Re-Islamisierung: Ethnoreligiöser Nationalismus im albanisierten Kosovo

pdf der Druckfassung aus Sezession 13/April 2006

sez_nr_13von Daniel L. Schikora

Im August 1999 stellte Sergio Vieira de Mello, ehemaliger UN-Administrator für das Kosovo, den militärischen Angriff der NATO auf ein Gründungsmitglied der Vereinten Nationen, Jugoslawien, ausdrücklich in die Traditionslinie des Kampfes der Anti-Hitler-Koalition: „Ich wiederhole: Unvermischte Völker sind eigentlich ein Nazikonzept. Genau das haben die alliierten Mächte im Zweiten Weltkrieg bekämpft. Die Vereinten Nationen wurden gegründet, um diese Konzeption zu bekämpfen, was seit Dekaden auch geschieht. Genau das war der Grund, warum die NATO im Kosovo kämpfte. Und das war der Grund, warum der Sicherheitsrat der UN eine solch starke Militärpräsenz im Kosovo verlangte – nämlich um ein System ethnischer Reinheit zu verhindern.“


De Mel­lo, der per­sön­lich im Mai / Juni 1999 maß­ge­bend dar­an betei­ligt war, die UNO als Instru­ment einer ex-post-festum-„Legalisierung“ der Ergeb­nis­se des Jugo­sla­wi­en-Krie­ges der NATO zur Gel­tung zu brin­gen, inter­pre­tier­te deren Neu­ord­nungs­po­li­tik also als Aus­druck des Bekennt­nis­ses zu den Wer­ten und Nor­men einer libe­ral-demo­kra­ti­schen mel­ting pot socie­ty. Hier­in befand sich der bra­si­lia­ni­sche UN-Diplo­mat in weit­ge­hen­der Über­ein­stim­mung mit Jür­gen Haber­mas. Die­ser hat­te im April 1999 – wäh­rend des 78tägigen Bom­ben­krie­ges gegen Jugo­sla­wi­en – „den pre­kä­ren Über­gang von der klas­si­schen Macht­po­li­tik zu einem welt­bür­ger­li­chen Zustand“ begrüßt. „Staa­ten wie Liby­en, Irak oder Ser­bi­en“, wel­che „ihre insta­bi­len Ver­hält­nis­se im Inne­ren durch auto­ri­tä­re Herr­schaft und Iden­ti­täts­po­li­tik“ aus­gli­chen, „wäh­rend sie sich nach außen expan­sio­nis­tisch ver­hal­ten, in Grenz­fra­gen sen­si­bel sind und neu­ro­tisch auf ihre Sou­ve­rä­ni­tät pochen“, stell­te Haber­mas „19 zwei­fel­los demo­kra­ti­sche Staa­ten“ gegen­über – unter die­sen der NATO-Mit­glied­staat Tür­kei, deren aus­ge­spro­chen rigi­de „Iden­ti­täts­po­li­tik“ bis hin zur staat­lich ver­ord­ne­ten Leug­nung des Völ­ker­mor­des an den Arme­ni­ern Haber­mas aus­blen­de­te. Immer­hin räum­te Haber­mas aller­dings ein, daß die NATO-Mäch­te als Par­tei gegen­über der ande­ren Par­tei – „Ser­bi­en“ – „pater­na­lis­tisch“ gehan­delt hät­ten, um „mit Waf­fen­ge­walt“ den Ser­ben „eine poli­ti­sche Ord­nung [auf­zu­nö­ti­gen], die glei­che Rech­te für alle Bür­ger garantiert“.
Wie gestal­te­te sich nun die Durch­set­zung jener poli­ti­schen Ord­nung, die in Koso­vo-Meto­hi­ja (Kos­met) „glei­che Rech­te für alle Bür­ger“ garan­tie­ren soll­te? Tat­säch­lich wei­ger­te die unter NATO-Ägi­de ste­hen­de Kfor-Ver­wal­tung sich, der aus der Reso­lu­ti­on 1244 des Welt­si­cher­heits­ra­tes fol­gen­den Ver­pflich­tung zu einer Ent­waff­nung der alba­ni­schen UCK-Ver­bän­de nach­zu­kom­men und so den Schutz aller Ein­woh­ner der Pro­vinz zu garan­tie­ren. Bun­des­kanz­ler Schrö­der erklär­te wäh­rend sei­nes Kos­met-Besuchs im Juli 1999, wer als Ser­be guten Wil­lens sei – also nicht etwa jeder auf dem Amsel­feld leben­de Ser­be –, habe das Recht dar­auf, in einem selbst­be­stimm­ten Koso­vo zu leben. Im dar­auf fol­gen­den Jahr ver­öf­fent­lich­te die SPD-Bun­des­tags­frak­ti­on auf ihrer Inter­net-Sei­te einen „Bericht von einer Kurz­rei­se in den Koso­vo“, die MdB Susan­ne Kast­ner im März 2000 unter­nom­men hat­te. Kast­ner gab zum bes­ten, es sei „zwar nicht zu tole­rie­ren, aber zu ver­ste­hen“, daß ange­sichts der erlit­te­nen Unta­ten „die Haß­ge­füh­le der Koso­va­ren gegen­über den Ser­ben nach wie vor sehr stark sind“. Als „Koso­va­ren“ gal­ten der SPDAb­ge­ord­ne­ten offen­kun­dig nicht die aus dem Koso­vo ver­trie­be­nen Ser­ben, Roma, Asch­ka­li, Juden, Kroa­ten, sla­wi­schen Mus­li­me, Tür­ken oder die alba­ni­schen UCK-Geg­ner, denn deren „Haß­ge­füh­le“ dürf­ten sich in ers­ter Linie gegen die tri­um­phie­ren­den alba­ni­schen Gewalt­se­zes­sio­nis­ten gerich­tet haben.
Durch eine mas­si­ve mili­tä­ri­sche Auf­rüs­tung der alba­ni­schen Ter­ror­or­ga­ni­sa­ti­on UCK als einer Land­ar­mee gegen die jugo­sla­wi­sche Hoheits­macht hat­te die Clin­ton-Admi­nis­tra­ti­on den Gewalt­ver­bre­chen Vor­schub geleis­tet, die die UCK-Mili­zen nach dem Abzug der ser­bi­schen Ver­bän­de an wehr­lo­sen Zivi­lis­ten begin­gen. 330.000 Ser­ben, Roma und ande­re Nicht-Alba­ner wur­den ver­trie­ben oder zur Flucht ins unbe­setz­te Ser­bi­en gezwun­gen. Auch die jüdi­sche Gemein­de Pris­ti­nas fiel dem Ter­ror der UCK zum Opfer.

Ihr Vor­sit­zen­der, Cedra Prlince­vic, der im Novem­ber 1999 nach Bel­grad aus­reis­te, dia­gnos­ti­zier­te einen „Pogrom gegen die nicht-alba­ni­sche Bevöl­ke­rung“. Mit Blick auf „die mas­si­ve ras­si­sche Ver­fol­gung der Roma, Asch­ka­li und ‚Ägyp­ter‘ durch natio­na­lis­ti­sche Alba­ner im Koso­vo“ warn­te die – gewiß nicht pro-ser­bi­sche – „Gesell­schaft für bedroh­te Völ­ker“ (GfbV) im Juni 2005 sogar vor einem sich ankün­di­gen­den Geno­zid: „Die Situa­ti­on die­ser Min­der­hei­ten dort ent­spricht der Lage der Juden und Sin­ti in den Jah­ren vor Beginn des Holo­caust.“ (Pres­se­mit­tei­lung der GfbV vom 24. Juni 2005) Dem­ge­gen­über hat­ten im April 1999 die rot-grü­nen Minis­ter Schar­ping und Fischer den Bom­ben­krieg gegen Jugo­sla­wi­en als eine huma­ni­tä­re Frie­dens­ope­ra­ti­on zur Ver­hin­de­rung einer Wie­der­auf­la­ge von „Ausch­witz“ zu legi­ti­mie­ren versucht.
Wie seit 1974 im tür­kisch besetz­ten Nord-Zypern, so waren seit 1999 in dem unter inter­na­tio­na­ler Ver­wal­tung ste­hen­den Kos­met die reli­giö­sen Stät­ten des ortho­do­xen Chris­ten­tums vor­ran­gi­ge Anschlags­zie­le einer Poli­tik eth­nore­li­giö­ser „Säu­be­rung“: Über 100 Kir­chen und Klös­ter fie­len dem alba­nisch-mus­li­mi­schen Eth­no-Natio­na­lis­mus zum Opfer. Die Geschich­te des mit­tel­al­ter­li­chen ser­bi­schen Staa­tes, der im Jah­re 1389 infol­ge der Schlacht auf dem Amsel­feld (Koso­vo pol­je) durch die Osma­nen aus­ge­löscht wur­de, ist eng mit der kul­tu­rel­len Ent­fal­tung des Kos­met als eines Herz­stücks der ser­bi­schen Ortho­do­xie ver­bun­den, das etwa 1300 ser­bisch-ortho­do­xe Kir­chen, Klös­ter und ande­re Monu­men­te birgt, wel­che teil­wei­se ins 10. Jahr­hun­dert zurückgehen.
Die Schän­dung von Hei­lig­tü­mern der ser­bisch-ortho­do­xen Kir­che im Kos­met zielt offen­kun­dig auf die sys­te­ma­ti­sche Aus­lö­schung eines Kul­tur­er­bes. Auch unter der osma­ni­schen Herr­schaft, die erst in der Peri­ode der Bal­kan­krie­ge 1912 / 13 ihr Ende fand, blieb das Kos­met mehr­heit­lich ser­bisch besie­delt. Aller­dings wur­de – ins­be­son­de­re in den letz­ten 100 Jah­ren der osma­ni­schen Sou­ve­rä­ni­tät – ein Teil der auto­chtho­nen ser­bi­schen Bevöl­ke­rung durch die alba­ni­sche Mino­ri­tät ver­trie­ben, deren Ange­hö­ri­ge – anders als die Ser­ben – größ­ten­teils zum Islam über­ge­tre­ten waren. Unge­ach­tet des­sen stell­ten die Ser­ben noch 1929 etwa 61 Pro­zent der Gesamt­be­völ­ke­rung des Territoriums.
Mar­gi­na­li­siert wur­den die im Kos­met leben­den Ser­ben (und ande­ren Nicht-Alba­ner) erst in dem auch im „Wes­ten“ viel­ge­prie­se­nen „mul­ti­eth­ni­schen“ Jugo­sla­wi­en Titos. Die föde­ra­lis­ti­sche Ver­fas­sung von 1974 gewähr­te der inzwi­schen mehr­heit­lich alba­nisch besie­del­ten und 1970 in „Koso­vo“ (anstel­le von „Koso­vo und Meto­hi­ja“) umbe­nann­ten Pro­vinz einen exten­si­ven Auto­no­mie­sta­tus. Die gewalt­tä­ti­gen Über­grif­fe auf Ser­ben und die Pas­si­vi­tät von (alba­nisch domi­nier­ter) Poli­zei und Jus­tiz gegen­über sol­chen Aus­schrei­tun­gen – bei gleich­zei­ti­ger staat­li­cher Umwand­lung ortho­do­xer Kir­chen und Klös­ter in Moscheen – lös­ten in den 1980er Jah­ren auch inter­na­tio­na­le Pro­tes­te aus. Auf den dama­li­gen „Exodus der Koso­vo-Ser­ben“, wie er 1988 auch im US-Reprä­sen­tan­ten­haus the­ma­ti­siert wur­de, reagier­te der Vor­sit­zen­de der ser­bi­schen Kom­mu­nis­ten, Slo­bo­dan Milo­se­vic, mit einer Auf­he­bung der poli­ti­schen Auto­no­mie der Pro­vinz zwecks Zurück­drän­gung der alba­ni­schen Domi­nanz im Kosmet.
An die sepa­ra­tis­ti­sche Poli­tik einer Her­aus­drän­gung der nicht-alba­ni­schen Bevöl­ke­rungs­tei­le aus dem Kos­met knüpf­ten die Mili­zen der isla­mis­tisch durch­setz­ten UCK an. Die­se rief 1996 durch ter­ro­ris­ti­sche Angrif­fe nicht nur auf jugo­sla­wi­sche Poli­zis­ten, son­dern auch auf ser­bi­sche Zivi­lis­ten eine bür­ger­kriegs­ar­ti­ge Situa­ti­on im Kos­met her­vor, die zu been­den zum offi­zi­el­len Ziel der NATO-Inter­ven­ti­ons­po­li­tik erho­ben wur­de. Dabei trat der Nord­at­lan­tik­pakt zwi­schen dem 24. März und dem 10. Juni 1999 als „Luft­waf­fe der UCK“ (Hen­ry Kis­sin­ger) her­vor. Anschlie­ßend ist den im Kos­met ver­blie­be­nen Ser­ben – unter zyni­schem Ver­weis auf das Pos­tu­lat eines „mul­ti­eth­ni­schen Koso­vo“ – stets eine Auto­no­mie unter den Bedin­gun­gen einer „Kan­to­na­li­sie­rung“ des Ter­ri­to­ri­ums ver­wei­gert wor­den. Des­sen for­mel­le Unab­hän­gig­keit von Ser­bi­en, wie sie ins­be­son­de­re die USA favo­ri­sie­ren, wür­de den Mono­kul­tu­ra­lis­mus der alba­nisch-mus­li­mi­schen Natio­na­lis­ten „lega­li­sie­ren“.

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