Jens Wernicke (Hrsg.): Lügen die Medien? Propaganda, Rudeljournalismus und der Kampf um die öffentliche Meinung

Jens Wernicke (Hrsg.): Lügen die Medien? Propaganda, Rudeljournalismus und der Kampf um die öffentliche Meinung, Frankfurt a.M.: Westend 2017. 359 S., 18 €

Ellen Kositza

Ellen Kositza ist Literatur-Redakteurin und Mutter von sieben Kindern.

Man könn­te glatt fin­den, der Kanal wäre voll zum The­ma Lügen-/Lü­cken­pres­se. Seit Uwe Krü­gers ver­dien­tem Stan­dard­werk Main­stream. War­um wir den Medi­en nicht mehr trau­en (2016) ist eine Men­ge Stoff zum Ver­trau­ens­ver­lust in die ver­öf­fent­lich­te Mei­nung erschie­nen, meist aus »rech­ter« Sicht, weil Leu­te die­ser War­te sich, klar, in den Leit­me­di­en beson­ders »ver­dreht« wie­der­fin­den. Nun also eine wei­te­re Beschau? Nein, anders. Kaum einer der vier­und­zwan­zig Bei­trä­ger zu die­sem vom Kul­tur­wis­sen­schaft­ler und ehe­ma­li­gen Gewerk­schafts­se­kre­tär Jens Wer­ni­cke her­aus­ge­ge­be­nen »Medi­en­kri­tik-Kom­pen­di­um« steht auch nur annä­hernd unter Ver­dacht, einer »rech­ten« Sache das Wort zu reden. Dar­um feh­len hier auch Stel­lung­nah­men rund um die soge­nann­te Migra­ti­ons­kri­se und die flan­kie­ren­de Bericht­erstat­tung. Das kann man bedau­ern, weil dort die soge­nann­te Medi­en­kri­se beson­ders scharf her­vor­trä­te. Doch ist auch unter Aus­spa­rung die­ses Felds das Buch emi­nent lesens­wert. Wer­ni­cke (des­sen Fun­da­ment und Fra­gen­grund­la­ge gele­gent­lich etwas dünn und sti­lis­tisch unbe­hol­fen erschei­nen; zumal, wenn man die plat­te Pau­schal­re­de von der »neo­li­be­ra­len Agen­da« nicht mehr hören kann und Wen­dun­gen wie »Tages­schau, Tages­the­men und Co.« für wenig elo­quent befin­det) erhält äußerst for­mi­da­ble Ant­wor­ten auf sei­ne Fra­gen. Er hat sie gerich­tet a) an »Macher«, damit sind Innen­sei­ter des Medi­en­be­triebs gemeint, bei­spiels­wei­se den lang­jäh­ri­gen NDR-Mit­ar­bei­ter Vol­ker Bräu­ti­gam, b) an »Den­ker« wie Noam Chom­sky, den Geheim­dienst­ex­per­ten Erich Schmidt-Een­boom oder den His­to­ri­ker Danie­le Gan­ser und c) an Per­so­nen der »Zivil­ge­sell­schaft« wie Danie­la Dahn und den ver.di Funk­tio­när Rai­ner Buten­schön. Die zwei, drei erz­lang­wei­li­gen Bei­trä­ge, die in kei­nem Sam­mel­band feh­len, wer­den dut­zend­fach auf­ge­wo­gen allein durch das Inter­view mit dem Inves­ti­ga­ti­v­jour­na­lis­ten Wal­ter van Ros­sum (der übri­gens auf You­Tube eben­so druck­reif spricht wie im Buch). Zur Fra­ge, ob die Pre­mi­um­jour­nail­le sich aus »Über­zeu­gungs­tä­tern« gene­rie­re oder schlicht gehirn­ge­wa­schen sei, ant­wor­tet er mit einem Mitt­le­ren: Es sei­en Mit­läu­fer am Werk, die »Selbst­gleich­schal­tung« habe stets zum Spiel der Mas­sen­me­di­en gehört. Die Medi­en, sagt van Ros­sum, sei­en nur das Sprach­rohr für den vor­herr­schen­den Kon­sens der Eli­te, und damit wirk­ten sie als »Brand­be­schleu­ni­ger«. Die »edle Aura der Objek­ti­vi­tät« fal­le regel­mä­ßig den »Won­nen der Her­de« zum Opfer. Der Effekt auf den Medi­en­kon­su­men­ten: »Im Gegen­satz zu frü­he­ren Herr­schafts­sys­te­men ist der bür­ger­li­che Mensch inzwi­schen mit sei­ner eige­nen Unter­drü­ckung regel­recht iden­ti­fi­ziert.« Der zeit­ge­nös­si­sche Redak­teur brau­che kei­nen Zuruf »von oben«. Er »kennt genau die Grenz­pfäh­le, inner­halb derer er schrei­ben kann, was er will. Und mitt­ler­wei­le will er nur noch, was gewollt wird.« Ins ähn­li­che Horn stößt Ulrich Teusch, Pro­fes­sor für Poli­tik­wis­sen­schaft: Der Main­stream wer­de wei­ter ero­die­ren. Er wer­de sich zwar noch Main­stream nen­nen, es aber in Wahr­heit nicht mehr sein – die­ses Schick­sal erin­ne­re an das der »Volks­par­tei­en«. Auch Ste­fan Hebel, Urge­stein der Frank­fur­ter Rund­schau, liest Levi­ten: »Es gibt Struk­tu­ren, Macht­ver­hält­nis­se und eben oft auch einen Man­gel an Hal­tung.« Hebel kri­ti­siert die unre­flek­tier­te Anpas­sung an das gän­gi­ge Denk­spek­trum und moniert den »feh­len­den oder hämi­schen Blick auf das, was außer­halb die­ses Spek­trums gedacht, gelebt und gesagt wird.« Wich­tig: Bei all die­sen Bei­trä­gen han­delt es sich nicht um Gene­ral­ab­rech­nun­gen. Kon­kre­te (und bestür­zen­de) Fäl­le aus ers­ter Hand, wo eine kri­ti­sche Bericht­erstat­tung par ord­re du muf­ti ver­hin­dert wur­den, machen die­ses Kom­pen­di­um zu einem wahr­haft hei­ßen Eisen.

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Jens Wer­ni­ckes Lügen die Medi­en kann man hier bestel­len.

Ellen Kositza

Ellen Kositza ist Literatur-Redakteurin und Mutter von sieben Kindern.

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