De Mello, der persönlich im Mai / Juni 1999 maßgebend daran beteiligt war, die UNO als Instrument einer ex-post-festum-„Legalisierung“ der Ergebnisse des Jugoslawien-Krieges der NATO zur Geltung zu bringen, interpretierte deren Neuordnungspolitik also als Ausdruck des Bekenntnisses zu den Werten und Normen einer liberal-demokratischen melting pot society. Hierin befand sich der brasilianische UN-Diplomat in weitgehender Übereinstimmung mit Jürgen Habermas. Dieser hatte im April 1999 – während des 78tägigen Bombenkrieges gegen Jugoslawien – „den prekären Übergang von der klassischen Machtpolitik zu einem weltbürgerlichen Zustand“ begrüßt. „Staaten wie Libyen, Irak oder Serbien“, welche „ihre instabilen Verhältnisse im Inneren durch autoritäre Herrschaft und Identitätspolitik“ ausglichen, „während sie sich nach außen expansionistisch verhalten, in Grenzfragen sensibel sind und neurotisch auf ihre Souveränität pochen“, stellte Habermas „19 zweifellos demokratische Staaten“ gegenüber – unter diesen der NATO-Mitgliedstaat Türkei, deren ausgesprochen rigide „Identitätspolitik“ bis hin zur staatlich verordneten Leugnung des Völkermordes an den Armeniern Habermas ausblendete. Immerhin räumte Habermas allerdings ein, daß die NATO-Mächte als Partei gegenüber der anderen Partei – „Serbien“ – „paternalistisch“ gehandelt hätten, um „mit Waffengewalt“ den Serben „eine politische Ordnung [aufzunötigen], die gleiche Rechte für alle Bürger garantiert“.
Wie gestaltete sich nun die Durchsetzung jener politischen Ordnung, die in Kosovo-Metohija (Kosmet) „gleiche Rechte für alle Bürger“ garantieren sollte? Tatsächlich weigerte die unter NATO-Ägide stehende Kfor-Verwaltung sich, der aus der Resolution 1244 des Weltsicherheitsrates folgenden Verpflichtung zu einer Entwaffnung der albanischen UCK-Verbände nachzukommen und so den Schutz aller Einwohner der Provinz zu garantieren. Bundeskanzler Schröder erklärte während seines Kosmet-Besuchs im Juli 1999, wer als Serbe guten Willens sei – also nicht etwa jeder auf dem Amselfeld lebende Serbe –, habe das Recht darauf, in einem selbstbestimmten Kosovo zu leben. Im darauf folgenden Jahr veröffentlichte die SPD-Bundestagsfraktion auf ihrer Internet-Seite einen „Bericht von einer Kurzreise in den Kosovo“, die MdB Susanne Kastner im März 2000 unternommen hatte. Kastner gab zum besten, es sei „zwar nicht zu tolerieren, aber zu verstehen“, daß angesichts der erlittenen Untaten „die Haßgefühle der Kosovaren gegenüber den Serben nach wie vor sehr stark sind“. Als „Kosovaren“ galten der SPDAbgeordneten offenkundig nicht die aus dem Kosovo vertriebenen Serben, Roma, Aschkali, Juden, Kroaten, slawischen Muslime, Türken oder die albanischen UCK-Gegner, denn deren „Haßgefühle“ dürften sich in erster Linie gegen die triumphierenden albanischen Gewaltsezessionisten gerichtet haben.
Durch eine massive militärische Aufrüstung der albanischen Terrororganisation UCK als einer Landarmee gegen die jugoslawische Hoheitsmacht hatte die Clinton-Administration den Gewaltverbrechen Vorschub geleistet, die die UCK-Milizen nach dem Abzug der serbischen Verbände an wehrlosen Zivilisten begingen. 330.000 Serben, Roma und andere Nicht-Albaner wurden vertrieben oder zur Flucht ins unbesetzte Serbien gezwungen. Auch die jüdische Gemeinde Pristinas fiel dem Terror der UCK zum Opfer.
Ihr Vorsitzender, Cedra Prlincevic, der im November 1999 nach Belgrad ausreiste, diagnostizierte einen „Pogrom gegen die nicht-albanische Bevölkerung“. Mit Blick auf „die massive rassische Verfolgung der Roma, Aschkali und ‚Ägypter‘ durch nationalistische Albaner im Kosovo“ warnte die – gewiß nicht pro-serbische – „Gesellschaft für bedrohte Völker“ (GfbV) im Juni 2005 sogar vor einem sich ankündigenden Genozid: „Die Situation dieser Minderheiten dort entspricht der Lage der Juden und Sinti in den Jahren vor Beginn des Holocaust.“ (Pressemitteilung der GfbV vom 24. Juni 2005) Demgegenüber hatten im April 1999 die rot-grünen Minister Scharping und Fischer den Bombenkrieg gegen Jugoslawien als eine humanitäre Friedensoperation zur Verhinderung einer Wiederauflage von „Auschwitz“ zu legitimieren versucht.
Wie seit 1974 im türkisch besetzten Nord-Zypern, so waren seit 1999 in dem unter internationaler Verwaltung stehenden Kosmet die religiösen Stätten des orthodoxen Christentums vorrangige Anschlagsziele einer Politik ethnoreligiöser „Säuberung“: Über 100 Kirchen und Klöster fielen dem albanisch-muslimischen Ethno-Nationalismus zum Opfer. Die Geschichte des mittelalterlichen serbischen Staates, der im Jahre 1389 infolge der Schlacht auf dem Amselfeld (Kosovo polje) durch die Osmanen ausgelöscht wurde, ist eng mit der kulturellen Entfaltung des Kosmet als eines Herzstücks der serbischen Orthodoxie verbunden, das etwa 1300 serbisch-orthodoxe Kirchen, Klöster und andere Monumente birgt, welche teilweise ins 10. Jahrhundert zurückgehen.
Die Schändung von Heiligtümern der serbisch-orthodoxen Kirche im Kosmet zielt offenkundig auf die systematische Auslöschung eines Kulturerbes. Auch unter der osmanischen Herrschaft, die erst in der Periode der Balkankriege 1912 / 13 ihr Ende fand, blieb das Kosmet mehrheitlich serbisch besiedelt. Allerdings wurde – insbesondere in den letzten 100 Jahren der osmanischen Souveränität – ein Teil der autochthonen serbischen Bevölkerung durch die albanische Minorität vertrieben, deren Angehörige – anders als die Serben – größtenteils zum Islam übergetreten waren. Ungeachtet dessen stellten die Serben noch 1929 etwa 61 Prozent der Gesamtbevölkerung des Territoriums.
Marginalisiert wurden die im Kosmet lebenden Serben (und anderen Nicht-Albaner) erst in dem auch im „Westen“ vielgepriesenen „multiethnischen“ Jugoslawien Titos. Die föderalistische Verfassung von 1974 gewährte der inzwischen mehrheitlich albanisch besiedelten und 1970 in „Kosovo“ (anstelle von „Kosovo und Metohija“) umbenannten Provinz einen extensiven Autonomiestatus. Die gewalttätigen Übergriffe auf Serben und die Passivität von (albanisch dominierter) Polizei und Justiz gegenüber solchen Ausschreitungen – bei gleichzeitiger staatlicher Umwandlung orthodoxer Kirchen und Klöster in Moscheen – lösten in den 1980er Jahren auch internationale Proteste aus. Auf den damaligen „Exodus der Kosovo-Serben“, wie er 1988 auch im US-Repräsentantenhaus thematisiert wurde, reagierte der Vorsitzende der serbischen Kommunisten, Slobodan Milosevic, mit einer Aufhebung der politischen Autonomie der Provinz zwecks Zurückdrängung der albanischen Dominanz im Kosmet.
An die separatistische Politik einer Herausdrängung der nicht-albanischen Bevölkerungsteile aus dem Kosmet knüpften die Milizen der islamistisch durchsetzten UCK an. Diese rief 1996 durch terroristische Angriffe nicht nur auf jugoslawische Polizisten, sondern auch auf serbische Zivilisten eine bürgerkriegsartige Situation im Kosmet hervor, die zu beenden zum offiziellen Ziel der NATO-Interventionspolitik erhoben wurde. Dabei trat der Nordatlantikpakt zwischen dem 24. März und dem 10. Juni 1999 als „Luftwaffe der UCK“ (Henry Kissinger) hervor. Anschließend ist den im Kosmet verbliebenen Serben – unter zynischem Verweis auf das Postulat eines „multiethnischen Kosovo“ – stets eine Autonomie unter den Bedingungen einer „Kantonalisierung“ des Territoriums verweigert worden. Dessen formelle Unabhängigkeit von Serbien, wie sie insbesondere die USA favorisieren, würde den Monokulturalismus der albanisch-muslimischen Nationalisten „legalisieren“.