Wolfgang Engler: Authentizität. Von Exzentrikern, Dealern, Spielverderbern

Jörg Seidels Rezension von Wolfgang Engler: Authentizität. Von Exzentrikern, Dealern, Spielverderbern, Berlin: Theater der Zeit 2017. 217 S., 18 €

Als Eng­ler die­ses Buch ver­öf­fent­lich­te, war er noch Rek­tor der Hoch­schu­le für Schau­spiel­kunst »Ernst Busch«. Sein Aus­gangs­punkt, das Pro­blem der Authen­ti­zi­tät zu fas­sen, ist der Begriff der Arbeit, den Eng­ler seit vie­len Jah­ren bedenkt. Seit je sei der Sinn der Arbeit gewe­sen, »die ele­men­ta­re Not zu wen­den«. Mit den moder­nen und post­mo­der­nen Zei­ten wird es die Selbst­ver­wirk­li­chung, erst­mals kann die alte Fra­ge »Wer bin ich« mas­sen­haft durch Selbst­wahl beant­wor­tet wer­den – wor­aus sich Frei­hei­ten und Zwän­ge ergeben!

Doch der Schein trügt: Authen­tisch-Sein, Man-selbst-Sein ver­hül­le nur die öko­no­mi­schen Abhän­gig­kei­ten. Die Iden­ti­fi­ka­ti­on mit und das Iden­ti­fi­ka­ti­ons­an­ge­bot des Arbeit­ge­bers, sich bei ihm selbst ver­wirk­li­chen, bei sich sein zu kön­nen, das struk­tu­rel­le Authen­ti­zi­täts­an­ge­bot, – das natür­lich als Schein und ver­schlei­er­te Ent­frem­dung durch­schaut wer­den müs­se, um den »Rea­li­täts­be­zug die­ser Selbst­wahr­neh­mung zu ermes­sen« – bil­den den Rah­men die­ses aus meh­re­ren Ver­satz­stü­cken zusam­men­ge­steck­ten Essays. Authen­tisch sein wol­len hei­ße eben auch Rol­len spie­len. Und der Kapi­ta­lis­mus ver­schlin­ge selbst die Authentizität.

Die Begriff­lich­keit ver­rät Eng­lers Her­kom­men (Mar­xis­mus und Thea­ter), die Lite­ra­tur­lis­te beschreibt sein Rin­gen und sei­nen lan­gen Erkennt­nis­weg (Post­mo­der­ne), und manch for­sche Dia­gno­se läßt sein mög­li­ches Ziel erahnen.

Frei­lich tut der Autor eini­ges, um sich unkennt­lich und, ja, authen­tisch zu machen, zu distin­gu­ie­ren. In per­ma­nen­tem Oszil­lie­ren zwi­schen His­to­rie, Psy­cho­lo­gie, Sozio­lo­gie, Poli­tik und Thea­ter wech­selt er die Dis­kurs­ebe­nen, trägt eine Unmen­ge an frei schwe­ben­den Ideen und Mate­ria­li­en zusam­men, eine Phä­no­me­no­lo­gie des (Un)Authentischen, er liebt den andeu­ten­den Ges­tus, die Asso­zia­ti­on, die Arbeit mit Bil­dern und Meta­phern, ver­langt von sei­nen Lesern das eigen­stän­di­ge Mit- und Wei­ter­den­ken, und er bedient sich einer impres­sio­nis­ti­schen Spra­che, die mit hoch­abs­trak­ten Begrif­fen arbei­tet, schwer faß­bar ist und den Boden­kon­takt meist scheut.

Dort, wo er ihn sucht, wird Eng­ler expli­zit, gibt sich preis, und eini­ge Pas­sa­gen gren­zen regel­recht an Mut, wenn man sei­ne Stel­lung inmit­ten der erz­lin­ken Kul­tur­bas­ti­on bedenkt. Im zen­tra­len Kapi­tel »Die Wohl­mei­nen­den« bie­tet Eng­ler eine bei­ßen­de Kri­tik an der Poli­ti­schen Kor­rekt­heit, den »Hexen­jag­den auf dem Cam­pus«, der »Zen­sur« (der »Metho­de, rein pri­va­te Emp­fin­dun­gen, Erfah­run­gen, Urteils­kri­te­ri­en ohne wei­te­re Umstän­de zu ver­all­ge­mei­nern«), spricht vom »impe­ria­len Homo­ge­ni­sie­rungs­drang des Mul­ti­kul­tu­ra­lis­mus«, von der Bedro­hung der Mei­nungs- und Kunst­frei­heit durch »Mora­li­sie­rung und Ver­recht­li­chung von innen und von unten«, den inne­ren Apo­rien des Eman­zi­pa­ti­ons­be­grif­fes etc. und führt das mit dem ver­än­der­ten Authen­ti­zi­täts­be­griff zusammen.

»Die links­li­be­ra­len Intel­lek­tu­el­len und Kul­tur­ak­teu­re gehö­ren in gro­ßer Zahl und seit Län­ge­rem zu jenem offi­zi­el­len Mei­nungs­kar­tell, das über die Gren­zen legi­ti­mer Äuße­run­gen unnach­sich­tig wacht und den ›Gemei­nen‹ das Recht auf ihre unge­schlach­te Mei­nung abspricht« – die­se Wor­te aus einer Höh­le der Löwen haben gleich einen ganz ande­ren Erkenntniswert!

Zu den inne­ren Wider­sprü­chen die­ses über­rei­chen Buches gehört auch, daß die wie­der­hol­te Kri­tik an der Ver­all­ge­mei­ne­rung des Emp­fun­de­nen nicht auf Eng­ler selbst zurück­schlägt. Die stärks­ten Pas­sa­gen fin­den sich näm­lich dort, wo er vor eige­nen Erfah­run­gen argu­men­tie­ren kann: wenn es um das Thea­ter geht und um die Men­ta­li­tät des Ostens. Wo hat man je der­art Tref­fen­des über die DDR gelesen?

Ein Buch von hohem dia­gnos­ti­schem Wert, das einen the­ra­peu­ti­schen Anspruch aus metho­do­lo­gi­scher Über­zeu­gung nicht ein­mal stellt.

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Wolf­gang Eng­lers Authen­ti­zi­tät kann man hier bestel­len.

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