Crane Brinton: Anatomie der Revolution

Konrad Gill rezensiert: Crane Brinton: Anatomie der Revolution. Herausgegeben von Manfred Lauermann, Wien: Karolinger 2017. 328 S., 24 €

Wenn der ver­mut­lich anti-revo­lu­tio­närs­te Ver­lag des deut­schen Sprach­rau­mes ein Buch anläß­lich des hun­derts­ten Jah­res­ta­ges der Okto­ber­re­vo­lu­ti­on von einem undog­ma­ti­schen lin­ken Gelehr­ten her­aus­ge­ben läßt, ver­dient das Buch beson­de­re Auf­merk­sam­keit. Der 1968 ver­stor­be­ne Har­vard-Pro­fes­sor Brin­ton seziert in sei­nem Klas­si­ker die Gemein­sam­kei­ten und (über­ra­schend mar­gi­na­len) Unter­schie­de zwi­schen der eng­li­schen Revo­lu­ti­on von 1640, der Ame­ri­ka­ni­schen (1776) und der Fran­zö­si­schen Revo­lu­ti­on (1789) sowie der rus­si­schen Revolution(en) von 1917. Humor­voll und kennt­nis­reich arbei­tet er die bemer­kens­wer­ten Par­al­le­len her­aus, die ange­sichts des ideo­lo­gi­schen Abstands zwi­schen dem reli­gi­ös hoch­ge­spann­ten Eifer der eng­li­schen Revo­lu­ti­on und dem athe­is­ti­schen Bol­sche­wis­mus mehr als 250 Jah­re spä­ter doch ziem­lich erstaun­lich sind.

Das Buch kor­ri­giert man­che ver­brei­te­te Fehl­vor­stel­lung, viel inter­es­san­ter sind aber die Ver­läu­fe, die der Autor dar­stellt, dabei stets von einer Revo­lu­ti­on zur ande­ren sprin­gend. Es beginnt mit dem Ent­ste­hen der revo­lu­tio­nä­ren Stim­mung, wenn die Pri­vi­le­gi­en älte­rer Schich­ten einem Sta­tus­ge­winn einer auf­stei­gen­den Schicht im Wege ste­hen. In der plötz­lich ein­tre­ten­den Kri­se fällt die ent­schei­den­de Rol­le den Idea­lis­ten zu (und nicht etwa den aus­ge­beu­te­ten Armen, den gewalt­tä­ti­gen Psy­cho­pa­then oder den lis­ti­gen Ver­schwö­rern) – die Eigen­sucht ist das revo­lu­tio­nä­re Movens der gro­ßen Mas­se, aber sie könn­te nicht sie­gen ohne die geschul­ten, ent­schlos­se­nen Idealisten.

Sodann schei­tern zwangs­läu­fig die Gemä­ßig­ten, die sich nach dem Sieg der Revo­lu­ti­on zunächst durch­setz­ten, und wer­den von Extre­mis­ten ver­drängt. Es fol­gen Angrif­fe auf die Fami­lie und ande­re über­kom­me­ne Ord­nun­gen, bis die Zumu­tun­gen den Bür­gern zuviel wer­den und sich das Regime zu einer Libe­ra­li­sie­rung gezwun­gen sieht; die Pha­se der Kon­so­li­die­rung (»Ther­mi­dor«) beginnt. »Poli­ti­sche Pro­pa­gan­da, die die Züge der Beses­sen­heit trägt, scheint einen Sät­ti­gungs­punkt zu besit­zen, nach des­sen Über­schrei­tung sie sich gegen ihre Urhe­ber auswirkt«.

Die gan­ze Dar­stel­lung wird getra­gen von einem skep­ti­schen, spöt­ti­schen Kon­ser­va­tis­mus, wenn auch die Kon­ser­va­ti­ven von Brin­tons Spott nicht aus­ge­nom­men wer­den. Er woll­te aus­drück­lich kei­ne all­ge­mein­gül­ti­ge Sozio­lo­gie der Revo­lu­ti­on schrei­ben und nimmt aller­lei Revo­lu­tio­nen (die autoritären/faschistischen, die befrei­ungs­na­tio­na­lis­ti­schen, die ras­sisch-kolo­nia­len, sogar retro­spek­tiv die geschei­ter­ten) aus sei­ner Betrach­tung her­aus. Sein The­ma sind nur die vier genann­ten his­to­ri­schen Ereig­nis­se. Den­noch las­sen sich nicht weni­ge der von ihm beschrie­be­nen Ele­men­te auch auf ande­re Erhe­bun­gen anwen­den, gera­de auch auf die Revo­lu­ti­on von 1933.

Was Brin­ton aus sei­nen vier Revo­lu­tio­nen destil­liert, steht in Tei­len so ein­deu­tig par­al­lel zu heu­ti­gen Ent­wick­lun­gen in den »west­li­chen« Natio­nen, daß der Leser ver­sucht sein kann, das Bevor­ste­hen einer revo­lu­tio­nä­ren Situa­ti­on, her­vor­ge­ru­fen durch die auf­stiegs­hung­ri­gen »Neu­bür­ger«, zu unter­stel­len, von der uns nur eine spür­ba­re Ver­schlech­te­rung der wirt­schaft­li­chen Gesamt­la­ge trennt. Dem steht Brin­tons Fest­stel­lung im Fazit gegen­über, Revo­lu­tio­nen ereig­ne­ten sich nicht in schwa­chen, deka­den­ten Gesellschaften.

Und sein Her­aus­ge­ber ergänzt im Nach­wort, es gebe kei­ne Intel­lek­tu­el­len mehr, die sich für die Volks­men­ge zu opfern bereit wären, und damit auch kei­ne Revo­lu­tio­nen mehr. Revo­lu­ti­ons­ver­hin­de­rung durch all­ge­mei­ne poli­ti­sche Schwä­che und einen Man­gel an durch­set­zungs­fä­hi­gen Idea­lis­ten: man kann die­sen Befund z.B. ange­sichts einer sich teils bür­ger­kriegs­ar­tig zuspit­zen­den Situa­ti­on in den USA bezwei­feln. Und selbst wenn man Brin­ton und Lau­er­mann hier folgt, ist die Aus­sicht auch für den, der Revo­lu­tio­nen ablehnt, nicht gera­de beruhigend.

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Cra­ne Brin­tons Ana­to­mie der Revo­lu­ti­on kann man hier bestel­len.

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