Ob Kleinunternehmen, Mittelständler oder Großkonzern – jedes Unternehmen hat sie und hält große Stücke auf sie: Werte. Man findet sie in Imagebroschüren oder in Prospekten zur Investor Relationship sowie auf Netzseiten unter „Unsere Werte“ oder „Unsere Unternehmensphilosophie“.
Werte zu haben klingt gut – besonders für Unternehmen, denen man oft und gern nachsagt, daß sie durch ihr kurzsichtiges Profitinteresse Werte gefährden und etwa einen erheblichen Beitrag zur Umweltzerstörung und zur Einebnung kultureller Unterschiede leisten und ferner als Akteure der Globalisierung die Auflösung nationaler Identitäten sowie durch hohe Flexibilitätsanforderungen auch die Auflösung klassischer Familienstrukturen befördern.
Ein Wert hingegen ist etwas, was über den Tag hinaus Bestand hat, allen Wandel überdauert und innerhalb des Wandels Halt und Orientierung gibt. „Wert“ klingt nach Gemeinsinn, nach Übernahme von Verantwortung, nach höheren Interessen als der bloßen Gewinnmaximierung. Schauen wir uns diese Werte von Unternehmen also einmal näher an.
Die Unternehmensberatung KMPG etwa setzt im Rahmen ihres Wertekanons auf Diversität und macht sich stark für „Vielfalt und eine Kultur der gegenseitigen Wertschätzung unabhängig von Alter, Behinderung, Geschlecht, geschlechtlichem Ausdruck und Identität, ethnischer oder kultureller Herkunft und Religion“.
Auch in der Chemiebranche ist Diversität gern gesehen. BASF etwa schätzt als Wert die „Vielfalt – von Menschen, Meinungen und Erfahrungen“, während es bei Lanxess differenziert heißt: „Wir interpretieren Diversity als eine optimale Mischung verschiedener Nationalitäten, Kulturen und Lebenserfahrung. Durch diese Vielfalt ist es uns möglich, mit unterschiedlichen Blickwinkeln auf unsere Themen zu schauen und uns stetig weiterzuentwickeln. Diversity macht uns somit innovativer und wettbewerbsfähiger.“ Diese Liste ließe sich fortsetzen.
Ob gegen Diversität (immerhin auch ein Fachbegriff der Ökologie) etwas einzuwenden ist? Eigentlich nicht – wenn man sich denn im gleiche Maße dazu bekennen würde, auch und vielleicht sogar vorrangig das Eigene zu schützen und zu fördern. So aber lesen sich einschlägige Wertsetzungen wie ein devotes Bekenntnis zur bekanntlich alternativlosen Politik der grenzenlosen Vermischung aller Kulturen (Lanxess spricht ja explizit von der „optimalen Mischung“).
Tatsächlich will man die diversen Kulturen als solche auch gar nicht erhalten – einheitliche Märkte mit genormten Zielgruppen verursachen deutlich weniger Kosten und lassen sich erheblich einfacher bedienen. Der Begriff Diversität meint in der Unternehmenssprache eigentlich das Gegenteil von dem, was er hier auszusagen vorgibt: die Verschiedenheit soll nicht gepflegt, sondern kurzfristig ausgenutzt und alsbald aufgegeben werden – alles Diverse sich zu einem Universen wandeln, zu einer pflegeleichten Mischung werden, in der gewachsene Identitäten eben gerade keine Rolle mehr spielen. Die stören nur – fort mit ihnen.
Nun darf man natürlich keine allzu hohen intellektuellen Erwartungen an unternehmerische Prosa richten, die – obwohl oft und gern auch mit dem Titel „Unternehmensphilosophie“ versehen – doch noch ein gutes Stück entfernt ist von Kants „Kritik der reinen Vernunft“, Hegels „Phänomenologie des Geistes“ oder Husserls „Logischen Untersuchungen“. Reden Unternehmer von Philosophie, dann meinen sie damit selten mehr als ein gelegentliches gemütvolles Nachdenken über Gott und Welt und die Stellung ihres eigenen Geschäfts innerhalb dieser.
Dennoch sollte man es nicht leichtfertig als bunten Werbeschaum abtun, wenn Unternehmen von Werten reden. Werte spielen als funktionale Größen tatsächlich eine große Rolle in jeder Unternehmenskultur (noch so ein lustiges und ein wenig anmaßend klingendes Wort). Werte geben Meinungen vor, sind Bekenntnisse und fordern von Mitarbeitern und Lieferanten ein bestimmtes Verhalten ein. Das ist wichtig nicht nur in der Imagepflege nach außen, sondern mehr noch nach innen in der Personalpolitik. Werte von Unternehmen sind im Unternehmen verpflichtend – wer gegen sie verstößt, weil er beispielsweise das – mittelfristig gegen die eigene Identität gerichtete – Konzept der Diversität kritisch kommentiert, begeht einen Verstoß gegen die Unternehmenskultur. Das kann zu Disziplinarmaßnahmen bis hin zur Kündigung führen.
Ich bestreite nicht, daß es auch für Unternehmen sinnvoll und sogar notwendig sein kann, sich zu Werten zu bekennen und eine eigene Wertekultur zu entwickeln. Nur sollten diese Werte sich nicht in Phrasendreschereien erschöpfen, wie man sie jedem Leitmedium und fast jeder Politikerrede entnehmen kann.
Wertsetzung ist ein ernsthaftes Geschäft, das man nicht den Schönrednern und Schmalspurdenkern überlassen darf. Gerade Unternehmen mit konservativem Anspruch sollten sich hier angesprochen und aufgerufen fühlen, es sich jetzt ihrerseits nicht allzu einfach zu machen. Markige Bekenntnisse zu Gott, Volk und Vaterland etwa werden in einer doch recht komplex gewordenen Welt nicht mehr ausreichen, um einen verbindlichen und lebbaren Orientierungsrahmen vorzugeben, sondern allenfalls und dann zu Recht für belustigte Kommentare sorgen. Es ist nicht mit einem Griff in die Mottenkiste getan.
Wer sich heute als konservativer Unternehmer an die Aufgabe einer Wertsetzung für sein Unternehmen macht, muß dies auf der Höhe seiner Zeit tun. Ignoranz wäre da ein schlechter Ratgeber. Aufgabe wäre es, über die Rolle der Identität in Unternehmen nachzudenken, die sich in einer hochdynamischen Welt bewegen müssen – was kann man innerhalb der Dynamik tun, um gewachsene Identität zu wahren, zu schützen und zu fördern (z. B. mal wieder „Hinab in den Maelström“ von E.A.Poe lesen und eine Weile darüber nachdenken)?
Auch diese Frage ist wichtig: Wie steht es um die Identität derjenigen, bei denen man sich etwa mit Rohstoffen versorgt? Darf sie einem gleichgültig sein, solange nur im eigenen Beritt das Eigene gewahrt bleibt? Ist die Pflege der Identität nur für die eigenen Leute da oder müsste gerade sie nicht als ein Anspruch gedacht werden, der auch von Lieferanten aus Afrika oder Asien erhoben werden kann? Wie aber könnte man das leisten?
Hier müsste das Nachdenken über „Unsere Werte“ in einer konservativ geprägten Unternehmenskultur ansetzen. Konsequent zu Ende gedacht, würde sich eine echte Unternehmenskultur entwickeln, die der zerstörerischen Globalisierung ein Ende setzen könnte. Oder doch wenigstens den Anfang von deren Ende.
Bernard Udau
Das Unternehmensphilosophie-Gewäsch orientiert sich an dem, was die Kunden hören wollen. Der Kundenstamm der meisten großen Unternehmen ist (oder denkt) heute international.
Wenn man möchte, daß sich Unternehmen mit der eigenen Region oder Nation identifizieren, bleibt m.E. nicht anderes übrig, als ihre Kundschaft zu ändern - was 1) deren Weltanschauung und 2) deren Zusammensetzung betrifft.
Hier nur kurz etwas zu 2): International agieren können bzw. müssen große Unternehmen heutzutage insbesondere deswegen, weil sie über allerhand Privilegien verfügen. Dazu gehört
- die Möglichkeit, über Ketten von sich wechselseitig besitzenden Unternehmen und entsprechender Verteilung der Firmensitze die Steuerlast zu minimieren (Stichwort Konzernverrechnungspreise).
- die ganz ähnlich gestrickte Möglichkeit, Haftung durch geschickte Verteilung im Konzern auf ein Minimum zu reduzieren
- die Kombination aus kapitalmarktorientierter Zeitwertbilanzierung, die kurzfristige Sichtweisen begünstigt, und sogenannten Bail-Out Verfahren, die gestrauchelte Banken und Unternehmen im Zweifelsfall retten.
Im Patentwesen und bei Markenschutz liegen noch weitere Quellen, die der Internationalisierung Vorschub leisten.
Kurz: Die Rahmenbedingungen sind so, daß Unternehmen automatisch weltweit denken - und denken müssen - wenn sie nicht von der Konkurrenz plattgemacht werden wollen. Ohne Änderung an dieser Stelle wird sich kaum ein (größeres) Unternehmen dazu bereitfinden, sich an unsere gemeinsamen Werte zu erinnern.