Der Pulverdampf, den die Auseinandersetzung um die Schwarzen Hefte von Martin Heidegger erzeugte, hat sich schon vor einiger Zeit verzogen. Wer aber meinte, man könne den Gegenstand der Debatte nun nüchtern beurteilen, sah sich insofern getäuscht, als die eine Seite einen nahezu totalen Sieg davon getragen hatte. Zur Erinnerung: Die Schwarzen Hefte, eine Art Denktagebuch der Jahre 1931 bis 1948, als Martin Heidegger seine Gedanken in schwarz eingebundenen Notizbüchern notierte, machten bei ihrem erstmaligen Erscheinen Furore, weil sich darin eine Handvoll Bemerkungen über Juden befanden. Damit schien, was man bislang nur aus Indizien konstruiert hatte, daß Heideg-gers Engagement von 1933 kein Ausrutscher war, sondern im Gegenteil, sein ganzes Werk antisemtisch kontaminiert war.
So sprach jedenfalls das deutsche Feuilleton nahezu einhellig und folgte damit dem Herausgeber der Hefte, Peter Trawny (geb. 1964), der in einer gleichzeitig mit den Bänden erschienenen Interpretation einen »seynsgeschichtlichen Antisemitismus« bei Heidegger auszumachen meinte. Daß das Unsinn ist, mußte eigentlich jedem klar sein, der sich im Werk Heideggers und der Geistesgeschichte des 20. Jahrhunderts etwas auskennt. Dennoch war der Aufschlag Trawnys erfolgreich, weil er alle Ressentiments bediente, die sich in der Bundesrepublik gegenüber großen Geistern, deren Werk auch in die Jahre 33 bis 45 fällt, etabliert haben.
Nun ist ein Buch erschienen, das sich nicht ganz unbescheiden zum Ziel gesetzt hat, die »Wahrheit über die Schwarzen Hefte« ans Tageslicht zu bringen. Wer hier eine Sensation vermutet, wird enttäuscht werden. Der von dem letzten Assistenten Heideggers und späteren Philosophieprofessor in Freiburg, Friedrich-Wilhelm von Herrmann (geb. 1934), und dem italienischen Philosophen Francesco Alfieri (geb. 1976), der an der Päpstlichen Lateranuniversität lehrt, herausgegebene Band stützt sich fast ausschließlich auf die bereits publizierten Texte. Das Wort »Wahrheit« bezieht sich zwar auch auf die Richtigkeit der Aussagen (und damit auf die Unwahrheit der Interpretation von Trawny), meint aber eigentlich die »Un-verborgenheit« von Heideggers Werk.
Die These: Man muß Heideg-gers Texte nur richtig zu lesen wissen, dann erschließt sich die Wahrheit darüber von selbst. Damit ist nicht nur impliziert, daß Trawny nicht lesen kann, es wird an mehreren Stellen ausdrücklich gesagt. Diesem fehle es an »Begriffsschärfe und philosophischem Urteilsvermögen«. Er sei mit seiner »naiven Interpretation« im Irrtum, weil ihm das »hermeneutische Entschlüsselungsschema« fehle, das in der »Rückkehr zu den Schriften Heideggers« liege. Das ganze Buch arbeitet sich daher implizit an Trawny ab. Es enthält knappe Erläuterungen von Herrmann, eine ausgedehnte »historisch-kritische Analyse« der Hefte von Alfieri (die allerdings überwiegend eine Zitatensammlung ist), jeweils drei Briefe von Heidegger und Gadamer an Herrmann, eine kurze Abhandlung über die »Judenfrage« in den Schwarzen Heften (Leonardo Messinese), eine Analyse der medialen Instrumentalisierung der Hefte in Italien und schließlich den bereits bekannten Einspruch des Sohnes Hermann Heideggers gegen die Verurteilung seines Vaters als Antisemit.
Die Bemühungen der Herausgeber gehen dahin zu zeigen, daß es eine Grenze zwischen dem »reinen Denken Heideggers und seinen privaten persönlichen Äußerungen« gibt, die mitten durch die Schwarzen Hefte verläuft und zu denen die skandalisierten Äußerungen gehören. Als Indiz dafür wird, neben der Neulektüre der Hefte, vor allem angeführt, daß sich in Heideggers Werken der 30er und 40er Jahre keine ähnlichen Äußerungen finden lassen. So löblich die Treue der beiden Herausgeber zum eigentlichen Heidegger ist, so problematisch bleibt das Unternehmen in einigen Belangen.
Die Auseinandersetzung mit Trawny ist größtenteils rein polemisch und bleibt daher unergiebig. Die Neulektüre der Hefte wird Heideg-gers Denken vor allem dann nicht gerecht, wenn politische Implikationen heruntergespielt werden. Diese finden sich aber in allen Schriften der 30er und 40er Jahre! Letztendlich können sich die Herausgeber von den ideologischen Vorgaben Trawnys nicht freimachen, sondern haben akzeptiert, daß man sich von Heidegger auch heute noch in Teilen »distanzieren« muß. Daß Heidegger nicht in den Kategorien der politischen Korrektheit dachte, haben offenbar alle Beteiligten übersehen.
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Friedrich-Wilhelm von Herrmann/Francesco Alfieris Martin Heidegger kann man hier bestellen.