Ryszard Legutko. Der Dämon der Demokratie. Totalitäre Strömungen in liberalen Gesellschaften

Ryszard Legutko: Der Dämon der Demokratie. Totalitäre Strömungen in liberalen Gesellschaften, Wien: Karolinger 2017. 188 S., 23 €

Martin Lichtmesz

Martin Lichtmesz ist freier Publizist und Übersetzer.

Wer sich schon mal gefragt hat, war­um gera­de die lau­tes­ten Trom­pe­ter von »Demo­kra­tie« und »Plu­ra­lis­mus« so geis­tig ver­öde­te, ein­di­men­sio­na­le und pro­se­ku­to­risch gesinn­te Gestal­ten sind, der wird in die­sem scharf­sin­ni­gen Buch des pol­ni­schen Phi­lo­so­phen und EU-Abge­ord­ne­ten der Par­tei Recht und Gerech­tig­keit (PiS) Rys­zard Legut­ko eine Men­ge schla­gen­der Ant­wor­ten fin­den. Sei­ne The­se wirkt nur auf den ers­ten Blick wider­sprüch­lich: Aus­ge­rech­net die west­li­che libe­ra­le Demo­kra­tie, die sich als gro­ßen Gegen­ent­wurf zu tota­li­tä­ren und auto­ri­tä­ren Gesell­schaf­ten sieht, hat sich inzwi­schen selbst zu einer »sof­ten« Vari­an­te des Tota­li­ta­ris­mus gemausert.

Der Grund liegt in der »hoch­mü­ti­gen und dog­ma­ti­schen« Muta­ti­on des libe­ra­len Sys­tems zur Uto­pie, die, wie Legut­ko sys­te­ma­tisch nach­weist, star­ke Wesens­ähn­lich­kei­ten zur Ideo­lo­gie und Pra­xis des Kom­mu­nis­mus hat. Aus dem prag­ma­ti­schen »Reich des klei­ne­ren Übels« (Jean-Clau­de Michéa) wur­de eine Art von »Erlö­sungs­li­be­ra­lis­mus«, der sich selbst als Höhe­punkt und das End­ziel der geschicht­li­chen Ent­wick­lung »des Men­schen« zu immer mehr »Frei­heit« und »Eman­zi­pa­ti­on« sieht.

Die­ses Ziel basiert wie der Kom­mu­nis­mus auf radi­kal ega­li­tä­ren Prä­mis­sen und wird heu­te mit einer ähn­lich kryp­to-reli­giö­sen Inbrunst ver­folgt. Der ursprüng­li­che libe­ra­le Gedan­ke wird in der uto­pi­schen Form der »libe­ra­len Demo­kra­tie« ad absur­dum geführt, da es in ihrem Macht­be­reich nichts mehr geben soll, was nicht »libe­ral« oder »demo­kra­tisch« oder »libe­ral-demo­kra­tisch« ist, wobei die­se Begrif­fe genau­so fix kodiert und feti­schi­siert sind wie etwa der Begriff des »Sozia­lis­mus« im Kom­mu­nis­mus. Es gleicht dem Witz von Mon­ty Pythons Leben des Bri­an, wenn der ver­meint­li­che »Mes­si­as« Bri­an sei­nen Anhän­gern beschei­det, daß sie kei­nen Erlö­ser brau­chen, da sie doch alle »völ­lig ver­schie­de­ne Indi­vi­du­en« sei­en, wor­auf die Mas­se im Chor ant­wor­tet »Ja, wir sind alle Indi­vi­du­en! Wir sind alle völ­lig verschieden!«

Der Libe­ra­lis­mus, der mit dem Anspruch der Ent­po­li­ti­sie­rung ange­tre­ten ist, wird auf die­se Wei­se zum Agen­ten einer flä­chen­de­cken­den Poli­ti­sie­rung, mit dem Ziel, per social engi­nee­ring einen neu­en, »diskriminierungs«-freien Men­schen zu erzie­hen: »Nicht nur der Staat und die Wirt­schaft soll­ten libe­ral, demo­kra­tisch oder libe­ral-demo­kra­tisch wer­den, son­dern die gan­ze Gesell­schaft, Ethik, Sit­ten, Fami­lie, Kir­che, Schu­len und Uni­ver­si­tä­ten, Gemein­den, Orga­ni­sa­tio­nen, Kul­tur und auch die mensch­li­chen Gefüh­le und Wün­sche. Men­schen, Struk­tu­ren und Ideen außer­halb des libe­ral-demo­kra­ti­schen Mus­ters gal­ten als über­holt, rück­wärts­ge­wandt und nutz­los, aber zugleich auch als extrem gefähr­lich als Über­res­te des alten auto­ri­tä­ren Systems.«

Im einen Sys­tem wird »sozia­le Gerech­tig­keit« mit dem Kom­mu­nis­mus iden­ti­fi­ziert, im ande­ren »Frei­heit« mit der »libe­ra­len Demo­kra­tie« in ihrer bestehen­den Form. Alter­na­ti­ve frei­heit­li­che und repu­bli­ka­ni­sche For­men wer­den dabei aus­ge­blen­det, wäh­rend die Kri­tik an der Demo­kra­tie, deren Tra­di­ti­on bis zu Pla­ton und Sokra­tes zurück reicht, zur Blas­phe­mie erklärt wird. Wie im Kom­mu­nis­mus wird dadurch die Spra­che ver­flacht, ver­stüm­melt und beschnit­ten, was sich beson­ders deut­lich in der »poli­ti­schen Kor­rekt­heit« zeigt. Die »Spra­che der Moral und der Poli­tik« wer­den mit­ein­an­der kom­bi­niert, »so, daß kein ande­rer Dis­kurs mehr der Natur des Sys­tems gerecht wer­den kann. Es gibt kein The­ma, wie tri­vi­al es auch sein soll­te, das der libe­ra­le Demo­krat nicht mit Frei­heit, Dis­kri­mi­nie­rung, Gleich­heit, den Men­schen­rech­ten, der Eman­zi­pa­ti­on und ähn­li­chem ver­bin­den wür­de«, was sich, ähn­lich wie im Kom­mu­nis­mus, beson­ders kor­rum­pie­rend auf Künst­ler und Intel­lek­tu­el­le auswirke.

Die Ideo­lo­gie, die Legut­ko beschreibt, ist iden­tisch mit dem, was ande­re zuge­spitz­ter als »Kul­tur­mar­xis­mus« bezeich­nen: »Die trei­ben­de Idee der kom­mu­nis­ti­schen Ideo­lo­gie war der Klas­sen­kampf, die der libe­ra­len Demo­kra­tie ist die Tria­de von Klas­se, Ras­se und Gen­der.« Da »kämpft der Euro­zen­tris­mus gegen den Mul­ti­kul­tu­ra­lis­mus, die Hete­ro­se­xua­li­tät gegen die Homo­se­xua­li­tät, Weiß gegen Schwarz, Euro­pa gegen Afri­ka, Alt gegen Jung, Dün­ne gegen Dicke.« Und da der Öko­no­mis­mus allein nicht genügt, die Bedürf­nis­se des Men­schen zu stil­len, ver­sor­gen ihn Kom­mu­nis­mus und libe­ra­le Demo­kra­tie mit eben­so groß­spu­ri­gen wie fla­chen Instan­tidea­len, die auf einen not­wen­di­ger­wei­se »mit­tel­mä­ßi­gen« Men­schen­ty­pus zuge­schnit­ten sind.

Wie bereits der berühm­tes­te Apo­lo­get des libe­ral-demo­kra­ti­schen »Endes der Geschich­te«, Fran­cis Fuku­ya­ma, schrieb: Die Ver­wirk­li­chung der libe­ra­len Uto­pie (der, wie er betont, ein qua­si mar­xis­tisch-hege­lia­ni­sches Geschichts­bild zugrun­de liegt) sieht eine Nivel­lie­rung zum »letz­ten Men­schen« Nietz­sches vor. Über Legut­kos Ana­ly­se hin­aus wäre noch die Fra­ge zu beant­wor­ten, war­um sich die »kul­tur­mar­xis­ti­sche« Ideo­lo­gie so blen­dend mit den neo­li­be­ra­len Kapi­ta­lis­mus ver­trägt und mit ihm zur untrenn­ba­ren Ein­heit ver­schmel­zen konnte.

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Rys­zard Legut­kos Der Dämon der Demo­kra­tie kann man hier bestel­len.

Martin Lichtmesz

Martin Lichtmesz ist freier Publizist und Übersetzer.

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