Georg May repräsentiert eine aussterbende Spezies: die des glaubenstreuen Theologen. Diese Haltung isolierte den Mainzer Emeritus nicht nur unter Kollegen. Die Erzbischöfe von München und Freising sowie Wien, Döpfner und König, verhinderten die Berufung des exzellenten Kanonisten. Dennoch hielt der Mainzer Emeritus nicht nur an der überlieferten katholischen Lehre penibel fest, sondern weiter am klassischen Ritus der Heiligen Messe und an der herkömmlichen Morallehre.
Welche Ausnahmestellung May, der 2016 seinen 90. Geburtstag feiern konnte, in den letzten Jahrzehnten eingenommen hat, zeigt exemplarisch seine voluminöse neue Monographie. Diese Publikation ist nicht nur als groß angelegte Summe eines bedeutenden Gelehrtenlebens zu begreifen; vielmehr ist das facettenreiche Thema dem Autor Herzenssache. Ein fundierter Wegweiser durch theologische Labyrinthe der Moderne, wie man ihn mit solchen präzisen Urteilen kaum irgendwo findet!
May beschäftigt sich in seinem grundlegenden Überblick über die Theologiegeschichte von der Aufklärung bis zur Gegenwart nicht nur mit zahllosen Biographien wichtiger Theologen, sondern verfolgt ein bestimmtes Beurteilungskriterium: nämlich die Rechtgläubigkeit, soweit anhand von Leben und Werk festzustellen. Dem Verfasser geht es primär darum, jene zu entlarven, die sich von Glaube und Kirche abgewendet haben – meist mit verheerenden Wirkungen auf das kirchliche Leben. May beginnt seine Studie nicht zufällig mit einem Überblick über den Protestantismus der Aufklärungszeit.
Prominente, aber auch weniger bekannte Denker dieser Epoche wie Reimarus, Lessing und Kant markieren insofern einen Einschnitt, als sie an den überlieferten Bekenntnisschriften ihrer Konfession zum Teil nachhaltig rüttelten. Nicht wenige fungierten als Trendsetter des Zeitgeistes, lehnten die Inhalte des Credos manchmal sogar dezidiert ab. Ohne diese Zäsur wäre die breite Strömung des Kultur- und Neuprotestantismus im 19. Jahrhundert nicht möglich gewesen. Sie spielte im Kaiserreich von 1871 auch in politischer Hinsicht keine unwesentliche Rolle, waren doch entsprechende Repräsentanten wie Adolf von Harnack im Umfeld des Kaisers einflußreich.
May liefert eine Reihe von Belegen dafür, daß sowohl auf evangelischer wie auch auf katholischer Seite viele Theologen vom tradierten Glauben abgefallen sind. Auch die Theologiegeschichte des 19. Jahrhunderts verfolgt der Verfasser akribisch. Um 1900 kam es im katholischen Deutschland, aber auch in Ländern wie Frankreich und Italien zu der bis heute nachwirkenden Krise des Modernismus. Bekannte Professoren betrachteten die katholische Theologie und das Glaubensleben als zu wenig zeitgeistkonform. Sie wollten umfassende Reformen auf Kosten der überlieferten Wahrheit. Das katholische Lehramt griff gegen diese Kyptoprotestanten entschieden durch. Einer der Folgen war der Antimodernisteneid, der unter anderem vor Weihehandlungen bis ins Jahr 1967 geleistet werden mußte.
Auch im 20. Jahrhundert führt May eine große Zahl von Theologen an, schwerpunktmäßig an den katholischen Fakultäten. Seit dem Zweiten Vatikanum stieg die Zahl der vom Glauben Abgefallenen erheblich, darunter bekanntere Namen wie Gotthold Hasenhüttl (nominell katholisch) und als Pendant auf protestantischer Seite Gerd Lüdemann. Andere wiederum stellten Teile des Katechismus in Frage und opponierten sogar gegen zentrale Grundätze von Glauben und Moral. Fast sämtliche Moraltheologen wären zu nennen. Man kann cum grano salis quer durch unterschiedliche Fachdisziplinen von Auflösungstendenzen sprechen. Selbst gegen eine prägende Gestalt wie Karl Rahner und dem profilierten Kurienkardinal Walter Kasper sind erhebliche Einwände vorzubringen, wie May aufzeigt. Ihnen stehen nur wenige rechtgläubige Theologen wie der Dogmatiker und spätere Kardinal Leo ‑Scheffczyk, dessen Lehrer Michael Schmaus und der ebenso zum Kardinal ernannte Alois Grillmeier,
gegenüber.
Daß angesichts dieser Entwicklung die Bilanz der Selbstdemontage von Theologie und Kirche deutlich ausfällt, liegt auf der Hand. May konstatiert einen fast vollständigen Sieg von Neo-Modernisten, Staatstheologen und Häretikern. Nicht nur sein Freisinger Studienkollege Joseph Ratzinger ist über die allgemeine Unfähigkeit der theologischen Fakultäten, zu integraler Frömmigkeit und Priestertum hinzuführen, besorgt, wie aus dessen Briefen an den Verfasser hervorgeht.
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Georg Mays 300 Jahre gläubige und ungläubige Theologie kann man hier bestellen.