Man könnte glatt finden, der Kanal wäre voll zum Thema Lügen-/Lückenpresse. Seit Uwe Krügers verdientem Standardwerk Mainstream. Warum wir den Medien nicht mehr trauen (2016) ist eine Menge Stoff zum Vertrauensverlust in die veröffentlichte Meinung erschienen, meist aus »rechter« Sicht, weil Leute dieser Warte sich, klar, in den Leitmedien besonders »verdreht« wiederfinden. Nun also eine weitere Beschau? Nein, anders. Kaum einer der vierundzwanzig Beiträger zu diesem vom Kulturwissenschaftler und ehemaligen Gewerkschaftssekretär Jens Wernicke herausgegebenen »Medienkritik-Kompendium« steht auch nur annähernd unter Verdacht, einer »rechten« Sache das Wort zu reden. Darum fehlen hier auch Stellungnahmen rund um die sogenannte Migrationskrise und die flankierende Berichterstattung. Das kann man bedauern, weil dort die sogenannte Medienkrise besonders scharf hervorträte. Doch ist auch unter Aussparung dieses Felds das Buch eminent lesenswert. Wernicke (dessen Fundament und Fragengrundlage gelegentlich etwas dünn und stilistisch unbeholfen erscheinen; zumal, wenn man die platte Pauschalrede von der »neoliberalen Agenda« nicht mehr hören kann und Wendungen wie »Tagesschau, Tagesthemen und Co.« für wenig eloquent befindet) erhält äußerst formidable Antworten auf seine Fragen. Er hat sie gerichtet a) an »Macher«, damit sind Innenseiter des Medienbetriebs gemeint, beispielsweise den langjährigen NDR-Mitarbeiter Volker Bräutigam, b) an »Denker« wie Noam Chomsky, den Geheimdienstexperten Erich Schmidt-Eenboom oder den Historiker Daniele Ganser und c) an Personen der »Zivilgesellschaft« wie Daniela Dahn und den ver.di Funktionär Rainer Butenschön. Die zwei, drei erzlangweiligen Beiträge, die in keinem Sammelband fehlen, werden dutzendfach aufgewogen allein durch das Interview mit dem Investigativjournalisten Walter van Rossum (der übrigens auf YouTube ebenso druckreif spricht wie im Buch). Zur Frage, ob die Premiumjournaille sich aus »Überzeugungstätern« generiere oder schlicht gehirngewaschen sei, antwortet er mit einem Mittleren: Es seien Mitläufer am Werk, die »Selbstgleichschaltung« habe stets zum Spiel der Massenmedien gehört. Die Medien, sagt van Rossum, seien nur das Sprachrohr für den vorherrschenden Konsens der Elite, und damit wirkten sie als »Brandbeschleuniger«. Die »edle Aura der Objektivität« falle regelmäßig den »Wonnen der Herde« zum Opfer. Der Effekt auf den Medienkonsumenten: »Im Gegensatz zu früheren Herrschaftssystemen ist der bürgerliche Mensch inzwischen mit seiner eigenen Unterdrückung regelrecht identifiziert.« Der zeitgenössische Redakteur brauche keinen Zuruf »von oben«. Er »kennt genau die Grenzpfähle, innerhalb derer er schreiben kann, was er will. Und mittlerweile will er nur noch, was gewollt wird.« Ins ähnliche Horn stößt Ulrich Teusch, Professor für Politikwissenschaft: Der Mainstream werde weiter erodieren. Er werde sich zwar noch Mainstream nennen, es aber in Wahrheit nicht mehr sein – dieses Schicksal erinnere an das der »Volksparteien«. Auch Stefan Hebel, Urgestein der Frankfurter Rundschau, liest Leviten: »Es gibt Strukturen, Machtverhältnisse und eben oft auch einen Mangel an Haltung.« Hebel kritisiert die unreflektierte Anpassung an das gängige Denkspektrum und moniert den »fehlenden oder hämischen Blick auf das, was außerhalb dieses Spektrums gedacht, gelebt und gesagt wird.« Wichtig: Bei all diesen Beiträgen handelt es sich nicht um Generalabrechnungen. Konkrete (und bestürzende) Fälle aus erster Hand, wo eine kritische Berichterstattung par ordre du mufti verhindert wurden, machen dieses Kompendium zu einem wahrhaft heißen Eisen.
– – –
Jens Wernickes Lügen die Medien kann man hier bestellen.