Nun also der Akademikerball, ursprünglich ein reiner Vereinsball der studentischen Verbindungen, seit Jahren auch FPÖ-Ball. Die Szenerie läßt sich in innen und außen aufteilen: draußen eine Riesendemo mit 8.000 Teilnehmern, drinnen ein rauschendes Fest. Schwierig: der Übergangsritus.
Wie kommt man hinein? Freunde warnten mich davor, einfach zu Fuß hinzuspazieren, denn in den vergangenen Jahren wären gerade Ballbesucherinnen nur durch Spießruten von Pöblern, Eierwerfern und Spuckern hineingelangt, und ein ruiniertes Kleid verderbe doch den Abend. 2014 war es zu gewalttätigen Auschreitungen und einer regelrechten Straßenschlacht mit der Polizei gekommen.
Ich bekam den Ratschlag, mir ein Taxi zu nehmen, möglichst einen einheimischen Fahrer, denn sonst könnte ich mir nicht sicher sein, ob der Unrat wittere. Sollte ich also beim Taxiruf 40100 anrufen, meine völkischen Selektionskriterien in Anschlag bringen und nach einem autochthonen Taxler verlangen?
Schließlich wurde ich von einem Freund mit dem Auto mitgenommen, der zu berichten wußte, daß vor 20 Jahren der Taxifunk mitzuhören war, und regelmäßig Kunden ein „Inländertaxi“ anforderten. Der Bevölkerungsaustausch ist in Wien inzwischen so weit fortgeschritten, daß dieser Wunsch heute noch absurder wäre.
Die Polizei hatte in diesem Jahr erstmalig eine große Sperrzone um die Hofburg herum errichtet, in die man nur mit gezückter Ballkarte ungestört hineingehen durfte. Mit Flechtfrisur, bodenlangem Paillettenkleid, erstmalig in meinem Leben applizierter Schminke („Entschuldigen Sie, wohin genau gebe ich das Rouge?“) und einem Antaiosbeutel voller Bücher für Martin-Er ist wieder da-Sellner, stand ich schließlich mit großen Augen unter Kristalllustern, inmitten bunt herausgeputzter Couleursstudenten, Herren in Smoking oder Frack und wunderschöner junger Damen, einige mit schwarzrotgoldenen Schärpen, Abzeichen ihrer Mädelschaften.
Der Ball wurde feierlich durch ein Walzerpaar eröffnet, eine Sängerin intonierte „Die Gedanken sind frei“, Ansatz zur Gänsehaut. Dramatisches Lichttheater und eine Teufelsgeigerin bei der Stelle „und sperrt man mich ein / in finstere Kerker“ ließen mich dann eher degoutiert erschauern. Das Lied müssen wir unbedingt auf der Leipziger Buchmesse in petto haben, wenn man uns nicht lesen läßt. Bitte alle üben.
Auch, damit wir nicht in die Verlegenheit geraten, unsere beliebten und bewährten Nazilieder hervorkramen zu müssen und wie üblich zum Mord aufzurufen.
Man muß nämlich wissen: wir sind entlarvt worden, unser Mimikry hat wieder einmal versagt, Schminken ist uns halt wesensfremd. Die Wiener Stadtzeitung „Der Falter“ hatte vergangene Woche ein Burschenschaftsliederbuch zugespielt bekommen und daraus einen Skandal genudelt. Das Buch enthielt Sauf- und Gröllieder, Altherrenhumor der plattesten Sorte. Eine Zeile wie „Da schritt in ihre Mitte ein schlitzäugiger Chines’: ‚Auch wir sind Indogermanen und wollen zur Waffen-SS.‘“ ist schwerlich zur „Verherrlichung des Massenmordes an Jüdinnen und Juden“, wie der Falter schrieb, geeignet, hier ist nämlich unschwer eher Naziverarsche zu erkennen. Keiner, der ernsthaft noch die SS verehrt, würde das singen.
Die Zeile: „Da trat in ihre Mitte der Jude Ben Gurion: ‚Gebt Gas, ihr alten Germanen, wir schaffen die siebte Million‘“ allerdings bereitet gewaltigen Kotzreiz. Das Bild: besoffene Männer auf der Burschenschaftsbude lassen die Sau raus. Wer, der eine geradlinige, ordnende, gute Erziehung genossen hat, braucht solche starken Schlüsselreize, auf die er nur noch instinktiv und wie tierisch reagiert?
Anstand ist durchgehaltene Form. Ist dem Verfasser der Liedstrophe der metaphysische Abgrund der Deutschen so fremd geblieben, daß er glaubt, darüber witzeln zu können (nicht: zu dürfen, denn sowas bedarf eigentlich keines äußerlichen Verbots)? Wir brauchen die Burschenschaften als Elite, sie dürfen sich nicht selbst entehren. Es ist ein inneres Manko. Wird es nach außen gestülpt, muß es in sozialem Desaster enden.
Zurück zum Akademikerball. Vizekanzler Heinz-Christian Straches Cucking hat mir solch desaströse Fremdscham bereitet. Die linken Medien überschlagen sich wollüstig über das „neonazistische Liedgut der FPÖ“, der „Rechtsextremismusexperte“ Scharsach erreicht Erregungsspitzen vor Entlarvungstaumel.
Und was macht Strache? Er kündigt bereits im Vorfeld an, den Ball zu einem „Statement gegen den Antisemitismus“ zu nutzen. Straches Rede streift die Jahreszahlen 1848, 1918, Burschenschafter im Kampf für die Freiheit, um dann 1938 haken zu bleiben.
„Die Verantwortung und das Gedenken an die Opfer des Holocaust sind uns Verpflichtung und Verantwortung in der Gegenwart und für kommende Generationen. Wer das anders sieht, soll aufstehen und gehen. Er ist bei uns nicht erwünscht“.
An dieser Stelle mache der Rhetor eine Kunstpause. Strache hingegen gelingt keine Kunstpause, er beeilt sich, den Satz mit Zeigegeste gen Fenster zu beenden:
“… und so können wir all denen da heraußen sagen: wir sind nicht so! Bei uns ist keiner aufgestanden!“.
Das ist ein geschickt eingefädeltes Moraltheater in drei Akten:
Hätten wir Ballgäste denn eine Chance gehabt? Was immer man tut, es ist falsch.
- Wären tatsächlich Leute gegangen (Murren, sehr verhaltenes Klatschen, grantige Blicke waren das Äußerste), die FPÖ wäre nach außen als Nazipartei diskreditiert.
- Da sie aber durch Ball-Comment und moralischen Würgegriff gleichermaßen an ihre Plätze genagelt waren, konnte Strache nach innen seine Leute unentrinnbar demütigen. Wer aufgestanden wäre, hätte sich auch unter Rechten in die Vorhölle der sozialen Ächtung manövriert.
- Strache hat den Priestern der Zivilreligion durch sein Katzbuckeln signalisiert: ich habe verstanden. Der Preis fürs Mitregierendürfen ist Kriecherei.
Das Schlimme: das Theaterstück wird dem “Mahner ohne Deckel” (doppelte Herabsetzung!) nichts nützen, im Gegenteil, siehe hier und hier. Wer sich entschuldigt, wer sich der Sprache des Feindes andient, wer kriecht, wird dadurch weder erhört (er wird das böhmermannsche Qualitässiegel niemals abkletzeln können) noch erhöht („Rechtfertigen Sie sich!“ ist eine der wirksamsten verbalen Erniedrigungsgesten) werden.
Mit einigen Gläsern Rosé in guter Gesellschaft konnte ich mich wieder innerlich erheben, um kurz vor Mitternacht zur „Mitternachtsquadrille“ mitgezogen zu werden. Quadrille ist mehr Erklären als Tanzen, also ganz nach meinen Fähigkeiten. Ein schlaksiger Korpsstudent, ein “Fuchs” mit vergleichbaren Fähigkeiten wurde mir als Herr zuteil, wir hatten Vergnügen und Lernfortschritte zu verzeichnen. Als „Damengabe“ gab es am Ausgang Piccoloflaschen Wein und Bier für den weiteren Verlauf der Nacht außerhalb der mit einem osteuropäischen Taxler passierbaren Polizeisperrzone, und ein Büchlein über das „Wartburgfest“.
Im festlich geschmückten Rittersaal der Wartburg sang man damals übrigens: „der altböse Feind / wie ernst er’s auch meint. Groß Macht und viel List / sein grausam Rüstung ist, auf Erd ist nicht seinsgleichen.“
Ein gebuertiger Hesse
Widerwärtig, was Strache da gemacht hat. Für seine rhetorische Erpressung verdiente er eine Ohrfeige mit dem Fehdehandschuh - seitens aller Teilnehmer.