Ayelet Gundar-Goshen: Lügnerin. Roman

Ayelet Gundar-Goshen: Lügnerin. Roman, übersetzt aus dem Hebräischen von Helene Seidler, Zürich/Berlin: Kein & Aber 2017. 333 S., 24 €

Ellen Kositza

Ellen Kositza ist Literatur-Redakteurin und Mutter von sieben Kindern.

Die­ser Roman der 35jährigen Psy­cho­lo­gin und Dreh­buch­au­to­rin Aye­let Gun­dar-Gos­hen ist in sei­ner hebräi­schen Ori­gi­nal­fas­sung 2017 erschie­nen, von dem hash­tag #metoo konn­te die Schrift­stel­le­rin nichts wis­sen. Aber: ein Buch zur Stun­de! Lüg­ne­rin ist rou­ti­niert geschrie­ben, Gun­dar-Sos­hen ver­steht ihr Hand­werk. Das Buch hat Tief­gang und pflegt den­noch einen so leich­ten Ton, eine so gefäl­li­ge Dra­ma­tur­gie, daß es eben­so­gut als Schmö­ker­lek­tü­re wie als Denk­stück sich eignet.

Nuphar, die Prot­ago­nis­tin, ist sieb­zehn, leicht picke­lig, mol­lig, unge­küßt, eher Außen­sei­te­rin; so könn­te man wenigs­tens ihr (alters­ge­rech­tes) Selbst­bild skiz­zie­ren. Dem objek­ti­ven Betrach­ter wür­de sie als net­tes, even­tu­ell sogar begeh­rens­wer­tes Mäd­chen erschei­nen. Nuphar hat einen Feri­en­job in der Eis­die­le. Eines Tages möch­te der abge­half­ter­te Ex-Star Avi-shai Mil­ner ein Eis kau­fen. Nuphar hat gera­de pau­siert, und Mil­ners Ego ist gera­de ange­schla­gen. Weil er ein paar Minu­ten auf die Bedie­nung sei­ner Wün­sche war­ten muß, geht es mit Mil­ner, dem ollen Nar­ziß­ten, durch. Er belei­digt Nuphar unflä­tig: »›Du bist häß-lich! Kei­ner inter­es­siert sich für dich.‹ Und obwohl sie in Wirk­lich­keit ein recht ansehn­li­ches Geschöpf war, bil­de­te sie sich ein, der Kun­de habe nur aus­po­saunt, was alle ande­ren im Stil­len dach­ten.« Nuphar beginnt zu schrei­en, und »in ihrem Schrei lag die Krän­kung, die sie sich selbst zuge­fügt hat­te. Sie schrie und schrie und hör­te nicht, dass die Mar­tins­hör­ner der alar­mier­ten Poli­zei ihr ant­wor­te­ten: Ein Scha­kal heult, und hun­dert Scha­ka­le ant­wor­ten ihm aus der Fins­ter­nis.« Im fol­gen­den Tumult ist das Mäd­chen taub vor Schluch­zen. »Hat er dich ange­faßt?«, wird sie aus dut­zen­den Mün­dern gefragt. Ihr Zit­tern wird als »Ja« gedeu­tet und ver­weist »bereits auf eine Schlag­zei­le der Zei­tung von morgen.«

Nuphar über­läßt sich den übli­chen Umar­mun­gen, »und es scheint ihr, als wäre sie noch nie so gehal­ten wor­den.« Von Stund’ an erfährt sie immense Zunei­gung, Mit­leid und Inter­es­se – es hagelt Ein­la­dun­gen zu Nach­rich­ten­sen­dun­gen und Talk­shows. Nuphar ist kei­nes­wegs ein Fräu­lein ohne Gewis­sen – nur, wo wäre der Aus­weg? Wie stün­de sie da, wenn klar wür­de, daß sie mit­nich­ten Opfer einer ver­such­ten Ver­ge­wal­ti­gung, son­dern nur zufäl­li­ges Ziel einer Ver­bal­at­ta­cke war? Nuphar blüht auf. Aus dem Mau­er­blüm­chen wird eine Rose mit Dor­nen. Nun hat ein etwa gleich­alt­ri­ger Jun­ge, ein Stu­ben­ho­cker, das wah­re Gesche­hen beob­ach­tet. Erst erpreßt Lavie sie ein wenig, dann ver­lie­ben sich die bei­den. Ein­mal muß Nuphar wei­nen. Der Druck der Lüge ist zu groß. Lavies Trost: Men­schen, die sich eisern an die Wahr­heit hiel­ten, täten das, weil die Wahr­heit von Vor­teil für sie sei. Für ande­re sei die Lüge vor­teil­haf­ter: »Wenn die Wahr­heit gut genug gewe­sen wäre, hät­test du nicht lügen müs­sen, rich­tig? Wenn die Wirk­lich­keit beschis­sen ist, ist das Lügen nicht so schlimm.« Und sie alle, die Bevöl­ke­rung die­ses Romans, sind klei­ne­re oder grö­ße­re Lüg­ner. Gun­dar-Gos­hen zeigt es mit fei­nen Spit­zen und mil­der Süf­fi­sanz. Sie muß all die­se Selbst­be­trü­ger, Ehe­bre­cher, fal­schen Moral­apos­tel und All­tags­schwind­ler nicht mar­kie­ren, es wird en pas­sant deutlich.

Beson­ders hübsch ist ihr die Beschrei­bung des »Inter­na­tio­na­len Tags gegen Gewalt an Frau­en« gera­ten. Alle Insti­tu­tio­nen bege­hen ihn mit pom­pös-tra­gi­scher Fei­er­lich­keit. In der Resi­denz des Staats­prä­si­den­ten (der eine betrof­fen­ma­chen­de Rede hält und zugleich an den Hin­tern sei­ner Büro­lei­te­rin denkt) ist alles fein und opu­lent gerich­tet: Lecke­rei­en ste­hen eben­so parat wie ein paar »miß­han­del­te Frau­en« (inklu­si­ve Nuphar, die sich ver­drü­cken wird; man ver­steht es selbst­re­dend) und das gro­ße Schild mit der Auf­schrift: »Das muß ein Ende haben!«. Nuphar schämt sich. Sie fühlt sich schul­dig. Aber gemein­sam mit Lavie wür­de sie »die Schuld zäh­men, bis sie zu einem dres­sier­ten Hund wür­de.« Was wiegt über­haupt Schuld, wenn der Kon­tra­hent eine so mie­se Type ist? Wenig spä­ter wird sie sich einer alten Frau anver­trau­en, zu der sie spon­tan Ver­trau­en faßt. Riv­ka heißt die Dame, Nuphar lernt sie auf der Klas­sen­fahrt nach Polen ken­nen. Riv­ka beglei­tet als KZ-Über­le­ben­de die Klas­se auf einer Tour durch Inter­nie­rungs­la­ger. Sie hält ihre Vor­trä­ge mit zit­tern­der Stim­me: »Noch bevor die Über­le­ben­de ein Wort gesagt hat­te, waren die sanf­ten See­len bereit zu wei­nen. Ein ein­ge­stimm­tes Publi­kum, nann­te man das wohl.« Riv­ka wun­dert sich nicht, als Nuphar abends ihre Nähe sucht. Sie hat­te heu­te »vom Get­to erzählt, und das war so schreck­lich trau­rig gewe­sen, dass sie befürch­te­te, von ihren eige­nen Geschich­ten Alb­träu­me zu bekom­men.« Nur, Nuphar fragt nicht nach der Schoa. Sie wird nicht erfah­ren, daß Riv­ka in Wahr­heit Ray­mon­de heißt und sich ihre Holo­caust­nä­he aus Infor­ma­tio­nen aus dem Inter­net zusam­men­ge­bas­telt hat. Manch­mal, so erklärt ihr die Älte­re, erfin­de man Din­ge nur, um ein biß­chen weni­ger allein zu sein.

– – –

Aye­let Gun­dar-Gos­hens Lüg­ne­rin. Roman kann man hier bestellen.

Ellen Kositza

Ellen Kositza ist Literatur-Redakteurin und Mutter von sieben Kindern.

Nichts schreibt sich
von allein!

Das Blog der Zeitschrift Sezession ist die wichtigste rechtsintellektuelle Stimme im Netz. Es lebt vom Fleiß, von der Lesewut und von der Sprachkraft seiner Autoren. Wenn Sie diesen Federn Zeit und Ruhe verschaffen möchten, können Sie das mit einem Betrag Ihrer Wahl tun.

Sezession
DE58 8005 3762 1894 1405 98
NOLADE21HAL

Kommentare (0)