Als Engler dieses Buch veröffentlichte, war er noch Rektor der Hochschule für Schauspielkunst »Ernst Busch«. Sein Ausgangspunkt, das Problem der Authentizität zu fassen, ist der Begriff der Arbeit, den Engler seit vielen Jahren bedenkt. Seit je sei der Sinn der Arbeit gewesen, »die elementare Not zu wenden«. Mit den modernen und postmodernen Zeiten wird es die Selbstverwirklichung, erstmals kann die alte Frage »Wer bin ich« massenhaft durch Selbstwahl beantwortet werden – woraus sich Freiheiten und Zwänge ergeben!
Doch der Schein trügt: Authentisch-Sein, Man-selbst-Sein verhülle nur die ökonomischen Abhängigkeiten. Die Identifikation mit und das Identifikationsangebot des Arbeitgebers, sich bei ihm selbst verwirklichen, bei sich sein zu können, das strukturelle Authentizitätsangebot, – das natürlich als Schein und verschleierte Entfremdung durchschaut werden müsse, um den »Realitätsbezug dieser Selbstwahrnehmung zu ermessen« – bilden den Rahmen dieses aus mehreren Versatzstücken zusammengesteckten Essays. Authentisch sein wollen heiße eben auch Rollen spielen. Und der Kapitalismus verschlinge selbst die Authentizität.
Die Begrifflichkeit verrät Englers Herkommen (Marxismus und Theater), die Literaturliste beschreibt sein Ringen und seinen langen Erkenntnisweg (Postmoderne), und manch forsche Diagnose läßt sein mögliches Ziel erahnen.
Freilich tut der Autor einiges, um sich unkenntlich und, ja, authentisch zu machen, zu distinguieren. In permanentem Oszillieren zwischen Historie, Psychologie, Soziologie, Politik und Theater wechselt er die Diskursebenen, trägt eine Unmenge an frei schwebenden Ideen und Materialien zusammen, eine Phänomenologie des (Un)Authentischen, er liebt den andeutenden Gestus, die Assoziation, die Arbeit mit Bildern und Metaphern, verlangt von seinen Lesern das eigenständige Mit- und Weiterdenken, und er bedient sich einer impressionistischen Sprache, die mit hochabstrakten Begriffen arbeitet, schwer faßbar ist und den Bodenkontakt meist scheut.
Dort, wo er ihn sucht, wird Engler explizit, gibt sich preis, und einige Passagen grenzen regelrecht an Mut, wenn man seine Stellung inmitten der erzlinken Kulturbastion bedenkt. Im zentralen Kapitel »Die Wohlmeinenden« bietet Engler eine beißende Kritik an der Politischen Korrektheit, den »Hexenjagden auf dem Campus«, der »Zensur« (der »Methode, rein private Empfindungen, Erfahrungen, Urteilskriterien ohne weitere Umstände zu verallgemeinern«), spricht vom »imperialen Homogenisierungsdrang des Multikulturalismus«, von der Bedrohung der Meinungs- und Kunstfreiheit durch »Moralisierung und Verrechtlichung von innen und von unten«, den inneren Aporien des Emanzipationsbegriffes etc. und führt das mit dem veränderten Authentizitätsbegriff zusammen.
»Die linksliberalen Intellektuellen und Kulturakteure gehören in großer Zahl und seit Längerem zu jenem offiziellen Meinungskartell, das über die Grenzen legitimer Äußerungen unnachsichtig wacht und den ›Gemeinen‹ das Recht auf ihre ungeschlachte Meinung abspricht« – diese Worte aus einer Höhle der Löwen haben gleich einen ganz anderen Erkenntniswert!
Zu den inneren Widersprüchen dieses überreichen Buches gehört auch, daß die wiederholte Kritik an der Verallgemeinerung des Empfundenen nicht auf Engler selbst zurückschlägt. Die stärksten Passagen finden sich nämlich dort, wo er vor eigenen Erfahrungen argumentieren kann: wenn es um das Theater geht und um die Mentalität des Ostens. Wo hat man je derart Treffendes über die DDR gelesen?
Ein Buch von hohem diagnostischem Wert, das einen therapeutischen Anspruch aus methodologischer Überzeugung nicht einmal stellt.
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