ten zu wol­len ist nicht mehr als ein Gemein­platz. “Noah” ist kon­sens­fä­hig in alle Schich­ten unse­rer euro­päi­schen Gesell­schaf­ten hinein.

An “Mother!” hin­ge­gen schei­den sich die Geis­ter. Wo es um Kul­tur geht, wird der Kern­be­reich des Dis­sen­ses in den post­auf­ge­klär­ten west­li­chen Gesell­schaf­ten unse­rer Tage ent­hüllt. Jetzt muß dif­fe­ren­ziert wer­den zwi­schen dem Unse­ren und dem Feind­li­chen. Die­se Fähig­keit zur Unter­schei­dung besit­zen die “domi­nie­ren­den Min­der­hei­ten”, deren Wir­ken Toyn­bee bei jedem Unter­gang einer Kul­tur dia­gnos­ti­ziert, eben nicht mehr. Um ihn, den Her­ren, “Er” genannt, geht es näm­lich eigent­lich in die­sem Film. Kul­tu­ren wer­den aus ihrem Innern her­aus zer­stört (“ster­ben durch Selbst­mord”, wie es oft ver­kürzt zitiert wird), und er ist der Voll­stre­cker, der sei­ne eige­ne Welt in die Ver­nich­tung trei­ben muß. Ohne Beden­ken, ohne Trau­er, ohne Reue, getrie­ben von Hoch­mut und Wollust.

Das ver­stö­ren­de Pla­kat zum Film fin­det sei­ne Erklä­rung in der mys­ti­schen Schluß­se­quenz des Fil­mes, wenn der Herr, der der Kata­stro­phe unver­letzt ent­stie­gen ist, der ster­ben­den Erbaue­rin das Herz her­aus­reißt. In die­sem woh­nen noch immer Fleiß, Hin­ga­be und iebe. Wir sehen sie aus die­sen Attri­bu­ten der Lebens­kraft wie­der­ge­bo­ren wer­den, um das Haus erneut auf­zu­bau­en. Ein Ende ohne Trost, denn wir ken­nen den irren Kreis­lauf, der damit erneut beginnt. Geschich­te wie­der­holt sich, meint Aronofsky.

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Kommentare (9)

Metall-Hahn

24. Januar 2018 11:40

In der Tat, habe mehrere abrufbare Rezensionen überflogen, und nirgendwo wird die hier dargebotene Deutung auch nur erwogen, obwohl sich beim Anschauen bloß des Trailers bereits entsprechende Assoziationen einstellen könnten, wenn man denn bereit wäre, diesen Gedanken überhaupt zuzulassen. In einer Kritik des BR ist vage von einem "Kommentar zum Zeitgeist" die Rede, und Aronofskyn wird nicht ganz unpassend mit Lars von Trier verglichen, der ebenfalls immer wieder durch eine spürbare Distanz zum Zeitgeist und Tabubrüche im Sinne der PC auffällt. Den Elefanten im Raum beim Namen zu benennen kann oder will jedoch scheinbar niemand. Interessant wäre, wie es dem "normalen" Publikum mit diesem Film ergeht, ob also die Gehirnwindungen der meisten Menschen bereits soweit mit politisch korrekter Doppeldenke verklebt sind, dass man auch dort nicht sehen kann was nicht sein darf, und die in­t­ra­psy­chische Abwehr sich quasi "automatisch" dazwischen schaltet. Nun, nach Lektüre dieses Beitrags werde ich mir den Film natürlich nicht mehr unvoreingenommen ansehen können, wobei die Sensibilität für derartige Themen bei den Rezipienten dieses Blogs ohnehin nicht dem Durchschnitt entsprechen dürfte.

KlausD.

24. Januar 2018 12:47

Im Preis der Eintrittskarte für diesen Film ist wohl auch ein Strick enthalten ... nein Danke, im Kino möchte ich mich mal wieder entspannen und abgelenkt werden. Mir reichen da an Aufregung die letzten Monate im Leben Vincent van Gogh´s. "Loving Vincent" - super - hier der Trailer:
https://www.youtube.com/watch?v=4YnMKCePLbY

W. Wagner

24. Januar 2018 15:02

Passend zu dieser “Zerstörung unserer Identität” kam gerade der Kaplakenband 52 von Antaios ins Haus: Sophie Liebnitz “tote weiße männer lieben”. Man kann den Inhalt kaum glauben und fassen. Möge das Buch mindestens die Verbreitung wie oben besprochener Film finden. (Ich selbst schaue mir den Horrorfilm jedoch nicht an.)

Stil-Bluete

24. Januar 2018 15:37

@ W. Wagner

Passend zur 'Zerstörung unserer Identität' und Kaplakenband 52, Sophie Liebnitz 'Tote weiße Männer lieben' empfehle ich Joachim Fernau 'Und sie schämeten sich nicht' (über die Liebe der Germanen/Deutschen), garantiert zu bestellen bei Antaios.

Statt unseren Verstand zu schärfen, verderben Filme wie 'Mother' auch dann unsere Intimsphäre, wenn ihr Impuls aufklärerisch sein sollte. Die Direktheit der bewegten Bilder hat einen verletzenderen magischeren Charakter auf unsere Seele als Altarbilder oder Schilderungen über die Hölle, da man sich bei letzteren abzuwenden oder das Buch zur Seite zu legen vermag.

Solution

24. Januar 2018 17:16

Das nenne ich mal eine Filmkritik. Erinnert mich an Trevor Lynchs Bücher"White Nationalist Guide to the Movies" von Counter Currents. Bitte mehr davon.

Andreas Walter

24. Januar 2018 18:42

Der Film spielt mit Ängsten, die wohl jedem Menschen innewohnen, ausser vielleicht Psychopathen. Spätestens, wenn sie dann aber nach seiner Hand greift oder näher an ihn heranrückt, hat sich der Kauf der zwei Kinokarten bereits für beide gelohnt. Gibt aber auch noch andere interessante Theorien über Kino und Horrorfilme, oder auch darüber, warum manche Menschen sich gerne und Jugendliche besonders leicht gruseln.

Was den Film selbst betrifft sehe ich sogar drei mögliche Metaebenen, die man hier hineininterpretieren oder herauslesen kann, aus unterschiedlichen Perspektiven. Von denen Herr Bez jetzt allerdings nur eine beleuchtet hat. Traumdeuter ch hilft da weiter, aber auch symbolonline Punkt de. Würde mal mit "Haus" anfangen, dann "Fremde", und was der Film eben noch so alles hergibt an grossen Themen, neben "Feuer" und "Mord", "Mauer" und "Totschlag". Auch aus welchem "Haus" das Werk stammt sollte man bei solchen Betrachtungen nie vergessen, also auch mal die Perspektive wechseln.

eike

24. Januar 2018 19:18

Vor 60 Jahren gab's "Biedermann und die Brandstifter". Gleiche message, nur etwas weniger blutig.

Anna-Lena

25. Januar 2018 19:24

Eine sehr interessante Sichtweise.

Den Film Apocalypto musste ich mir auch erst mehrmals ansehen um zu merken wen Mel Gibson in diesem Film auf die Schippe nimmt.

Fredy

27. Januar 2018 01:09

Hab mir das Machwerk eben angesehen, man will ja den Empfehlungen folgen. 4.99€ Google Play, in HD. Zwei Stunden vertane Lebenszeit. Müll. Dreck. In jeder Hinsicht. Filmisch, dramaturgisch, politisch .... oh mann. Nächstes mal besser das Dschungelcamp. Goldene Himbeere