Peter Priskil (Hrsg.): Kronstadt. Texte von Lenin, Trotzki u.a.

Peter Priskil (Hrsg.): Kronstadt. Texte von Lenin, Trotzki u.a., Freiburg: Ahriman 2016. 224 S., 9.80 €

Benedikt Kaiser

Benedikt Kaiser ist Politikwissenschaftler und arbeitet als Verlagslektor.

In die­sem nun aus­klin­gen­den Jubi­lä­ums­jahr der Rus­si­schen Revo­lu­tio­nen von 1917 ist der Fokus vie­ler For­scher und Publi­zis­ten ganz auf die sowjet­rus­si­sche Geschich­te gerich­tet gewe­sen, spe­zi­ell bei Karl Schloe­gel (Das sowje­ti­sche Jahr­hun­dert) oder Gerd Koe­nen (Die Far­be Rot, sie­he S. 60). Eine beson­de­re Zäsur für die frü­he Sowjet­uni­on ver­kör­per­te dabei der Matro­sen­auf­stand in der Fes­tung Kron­stadt im Früh­jahr 1921. Bis heu­te pro­ji­zie­ren nicht­le­ni­nis­ti­sche Lin­ke auf der gan­zen Welt ihre Sehn­süch­te in die­se Erhe­bung vor den Toren Petrograds/St. Peters­burgs, die rasch durch loya­le Ele­men­te der Roten Armee nie­der­ge­schla­gen wur­de. Haben hier nicht anti­au­to­ri­tä­re oder wenigs­tens auto­ri­täts­kri­ti­sche Sozia­lis­ten, Sozi­al­re­vo­lu­tio­nä­re, Anar­chis­ten und Unab­hän­gi­ge ver­sucht, die sich zemen­tie­ren­de Dik­ta­tur der Bol­sche­wi­ki zu stop­pen, um einen ande­ren, einen nicht­to­ta­li­tä­ren, demo­kra­tisch-sozia­lis­ti­schen Weg Ruß­lands zu ermög­li­chen? Nein, sagt Peter Pris­kil, der Her­aus­ge­ber des vor­lie­gen­den Ban­des, und nein, sagen auch die in die­ser Antho­lo­gie ver­sam­mel­ten, bol­sche­wis­ti­schen Autoren von Lenin und Trotz­ki bis hin zum berüch­tig­ten Geheim­dienst­mann Felix Dsersch­in­ski sowie dem US-ame­ri­ka­ni­schen Trotz­ki-Über­set­zer John G. Wright, die Pris­kil mit Aus­zü­gen aus ihren Wer­ken und Pres­se­bei­trä­gen zu Wort kom­men läßt.

Wer Kron­stadt besaß, besaß Zugang zu Petro­grad und, weil die dahin­ter­lie­gen­de Flä­che kei­ne star­ken Ver­tei­di­gungs­chan­cen bot, zu Mos­kau. Pris­kil, des­sen Vor- und Nach­wort so man­che umgangs­sprach­li­che Atta­cke auf ideo­lo­gisch Abwei­chen­de ent­hält, setzt in sei­ner Doku­men­ta­ti­on genau hier an. Der Lite­ra­tur­wis­sen­schaft­ler ver­sucht mit­tels O‑Tönen von einst dar­zu­le­gen, wes­halb das Pro­jekt der Meu­te­rei von Kron­stadt von vorn­her­ein ein von raum­frem­den Mäch­ten initi­ier­tes Mit­tel war, um der noch nicht gefes­tig­ten Lenin­schen Dik­ta­tur nach vie­len ver­geb­li­chen Anläu­fen end­lich einen schwe­ren Schlag zu ver­set­zen. Neben die­sem exter­nen Fak­tor räumt der Band mit der Vor­stel­lung auf, hier hät­ten »klas­sen­be­wuß­te« Lin­ke gegen die ent­ar­te­te Dik­ta­tur der Par­tei gekämpft. Viel­mehr sei es eine »klein­bür­ger­li­che Kon­ter­re­vo­lu­ti­on« (Lenin) gewe­sen, die eben gera­de kein welt­an­schau­li­ches Fun­da­ment beses­sen habe, son­dern spe­zi­ell durch mate­ri­el­le Erwar­tun­gen der ent­ideo­lo­gi­sier­ten Etap­pe-Matro­sen genährt wurde.

Man liest die­se Doku­men­ta­ti­on mit Span­nung, denn sie wirft ein neu­es Licht auf den Kron­städ­ter Auf­stand. Sie legt Stand­punk­te dar, die in ande­ren, durch­aus wis­sen­schaft­li­che­ren und umfas­sen­de­ren Dar­stel­lun­gen, sel­ten zur Gel­tung kom­men. Ob man nach der Lek­tü­re nun ernst­lich die »Wahr­heit über Kron­stadt« (Wright) kennt und ob man Pris­kils Drang, mit Invek­ti­ven gegen die Zeit­geist­lin­ke vor­zu­ge­hen, gou­tiert: Fest steht, daß das mit einem hilf­rei­chen Glos­sar ver­se­he­ne Bänd­chen sei­nen Bei­trag zur his­to­ri­schen Ein­ord­nung des Mythos von Kron­stadt und der sowje­ti­schen Grün­dungs­ge­schich­te leis­tet. Im Nach­wort erfährt man zudem Erhel­len­des über die Pro­ble­ma­tik eines ortho­do­xen Mar­xis­ten, im zeit­ge­nös­si­schen olig­ar­chi­schen Ruß­land einen poten­ti­el­len Kat­echon in bezug auf eine west­le­risch-kapi­ta­lis­tisch gepräg­te One World und US-geführ­ten »Mono­im­pe­ria­lis­mus« zu identifizieren.

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Peter Pri­kils Kron­stadt kann man hier bestel­len.

Benedikt Kaiser

Benedikt Kaiser ist Politikwissenschaftler und arbeitet als Verlagslektor.

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